Ian Kershaw:
»Keine ernsthafte Untersuchung des NS-Staats kommt zukünftig an diesem Buch vorbei.«
Über nationalsozialistische Konzentrationslager ist viel geschrieben worden, die Gefängnisse des Hitler-Staats aber blieben bisher unbeachtet. Mit seiner ebenso fundierten wie beklemmenden Gesamtdarstellung lotet Nikolaus Wachsmann die Rolle des Strafvollzugs im NS-Herrschaftssystem aus. Dadurch erhält eine bisher vernachlässigte Gruppe von Opfern des Nationalsozialismus Gesicht und Stimme.
In den Jahren von 1933 bis 1942 waren sehr viel mehr Menschen in den Gefängnissen der Nationalsozialisten inhaftiert als in den Konzentrationslagern. Wer das Terrorsystem des »Dritten Reichs« verstehen will, muss diesen bisher vernachlässigten Aspekt nationalsozialistischer Verfolgungs- und Gewaltmaßnahmen in den Blick nehmen. Nikolaus Wachsmann hat diese Forschungslücke durch seine vielfach ausgezeichnete und anhand zahlreicher, bisher unbeachteter Quellen erarbeitete Darstellungeindrucksvoll geschlossen.
Der Autor geht dem Neben- und Durcheinander der Verwaltung unter der Nazidiktatur nach und fragt, wer eigentlich die angeblichen Straftäter waren, die in Hitlers Gefängnissen saßen. Die Justiz, so eine seiner Thesen, spielte innerhalb der Grenzen des Deutschen Reichs eine zentrale Rolle bei der Kriminalisierung politisch Andersdenkender.
Die Schilderung des Strafverfolgungs- und Gefängnissystems dient auch dazu, mit hartnäckigen Fehlurteilen aufzuräumen: etwa mit der lange Zeit weit verbreiteten Ansicht, im Gegensatz zu den Konzentrations- und Vernichtungslagern habe in den Nazigefängnissen Recht und Ordnung geherrscht, die dort Inhaftierten hätten dort »zurecht« gesessen. Mit »Gefangen unter Hitler« liegt erstmals eine fundierte Gesamtdarstellung zu dieser wichtigen Thematik vor.
Diese mehrfach ausgezeichnete Gesamtdarstellung der Gefängnisse im NS-Staat schließt eine der letzten Lücken in der Erforschung des Nationalsozialismus.
Ausstattung: mit Abbildungen
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
»Keine ernsthafte Untersuchung des NS-Staats kommt zukünftig an diesem Buch vorbei.«
Über nationalsozialistische Konzentrationslager ist viel geschrieben worden, die Gefängnisse des Hitler-Staats aber blieben bisher unbeachtet. Mit seiner ebenso fundierten wie beklemmenden Gesamtdarstellung lotet Nikolaus Wachsmann die Rolle des Strafvollzugs im NS-Herrschaftssystem aus. Dadurch erhält eine bisher vernachlässigte Gruppe von Opfern des Nationalsozialismus Gesicht und Stimme.
In den Jahren von 1933 bis 1942 waren sehr viel mehr Menschen in den Gefängnissen der Nationalsozialisten inhaftiert als in den Konzentrationslagern. Wer das Terrorsystem des »Dritten Reichs« verstehen will, muss diesen bisher vernachlässigten Aspekt nationalsozialistischer Verfolgungs- und Gewaltmaßnahmen in den Blick nehmen. Nikolaus Wachsmann hat diese Forschungslücke durch seine vielfach ausgezeichnete und anhand zahlreicher, bisher unbeachteter Quellen erarbeitete Darstellungeindrucksvoll geschlossen.
Der Autor geht dem Neben- und Durcheinander der Verwaltung unter der Nazidiktatur nach und fragt, wer eigentlich die angeblichen Straftäter waren, die in Hitlers Gefängnissen saßen. Die Justiz, so eine seiner Thesen, spielte innerhalb der Grenzen des Deutschen Reichs eine zentrale Rolle bei der Kriminalisierung politisch Andersdenkender.
Die Schilderung des Strafverfolgungs- und Gefängnissystems dient auch dazu, mit hartnäckigen Fehlurteilen aufzuräumen: etwa mit der lange Zeit weit verbreiteten Ansicht, im Gegensatz zu den Konzentrations- und Vernichtungslagern habe in den Nazigefängnissen Recht und Ordnung geherrscht, die dort Inhaftierten hätten dort »zurecht« gesessen. Mit »Gefangen unter Hitler« liegt erstmals eine fundierte Gesamtdarstellung zu dieser wichtigen Thematik vor.
Diese mehrfach ausgezeichnete Gesamtdarstellung der Gefängnisse im NS-Staat schließt eine der letzten Lücken in der Erforschung des Nationalsozialismus.
Ausstattung: mit Abbildungen
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.09.2007Mörderischer Strafvollzug
Das Schicksal der Häftlinge im Nationalsozialismus
Angesichts einer kaum mehr zu überblickenden Flut an Detailstudien macht sich unter den Historikern ein Gefühl der Übersättigung und der Überzeugung breit, der Nationalsozialismus sei inzwischen „ausgeforscht”. Wie sehr sich aber eine intensive Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte nach wie vor lohnt, zeigt die wichtige Arbeit des Londoner Historikers Nikolaus Wachsmann. Er geht einem bislang nur wenig untersuchten Aspekt des NS-Terrorsystems auf den Grund. Auf breiter Quellenbasis und aus unterschiedlichen Perspektiven verfolgt er die Praxis des Strafvollzugs. Er untersucht die Politik der zentralen Reichsbehörden und NSDAP-Organe, von Polizei- und Justizapparat, und blickt zudem auf den Alltag der Häftlinge und das sich radikalisierende System aus Abschreckung und Ausbeutung, Terror und Vergeltung.
Gerichte und Strafanstalten waren zentrale Elemente der „Politisierung der Kriminalität” und die Haftanstalten ein Exerzierfeld der Gewalt. Obwohl in den Gefängnissen nie die gleichen mörderischen Zustände herrschten wie in den Konzentrationslagern, so war doch unverkennbar, wie sich vor allem seit Kriegsbeginn die Lebensumstände verschlechterten und sich das drakonische Strafsystem ausweitete. Nicht immer mussten es wie in den Emslandlagern ehemalige SA-Wärter sein, die den Gefangenen das Leben zur Hölle machten. Oft waren es ältere Justizbeamte und Gefängnisdirektoren, die bereits lange vor 1933 ihren Dienst getan hatten, die am Rad der Gewalt weiterdrehten, denn viele von ihnen teilten im Wesentlichen die nationalsozialistische Strafrechtsideologie.
Einen Kernpunkt rassistischer Überzeugungen bildete der Kampf gegen „Fremdvölkische” und „Gemeinschaftsfremde”, gegen Homosexuelle und politisch „Unverbesserliche”, gegen Sozialdemokraten und Kommunisten. Ihr Überleben hing am seidenen Faden, schienen sie es doch zu sein, die der „Heimatfront” in der Stunde der Not ähnlich wie angeblich schon 1918 in den Rücken fallen würden. Am Beispiel der ökonomischen Ausbeutung der Häftlinge für die Kriegsproduktion beschreibt Wachsmann das Zusammenspiel von Justizwesen und Polizei, das für viele Häftlinge den Tod bedeutete.
Mordpolitik und Strafvollzug verschmolzen spätestens seit Herbst 1942 miteinander, als nach einem Abkommen zwischen Heinrich Himmler und Reichsjustizminister Otto-Georg Thierack „Sicherungsverwahrte” zur „Vernichtung durch Arbeit” in die Konzentrationslager abtransportiert wurden. Die Deportationen folgten einem klaren rassistischen Muster: Sie betrafen alle „Sicherheitsverwahrten”, Juden, Sinti und Roma, Russen und Ukrainer sowie Polen, die eine Haftstrafe von mehr als drei Jahren verbüßten. Zudem wurden deutsche und tschechische Häftlinge mit langjährigen Strafen von einer Geheimabteilung des Justizministeriums daraufhin überprüft, ob es sich bei ihnen um unbrauchbare „asoziale Elemente” handelte. Zwei Drittel der etwa 20 000 deportierten Häftlinge dürften bei dieser Aktion ums Leben gekommen sein.
Ähnlich wie andere neue Untersuchungen unterscheidet auch Wachsmann nicht mehr zwischen nationalsozialistischem „Maßnahmenstaat” und traditionellem „Normenstaat”. Neben dem oft beschriebenen Konflikt um Macht und Einfluss zwischen Justiz und Polizei traten im polykratischen NS-Staat Kooperation und Konsens, freiwillige Selbstanpassung und gemeinsame Überzeugungen, die als Schmieröl für das Funktionieren des NS-System wirkten. Justiz und Polizei zogen gemeinsam die Grenzen der Zugehörigkeit zur „Volksgemeinschaft” immer enger. Hitler hatte der rassistischen Vernichtungspolitik wichtige Impulse gegeben, auf die sich die einzelnen Behörden beziehen konnten.
Gleichwohl, auch das macht Wachsmann eindringlich deutlich, waren für die Radikalisierung des Strafvollzugs auch viele Richter, Aufseher und Gefängnisdirektoren verantwortlich. Es gab durchaus Handlungsspielraum, vor allem auch in der letzten Kriegsphase – einem der besten Kapitel der Arbeit –, und doch waren es nur wenige, die ihn zu Gunsten der Häftlinge nutzten. Wachsmann hat es sich nicht leicht gemacht: Er ist wohltuend zurückhaltend mit flotten Thesen und er bettet die Geschichte des Strafvollzugs souverän in längere deutsche und europäische Entwicklungen seit der Zwischenkriegszeit ein. Es bleibt eines der ungeheuerlichen Kapitel westdeutscher Vergangenheitspolitik, dass vielen der Täter nach 1945 nicht nur jedes Schuldbewusstsein fehlte, sondern etliche von ihnen auch wieder den Gefängnisalltag der 50er Jahre bestimmen sollten. DIETMAR SÜSS
NIKOLAUS WACHSMANN: Gefangen unter Hitler. Justizterror und Strafvollzug im NS-Staat. Siedler-Verlag, München 2006. 624 Seiten, 28 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Das Schicksal der Häftlinge im Nationalsozialismus
Angesichts einer kaum mehr zu überblickenden Flut an Detailstudien macht sich unter den Historikern ein Gefühl der Übersättigung und der Überzeugung breit, der Nationalsozialismus sei inzwischen „ausgeforscht”. Wie sehr sich aber eine intensive Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte nach wie vor lohnt, zeigt die wichtige Arbeit des Londoner Historikers Nikolaus Wachsmann. Er geht einem bislang nur wenig untersuchten Aspekt des NS-Terrorsystems auf den Grund. Auf breiter Quellenbasis und aus unterschiedlichen Perspektiven verfolgt er die Praxis des Strafvollzugs. Er untersucht die Politik der zentralen Reichsbehörden und NSDAP-Organe, von Polizei- und Justizapparat, und blickt zudem auf den Alltag der Häftlinge und das sich radikalisierende System aus Abschreckung und Ausbeutung, Terror und Vergeltung.
Gerichte und Strafanstalten waren zentrale Elemente der „Politisierung der Kriminalität” und die Haftanstalten ein Exerzierfeld der Gewalt. Obwohl in den Gefängnissen nie die gleichen mörderischen Zustände herrschten wie in den Konzentrationslagern, so war doch unverkennbar, wie sich vor allem seit Kriegsbeginn die Lebensumstände verschlechterten und sich das drakonische Strafsystem ausweitete. Nicht immer mussten es wie in den Emslandlagern ehemalige SA-Wärter sein, die den Gefangenen das Leben zur Hölle machten. Oft waren es ältere Justizbeamte und Gefängnisdirektoren, die bereits lange vor 1933 ihren Dienst getan hatten, die am Rad der Gewalt weiterdrehten, denn viele von ihnen teilten im Wesentlichen die nationalsozialistische Strafrechtsideologie.
Einen Kernpunkt rassistischer Überzeugungen bildete der Kampf gegen „Fremdvölkische” und „Gemeinschaftsfremde”, gegen Homosexuelle und politisch „Unverbesserliche”, gegen Sozialdemokraten und Kommunisten. Ihr Überleben hing am seidenen Faden, schienen sie es doch zu sein, die der „Heimatfront” in der Stunde der Not ähnlich wie angeblich schon 1918 in den Rücken fallen würden. Am Beispiel der ökonomischen Ausbeutung der Häftlinge für die Kriegsproduktion beschreibt Wachsmann das Zusammenspiel von Justizwesen und Polizei, das für viele Häftlinge den Tod bedeutete.
Mordpolitik und Strafvollzug verschmolzen spätestens seit Herbst 1942 miteinander, als nach einem Abkommen zwischen Heinrich Himmler und Reichsjustizminister Otto-Georg Thierack „Sicherungsverwahrte” zur „Vernichtung durch Arbeit” in die Konzentrationslager abtransportiert wurden. Die Deportationen folgten einem klaren rassistischen Muster: Sie betrafen alle „Sicherheitsverwahrten”, Juden, Sinti und Roma, Russen und Ukrainer sowie Polen, die eine Haftstrafe von mehr als drei Jahren verbüßten. Zudem wurden deutsche und tschechische Häftlinge mit langjährigen Strafen von einer Geheimabteilung des Justizministeriums daraufhin überprüft, ob es sich bei ihnen um unbrauchbare „asoziale Elemente” handelte. Zwei Drittel der etwa 20 000 deportierten Häftlinge dürften bei dieser Aktion ums Leben gekommen sein.
Ähnlich wie andere neue Untersuchungen unterscheidet auch Wachsmann nicht mehr zwischen nationalsozialistischem „Maßnahmenstaat” und traditionellem „Normenstaat”. Neben dem oft beschriebenen Konflikt um Macht und Einfluss zwischen Justiz und Polizei traten im polykratischen NS-Staat Kooperation und Konsens, freiwillige Selbstanpassung und gemeinsame Überzeugungen, die als Schmieröl für das Funktionieren des NS-System wirkten. Justiz und Polizei zogen gemeinsam die Grenzen der Zugehörigkeit zur „Volksgemeinschaft” immer enger. Hitler hatte der rassistischen Vernichtungspolitik wichtige Impulse gegeben, auf die sich die einzelnen Behörden beziehen konnten.
Gleichwohl, auch das macht Wachsmann eindringlich deutlich, waren für die Radikalisierung des Strafvollzugs auch viele Richter, Aufseher und Gefängnisdirektoren verantwortlich. Es gab durchaus Handlungsspielraum, vor allem auch in der letzten Kriegsphase – einem der besten Kapitel der Arbeit –, und doch waren es nur wenige, die ihn zu Gunsten der Häftlinge nutzten. Wachsmann hat es sich nicht leicht gemacht: Er ist wohltuend zurückhaltend mit flotten Thesen und er bettet die Geschichte des Strafvollzugs souverän in längere deutsche und europäische Entwicklungen seit der Zwischenkriegszeit ein. Es bleibt eines der ungeheuerlichen Kapitel westdeutscher Vergangenheitspolitik, dass vielen der Täter nach 1945 nicht nur jedes Schuldbewusstsein fehlte, sondern etliche von ihnen auch wieder den Gefängnisalltag der 50er Jahre bestimmen sollten. DIETMAR SÜSS
NIKOLAUS WACHSMANN: Gefangen unter Hitler. Justizterror und Strafvollzug im NS-Staat. Siedler-Verlag, München 2006. 624 Seiten, 28 Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.04.2007Abschreckung und Auslieferung
Die erschütternde, bislang wenig beachtete Geschichte des Strafvollzugs im "Dritten Reich"
Je gründlicher die Zeitgeschichtswissenschaft Hitlers Gewaltstaat ausleuchtet, in desto schieferem Lichte erscheinen gerade jene Deutungen nationalsozialistischer Herrschaft, die mit besonderer Verve vorgetragen wurden: die These von der "sich selbst überwachenden Gesellschaft" etwa oder die ebenso mangelhaft fundierte wie furios vermarktete Einordnung des "Dritten Reichs" als Volksstaat und Wohlfühldiktatur. Beides verkleinert den Faktor Gewalt. Komplett in die Irre führt der Versuch, den Nationalsozialismus als reaktiven Antikommunismus zu verniedlichen, um ihn so in eine salonfähige Tradition einzupassen. Nikolaus Wachsmanns gewichtige Studie bestätigt demgegenüber, dass der nationalsozialistischen Herrschaft namentlich der lange vor der bolschewistischen Machtergreifung entstandene Glaube zugrunde lag, politisch-gesellschaftliche Probleme ließen sich biologisch erklären und durch mitleidlose "Ausmerze" beheben. Daraus ergab sich das auf Ideologie und Gewalt gegründete Zentralprojekt dieser zwölf Jahre: die Gesundung des "Volkskörpers" durch seine Reinigung von politisch, sozial und rassisch zu "Gemeinschaftsfremden" Gestempelten.
Wachsmann führt uns eine Justiz vor Augen, die ebenso wie das Gros der Militärs, der Beamtenschaft und der Wirtschaftsmanager mit den neuen Machthabern rasch eine Symbiose zu beiderseitigem Nutzen einging. Nicht nur die maßgeblichen Justizbeamten, auch die untergeordneten Chargen waren zumeist froh, dass die liberalen Weimarer Jahre vorüber waren und sie dem vergötterten Führer zuarbeiten konnten. Ihre Konflikte mit Partei und Polizei bremsten die Vernichtungsmaschinerie keineswegs, sondern trieben die von Hitler als Relikt überwundener Zeiten angesehene Justiz zu immer dienstfertigerer Vorwegnahme des vermuteten Führerwillens.
Während des Krieges überstieg die Anzahl der Todesurteile jene in den zivilisierten Ländern um ein Vielhundertfaches. Die deutsche Justiz arbeitete selbst immer entschlossener an der Auflösung des rechtlichen Normengefüges mit. Obgleich der Nürnberger Juristenprozess 1947 zu dem Urteil gefunden hatte, das Reichsjustizministerium habe die "schmutzige Arbeit" übernommen, welche "die Staatsführer forderten", hinderte das den früheren Präsidenten des Bundesgerichtshof Hermann Weinkauff noch 1968 nicht an der Einlassung, die deutschen Justizbeamten seien in der NS-Zeit eine "hilflose Beute der terroristischen Einwirkung von Staat und Partei" gewesen. Wie unverfroren solches Gerede war, wird besonders im zweiten Schwerpunkt von Wachsmanns quellengesättigter Untersuchung deutlich: in der erschütternden, bislang wenig beachteten Geschichte des Strafvollzugs. Von gnadenlosen Gerichten verlässlich gefüttert, entwickelten sich die Gefängnisse nach 1933 sogleich zu einem Hauptinstrument nationalsozialistischer Gewaltherrschaft. Bis 1943 hatte die Justiz ungleich viel mehr Häftlinge in ihrem Gewahrsam als die SS in ihren Konzentrationslagern; 1936 waren es 120 000 hier gegenüber 5000 dort. Insgesamt vervierfachte sich die Zahl der Inhaftierten zwischen 1928 und 1944 von 50 000 auf 200 000. Bis zu 20 Prozent von ihnen galten als "Politische". Rassische, soziale und politische Tatbestände verschränkten sich in der Urteilsfindung immer stärker.
Mit dem Machtantritt Hitlers wurde der Gedanke der Resozialisierung fallengelassen. Die Zuchthäuser und Strafgefangenenlager verwandelten sich in Orte der Abschreckung. Nach Kriegsbeginn verschärften sich die Zwangsarbeit und die rassische Komponente des Strafvollzugs noch. Nach einem Besuch in Auschwitz notierten Vollzugsbeamte 1944 erleichtert, sie hätten in dem SS-Lager nichts gesehen, was den Arbeitseinsatz der Justizgefangenen übertreffe. Von den in Bromberg Verurteilten starb jeder vierzigste Deutsche vor seiner Entlassung, doch jeder siebente Pole. Luftschutz für Häftlinge war unbekannt, ungefähr 20 000 von ihnen kamen deshalb bei Bombenangriffen um.
Doch damit nicht genug: Beinahe dieselbe Anzahl Gefangener lieferte die Justizverwaltung zur Ermordung an die SS aus. Wie der Massenmord an Kranken und die Vernichtung der Juden ging auch dieses Massaker direkt auf Hitler zurück. Die Begründung war ebenfalls rassisch-biologisch. Nachdem der Reichskanzler wiederholt verlangt hatte, Verbrecher dürften nicht "konserviert" werden, warnte er Reichsjustizminister Otto Georg Thierack, solcher Luxus laufe im Krieg, wo die rassisch Guten massenhaft fielen, auf eine biologische "Verschiebung im Gleichgewicht der Nation" hinaus. Der Minister, der in der Anwendung des Strafrechts eine "große volkshygienische Aufgabe" sah, reagierte in Absprache mit Himmler sofort. Die Minderwertigen müssten getötet werden, instruierte er seine Beamten, welche weder in Berlin noch in der Provinz dagegen protestierten, sondern die Aktion selbst als einen Beitrag betrachteten, um "die biologische Waage" zu halten.
Der Rest war Bürokratie und Routine. Die Auslieferung der Häftlinge zur Vernichtung durch Arbeit (die meisten keineswegs "Unverbesserliche") erfolgte seit November 1942 in mehreren Schüben und nach verschiedenen Kategorisierungen - weithin eine Vernichtung nach dem Maßstab rassischer und sozialer Vorurteile. Außerdem wollte die Justizverwaltung "nicht auf dem Krankenausschuss sitzenbleiben", wie ein altgedienter Beamter später einräumte. Die mörderische Qualität der Gefangenenauslieferung war allen Beteiligten bewusst, intern sprach man offen darüber.
Terror im "Dritten Reich" war in hohem Maße auch Justizterror. Er war einer der Grundpfeiler des Regimes. Die Justizelite wie die Vollzugsbeamten waren im Führerstaat kein normativer Gegenpol des nationalsozialistischen Gewalt- und Vernichtungssystems, sondern ein Teil davon. "Während sie Hitlers ,Willen' interpretierten", so Wachsmann, "setzten sie gleichzeitig ihre eigenen Ansichten um." Damit taten sie freilich nichts anderes als die meisten Funktionseliten damals.
KLAUS-DIETMAR HENKE.
Nikolaus Wachsmann: Gefangen unter Hitler. Justizterror und Strafvollzug im NS-Staat. Aus dem Englischen von Klaus-Dieter Schmidt. Siedler Verlag, München 2006. 624 S., 28,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die erschütternde, bislang wenig beachtete Geschichte des Strafvollzugs im "Dritten Reich"
Je gründlicher die Zeitgeschichtswissenschaft Hitlers Gewaltstaat ausleuchtet, in desto schieferem Lichte erscheinen gerade jene Deutungen nationalsozialistischer Herrschaft, die mit besonderer Verve vorgetragen wurden: die These von der "sich selbst überwachenden Gesellschaft" etwa oder die ebenso mangelhaft fundierte wie furios vermarktete Einordnung des "Dritten Reichs" als Volksstaat und Wohlfühldiktatur. Beides verkleinert den Faktor Gewalt. Komplett in die Irre führt der Versuch, den Nationalsozialismus als reaktiven Antikommunismus zu verniedlichen, um ihn so in eine salonfähige Tradition einzupassen. Nikolaus Wachsmanns gewichtige Studie bestätigt demgegenüber, dass der nationalsozialistischen Herrschaft namentlich der lange vor der bolschewistischen Machtergreifung entstandene Glaube zugrunde lag, politisch-gesellschaftliche Probleme ließen sich biologisch erklären und durch mitleidlose "Ausmerze" beheben. Daraus ergab sich das auf Ideologie und Gewalt gegründete Zentralprojekt dieser zwölf Jahre: die Gesundung des "Volkskörpers" durch seine Reinigung von politisch, sozial und rassisch zu "Gemeinschaftsfremden" Gestempelten.
Wachsmann führt uns eine Justiz vor Augen, die ebenso wie das Gros der Militärs, der Beamtenschaft und der Wirtschaftsmanager mit den neuen Machthabern rasch eine Symbiose zu beiderseitigem Nutzen einging. Nicht nur die maßgeblichen Justizbeamten, auch die untergeordneten Chargen waren zumeist froh, dass die liberalen Weimarer Jahre vorüber waren und sie dem vergötterten Führer zuarbeiten konnten. Ihre Konflikte mit Partei und Polizei bremsten die Vernichtungsmaschinerie keineswegs, sondern trieben die von Hitler als Relikt überwundener Zeiten angesehene Justiz zu immer dienstfertigerer Vorwegnahme des vermuteten Führerwillens.
Während des Krieges überstieg die Anzahl der Todesurteile jene in den zivilisierten Ländern um ein Vielhundertfaches. Die deutsche Justiz arbeitete selbst immer entschlossener an der Auflösung des rechtlichen Normengefüges mit. Obgleich der Nürnberger Juristenprozess 1947 zu dem Urteil gefunden hatte, das Reichsjustizministerium habe die "schmutzige Arbeit" übernommen, welche "die Staatsführer forderten", hinderte das den früheren Präsidenten des Bundesgerichtshof Hermann Weinkauff noch 1968 nicht an der Einlassung, die deutschen Justizbeamten seien in der NS-Zeit eine "hilflose Beute der terroristischen Einwirkung von Staat und Partei" gewesen. Wie unverfroren solches Gerede war, wird besonders im zweiten Schwerpunkt von Wachsmanns quellengesättigter Untersuchung deutlich: in der erschütternden, bislang wenig beachteten Geschichte des Strafvollzugs. Von gnadenlosen Gerichten verlässlich gefüttert, entwickelten sich die Gefängnisse nach 1933 sogleich zu einem Hauptinstrument nationalsozialistischer Gewaltherrschaft. Bis 1943 hatte die Justiz ungleich viel mehr Häftlinge in ihrem Gewahrsam als die SS in ihren Konzentrationslagern; 1936 waren es 120 000 hier gegenüber 5000 dort. Insgesamt vervierfachte sich die Zahl der Inhaftierten zwischen 1928 und 1944 von 50 000 auf 200 000. Bis zu 20 Prozent von ihnen galten als "Politische". Rassische, soziale und politische Tatbestände verschränkten sich in der Urteilsfindung immer stärker.
Mit dem Machtantritt Hitlers wurde der Gedanke der Resozialisierung fallengelassen. Die Zuchthäuser und Strafgefangenenlager verwandelten sich in Orte der Abschreckung. Nach Kriegsbeginn verschärften sich die Zwangsarbeit und die rassische Komponente des Strafvollzugs noch. Nach einem Besuch in Auschwitz notierten Vollzugsbeamte 1944 erleichtert, sie hätten in dem SS-Lager nichts gesehen, was den Arbeitseinsatz der Justizgefangenen übertreffe. Von den in Bromberg Verurteilten starb jeder vierzigste Deutsche vor seiner Entlassung, doch jeder siebente Pole. Luftschutz für Häftlinge war unbekannt, ungefähr 20 000 von ihnen kamen deshalb bei Bombenangriffen um.
Doch damit nicht genug: Beinahe dieselbe Anzahl Gefangener lieferte die Justizverwaltung zur Ermordung an die SS aus. Wie der Massenmord an Kranken und die Vernichtung der Juden ging auch dieses Massaker direkt auf Hitler zurück. Die Begründung war ebenfalls rassisch-biologisch. Nachdem der Reichskanzler wiederholt verlangt hatte, Verbrecher dürften nicht "konserviert" werden, warnte er Reichsjustizminister Otto Georg Thierack, solcher Luxus laufe im Krieg, wo die rassisch Guten massenhaft fielen, auf eine biologische "Verschiebung im Gleichgewicht der Nation" hinaus. Der Minister, der in der Anwendung des Strafrechts eine "große volkshygienische Aufgabe" sah, reagierte in Absprache mit Himmler sofort. Die Minderwertigen müssten getötet werden, instruierte er seine Beamten, welche weder in Berlin noch in der Provinz dagegen protestierten, sondern die Aktion selbst als einen Beitrag betrachteten, um "die biologische Waage" zu halten.
Der Rest war Bürokratie und Routine. Die Auslieferung der Häftlinge zur Vernichtung durch Arbeit (die meisten keineswegs "Unverbesserliche") erfolgte seit November 1942 in mehreren Schüben und nach verschiedenen Kategorisierungen - weithin eine Vernichtung nach dem Maßstab rassischer und sozialer Vorurteile. Außerdem wollte die Justizverwaltung "nicht auf dem Krankenausschuss sitzenbleiben", wie ein altgedienter Beamter später einräumte. Die mörderische Qualität der Gefangenenauslieferung war allen Beteiligten bewusst, intern sprach man offen darüber.
Terror im "Dritten Reich" war in hohem Maße auch Justizterror. Er war einer der Grundpfeiler des Regimes. Die Justizelite wie die Vollzugsbeamten waren im Führerstaat kein normativer Gegenpol des nationalsozialistischen Gewalt- und Vernichtungssystems, sondern ein Teil davon. "Während sie Hitlers ,Willen' interpretierten", so Wachsmann, "setzten sie gleichzeitig ihre eigenen Ansichten um." Damit taten sie freilich nichts anderes als die meisten Funktionseliten damals.
KLAUS-DIETMAR HENKE.
Nikolaus Wachsmann: Gefangen unter Hitler. Justizterror und Strafvollzug im NS-Staat. Aus dem Englischen von Klaus-Dieter Schmidt. Siedler Verlag, München 2006. 624 S., 28,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Rezensent Horst Meier ist auf mehreren Ebenen beeindruckt von diesem Buch über den Strafvollzug in der Nazizeit. Was der Autor Nikolaus Wachsmann hier zusammengetragen hat, schließt Meiers Meinung nach nicht nur eine Forschungslücke, sondern ist zugleich ein ebenso "mitfühlendes" wie "kluges Buch, das den immensen Stoff souverän bewältigt, das spannend erzählt, kühl analysiert und vielschichtig argumentiert". Eine Erkenntnis, die der Rezensent aus der Lektüre zieht, ist, dass die Rolle der Jurisdiktion tragender für den Terrorstaat war, als das bislang gemeinhin angenommen wurde. Auch wenn das Leben im Gefängnis nicht ganz mit dem Sterben in den Konzentrationslagern vergleichbar war, so ging es dort doch wesentlich brutaler zu als gemeinhin angenommen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Alles in allem, Nikolaus Wachsmann hat ein Standardwerk geschrieben, das in einer Reihe stehen wird mit denen von Bernd Rüthers und Lothar Gruchmann." Die Zeit