Shanghai ist von den Japanern eingenommen. In einem Café wartet nervös eine junge Frau auf den Mann, mit dem sie ein Verhältnis hat: Lao Yi, der mächtige Geheimdienstchef der japanischen Marionettenregierung, soll in dieser Nacht sterben. Die junge Frau soll ihn verraten. Als er vor ihr steht, erkennt sie, dass sie ihn liebt. Sie warnt ihn, und er flieht rechtzeitig. Sie wird verhaftet und hingerichtet. Die von Ang Lee verfilmte Erzählung Gefahr und Begierde fängt das Leben in einer besetzten Stadt ein wie auch Eileen Changs andere Geschichten aus dem Shanghai der vierziger Jahre. Eileen Chang gehört zu den großen modernen Erzählern wie F. Scott Fitzgerald und Marguerite Duras. Gefahr und Begierde erscheint nun erstmals in deutscher Übersetzung.
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Mit einiger Faszination hat Rezensent Tilman Spengler die fünf Erzählungen dieses Bandes gelesen, die für ihn noch einmal die Dekadenz einer Epoche in China beleuchtet haben, "aus deren Asche sich die kommunistischen Hoffnungen erhoben". Jeweils eine Erzählung der großartigen Eileen Chang erhelle ein entscheidendes Kapitel der jüngeren chinesischen Geschichte, so der Rezensent - angefangen mit der Besetzung Chinas durch die Japaner. Hingerissen ist der Rezensent auch vom Stil dieser Autorin, der für ihn auf kongeniale Weise die Vorbilder klassischer chinesischer Sprachgeschichte mit denen der westlichen Kurzgeschichte verschmelze und der buddhistischen Existenzialismus mit der Detailfreunde von George Grosz verbinde. Auch die Übersetzung dieser bislang als unübersetzbar geltenden Autorin wird sehr gefeiert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.04.2008Metropole und Melancholie
Liebe in der gefallenen Stadt: Eileen Changs Erzählungen
Fernab von der auf die Nation und Revolution zentrierten Literatur vieler Zeitgenossen liegt dem Werk der Schanghaier Autorin Eileen Chang (1920 bis 1995) eine Ästhetik der Trostlosigkeit zugrunde. Ihre frühen Erzählungen spielen im bürgerlich-dekadenten Schanghai und Hongkong der 1940er Jahre, zur Zeit der japanischen Besatzung. Als Chang nach dem Sieg der Kommunisten - sie war mit einem Beamten der japanischen Marionettenregierung verheiratet - unter Kollaborationsverdacht geriet, siedelte sie nach Zwischenstationen in Hongkong und Taiwan 1955 endgültig nach Amerika über.
Ihre Alltagshelden changieren zwischen Fatalismus und Aufbegehren, Amour fou und Vernunftehe. Deren Halbwertszeit wird in "Spuren einer Liebe" skizziert, zwischen konfuzianischen Rollenbildern und uneingelösten Verheißungen der Moderne. Die auf Dialoge im Wartezimmer einer Massageklinik reduzierte Erzählung "Warten" ist eine Milieustudie über unter dem Joch der Schwiegereltern leidende Frauen, vorlaute Neureiche oder "jene verschattete Friedfertigkeit, wie sie den Bewohnern enger Gassen eigen ist".
Düstere Stadtlandschaften sind auch Dekor des abgründig-lasziven, von Ang Lee 2007 verfilmten Spionagethrillers "Gefahr und Begierde", der jenseits klassischer Freund-Feind-Kategorien im besetzten Schanghai von verbotener Liebe und Landesverrat, Schein und Maskerade erzählt. Jiazhi, Mitglied einer patriotischen Studententheatergruppe, die sich in eine Widerstandszelle wandelt, soll in der Rolle ihres Lebens den Geheimdienstchef Yi in eine Affäre verwickeln und in die Fänge ihrer Kommilitonen führen. Doch in dem Juweliergeschäft, in dem das Attentat geplant ist, gibt sie dem Kollaborateur in einer fatalen Herzensregung eine Warnung.
Changs verstörende Psychogramme zeichnen Analogien zwischen Geschlechterkampf und Krieg, Besatzung und erotischer Abhängigkeit. Gefühlsblockaden gehen mit politischer Vereinnahmung einher, Moralverfall mit äußerer Zerstörung. In stimmungsvollen Weltstillstandsstudien evoziert Chang Romanzen in Zeiten des Ausnahmezustands: In "Straßensperre" lernen sich ein Buchhalter und eine Lehrerin in einer von den Besatzern angehaltenen Straßenbahn kennen. Doch mit der Aufhebung der Ausgangssperre kehren der Alltag und die Fahrgäste aus ihren Ausbruchsphantasien zurück. Suggestiv entwirft Eileen Chang Assoziationen zwischen Metropole und Melancholie. "Liebe in einer gefallenen Stadt" schildert die Eheanbahnung zwischen einem reichen Playboy und einer geschiedenen Frau aus traditionellem Haus. Chang verkehrt den Topos der schönen Frau, um derentwillen Reiche zugrunde gehen, ironisch ins Gegenteil. Erst vor der Kulisse der Bombardierung Hongkongs durch die Japaner, die "vielen Geschichten das Ende weggesprengt" hat, findet das Paar zueinander.
Nach konsequenter Ignorierung zur Mao-Zeit kam es, während sie in Taiwan seit den 1960er Jahren Kultstatus genoss, erst in den 1990er Jahren zur breiten Rezeption der melancholischen Chronistin der chinesischen Moderne und zu einem regelrechten Eileen-Chang-Fieber in der Volksrepublik.
STEFFEN GNAM.
Eileen Chang: "Gefahr und Begierde". Erzählungen. Aus dem Chinesischen übersetzt von Susanne Hornfeck, Wang Jue und Wolf Baus. Mit einem Nachwort von Susanne Hornfeck. Claassen Verlag, Berlin 2008. 256 S., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Liebe in der gefallenen Stadt: Eileen Changs Erzählungen
Fernab von der auf die Nation und Revolution zentrierten Literatur vieler Zeitgenossen liegt dem Werk der Schanghaier Autorin Eileen Chang (1920 bis 1995) eine Ästhetik der Trostlosigkeit zugrunde. Ihre frühen Erzählungen spielen im bürgerlich-dekadenten Schanghai und Hongkong der 1940er Jahre, zur Zeit der japanischen Besatzung. Als Chang nach dem Sieg der Kommunisten - sie war mit einem Beamten der japanischen Marionettenregierung verheiratet - unter Kollaborationsverdacht geriet, siedelte sie nach Zwischenstationen in Hongkong und Taiwan 1955 endgültig nach Amerika über.
Ihre Alltagshelden changieren zwischen Fatalismus und Aufbegehren, Amour fou und Vernunftehe. Deren Halbwertszeit wird in "Spuren einer Liebe" skizziert, zwischen konfuzianischen Rollenbildern und uneingelösten Verheißungen der Moderne. Die auf Dialoge im Wartezimmer einer Massageklinik reduzierte Erzählung "Warten" ist eine Milieustudie über unter dem Joch der Schwiegereltern leidende Frauen, vorlaute Neureiche oder "jene verschattete Friedfertigkeit, wie sie den Bewohnern enger Gassen eigen ist".
Düstere Stadtlandschaften sind auch Dekor des abgründig-lasziven, von Ang Lee 2007 verfilmten Spionagethrillers "Gefahr und Begierde", der jenseits klassischer Freund-Feind-Kategorien im besetzten Schanghai von verbotener Liebe und Landesverrat, Schein und Maskerade erzählt. Jiazhi, Mitglied einer patriotischen Studententheatergruppe, die sich in eine Widerstandszelle wandelt, soll in der Rolle ihres Lebens den Geheimdienstchef Yi in eine Affäre verwickeln und in die Fänge ihrer Kommilitonen führen. Doch in dem Juweliergeschäft, in dem das Attentat geplant ist, gibt sie dem Kollaborateur in einer fatalen Herzensregung eine Warnung.
Changs verstörende Psychogramme zeichnen Analogien zwischen Geschlechterkampf und Krieg, Besatzung und erotischer Abhängigkeit. Gefühlsblockaden gehen mit politischer Vereinnahmung einher, Moralverfall mit äußerer Zerstörung. In stimmungsvollen Weltstillstandsstudien evoziert Chang Romanzen in Zeiten des Ausnahmezustands: In "Straßensperre" lernen sich ein Buchhalter und eine Lehrerin in einer von den Besatzern angehaltenen Straßenbahn kennen. Doch mit der Aufhebung der Ausgangssperre kehren der Alltag und die Fahrgäste aus ihren Ausbruchsphantasien zurück. Suggestiv entwirft Eileen Chang Assoziationen zwischen Metropole und Melancholie. "Liebe in einer gefallenen Stadt" schildert die Eheanbahnung zwischen einem reichen Playboy und einer geschiedenen Frau aus traditionellem Haus. Chang verkehrt den Topos der schönen Frau, um derentwillen Reiche zugrunde gehen, ironisch ins Gegenteil. Erst vor der Kulisse der Bombardierung Hongkongs durch die Japaner, die "vielen Geschichten das Ende weggesprengt" hat, findet das Paar zueinander.
Nach konsequenter Ignorierung zur Mao-Zeit kam es, während sie in Taiwan seit den 1960er Jahren Kultstatus genoss, erst in den 1990er Jahren zur breiten Rezeption der melancholischen Chronistin der chinesischen Moderne und zu einem regelrechten Eileen-Chang-Fieber in der Volksrepublik.
STEFFEN GNAM.
Eileen Chang: "Gefahr und Begierde". Erzählungen. Aus dem Chinesischen übersetzt von Susanne Hornfeck, Wang Jue und Wolf Baus. Mit einem Nachwort von Susanne Hornfeck. Claassen Verlag, Berlin 2008. 256 S., geb., 18,- [Euro].
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