Produktdetails
- Verlag: Stuttgart : Klett-Cotta
- ISBN-13: 9783608937657
- ISBN-10: 360893765X
- Artikelnr.: 22496285
"... So wie Glück in Unglück umschlägt, Unglück in Glück, so das Nichts in Sprache, Sprache in Poesie. Dieses Wunder geschieht in Nora Iugas ununterbrochener, ja ununterbrechbarer Poesie. ..."
Harald Hartung (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.06.2007)
"Und nicht zuletzt die Gedichte über Liebe und Erotik sind es, in denen sich immer wieder Wendungen finden, die so unverkrampft körperbetont wie originell sind. ... Derbes und Zärtliches, Banales und Exquisites zu einer Einheit werden lassen ... Iugas Gedichte bringen das fremdartige Bild mit dem Gewohnten auf eine ganz selbstverständliche, nie elitäre und oft hochkomische Art zueinander."
(Frankfurter Rundschau, 25.04.2007)
"Bei aller Leichtigkeit und Wirklichkeitsflucht können Nora Iugas Verse die Schwere der Welt nicht abschütteln. Sie wollen es auch gar nicht. Zutiefst bleiben sie dem Irdischen und Leibhaften verbunden, sind nie geschlechts- oder körperlos, nie süßlich oder sentimental, sondern von großer Sinnlichkeit..."
(Die Welt, 21.04.2007)
"Es sind lyrisch konzentrierte Mitschriften von Tagträumen, nächtlichen Phantasmagorien, kleinen alltäglichen Snapshots und jäh aufleuchtenden Visionen des Begehrens, die Nora Iuga zu Gedichten organisiert. Und es gibt tatsächlich auch einen äußerst lebendigen "Erotismus" in den Texten, der aber nicht fragwürdig "morbide" ist, wie einst die Alarmisten der rumänischen Kulturpolitik behaupteten, sondern immer wieder überrascht mit großer skurriler Frische und origineller Drastik. Je älter diese Dichterin wird, desto kühnere Bildfindungen zum Drama von Liebe und Schmerz, Eros und Tod scheinen ihr zu gelingen."
Michael Braun (Freitag, Messebeilage, 23.3.2007)
Harald Hartung (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.06.2007)
"Und nicht zuletzt die Gedichte über Liebe und Erotik sind es, in denen sich immer wieder Wendungen finden, die so unverkrampft körperbetont wie originell sind. ... Derbes und Zärtliches, Banales und Exquisites zu einer Einheit werden lassen ... Iugas Gedichte bringen das fremdartige Bild mit dem Gewohnten auf eine ganz selbstverständliche, nie elitäre und oft hochkomische Art zueinander."
(Frankfurter Rundschau, 25.04.2007)
"Bei aller Leichtigkeit und Wirklichkeitsflucht können Nora Iugas Verse die Schwere der Welt nicht abschütteln. Sie wollen es auch gar nicht. Zutiefst bleiben sie dem Irdischen und Leibhaften verbunden, sind nie geschlechts- oder körperlos, nie süßlich oder sentimental, sondern von großer Sinnlichkeit..."
(Die Welt, 21.04.2007)
"Es sind lyrisch konzentrierte Mitschriften von Tagträumen, nächtlichen Phantasmagorien, kleinen alltäglichen Snapshots und jäh aufleuchtenden Visionen des Begehrens, die Nora Iuga zu Gedichten organisiert. Und es gibt tatsächlich auch einen äußerst lebendigen "Erotismus" in den Texten, der aber nicht fragwürdig "morbide" ist, wie einst die Alarmisten der rumänischen Kulturpolitik behaupteten, sondern immer wieder überrascht mit großer skurriler Frische und origineller Drastik. Je älter diese Dichterin wird, desto kühnere Bildfindungen zum Drama von Liebe und Schmerz, Eros und Tod scheinen ihr zu gelingen."
Michael Braun (Freitag, Messebeilage, 23.3.2007)
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.06.2007Die schönen und gefährlichen Launen der Poesie
Ein Lebenswerk ist zu besichtigen: Die rumänische Dichterin Nora Iuga feiert mit ihrer in der Ceausescu-Ära überwinternden subversiven Phantasie die Ekstasen und Melancholien der Liebe.
Von Harald Hartung
Wenn eine ältere Dame erklärt, sie habe ein schönes Leben gehabt, müssen wir nicht gleich aufmerken. Es ist aber die große alte Dame der rumänischen Poesie, die das erklärt, und zwar in allen Variationen: "Mein Leben war sehr schön. Ich hatte ein schönes Leben. Ich hatte ein sehr schönes Leben. Ja, ja, ich hatte ein sehr schönes Leben." Neunmal erscheint das Motiv in ihrem Selbstporträt - analog zur Neunzahl der Musen. Nora Iuga weiß, dass die Dichter lügen, um die Wahrheit zu sagen. Auch sie beschwört den Gott, der ihr zu sagen gibt, was sie leidet. Doch am meisten schätzt sie die Ironie. Ironie wies ihr den Weg über die halsbrecherischen Hintertreppen der Geschichte.
Natürlich ist Nora Iuga zu wissend, zu kultiviert und genussfähig, um uns mit der bloßen Umkehrung des Bildes vom glücklichen Leben abzuspeisen. 1931 in Bukarest geboren, wuchs sie in eine k. u. k. Melange mit serbischen, ungarischen und deutschen Vorfahren hinein. Die Eltern - der Vater war Musiker, die Mutter Ballerina - nahmen die fünfjährige Nora mit auf eine zweijährige Tournee durch Deutschland, Belgien und die Niederlande. Die Zwölfjährige schrieb ihre ersten Gedichte, und nach dem Germanistikstudium schien sich für sie eine glänzende literarische Karriere anzubahnen. 1968 debütierte sie, doch schon zwei Jahre später, bei Erscheinen ihres zweiten Buches, "ging die Harmonika wieder zu" - die Repression setzt wieder ein. Der Titel "Gefangen im Kreis" erhielt eine unvorhergesehene bittere Wahrheit. Man warf der Poetin "morbiden Erotismus" vor, und sie durfte acht Jahre nicht veröffentlichen.
Ansichten über den Schmerz.
Als die Harmonika sich wieder öffnete, musste Nora Iuga gleichsam noch einmal debütieren. Für "Ansichten über den Schmerz" (1980) - immerhin ein provokanter Titel - erhielt sie den Preis des rumänischen Schriftstellerverbandes. Erst spät, mit sechzig, konnte sie ins westliche Ausland reisen: nach Wien, nach Kärnten und nach Budapest, das ihr als die verheißene Neue Welt erschien. Über all die Jahre freilich musste die Freiheit zu publizieren oder zu schweigen mit täglicher Brotarbeit erkauft werden: mit Tätigkeiten als Deutschlehrerin, als Redakteurin, Bibliographin und Lektorin, vor allem als Übersetzerin: Nora Iuga übersetzte an die dreißig Bücher aus dem Deutschen, Jünger, Grass, Bernhard, Elfriede Jelinek und Herta Müller.
Ein schönes Leben, ein sehr schönes gar? Ein normales Leben, befindet sie am Schluss ihres Selbstporträts. Nora Iuga sieht sich als die unauffällige Bewohnerin einer Blockwohnung am Rande von Bukarest: "Die Nachbarn grüßen mich, weil sie mich mitunter im Fernseher sehen, wo ich Hüte anprobiere und Gedichte lese, die gut klingen, aber leider unverständlich sind." Skepsis gilt dem Bild, das sich die Öffentlichkeit von ihr macht: "Im Ausland bin ich angesehener als im eigenen Land. Die Rumänen mögen keine Originalität."
Und die Deutschen? Für ihre Vermittlung deutscher Kultur ist Nora Iuga mit dem Gundolf-Preis ausgezeichnet worden. Doch ihre Lyrik ist bei uns noch nicht wirklich präsent. Diese Auswahl könnte das Blatt wenden. "Gefährliche Launen" bringt Gedichte aus fast fünfzig Jahren, den Extrakt eines Lebenswerks. Der Übersetzer Ernest Wichner, selbst Lyriker von Profession, hat Äquivalente geschaffen, die sich als deutsche Gedichte lesen.
Von Anfang an ist Nora Iugas Lyrik unkonventionell und risikofreudig. Sie liebt surreale Märchen. So schickt sie ihr weißes Kamel in die Himmelsdünen, doch sie warnt ihren Herrn Kontrabass vor dem Mädchen am See, das schon den Stein um den Hals hat. Man schreibt das Jahr 1968, doch Iugas Phantasie will keineswegs leicht und kostenlos an die Macht. Die Repression klopft an die Tür. Die Dichterin weiß: "Wir können uns morgen / selbst um den Preis eines Dichters / keine Grille mehr leisten."
In der Ceausescu-Zeit überwintert die subversive Phantasie. Da ist Nora Iuga, mit dem Titel eines ihrer späteren Bände, "Die Nachtdaktylographin". Sie nimmt auf, was böse Erinnerung und böse Gegenwart ihr eingeben. Sie spricht von Häusern mit Fenstern, die Übles vorhersagen, von Grammophonen mit Trichtern, "die kilometerlanges Schweigen verschlucken". Sie schreibt Verse, die auch gewagte Motive nicht scheuen: "im geöffneten koffer / (den ich verbergen will) / ist mein geschlecht zu sehen / gelb und weich wie eine kamelschnauze". Das ist erotische Konterbande, unbezähmbare Absage an jegliche Repression. Nora Iuga steht in der Tradition eines Surrealismus, der - anders als der französische - nicht mit dem Kommunismus flirtete. Sie beschwört den großen Gellu Naum und lässt ihn sagen: "du, Vergrabene, rief da Gellu Naum / und stopfte mir eine Handvoll Blätter in den Rachen / welch grüne Agonie, stell dir doch vor / ja stell dir vor, welch eine grüne Agonie." Man muss das Grün in dieser rätselvollen Anrede betonen, das ununterdrückbare Leben.
Von diesem lebensfrischen Elan lebt auch ihre späte Poesie. Als das Ceausescu-Regime kollabierte, blieb sie - anders als andere - nicht auf Opposition fixiert. Sie nutzte die neue Freiheit; nutzte sie auch zur Eroberung neuer Formen. Man darf auf die Übersetzung von Erzähltexten wie "Die Seife des Leopold Bloom" (1993) und "Die Sechzigjährige und der junge Mann" (1997) gespannt sein. Wie sagt die Dichterin in ihrem Selbstporträt? "Ich habe zu erwähnen vergessen, dass ich 75 Jahre alt bin und nur über die Liebe schreibe."
Nur über die Liebe? Nehmen wir auch diese Konfession mit einem Körnchen Salz. Die Skala der späten, der reifen Nora Iuga ist größer denn je. Die Ekstasen und Melancholien der Liebe gehören natürlich dazu. Die letzte Abteilung des Bandes, "Das Mädchen mit den tausend Falten" (2005), handelt im Wechsel von Kurzlyrik und Prosagedicht von der Trauer um einen geliebten Toten, der als Wiedergänger erscheint, aber auch von einem Pan-Erotismus, der "die schnelle Lust des Chlorophylls" evoziert. Am Schluss - in der Nummer 100 dieses Zyklus - zeigt sich das Ich in den Straßen Bukarests, an einer roten Ampel. Wir lesen mit dem letzten Satz eine rätselvolle lyrische Summe. "Nur du hast keinen Punkt, bist endlos geworden, mein Nichts."
So wie Glück in Unglück umschlägt, Unglück in Glück, so das Nichts in Sprache, Sprache in Poesie. Dieses Wunder geschieht in Nora Iugas ununterbrochener, ja ununterbrechbarer Poesie. Wie sagt die Dichterin mit einem Wort Oscar Wildes von ihren Launen? "Eine Laune dauert länger als eine Leidenschaft." So gefährlich, so schön sind die Launen der Poesie.
- Nora Iuga: "Gefährliche Launen". Ausgewählte Gedichte. Aus dem Rumänischen übersetzt von Ernest Wichner mit einem Nachwort von Mircea Cartarescu. Verlag Klett-Cotta. Stuttgart 2007. 136 S., geb., 19,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Lebenswerk ist zu besichtigen: Die rumänische Dichterin Nora Iuga feiert mit ihrer in der Ceausescu-Ära überwinternden subversiven Phantasie die Ekstasen und Melancholien der Liebe.
Von Harald Hartung
Wenn eine ältere Dame erklärt, sie habe ein schönes Leben gehabt, müssen wir nicht gleich aufmerken. Es ist aber die große alte Dame der rumänischen Poesie, die das erklärt, und zwar in allen Variationen: "Mein Leben war sehr schön. Ich hatte ein schönes Leben. Ich hatte ein sehr schönes Leben. Ja, ja, ich hatte ein sehr schönes Leben." Neunmal erscheint das Motiv in ihrem Selbstporträt - analog zur Neunzahl der Musen. Nora Iuga weiß, dass die Dichter lügen, um die Wahrheit zu sagen. Auch sie beschwört den Gott, der ihr zu sagen gibt, was sie leidet. Doch am meisten schätzt sie die Ironie. Ironie wies ihr den Weg über die halsbrecherischen Hintertreppen der Geschichte.
Natürlich ist Nora Iuga zu wissend, zu kultiviert und genussfähig, um uns mit der bloßen Umkehrung des Bildes vom glücklichen Leben abzuspeisen. 1931 in Bukarest geboren, wuchs sie in eine k. u. k. Melange mit serbischen, ungarischen und deutschen Vorfahren hinein. Die Eltern - der Vater war Musiker, die Mutter Ballerina - nahmen die fünfjährige Nora mit auf eine zweijährige Tournee durch Deutschland, Belgien und die Niederlande. Die Zwölfjährige schrieb ihre ersten Gedichte, und nach dem Germanistikstudium schien sich für sie eine glänzende literarische Karriere anzubahnen. 1968 debütierte sie, doch schon zwei Jahre später, bei Erscheinen ihres zweiten Buches, "ging die Harmonika wieder zu" - die Repression setzt wieder ein. Der Titel "Gefangen im Kreis" erhielt eine unvorhergesehene bittere Wahrheit. Man warf der Poetin "morbiden Erotismus" vor, und sie durfte acht Jahre nicht veröffentlichen.
Ansichten über den Schmerz.
Als die Harmonika sich wieder öffnete, musste Nora Iuga gleichsam noch einmal debütieren. Für "Ansichten über den Schmerz" (1980) - immerhin ein provokanter Titel - erhielt sie den Preis des rumänischen Schriftstellerverbandes. Erst spät, mit sechzig, konnte sie ins westliche Ausland reisen: nach Wien, nach Kärnten und nach Budapest, das ihr als die verheißene Neue Welt erschien. Über all die Jahre freilich musste die Freiheit zu publizieren oder zu schweigen mit täglicher Brotarbeit erkauft werden: mit Tätigkeiten als Deutschlehrerin, als Redakteurin, Bibliographin und Lektorin, vor allem als Übersetzerin: Nora Iuga übersetzte an die dreißig Bücher aus dem Deutschen, Jünger, Grass, Bernhard, Elfriede Jelinek und Herta Müller.
Ein schönes Leben, ein sehr schönes gar? Ein normales Leben, befindet sie am Schluss ihres Selbstporträts. Nora Iuga sieht sich als die unauffällige Bewohnerin einer Blockwohnung am Rande von Bukarest: "Die Nachbarn grüßen mich, weil sie mich mitunter im Fernseher sehen, wo ich Hüte anprobiere und Gedichte lese, die gut klingen, aber leider unverständlich sind." Skepsis gilt dem Bild, das sich die Öffentlichkeit von ihr macht: "Im Ausland bin ich angesehener als im eigenen Land. Die Rumänen mögen keine Originalität."
Und die Deutschen? Für ihre Vermittlung deutscher Kultur ist Nora Iuga mit dem Gundolf-Preis ausgezeichnet worden. Doch ihre Lyrik ist bei uns noch nicht wirklich präsent. Diese Auswahl könnte das Blatt wenden. "Gefährliche Launen" bringt Gedichte aus fast fünfzig Jahren, den Extrakt eines Lebenswerks. Der Übersetzer Ernest Wichner, selbst Lyriker von Profession, hat Äquivalente geschaffen, die sich als deutsche Gedichte lesen.
Von Anfang an ist Nora Iugas Lyrik unkonventionell und risikofreudig. Sie liebt surreale Märchen. So schickt sie ihr weißes Kamel in die Himmelsdünen, doch sie warnt ihren Herrn Kontrabass vor dem Mädchen am See, das schon den Stein um den Hals hat. Man schreibt das Jahr 1968, doch Iugas Phantasie will keineswegs leicht und kostenlos an die Macht. Die Repression klopft an die Tür. Die Dichterin weiß: "Wir können uns morgen / selbst um den Preis eines Dichters / keine Grille mehr leisten."
In der Ceausescu-Zeit überwintert die subversive Phantasie. Da ist Nora Iuga, mit dem Titel eines ihrer späteren Bände, "Die Nachtdaktylographin". Sie nimmt auf, was böse Erinnerung und böse Gegenwart ihr eingeben. Sie spricht von Häusern mit Fenstern, die Übles vorhersagen, von Grammophonen mit Trichtern, "die kilometerlanges Schweigen verschlucken". Sie schreibt Verse, die auch gewagte Motive nicht scheuen: "im geöffneten koffer / (den ich verbergen will) / ist mein geschlecht zu sehen / gelb und weich wie eine kamelschnauze". Das ist erotische Konterbande, unbezähmbare Absage an jegliche Repression. Nora Iuga steht in der Tradition eines Surrealismus, der - anders als der französische - nicht mit dem Kommunismus flirtete. Sie beschwört den großen Gellu Naum und lässt ihn sagen: "du, Vergrabene, rief da Gellu Naum / und stopfte mir eine Handvoll Blätter in den Rachen / welch grüne Agonie, stell dir doch vor / ja stell dir vor, welch eine grüne Agonie." Man muss das Grün in dieser rätselvollen Anrede betonen, das ununterdrückbare Leben.
Von diesem lebensfrischen Elan lebt auch ihre späte Poesie. Als das Ceausescu-Regime kollabierte, blieb sie - anders als andere - nicht auf Opposition fixiert. Sie nutzte die neue Freiheit; nutzte sie auch zur Eroberung neuer Formen. Man darf auf die Übersetzung von Erzähltexten wie "Die Seife des Leopold Bloom" (1993) und "Die Sechzigjährige und der junge Mann" (1997) gespannt sein. Wie sagt die Dichterin in ihrem Selbstporträt? "Ich habe zu erwähnen vergessen, dass ich 75 Jahre alt bin und nur über die Liebe schreibe."
Nur über die Liebe? Nehmen wir auch diese Konfession mit einem Körnchen Salz. Die Skala der späten, der reifen Nora Iuga ist größer denn je. Die Ekstasen und Melancholien der Liebe gehören natürlich dazu. Die letzte Abteilung des Bandes, "Das Mädchen mit den tausend Falten" (2005), handelt im Wechsel von Kurzlyrik und Prosagedicht von der Trauer um einen geliebten Toten, der als Wiedergänger erscheint, aber auch von einem Pan-Erotismus, der "die schnelle Lust des Chlorophylls" evoziert. Am Schluss - in der Nummer 100 dieses Zyklus - zeigt sich das Ich in den Straßen Bukarests, an einer roten Ampel. Wir lesen mit dem letzten Satz eine rätselvolle lyrische Summe. "Nur du hast keinen Punkt, bist endlos geworden, mein Nichts."
So wie Glück in Unglück umschlägt, Unglück in Glück, so das Nichts in Sprache, Sprache in Poesie. Dieses Wunder geschieht in Nora Iugas ununterbrochener, ja ununterbrechbarer Poesie. Wie sagt die Dichterin mit einem Wort Oscar Wildes von ihren Launen? "Eine Laune dauert länger als eine Leidenschaft." So gefährlich, so schön sind die Launen der Poesie.
- Nora Iuga: "Gefährliche Launen". Ausgewählte Gedichte. Aus dem Rumänischen übersetzt von Ernest Wichner mit einem Nachwort von Mircea Cartarescu. Verlag Klett-Cotta. Stuttgart 2007. 136 S., geb., 19,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.09.2008Schwarze Strümpfe, rote Fingernägel
Ernst machen mit dem Liebesschmerz: Eine Auswahl aus dem Werk der rumänischen Lyrikerin Nora Iuga
Hielte man sich an die „Lyriker”, man sähe schwarz. So reichhaltig, so bunt ihr Wortschatz auch sein mag, so finster sieht es aus in ihren Herzen: Liebe, schmerzlich erlebte, ersehnte, gescheiterte, versagte; Einsamkeit, Sinnlosigkeit der Existenz und der ganze Unsinn der Zivilisation – das sind die Klagen, die auch der moderne Lyriker beherrschen muss, um ein gutes Gedicht schreiben zu können, und obgleich das Dasein eines lyrischen Subjekts verfehlt zu sein scheint, überragt alle Klage über das Leben noch die große Trauer über den Tod: ich „erklimme doch eigentlich/ die mauer des todes/ dieses kleine schwarze auge/ das zahm mich verfolgt/ und keinen tag mir wahrhaft/ in meiner haut belässt”.
Auch Nora Iuga gehorcht den Gesetzen der Gattung und schreibt Gedichte voller Weltschmerz. Unzufriedenheit, ja Undankbarkeit empfindet sie sogar der Sprache gegenüber, die missbraucht und nicht in einer Weise geschätzt wird, wie sie, die Dichterin, es erwarten dürfte. Wie Papageien, so entwenden ihr die Menschen die Sprache, verwandeln süße Worte in bittere Pillen: „nein an diesem ort/ wird nicht gelebt/ der papagei träumt wörter/ rund und weiß/ wie tabletten/ auf rezept”. Die Lyrik ist für Dichter und Leser die Gattung eines allgemeinen menschlichen Missbehagens.
Nun hat Nora Iuga in der Tat für ihre Poesie gelitten, und das mag der Grund sein, weshalb ihre Gedichte eine größere Ausstrahlungskraft haben als so manche in freie Rhythmen gefasste Jeremiaden sonst. 1931 in Bukarest geboren, publizierte die Rumänin 1968 ihren ersten Gedichtband „Es ist nicht meine Schuld”. Sie schloss sich der Bewegung der sogenannten Oniriker, der Traumdichter, an, die den Symbolismus in die rumänische Literatur übernehmen wollten.
Diese poetische Richtung bleibt für sie vorbildlich bis in ihre späten Gedichte hinein, so etwa wenn sie noch 1996 dichtet: „er hatte mir gesagt / er habe eine Frau mit Hundebeinen geliebt / und ich habe mich an seine Brust geschmiegt / und ihm die ganze Nacht beim Brüllen zugehört // mit gelben Lampions zogen sie durch die Luft / hatten Messer und Gabeln aus Alpaka / waren aufgebrochen zur Jagd / dann dröhnte seine Stimme aus Fleisch und Blut / und ich sah / wie er mir das Gesicht stahl”.
Solche Verse, Nachtszenerien und Albträume verraten den ganz persönlichen Stil Nora Iugas, der über alle Tendenz und poetische Mode hinausreicht und damals die kommunistische Moral mehr brüskierte als jegliches formale Experiment. Wegen der Tendenz ihrer Gedichte und ihrer Zugehörigkeit zu einer symbolistischen Gruppe erhielt sie 1970 ein Publikationsverbot. Erst in den achtziger Jahren durfte sie wieder veröffentlichen. Es entstanden mehrere, auch ins Deutsche übersetzte Gedichtbände, sie selbst übersetzte deutsche, romantische Erzählungen und Gegenwartsliteratur, etwa Grass’ „Blechtrommel”, ins Rumänische und schrieb einige wenige Prosastücke.
Die deutsche Auswahl aus ihren bislang veröffentlichten Gedichtbänden zeigt die Eigenheiten einer Poesie, die über die Neigung zu Melancholie, Weltklage und formalen Modernismus hinausgeht. Der individuelle Stil Nora Iugas ist gekennzeichnet durch die ungewöhnliche Mischung aus Trauer und Sadismus. In der Lyrik ist sadistische Liebe und die Darstellung eines Schmerzes, der nicht durch Gefühl und Entsagung hervorgerufen, sondern durch Instrumente hergestellt wird, selten, und besonders, da es noch immer auch eine geschlechtliche Differenz der Stile gibt, bei einer Frau.
Erschöpft neben der Wunde
Bestecke und Instrumente sind die Accessoires dieser Gedichte. Blumen, diese Naturmuster, die die traditionelle lyrische Poesie tapezieren, sind selten. Stattdessen richtet Nora Iuga einen ganzen Zoo aus Tieren ein, und zwar solchen, die nicht ungefährlich sind: „Wespen mit Stacheln”, Bären, Termiten, Katzen; dazu kommt ein etwas zahmeres Bestiarium: Schwalbenküken, weiße Kamele, Schnecken, Spinnen, Kühe, Hühner. Tiere leiden und machen leiden wie Menschen: „So, stets die Hunde auspeitschend / näherte sich der Förster / der Erde. / Stets erschöpft neben der Wunde / hatte er eine zusätzliche Liebe / zu verlieren / und hütete im abgebissenen Finger / die Grausamkeit eines schwarzen Engels."
Den Liebesschmerz, der zur emotionalen Grundausstattung der Lyrik gehört, verdinglicht Nora Iuga zu aggressiven Körpererfahrungen. Nirgends ist die Frau die schmachtende Liebeshungrige: „immer hat das frivole mir gefallen/ schwarze strümpfe rote fingernägel”. Aber auch diese Femme fatale muss sich entwaffnen lassen: „träumte von einem mann der einer frau maß nahm / das perfekte verhältnis zwischen zwei augen / zwei busen das zentimetermaß um den nacken gelegt / in die verborgensten falten ihres leibs / trieb er stecknadeln / in allen farben leuchteten die köpfe”.
Freilich sind auch Sadismus und Masochismus Gesten, die zeigen, wie sehr Nora Iuga sich der Moderne des zwanzigsten Jahrhunderts verpflichtet weiß. Anklänge an jegliche romantische Tradition will sie meiden. Der Liebesschmerz beginnt beim Körper, und der Leser erfährt nicht, ob es je darüber hinaus ein Gefühl im Herzen gab. Nora Iuga könnte man einen Artaud der Lyrik nennen.
HANNELORE SCHLAFFER
NORA IUGA: Gefährliche Launen. Ausgewählte Gedichte. Aus dem Rumänischen übersetzt von Ernest Wichner. Mit einem Nachwort von Mircea Cartarescu. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2007. 135 Seiten, 19 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
Ernst machen mit dem Liebesschmerz: Eine Auswahl aus dem Werk der rumänischen Lyrikerin Nora Iuga
Hielte man sich an die „Lyriker”, man sähe schwarz. So reichhaltig, so bunt ihr Wortschatz auch sein mag, so finster sieht es aus in ihren Herzen: Liebe, schmerzlich erlebte, ersehnte, gescheiterte, versagte; Einsamkeit, Sinnlosigkeit der Existenz und der ganze Unsinn der Zivilisation – das sind die Klagen, die auch der moderne Lyriker beherrschen muss, um ein gutes Gedicht schreiben zu können, und obgleich das Dasein eines lyrischen Subjekts verfehlt zu sein scheint, überragt alle Klage über das Leben noch die große Trauer über den Tod: ich „erklimme doch eigentlich/ die mauer des todes/ dieses kleine schwarze auge/ das zahm mich verfolgt/ und keinen tag mir wahrhaft/ in meiner haut belässt”.
Auch Nora Iuga gehorcht den Gesetzen der Gattung und schreibt Gedichte voller Weltschmerz. Unzufriedenheit, ja Undankbarkeit empfindet sie sogar der Sprache gegenüber, die missbraucht und nicht in einer Weise geschätzt wird, wie sie, die Dichterin, es erwarten dürfte. Wie Papageien, so entwenden ihr die Menschen die Sprache, verwandeln süße Worte in bittere Pillen: „nein an diesem ort/ wird nicht gelebt/ der papagei träumt wörter/ rund und weiß/ wie tabletten/ auf rezept”. Die Lyrik ist für Dichter und Leser die Gattung eines allgemeinen menschlichen Missbehagens.
Nun hat Nora Iuga in der Tat für ihre Poesie gelitten, und das mag der Grund sein, weshalb ihre Gedichte eine größere Ausstrahlungskraft haben als so manche in freie Rhythmen gefasste Jeremiaden sonst. 1931 in Bukarest geboren, publizierte die Rumänin 1968 ihren ersten Gedichtband „Es ist nicht meine Schuld”. Sie schloss sich der Bewegung der sogenannten Oniriker, der Traumdichter, an, die den Symbolismus in die rumänische Literatur übernehmen wollten.
Diese poetische Richtung bleibt für sie vorbildlich bis in ihre späten Gedichte hinein, so etwa wenn sie noch 1996 dichtet: „er hatte mir gesagt / er habe eine Frau mit Hundebeinen geliebt / und ich habe mich an seine Brust geschmiegt / und ihm die ganze Nacht beim Brüllen zugehört // mit gelben Lampions zogen sie durch die Luft / hatten Messer und Gabeln aus Alpaka / waren aufgebrochen zur Jagd / dann dröhnte seine Stimme aus Fleisch und Blut / und ich sah / wie er mir das Gesicht stahl”.
Solche Verse, Nachtszenerien und Albträume verraten den ganz persönlichen Stil Nora Iugas, der über alle Tendenz und poetische Mode hinausreicht und damals die kommunistische Moral mehr brüskierte als jegliches formale Experiment. Wegen der Tendenz ihrer Gedichte und ihrer Zugehörigkeit zu einer symbolistischen Gruppe erhielt sie 1970 ein Publikationsverbot. Erst in den achtziger Jahren durfte sie wieder veröffentlichen. Es entstanden mehrere, auch ins Deutsche übersetzte Gedichtbände, sie selbst übersetzte deutsche, romantische Erzählungen und Gegenwartsliteratur, etwa Grass’ „Blechtrommel”, ins Rumänische und schrieb einige wenige Prosastücke.
Die deutsche Auswahl aus ihren bislang veröffentlichten Gedichtbänden zeigt die Eigenheiten einer Poesie, die über die Neigung zu Melancholie, Weltklage und formalen Modernismus hinausgeht. Der individuelle Stil Nora Iugas ist gekennzeichnet durch die ungewöhnliche Mischung aus Trauer und Sadismus. In der Lyrik ist sadistische Liebe und die Darstellung eines Schmerzes, der nicht durch Gefühl und Entsagung hervorgerufen, sondern durch Instrumente hergestellt wird, selten, und besonders, da es noch immer auch eine geschlechtliche Differenz der Stile gibt, bei einer Frau.
Erschöpft neben der Wunde
Bestecke und Instrumente sind die Accessoires dieser Gedichte. Blumen, diese Naturmuster, die die traditionelle lyrische Poesie tapezieren, sind selten. Stattdessen richtet Nora Iuga einen ganzen Zoo aus Tieren ein, und zwar solchen, die nicht ungefährlich sind: „Wespen mit Stacheln”, Bären, Termiten, Katzen; dazu kommt ein etwas zahmeres Bestiarium: Schwalbenküken, weiße Kamele, Schnecken, Spinnen, Kühe, Hühner. Tiere leiden und machen leiden wie Menschen: „So, stets die Hunde auspeitschend / näherte sich der Förster / der Erde. / Stets erschöpft neben der Wunde / hatte er eine zusätzliche Liebe / zu verlieren / und hütete im abgebissenen Finger / die Grausamkeit eines schwarzen Engels."
Den Liebesschmerz, der zur emotionalen Grundausstattung der Lyrik gehört, verdinglicht Nora Iuga zu aggressiven Körpererfahrungen. Nirgends ist die Frau die schmachtende Liebeshungrige: „immer hat das frivole mir gefallen/ schwarze strümpfe rote fingernägel”. Aber auch diese Femme fatale muss sich entwaffnen lassen: „träumte von einem mann der einer frau maß nahm / das perfekte verhältnis zwischen zwei augen / zwei busen das zentimetermaß um den nacken gelegt / in die verborgensten falten ihres leibs / trieb er stecknadeln / in allen farben leuchteten die köpfe”.
Freilich sind auch Sadismus und Masochismus Gesten, die zeigen, wie sehr Nora Iuga sich der Moderne des zwanzigsten Jahrhunderts verpflichtet weiß. Anklänge an jegliche romantische Tradition will sie meiden. Der Liebesschmerz beginnt beim Körper, und der Leser erfährt nicht, ob es je darüber hinaus ein Gefühl im Herzen gab. Nora Iuga könnte man einen Artaud der Lyrik nennen.
HANNELORE SCHLAFFER
NORA IUGA: Gefährliche Launen. Ausgewählte Gedichte. Aus dem Rumänischen übersetzt von Ernest Wichner. Mit einem Nachwort von Mircea Cartarescu. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2007. 135 Seiten, 19 Euro.
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Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Jan Wagner zeigt sich von diesem Auswahlband mit Gedichten der rumänischen Dichterin Nora Iuga hingerissen und er feiert sie als herausragende europäische Lyrikerin in der Tradition des rumänischen Surrealismus. Der Rezensent lässt sich von ihren oft paradoxen Sprachbildern, die bei ihr nicht gegeneinander prallen, sondern sich zu neuen nie gehörten Bedeutungen und Metaphern zusammenschließen, ganz in den Bann ziehen. Besonders die Lockerheit und Originalität, mit der die Lyrikerin auch Körperlich-Sinnliches in überraschenden Motiven festzuhalten versteht, faszinieren Wagner, und er weist erfreut darauf hin, dass nicht selten auch urkomische Einfälle in Iugas Gedichten auftauchen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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