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In diesen mit Anastasia Belyaeva, Ilja Danishevski und Wladimir Velminski geführten Gesprächen gewährt der russische Aktionskünstler Pjotr Pawlenski Einblick in sein radikales Denken, das Aktionen wie 'Bedrohung' zugrunde liegt, bei der er im November 2015 die Tür des russischen Geheimdienstes FSB anzündete. "Zweifellos arbeite ich mit dem Begriff der Freiheit. Das ist eines der zentralen Elemente, dessen Sinn im System der Vorstellungen furchtbar entstellt wurde. Deswegen spreche ich vom 'Gefängnis des Alltäglichen' und davon, dass das wirkliche Gefängnis im Verhältnis dazu ein Erholungszentrum sein kann."…mehr

Produktbeschreibung
In diesen mit Anastasia Belyaeva, Ilja Danishevski und Wladimir Velminski geführten Gesprächen gewährt der russische Aktionskünstler Pjotr Pawlenski Einblick in sein radikales Denken, das Aktionen wie 'Bedrohung' zugrunde liegt, bei der er im November 2015 die Tür des russischen Geheimdienstes FSB anzündete. "Zweifellos arbeite ich mit dem Begriff der Freiheit. Das ist eines der zentralen Elemente, dessen Sinn im System der Vorstellungen furchtbar entstellt wurde. Deswegen spreche ich vom 'Gefängnis des Alltäglichen' und davon, dass das wirkliche Gefängnis im Verhältnis dazu ein Erholungszentrum sein kann."
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Autorenporträt
Pjotr Pawlenski, 1984 in Sankt Petersburg geboren, hat mit seinen Aktionen die russische Kunst der letzten Jahre maßgeblich geprägt. Der 2016 zugesprochene Václav Havel Prize for Creative Dissent wurde ihm im selben Jahr wieder aberkannt. Pawlenski lebt und arbeitet in Moskau.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.01.2017

Mit der Polizei kommt die Kunst
Kompromisslos anarchisch: Der russische Aktionskünstler Pjotr Pawlenski über die Werkzeuge der Macht

Das Material, aus dem Pjotr Pawlenski seine sozialen Skulpturen formt, ist die Angst. Die Angst vor dem Auffallen, vor der Marginalisierung, vor dem Verlust, vor der Verhaftung, vor dem Tod. Alle diese Ängste ließ er hinter sich, als er sich 2012 mit zugenähtem Mund vor der Kasaner Kathedrale im Zentrum von Petersburg aufstellte, in der Hand ein Poster, auf dem stand: "Die Aktion von Pussy Riot war eine Neuinszenierung der berühmten Aktion von Jesus Christus (Mt 21, 12-13)."

Mit dieser Anspielung auf die Tempelräumung protestierte er gegen die Gleichgültigkeit der Petersburger Kunstszene während des Prozesses gegen Pussy Riot. In späteren Performances legte er sich nackt in einem Stacheldraht-Kokon vor das Petersburger Stadtparlament, nagelte seine Hoden auf das Kopfsteinpflaster des Roten Platzes, schnitt sich auf der Mauer einer psychiatrischen Anstalt sein Ohrläppchen ab und zündete schließlich die Eingangstür zum Hauptquartier des Geheimdienstes FSB an.

Pjotr Pawlenski hat in den vergangenen zwei Jahren eingehende Gespräche über seine Kunst mit den Kulturwissenschaftlern Ilja Danischewski und Wladimir Velminski geführt. Die wichtigsten Interviews liegen nun in einem lesenswerten Bändchen vor. Pawlenski spricht offen über seine eigene Familie. Seine Mutter war Krankenschwester in einer psychiatrischen Klinik. Pawlenski berichtet, wie er bei seiner ersten Zwangsinternierung plötzlich Muster aus seiner Kindheit wiedererkannt habe: Seine Mutter habe ihn als Kind wie einen Patienten behandelt. Es sei ihr darum gegangen, sein Verhalten so unauffällig wie möglich zu halten. Heute sei die Mutter dem Fernsehapparat hörig und glaube, die Mainstream-Meinung sei dasselbe wie die Wahrheit. Auch der Vater habe sich restlos der offiziellen Kultur angepasst. Dadurch sei ihm zwar eine Karriere gelungen, aber seine Freizeit verbrachte er mit einer Kiste Bier vor dem Fernseher. Seine Eltern sind für Pawlenski abschreckende Beispiele dafür, sein Leben einer ideologisierte Leitkultur auszuliefern.

Bis vor kurzem lebte Pawlenski mit seiner Partnerin und seinen beiden schulpflichtigen Töchtern in Petersburg. Sie bilden keine bürgerliche Familie, sondern - in Pawlenskis Terminologie - einen "engen Kreis". Nichts folgt den Mustern der üblichen Institutionalisierung des Privatlebens: Der Vater geht auf Nahrungssuche. Die Töchter lernen Kickboxen und Schach. Als Geburtstagsgeschenk erhalten sie einen Haufen brennender Autoreifen. Die Frau hackt sich mit der Axt einen Finger ab, um im unbedingten Wahrheitsdiskurs des Paars wieder Glaubwürdigkeit zu erlangen.

Herkömmliche Deutungsschemata greifen bei Pawlenski nicht - er will sich auf keinen Fall zum Objekt von politischen oder ökonomischen Herrschaftsdiskursen degradieren lassen. Für ihn oszillieren Staaten und Gesellschaftsordnungen zwischen der anarchischen Freiheit und dem, was er "Faschismus" nennt: der totalen Kontrolle. Für pragmatische Zwischenlösungen hat er keinen Sinn: "In der Mitte ist der öde Liberalismus mit seiner kümmerlichen politischen Korrektheit."

Pawlenskis Radikalität ging sogar der Human Rights Foundation zu weit, die ihm 2016 den "Havel-Preis für künstlerischen Dissens" zuerkannt hatte. Sie zog die Auszeichnung zurück, als bekannt wurde, dass Pawlenski die Preissumme für die rechtliche Verteidigung einer Jugendbande spenden wollte, die für Polizistenmorde verantwortlich gemacht wurde. Mittlerweile ist Pawlenski nach Frankreich ausgereist und hat dort um Asyl nachgesucht. In Russland droht ihm ein Prozess wegen sexueller Nötigung. Die Hintergründe sind umstritten: Die Schauspielerin Anastassia Slonina von der oppositionellen Experimentalbühne teatr.doc wirft dem Künstler Gewaltanwendung mit einem Messer vor, Pawlenski spricht von einer Denunziation (F.A.Z. vom 16. Oktober).

Pawlenski versteht sich explizit als "politischer Künstler". In seinen Aktionen schaffe er eine neue Situation, die "nach den geltenden Regeln eines Ortes unter gar keinen Umständen entstehen dürfte". Dabei setze er die "Werkzeuge der Macht" ein. Das Eingreifen der Polizei, der Justiz oder der Psychiatrie mache recht eigentlich den Kern seiner Kunst aus. Pawlenski weist darauf hin, dass seine Aktionen die Positionen von Subjekt und Objekt vertauschen: Aus den Gesetzeshütern werden auf einen Schlag Roboter, die blind einem Reglement folgen. Umgekehrt schwingt sich der Künstler, der sich widerstandslos festnehmen lässt, zum Schöpfer eines emanzipatorischen Sinns auf.

Nach dem Ende der Aktion beginne er mit jedem zu reden - er mache keinen Unterschied zwischen Journalisten, Psychiatern oder Beamten. Damit ziehe er alle Vertreter der herrschenden Gesellschaftsordnung in den "Prozess der Kunst" hinein und zwinge sie, ihre eigenen Verhaltensschablonen in Frage zu stellen. Dasselbe gilt natürlich auch für den Künstler selbst: Die radikale Selbstbefreiung führt zum Verlust aller Gewissheiten - außer der einen: ein autonomes Subjekt zu sein.

ULRICH SCHMID

Pjotr Pawlenski: "Gefängnis des Alltäglichen". Gespräche. Hrsg. und eingeleitet von Ilja Danischewski

und Wladimir Velminski.

Aus dem Russischen

von Maria Rajer.

Matthes & Seitz Verlag,

Berlin 2016. 135 S., br., 12,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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