Anfang 1914 war Gießen eine blühende Stadt: Hauptstadt der Provinz Oberhessen im Großherzogtum Hessen, Sitz einer Universität, Knotenpunkt zahlreicher Eisenbahnlinien und Garnisonsstandort. 1918 stürzten einige von der Küste angereiste Matrosen die Stadt in eine Revolution. Die Autoren erzählen, was dazwischen geschah: Von der Begeisterung des August, die längst nicht in allen Bevölkerungsschichten geteilt wurde, von der Arbeit der Frauen an der Heimatfront in Lazaretten und in ihrem immer schwieriger werdenden Kampf um Lebensmittel und Kohlen, von der Bildungskatastrophe in den Schulen, von der verheerenden "Spanischen Grippe", vom Ende des Gottesgnadentums des hessischen Fürsten, von der Demütigung der Niederlage, die für einen kurzen geschichtlichen Moment die Vision einer sozialistischen Republik aufscheinen ließ. Und die Autoren brechen nicht wie so viele Kriegsgeschichten mit dem Waffenstillstand ab, denn der Hunger dauerte an, bis der Vertrag von Versailles unterzeichnet war, und der Staat entledigte sich seiner Kriegsschulden mit einer großen Inflation.Die größte Veränderung, die Gießen im Weltkrieg erlebte, war aber ein neuer Stadtteil: das Kriegsgefangenenlager. Buchstäblich zehntausende Soldaten haben es im Laufe des Krieges durchlaufen, aber auch eine neue Klasse von Gefangenen, die im Kriegsrecht der Zeit nicht vorgesehen war: zivile Ausländer. Das Gefangenenlager brachte Menschen aus aller Welt nach Gießen aus Frankreich - darunter Kolonialtruppen aus Marokko, dem Kongo und Französisch Westafrika -, Russland, Belgien, England, Schottland, Irland, Italien, Portugal, den USA, Kanada und Australien. Es waren so viele Kriegsgefangene, dass schließlich die Wirtschaft der ganzen Region von ihrer Arbeit abhing. Sie hinterließen auf dem Neuen Friedhof ein ganzes Gräberfeld und in Erinnerungen und Tagebüchern ihre eigene Sicht auf Gießen.
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