Gefährliche Liebe ist ein Erotikbuch, das weite Leserkreise anzieht. Als der Knopf Verlag die ersten drei Teile der Buchreihe im April 2012 in den USA auf den Markt brachte, war die Nachfrage so groß, dass wöchentlich rund 950.000 Exemplare nachgedruckt werden mussten. Kein Wunder – so fesselnd wie der erste Teil ist auch die Fortsetzung der Geschichte:
Verunsichert durch die dunklen Leidenschaften und Geheimnisse Ihres Liebhabers Christian Grey beendet Ana Steele die Beziehung, um wieder ein ruhiges Leben zu führen. Doch nach wie vor hegt sie ein großes Verlangen nach Grey – dem sie sofort nachgibt, als er um ein letztes Treffen bittet. Die gefährliche Affäre beginnt erneut und Ana überschreitet immer weitere Grenzen. Dabei erfährt sie mehr über Greys Vergangenheit, der stets mit seinen inneren Dämonen kämpft. Als sich Anas Lage zuspitzt, muss sie die wichtigste Entscheidung ihres Lebens treffen – und niemand kann ihr dabei helfen ...
Verunsichert durch die dunklen Leidenschaften und Geheimnisse Ihres Liebhabers Christian Grey beendet Ana Steele die Beziehung, um wieder ein ruhiges Leben zu führen. Doch nach wie vor hegt sie ein großes Verlangen nach Grey – dem sie sofort nachgibt, als er um ein letztes Treffen bittet. Die gefährliche Affäre beginnt erneut und Ana überschreitet immer weitere Grenzen. Dabei erfährt sie mehr über Greys Vergangenheit, der stets mit seinen inneren Dämonen kämpft. Als sich Anas Lage zuspitzt, muss sie die wichtigste Entscheidung ihres Lebens treffen – und niemand kann ihr dabei helfen ...
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.07.2012Mit Duschgel gefesselt
Den sadomasochistischen Bestseller „Shades of Grey“ gibt es jetzt auch auf Deutsch – ein Deutungsversuch
Anastasia Steel und Christian Grey sind ein erotisches Traumpaar. Es funkt sofort. Dabei ist Anastasia, genannt Ana, Studentin der Englischen Literatur im kanadischen Vancouver, nur eingesprungen für ihre erkältete Freundin Kate, mit der sie eine WG teilt. Kate sollte für die Studentenzeitung ein Interview mit dem steinreichen Unterstützer der Uni machen, dem Boss eines weltweit operierenden IT-Unternehmens. Der residiert im amerikanischen Seattle, sodass Ana 250 Kilometer zum Interview mit Mister Grey fahren muss. „Zum Glück“, denkt Ana mit dem ihr eigenen praktischen Sinn, „hat Kate mir ihren spritzigen Mercedes CLK geliehen. Ob ich es mit Wanda, meinem alten VW-Käfer, pünktlich schaffen würde, ist fraglich. Doch mit dem Mercedes macht die Sache Spaß, und ich trete das Gaspedal durch.“
Die Autorin dieser entwaffnend simplen Prosa heißt E. L. James, eigentlich Erika Leonard, Jahrgang 1963, wohnhaft in London, verheiratet, zwei Kinder. Seit sie mit ihrer Romantrilogie „Shades of Grey“ binnen eines Jahres ungefähr so reich geworden sein dürfte wie ihre Romanfigur Mister Grey, schleppt sie sich nicht mehr ins Büro des Fernsehsenders, bei dem sie angestellt war. Ihren märchenhaften Erfolg packt sie in britisches Understatement: Sie habe ihre Midlifecrisis mit eigenen Phantasien bearbeitet, „das ist alles“. Der Ehe hat’s offenbar nicht geschadet, ihrem Mann („Für Niall, den Herrn und Meister meines Universums“) ist der Schinken gewidmet.
Nun ist der erste Band von „Shades of Grey“ auf Deutsch unter dem Titel „Geheimes Verlangen“ erschienen. Auf den ersten Blick handelt es sich um einen genretypischen erotischen Roman mit pornografischen Anteilen. Im Zentrum stehen das einundzwanzigjährige Unschuldslamm Ana, dessen sinnliches Potenzial als „Sub“ noch zu entdecken ist, und der gewiefte Habitué Grey, der für seine sadomasochistischen Arrangements keine Mittel scheut. Ana wird seine ideale, wenngleich widerspenstige Geliebte, die er in seine Künste (und Abgründe) mit der Höchstgeschwindigkeit eines Mercedes CLK einführt. Nachdem er sie entjungfert hat, korrekt mit Kondom (bald folgt die Pille), ruft sie uns zu: „Wahnsinn! Jetzt weiß ich, wovon alle schwärmen.“
Das klassische Modell also, vergleichbar der „Histoire d’O“ (1954) von Pauline Réage, nur dass die Geschichte von Ana und Mister Grey nicht mehr auf einem abgelegenen Schloss angesiedelt ist; auch sind die Libertins längst keine Aristokraten mehr. Das „Spielzimmer“, in dem Mister Grey sein Werkzeug (Ketten, Peitschen etc.) bereithält, ist in das Anwesen eines heutigen Superreichen, inklusive Chauffeur und Haushälterin, verlegt. Man sollte präzisieren: Es ist das Klischee-Anwesen eines Klischee-Amerikaners. Die britische Autorin hätte ihre Phantasie auch auf heimischem Terrain austoben können. Hat sie aber nicht.
Das peinliche Selbstbewusstsein dieses siebenundzwanzigjährigen Beau namens Grey kann man nur als Parodie des naivsten Kapitalismus amerikanischer Machart begreifen. Auf Anas Interviewfrage, wie er so jung reich und erfolgreich sein könne, antwortet ihr zukünftiger Liebhaber und „Dom“ im Duktus einer Werbebroschüre: „Im Geschäftsleben geht es um Menschen, Miss Steele, und ich bin ein guter Menschenkenner. Ich weiß, wie sie ticken, was ihren Erfolg oder Misserfolg ausmacht, was sie antreibt und wie man sie motiviert. Ich beschäftige ein außergewöhnliches Team, das ich großzügig entlohne.“
Es ist schon fast schmerzhaft angeberisch, wie Grey das Mittelstandsgirl Ana im Hubschrauber von einer Stadt zur anderen fliegt, wie er ihr einen brandneuen Audi aufdrängt und einen Blackberry, mit dem dann ein Großteil der erotischen Kommunikation abgewickelt wird. Oder, besonders krass, wie er seinen Privatjet stundenlang „auf Standby“ hält, während er Ana und ihrer Mutter in einer Hotelbar hinterherspioniert.
Das Buch steckt überhaupt voller Schleichwerbung. Den Auto- und Mobiltelefonmarken gesellen sich Macs, iPads, iPhones und Klamotten von Ralph Lauren hinzu sowie die Monsterfirmen Amazon (wo man Bücher bestellt, wo sonst) und Google, vom obligatorischen Moët nicht zu reden. Zwei interessante Phänomene kommen hier zusammen: eine absolut standardisierte Warenwelt und ein kindliches Verhältnis zum Konsum. Dem passt sich die pornografische Sprache an, der es an jeglicher Originalität und Poesie gebricht. Nach obszönen Ausdrücken sucht man vergeblich.
Mit klinischer Akkuratesse werden die Körperteile bezeichnet, die da zu- und ineinander finden. Der Geruch von Duschgel verschwindet nie. Und wenn „seine Erektion zum Vorschein kommt“, meint man, Streber über Sex sprechen zu hören: Pornostreber. Denkt man dagegen an Nicholson Bakers Roman „Haus der Löcher“, diese köstlich schmuddelige Satire auf ein pornografisches Wunderland im US-amerikanischen Nirgendwo, wird der Unterschied schreiend deutlich.
Doch bleiben wir nüchtern und halten die literaturkritischen Reflexe niedrig. Schließlich will E. L. James gar keine Literatur schreiben, wenngleich Literatur – englische, keine amerikanische! – sehr wohl Erwähnung findet. Einmal gesteht Ana, die den nordamerikanischen Kontinent nie verlassen hat, sie würde gern das Land kennenlernen, in dem Shakespeare und Jane Austen ihre Inspiration fanden. Der aufmerksame Grey lässt es sich nicht nehmen, Ana mit der Erstausgabe von Thomas Hardys „Tess of d’Ubervilles“ (1891) zu verblüffen, einem Klassiker der sexuellen Unterwerfung. Anas Freundin Kate taxiert per Google das Geschenk gleich auf vierzehntausend Dollar. Alles soll vom Teuersten sein bei diesem Märchenprinzen aus dem Manager-Modellbaukasten, der jedoch, wie Ana schnell herausfindet, eine traurige, unheimliche Seite hat.
Und darauf kommt es an. Denn die dunkle Seite des talentierten Mister Grey – er spielt nebenbei „umwerfend“ Klavier – wirkt auf Ana anziehend. Als er in dem Baumarkt, wo Ana jobbt, nach Kreppklebeband und Schnüren verlangt, ahnt sie noch nichts Böses. Bald aber führt er sie in sein Reich: in das „Spielzimmer“, eine Variante des de Sade’schen Boudoirs für das 21. Jahrhundert. Ana fühlt sich dennoch an die „Inquisition“ erinnert. Ist sie erschrocken? Ja und nein. E. L. James hat sich für Anas Ambivalenz – sie ist ja auf der Suche nach einer noch unbekannten Lust – eine geschickte Instanzenlehre ausgedacht, die da lautet: „innere Göttin“ versus „mein Unterbewusstsein“. (Letzteres muss man sich als Vulgärfassung des Freud’schen Unbewussten vorstellen.) Wenn Anas „innere Göttin“ jubiliert, schlägt ihr „Unterbewusstsein“ schon mal Alarm. Eigentlich ist dieses „Unterbewusstsein“ eher eine Art Über-Ich, ein moralischer Aufpasser, während die „innere Göttin“ Anas tiefe Wünsche repräsentiert. Man könnte sagen: Juliette und Justine in Personalunion.
Anastasia Steel ist ein Geschöpf ihrer Zeit, Psychobabble gehört genauso dazu wie das permanente Checken von Mails. Zwei unvorhergesehene Dinge geschehen: a) Christian, der abgebrühte „Dom“, der sich nicht anfassen lassen will (was Ana stört), verliebt sich. Ana in ihrem Misstrauen merkt es nicht gleich, aber glücklicherweise helfen Kate und ihre Mom ihr auf die Sprünge. b) Ana verliebt sich ebenfalls, widersetzt sich aber ein Stück weit den von Grey gesetzten „Regeln“, ist somit keine hundertprozentige „Sub“. Im Land der Schmerzensgeldklagen verwundert es kaum, dass sich ein reicher Mann, der ein Mädchen fesseln und ihr Schmerzen zufügen möchte, sich mit einem Vertragswerk absichert. Das seitenlange Vertragswerk enthält „hard limits“ und „soft limits“. Ana soll festlegen, wo ihre Grenzen sind. Das kann sie aber nicht, und will es auch nicht. Stattdessen will sie wissen: „Warum bist du so geworden?“ Auf das Arrangement lässt sie sich trotzdem ein, und siehe, es gefällt ihr. Die Ideologie der Unterwerfung aus Lust kommt voll und ganz und ohne jede Kritik zu ihrem Recht. Nach der ersten Session im Spielzimmer spricht Ana von einem „süßen Schmerz, an der Grenze des Erträglichen“ und stellt fest: „Er zieht mich in jenen tief verborgenen Teil meines Selbst, der sich dieser höchst erotischen Empfindung ergibt. Ja – jetzt verstehe ich endlich.“
So entpuppt sich „Shades of Grey“ als Psychothriller für Damen, die den harten Kerl knacken wollen. Langsam, aber sicher zieht Ana den Vorhang seines Theaters der Kontrollsucht zur Seite. Herauskommt, dass Grey als Fünfzehnjähriger von einer älteren Lady zum „Sklaven“ gemacht wurde. Ein Türchen öffnet sich dem Mitleid: Ach so, der Arme verbirgt in seinem Dominanzwunsch also seine Verletzlichkeit? Das ist keineswegs genrekonform, und vermutlich findet der Dreiteiler mit seiner Heiß-kalt-Mischung aus gefühlsseligem Groschenroman und Sadomaso-Porno gerade deshalb reißenden Absatz.
INA HARTWIG
E. L. JAMES: Shades of Grey. Geheimes Verlangen. Band 1. Roman. Aus dem Englischen von Sonja Hauser und Andrea Brandl. Goldmann Verlag, München 2012. 608 Seiten, 12,99 Euro.
Mit klinischer Akkuratesse
werden die beteiligten
Körperteile bezeichnet
Anastasia Steel ist ein Geschöpf
ihrer Zeit, samt Psychobabble und
permanentem Checken von Mails
Die englische Autorin E. L. James im Mai 2012 in der Buchhandlung Barnes & Nobles in New York Foto: Polaris/laif
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Den sadomasochistischen Bestseller „Shades of Grey“ gibt es jetzt auch auf Deutsch – ein Deutungsversuch
Anastasia Steel und Christian Grey sind ein erotisches Traumpaar. Es funkt sofort. Dabei ist Anastasia, genannt Ana, Studentin der Englischen Literatur im kanadischen Vancouver, nur eingesprungen für ihre erkältete Freundin Kate, mit der sie eine WG teilt. Kate sollte für die Studentenzeitung ein Interview mit dem steinreichen Unterstützer der Uni machen, dem Boss eines weltweit operierenden IT-Unternehmens. Der residiert im amerikanischen Seattle, sodass Ana 250 Kilometer zum Interview mit Mister Grey fahren muss. „Zum Glück“, denkt Ana mit dem ihr eigenen praktischen Sinn, „hat Kate mir ihren spritzigen Mercedes CLK geliehen. Ob ich es mit Wanda, meinem alten VW-Käfer, pünktlich schaffen würde, ist fraglich. Doch mit dem Mercedes macht die Sache Spaß, und ich trete das Gaspedal durch.“
Die Autorin dieser entwaffnend simplen Prosa heißt E. L. James, eigentlich Erika Leonard, Jahrgang 1963, wohnhaft in London, verheiratet, zwei Kinder. Seit sie mit ihrer Romantrilogie „Shades of Grey“ binnen eines Jahres ungefähr so reich geworden sein dürfte wie ihre Romanfigur Mister Grey, schleppt sie sich nicht mehr ins Büro des Fernsehsenders, bei dem sie angestellt war. Ihren märchenhaften Erfolg packt sie in britisches Understatement: Sie habe ihre Midlifecrisis mit eigenen Phantasien bearbeitet, „das ist alles“. Der Ehe hat’s offenbar nicht geschadet, ihrem Mann („Für Niall, den Herrn und Meister meines Universums“) ist der Schinken gewidmet.
Nun ist der erste Band von „Shades of Grey“ auf Deutsch unter dem Titel „Geheimes Verlangen“ erschienen. Auf den ersten Blick handelt es sich um einen genretypischen erotischen Roman mit pornografischen Anteilen. Im Zentrum stehen das einundzwanzigjährige Unschuldslamm Ana, dessen sinnliches Potenzial als „Sub“ noch zu entdecken ist, und der gewiefte Habitué Grey, der für seine sadomasochistischen Arrangements keine Mittel scheut. Ana wird seine ideale, wenngleich widerspenstige Geliebte, die er in seine Künste (und Abgründe) mit der Höchstgeschwindigkeit eines Mercedes CLK einführt. Nachdem er sie entjungfert hat, korrekt mit Kondom (bald folgt die Pille), ruft sie uns zu: „Wahnsinn! Jetzt weiß ich, wovon alle schwärmen.“
Das klassische Modell also, vergleichbar der „Histoire d’O“ (1954) von Pauline Réage, nur dass die Geschichte von Ana und Mister Grey nicht mehr auf einem abgelegenen Schloss angesiedelt ist; auch sind die Libertins längst keine Aristokraten mehr. Das „Spielzimmer“, in dem Mister Grey sein Werkzeug (Ketten, Peitschen etc.) bereithält, ist in das Anwesen eines heutigen Superreichen, inklusive Chauffeur und Haushälterin, verlegt. Man sollte präzisieren: Es ist das Klischee-Anwesen eines Klischee-Amerikaners. Die britische Autorin hätte ihre Phantasie auch auf heimischem Terrain austoben können. Hat sie aber nicht.
Das peinliche Selbstbewusstsein dieses siebenundzwanzigjährigen Beau namens Grey kann man nur als Parodie des naivsten Kapitalismus amerikanischer Machart begreifen. Auf Anas Interviewfrage, wie er so jung reich und erfolgreich sein könne, antwortet ihr zukünftiger Liebhaber und „Dom“ im Duktus einer Werbebroschüre: „Im Geschäftsleben geht es um Menschen, Miss Steele, und ich bin ein guter Menschenkenner. Ich weiß, wie sie ticken, was ihren Erfolg oder Misserfolg ausmacht, was sie antreibt und wie man sie motiviert. Ich beschäftige ein außergewöhnliches Team, das ich großzügig entlohne.“
Es ist schon fast schmerzhaft angeberisch, wie Grey das Mittelstandsgirl Ana im Hubschrauber von einer Stadt zur anderen fliegt, wie er ihr einen brandneuen Audi aufdrängt und einen Blackberry, mit dem dann ein Großteil der erotischen Kommunikation abgewickelt wird. Oder, besonders krass, wie er seinen Privatjet stundenlang „auf Standby“ hält, während er Ana und ihrer Mutter in einer Hotelbar hinterherspioniert.
Das Buch steckt überhaupt voller Schleichwerbung. Den Auto- und Mobiltelefonmarken gesellen sich Macs, iPads, iPhones und Klamotten von Ralph Lauren hinzu sowie die Monsterfirmen Amazon (wo man Bücher bestellt, wo sonst) und Google, vom obligatorischen Moët nicht zu reden. Zwei interessante Phänomene kommen hier zusammen: eine absolut standardisierte Warenwelt und ein kindliches Verhältnis zum Konsum. Dem passt sich die pornografische Sprache an, der es an jeglicher Originalität und Poesie gebricht. Nach obszönen Ausdrücken sucht man vergeblich.
Mit klinischer Akkuratesse werden die Körperteile bezeichnet, die da zu- und ineinander finden. Der Geruch von Duschgel verschwindet nie. Und wenn „seine Erektion zum Vorschein kommt“, meint man, Streber über Sex sprechen zu hören: Pornostreber. Denkt man dagegen an Nicholson Bakers Roman „Haus der Löcher“, diese köstlich schmuddelige Satire auf ein pornografisches Wunderland im US-amerikanischen Nirgendwo, wird der Unterschied schreiend deutlich.
Doch bleiben wir nüchtern und halten die literaturkritischen Reflexe niedrig. Schließlich will E. L. James gar keine Literatur schreiben, wenngleich Literatur – englische, keine amerikanische! – sehr wohl Erwähnung findet. Einmal gesteht Ana, die den nordamerikanischen Kontinent nie verlassen hat, sie würde gern das Land kennenlernen, in dem Shakespeare und Jane Austen ihre Inspiration fanden. Der aufmerksame Grey lässt es sich nicht nehmen, Ana mit der Erstausgabe von Thomas Hardys „Tess of d’Ubervilles“ (1891) zu verblüffen, einem Klassiker der sexuellen Unterwerfung. Anas Freundin Kate taxiert per Google das Geschenk gleich auf vierzehntausend Dollar. Alles soll vom Teuersten sein bei diesem Märchenprinzen aus dem Manager-Modellbaukasten, der jedoch, wie Ana schnell herausfindet, eine traurige, unheimliche Seite hat.
Und darauf kommt es an. Denn die dunkle Seite des talentierten Mister Grey – er spielt nebenbei „umwerfend“ Klavier – wirkt auf Ana anziehend. Als er in dem Baumarkt, wo Ana jobbt, nach Kreppklebeband und Schnüren verlangt, ahnt sie noch nichts Böses. Bald aber führt er sie in sein Reich: in das „Spielzimmer“, eine Variante des de Sade’schen Boudoirs für das 21. Jahrhundert. Ana fühlt sich dennoch an die „Inquisition“ erinnert. Ist sie erschrocken? Ja und nein. E. L. James hat sich für Anas Ambivalenz – sie ist ja auf der Suche nach einer noch unbekannten Lust – eine geschickte Instanzenlehre ausgedacht, die da lautet: „innere Göttin“ versus „mein Unterbewusstsein“. (Letzteres muss man sich als Vulgärfassung des Freud’schen Unbewussten vorstellen.) Wenn Anas „innere Göttin“ jubiliert, schlägt ihr „Unterbewusstsein“ schon mal Alarm. Eigentlich ist dieses „Unterbewusstsein“ eher eine Art Über-Ich, ein moralischer Aufpasser, während die „innere Göttin“ Anas tiefe Wünsche repräsentiert. Man könnte sagen: Juliette und Justine in Personalunion.
Anastasia Steel ist ein Geschöpf ihrer Zeit, Psychobabble gehört genauso dazu wie das permanente Checken von Mails. Zwei unvorhergesehene Dinge geschehen: a) Christian, der abgebrühte „Dom“, der sich nicht anfassen lassen will (was Ana stört), verliebt sich. Ana in ihrem Misstrauen merkt es nicht gleich, aber glücklicherweise helfen Kate und ihre Mom ihr auf die Sprünge. b) Ana verliebt sich ebenfalls, widersetzt sich aber ein Stück weit den von Grey gesetzten „Regeln“, ist somit keine hundertprozentige „Sub“. Im Land der Schmerzensgeldklagen verwundert es kaum, dass sich ein reicher Mann, der ein Mädchen fesseln und ihr Schmerzen zufügen möchte, sich mit einem Vertragswerk absichert. Das seitenlange Vertragswerk enthält „hard limits“ und „soft limits“. Ana soll festlegen, wo ihre Grenzen sind. Das kann sie aber nicht, und will es auch nicht. Stattdessen will sie wissen: „Warum bist du so geworden?“ Auf das Arrangement lässt sie sich trotzdem ein, und siehe, es gefällt ihr. Die Ideologie der Unterwerfung aus Lust kommt voll und ganz und ohne jede Kritik zu ihrem Recht. Nach der ersten Session im Spielzimmer spricht Ana von einem „süßen Schmerz, an der Grenze des Erträglichen“ und stellt fest: „Er zieht mich in jenen tief verborgenen Teil meines Selbst, der sich dieser höchst erotischen Empfindung ergibt. Ja – jetzt verstehe ich endlich.“
So entpuppt sich „Shades of Grey“ als Psychothriller für Damen, die den harten Kerl knacken wollen. Langsam, aber sicher zieht Ana den Vorhang seines Theaters der Kontrollsucht zur Seite. Herauskommt, dass Grey als Fünfzehnjähriger von einer älteren Lady zum „Sklaven“ gemacht wurde. Ein Türchen öffnet sich dem Mitleid: Ach so, der Arme verbirgt in seinem Dominanzwunsch also seine Verletzlichkeit? Das ist keineswegs genrekonform, und vermutlich findet der Dreiteiler mit seiner Heiß-kalt-Mischung aus gefühlsseligem Groschenroman und Sadomaso-Porno gerade deshalb reißenden Absatz.
INA HARTWIG
E. L. JAMES: Shades of Grey. Geheimes Verlangen. Band 1. Roman. Aus dem Englischen von Sonja Hauser und Andrea Brandl. Goldmann Verlag, München 2012. 608 Seiten, 12,99 Euro.
Mit klinischer Akkuratesse
werden die beteiligten
Körperteile bezeichnet
Anastasia Steel ist ein Geschöpf
ihrer Zeit, samt Psychobabble und
permanentem Checken von Mails
Die englische Autorin E. L. James im Mai 2012 in der Buchhandlung Barnes & Nobles in New York Foto: Polaris/laif
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"Das Buch gilt nicht bloß als derzeit heißester Lesetipp für Frauen, sondern versetzt auch die angelsächsischen Medien in Auf- und Erregung, «Fifty Shades of Grey» und die Folgebände sind derzeit ein Phänomen, wie es Ende der 1990er-Jahre die TV-Serie «Sex and the City» war. In Onlineforen tauscht die Leserinnenschaft ihre Begeisterung aus, in Zeitungen und im Fernsehen gestehen Frauen, wie die Lektüre der Bondage-Bände die eigene Lust entfesselt."