Das Wesen des ärztlichen Denkens und der klinischen Wissenschaft ist, verschiedene Methoden gleichzeitig für Analyse und Verständnis von Krankheitssymptomen anzuwenden und das Beobachtete unter möglichst vielen Gesichtspunkten auszuwerten. Das Spannungsfeld ärztlichen Denkens hat sich nach allen Seiten geweitet. Es reicht heute von der makromolekularen Dimension bis zu den sozialen und indivi duellen Determinanten menschlichen Daseins. Dem Arzt ist die Auf gabe gestellt, dem analytischen Detail den richtigen Stellenwert in einem Geschehen zuzuordnen, das sich in der uns natürlich vorgege benen Größenordnung, einem lebendigen Mitmenschen, abspielt. Wi/liam Harvey war fasziniert, daß die von ihm beobachteten Tat sachen sich zum Ganzen eines Kreislaufs zusammenfügten. Die Ver teilung der Lebenskraft im Körper geschah nach dem Modell der voll kommenen geometrischen Figur des Kreises. Die physiologische und die ihr folgende klinische Forschung arbeitete die Feinheiten dieser Kreisbewegung aus und rückte die Idee des Ganzen in den Hinter grund. Es bildeten sich Forschungsgebiete und ihr entsprechende wissenschaftliche Gesellschaften für Kardiologie, Angiologie - eigent lich Arteriologie - Phlebologie, Mikrozirkulation und Lymphangiologie. Die Erforschung des kleinen Kreislaufs, des Pfortaderkreislaufs, der Eigenart der Regelung der Durchblutung von Niere, Gehirn, Auge, machten besondere gedankliche und methodische Ansätze notwendig. Der Arzt geht von der komplexen Wirklichkeit der sich ihm spontan darbietenden Krankheitsphänomene aus und kehrt spätestens anläß lich von therapeutischen und prognostischen überlegungen zu ihnen zurück. Das Ganze - hier der Kreislauf - ist für ihn nicht Idee, sondern Wirklichkeit.
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