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Der Briefroman erzählt von den teuflischen Spielen der Marquise de Merteuil. Die Dame, die den höchsten Pariser Gesellschaftskreisen angehört spielt ein gefährliches Spiel der Liebe: Sie, die den Schein der Tugendhaftigkeit zu wahren weiß, knüpft Beziehungen, um sie und damit die Beteiligten zerstören zu können.

Produktbeschreibung
Der Briefroman erzählt von den teuflischen Spielen der Marquise de Merteuil. Die Dame, die den höchsten Pariser Gesellschaftskreisen angehört spielt ein gefährliches Spiel der Liebe: Sie, die den Schein der Tugendhaftigkeit zu wahren weiß, knüpft Beziehungen, um sie und damit die Beteiligten zerstören zu können.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.01.2004

Man muss siegen oder untergehen
Ein Abgrund von Bosheit: Choderlos de Laclos’ sonderpädagogisches Projekt „Gefährliche Liebschaften” in einer neuen Übersetzung
Wie immer ist es Goethe, bei dem das Schlimmste verzeichnet ist. Es dämmert schon in den „Wahlverwandtschaften”, und feucht steigt es herauf vom See. Ottilie hat sich stumpf gelesen an ihrem Roman und will zurück übers Wasser mit dem ihr anvertrauten Kind. Sie steigt in den schwankenden Kahn, ergreift das Ruder, das Kind, und mag nicht lassen von dem Buch, aus dem sie nicht herausgefunden hat. „Auf dem linken Arme das Kind, in der linken Hand das Buch, in der rechten das Ruder, schwankt auch sie und fällt in den Kahn.” Alles entgleitet ihr, Ruder, Buch, auch das Kind, und tot nur birgt sie es aus dem Wasser. Wie’s eben so geht mit der verteufelten Romanlesesucht.
Zwei Bücher gibt es, die führten die Kunst des allesverderbenden Romans bereits im 18. Jahrhundert auf einen Gipfel, den weder Sentimentalisten wie Charles Dickens noch solche Groß-Schmunzler wie Thomas Mann je zu erreichen vermochten: der „Tristram Shandy” (1760) des Pfarrers Laurence Sterne und die „Gefährlichen Liebschaften” (1782) des anpassungsfähigen Militärs Choderlos de Laclos. Unseren lieben „Werther” einmal ausgenommen, ist in diesen beiden Büchern schon alles entfaltet, alles in der Länge, Breite und Tiefe ausgeschritten, was der Roman und niemand besser kann: verführen und erobern. Von nun an ging’s, wie es im Liede heißt, von nun an ging’s bergab.
Zwar trugen in diesem 18. Jahrhundert in Paris aufklärungsbegierige Männer eine ganze Enzyklopädie zusammen, die Wissenschaft blühte mit hundert Blumen, es wurde debattiert, geplant, verworfen, aber bei all dem Vernünftigtun herrschte eine fiebrige Zwischenkriegszeit. Dieses klägliche Europa erlebte eine unsichere Latenz, musste ständig neu verteilt, neu zugeschnitten, neu zerrissen werden. Da nun aber jahrzehntelang keiner draußen im Felde stehen konnte und auch nicht jeder gleich nach Nordamerika zu verkaufen war, spielten die Strategen die großen Schlachten im Sand oder auf dem Papier nach.
Dabei war das Rokoko nicht weniger sexbesessen als die rocaillenlose Gegenwart. Alles dreht sich bei Laurence Sterne um dieses Thema, das den Autor zu immer neuen vielsagenden Auslassungszeichen nötigt. Nur das eine spricht er fast klipp und klar aus. Woher denn Onkel Tobys Kälte gegen das schöne Geschlecht rühre? „Ja, Madam, durch den Stoß von einem Stein, der bei der Belagerung von Namur durch eine Kanonenkugel aus der Brustwehr eines Hornwerks gebrochen wurde und justament auf meines Onkel Tobys Schamleiste schlug.”
Onkel Toby, my uncle Toby, ist impotent.
Der Krieg oder das Kriegsspiel hilft ihm übers Ärgste hinweg. Dieser „Gentleman von unvergleichlicher Züchtigkeit” verströmt sich notbehelfs in nachgestellten Schlachten. Toby gibt zu, dass er „den Frieden von Utrecht verurteilte und bedauerte, dass der Krieg nicht noch ein wenig länger heftig fortgeführt worden sei”. So träumt er denn von Schanzkörben und Breschen, die er schlägt, von den feindlichen Linien, ins tiefste Herz Frankreichs will er vorstoßen und nicht ruhen, ehe er die Standarte, seine, auf den Turm der Bastille gepflanzt.
Es ist, als hätte der Offizierssohn Sterne zwei Dutzend Jahre vor den „Liaisons dangereuses” bereits das Schwanzstück dazu geschrieben, die Farce zur Tragödie. Denn die „Liebschaften” selber sind, wie alle grausamen Bücher, vor allem humorlos. Laut Robert Gernhardt gibt es keine ironische Erektion. Sex, vor allem, wenn nur darüber geredet wird, ist bitter ernst, ist Krieg und kein Spiel. Der Waffengang, in den Laclos seine Soldaten schickt, kann nur tödlich enden. Er treibt seine Figuren mit einem Ingrimm in den Untergang, den sonst nur rechte Kriegsgurgeln aufbringen.
Echter Männerhumor
Das Buch ist die Reißbrettarbeit eines Kriegsingenieurs und Festungsbauspezialisten. Ein eitles Rachegelüst treibt die Marquise de Merteuil. Das Hascherl Cecile ist frisch aus dem Kloster einem ihrer abtrünnigen Liebhaber versprochen, der, soviel Spaß muss sein, in der Hochzeitsnacht mit einer bereits entjungferten Braut überrascht werden soll. Der Vicomte de Valmont soll als Komplize das schöne Werk vollenden. Das ist echter Männerhumor, aber er kommt von einer Frau, von der göttlichen Marquise, die sich und damit die Männer vollständig in der Gewalt hat. Sie mögen artig um sie herummenuettieren, sich ihr auf dem Bauche liegend nahen oder selbst als Eroberer: „Nein”, schreibt sie dem doch annähernd so bösen Vicomte, „der ganze Hochmut Eures Geschlechts würde nicht hinreichen, die Kluft zwischen uns auszufüllen.” Sie ist „geboren, mein Geschlecht zu rächen und das Eure zu bemeistern”.
Valmont hat es nicht eilig mit der dargebotenen Lockspeise, die Aufgabe ist ihm zu leicht, außerdem möchte er lieber die tugendhafte Präsidentin Tourvel erobern. Mehrfach droht die Marquise ihrem Valmont den Gunstentzug, weil „Ihr weniger zu siegen wünscht als zu kämpfen”. Noch ist der Sieg über die Prüde nicht sein. Eine Finte wird die Präsidentin gewinnen: Der Schurke Valmont lässt sich dabei beobachten, wie er Gutes tut, denn ein Wohltäter kann kein ganz schlechter Mensch sein. Er fordert, sie weicht zurück, er beschämt sie, sie weist ihm die Tür, er fleht um ihre Vergebung, verschreibt sich ihr so inständig, bis sie ihn erhören muss. „O, ergeben soll sie sich, aber kämpfen soll sie, dass sie, ohne die Kraft zu siegen, die zum Widerstehen habe.”
Denn in der Liebe und im Krieg, nicht wahr, Madam, so haben Sie es doch gelernt, ist alles erlaubt.
Die Marquise, der die Fortschritte in diesem langen Feldzug jeweils depeschiert werden, beherrscht den gleichen Wortschatz: „Ich brannte darauf, mit Euch Leib an Leib zu kämpfen.” Nach allen Regeln der Kunst, denn es ist eine, wird die Frau belagert, das Herz in Brand gesteckt, die Festung bestürmt, werden Glacis und Burggraben überwunden, die Mauern berannt, gestürmt, geschleift. Am Ende ist die Veste erobert, ausgeräuchert und dem Erdboden gleichgemacht wird sie, denn der Schreibtischstratege Laclos ist ein Feldherr der verbrannten Erde.
Schauplatz des Kampfes ist das Papier, sind die 175 Briefe, die das Romanpersonal wechselt, und zwar nicht bloß hin und herschickt, sondern auch noch abschreibt, umleitet, weitergibt, nacherzählt. Sie schreiben sich unaufhörlich, sie schreiben so viel, dass sie gar keine Zeit haben, alle Briefe zu lesen. „Anstatt zu schlafen, was ich für mein Leben gern täte”, klagt die Marquise ein wenig scheinheilig, „muss ich Euch einen langen Brief schreiben”, um, aber was denn sonst, ihre teuflischen Pläne neuerlich zu präzisieren. Es ist ein sehr trockenes Empfinden, dieser ewige theoretische Genuss („Ich stand auf und las meine Epistel erneut”), aber schließlich weiß auch Onkel Toby sein Lied davon zu singen.
Das 18. Jahrhundert war so – hemmungslos oversexed. Von dem wahren Begehren durfte die Rede nicht sein, statt dessen probierten, von der französischen Königin abwärts, die Liebenden ein Schäferleben, spielten eine künstliche Natur, da es die echte doch nicht gab, und das eine oder andre Mädchen führte statt des Mannes ein Lämmlein am rosa Benzel spazieren. Beim Kriegsmann Laclos geht es hinaus ins feindliche Leben: Seine Liebenden sind durch die Bank genasführt, gehörnt, verraten, betrogen. Das Gänschen wird bestraft für seine Naivität, der jugendliche Liebhaber zum Roué umerzogen, das Alptraumpaar Merteuil und Valmont exzelliert in erlesenster Bosheit. Wenn das Böse, nachdem der Teufel die Welt verlassen hat, noch einen Platz in ihr hat, dann in diesem Buch.
Die Sitten meiner Zeit
Das immer gern als Erotikon für den schon reiferen Herrn (Alas, poor uncle Toby!) missverstandene Werk ist allerdings ein einziges Missverständnis: der böse Autor meinte es gut. Der „Nouvelle Héloïse” Rousseaus entnahm Laclos das Motto für sein sonderpädagogisches Projekt: „Ich sah die Sitten meiner Zeit und machte diese Briefe bekannt.” Es ist sein Roman auch keiner, sondern besteht, wie der nicht weniger moralisierende Untertitel ankündigt, aus „Briefen, gesammelt in einer Gesellschaft und veröffentlicht zur Unterweisung einiger anderer”. Die offenbare Unmoral seiner Briefeschreiber bekräftigt 1782, sieben Jahre vor der Revolution, dass das ancien régime überreif war, nämlich verderbt bis ins Mark. Zwar sprechen die Immoralisten Brief für Brief für sich, aber ganz kann es ihr Ingenieur doch nicht lassen, in Einleitung und Fußnoten auf eine ganz besonders verrottete Gesinnung zu verweisen oder einen weiteren Abgrund an moralischer Verkommenheit zu entdecken.
Es ist aber Hoffnung selbst in diesem Teufelswerk: Als der gute Onkel Toby dann doch vom sandkastenförmigen Schlachtfeld abkommt („Liebe mag daher sein, was sie will – mein Onkel Toby fiel ihr anheim”), kommt er doch nicht vom Wege ab, sondern macht sich, seines Handicaps nicht achtend, an die „Belagerung der Witwe Wadman”. Die Merteuil lässt nicht ab vom Kampf („Man muss siegen oder untergehen”), doch Valmont verliebt sich in sein Opfer – sollte es am Ende die reine, die nicht ausgeklügelte, die untaktische Liebe doch geben?
Wolfgang Tschöke hat diese schillernde Kriegsfibel nach Bonin, Heinrich Mann, Kauders und Walter Widmer neu übersetzt. Von ein paar unnötigen Modernismen abgesehen, ist ihm das meisterlich gelungen.
Laclos, der gelegentlich als Autor dilettierende Offizier Pierre-Ambroise-François Choderlos de Laclos, wo Sie schon danach fragen, wird schon die eine oder andre Frau gekannt haben, während er jahrelang ohne echten Krieg in der Garnison von Grenoble lag und in La Rochelle, aber dann belagerte er eine wenig schöne Frau, die ihn seines Skandalromans wegen erst nicht empfangen wollte, schlich über eine geheime Tür zu ihr, schwängerte sie nach Art der Roués, die er so lebensnah geschildert, und heiratete sie dann, nur um glücklich mit seiner Marie-Soulange zu leben bis an sein selig Ende, in Tarent, 1803, am südlichen Rand des napoleonischen Reiches, das sich eben anschickte, noch viel größer und gewaltiger zu werden, indem es die Tugend und den Terror der Französischen Revolution über fast ganz Europa verbreitete.
Laclos hat sich nach seinem skandalösen Erfolg mit Fragen der Frauenerziehung befasst oder dem nicht weniger pikanten Thema, dass das wahre Glück nur zuhaus bei der Familie zu finden sei, ansonsten aber seinen wechselnden Auftraggebern gedient. Er wurde zwar vorübergehend Premier (bei Philippe Égalité), aber bald ins Exil vertrieben, diente in der Revolution den Jakobinern, saß kurz im Gefängnis und kam bei Napoleon endlich zu den ersehnten militärischen Ehren.
Nach dem öden Kasernendienst, nach seinem teuflisch-theoretischen Buch zog es den Krieger Laclos wieder hinaus ins Feld. Es war allen Berichten zufolge Laclos’ logistischem Geschick zu verdanken, dass die Revolutionstruppen 1792 bei der Kanonade von Valmy jene der Allianz zurückschlugen, so dass sich der Schlachtenbummler Goethe dreißig Jahre später den leitartikelfähigen Satz in den Mund legen konnte: „Von hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus, und ihr könnt sagen, ihr seid dabei gewesen.”
Als er starb, an einer besonders scheußlichen Ruhr, konnte Laclos seiner Witwe immerhin einen prächtigen Uniformrock hinterlassen und den Skandal, einen der zwei größten Romane seines Jahrhunderts geschrieben zu haben.
Weh dem, der liest.
WILLI WINKLER
CHODERLOS DE LACLOS: Gefährliche Liebschaften. Roman. Aus dem Französischen von Wolfgang Tschöke. Mit einem Nachwort von Elke Schmitter. Hanser Verlag, München 2003. 542 Seiten, 27,90 Euro.
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