»In dem deutschen Land verstehen sie kein Wort, und ich wage nicht zu sprechen.« Diese Worte sang Jasbahadur Rai am 6. Juni 1916 in den Trichter eines Grammophons. Als indischer Kolonialsoldat in der britischen Armee befand er sich zum Zeitpunkt seiner Tonaufnahme in einem Kriegsgefangenenlager in Wünsdorf, nicht weit von Berlin. Er sang in seiner Sprache davon, wie er Europa wahrnahm, und zugleich erzählte er, dass er kaum wage zu sprechen. Zu wem hat er gesprochen, als er trotzdem die Stimme erhob?Die Kulturwissenschaftlerin Britta Lange erforschte Tonaufnahmen von männlichen Kriegsgefangenen aus dem Lautarchiv der Humboldt-Universität zu Berlin, angefertigt in deutschen Lagern, von Wissenschaftlern der Königlich Preußischen Phonographischen Kommission während des Ersten Weltkriegs. In diesem Buch geht sie jenen Stimmen nach, die heute auf Schellackplatten erhalten sind. Jedes Kapitel stellt dabei eine neue Begegnung dar und wirft vielschichtige Fragen auf: Wie können die historischen Zeugnisse heute nicht nur gehört, sondern auch erhört werden? Und welche Formen der Übersetzungen fordern sie heraus? In mehrfacher Hinsicht gefangen offenbaren die Stimmen in dieser umfangreichen Studie nicht nur ihre historische Gemachtheit als Tonaufnahme, sondern sie sind auch in der Lage, gegenwärtige Deutungen von archivarischer und wissenschaftlicher Praxis zu reflektieren.inklusive Audio-CD (produziert von Britta Lange und Sebastian Schwesinger)
Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension
Rezensentin Julia Tieke ist beeindruckt von der Bandbreite historischer und kulturwissenschaftlicher Befunde, die Britta Lange in ihrem Buch (CD inklusive) über Tonaufnahmen von Kriegsgefangenen aus dem Zweiten Weltkrieg herausgearbeitet hat. Tieke lobt den experimentellen, postkolonial-kritischen Ansatz, mit dem die Historikerin sich hier abseits linguistischer Untersuchungen den Inhalten und den Schicksalen hinter den Stimmen widme. Dabei sei sich Lange ihrer Hörerposition stets bewusst und mache anschaulich, wie Tonaufnahmen von technischen, institutionellen und ideologischen Faktoren beeinflusst seien, so die Rezensentin. Die Fülle an Informationen und an noch unentdecktem Material findet sie dabei an mehreren Stellen "atemberaubend"
© Perlentaucher Medien GmbH
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