Produktdetails
- Verlag: Heidelberg : Spektrum, Akad. Verl.
- ISBN-13: 9783827421173
- ISBN-10: 3827421179
- Artikelnr.: 25571922
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.01.2010Gelassen sei der Geist und doch von Mitgefühl bewegt
Wer häufiger ausrastet, sollte dringend etwas für sein seelisches Gleichgewicht tun. Der Emotionsforscher Paul Ekman hat sich mit dem Dalai-Lama über die Macht der Gefühle unterhalten.
Angenommen, Sie gehen, bepackt mit zwei Koffern die Straße hinunter. Jemand stellt sich ihnen in den Weg, so dass Sie nicht vorbeikönnen, und fragt dreist: "Haste ein Problem?" Wenn Sie jetzt ärgerlich werden und entsprechend antworten, nimmt die Sache vermutlich keinen guten Lauf. Sie könnten sich aber auch zusammenreißen und etwa antworten: "Ich möchte Ihnen keine Unannehmlichkeiten bereiten, aber ich habe hier diese schweren Koffer, könnten Sie mir helfen?"
Kognitive Umstrukturierung heißt dieses Verfahren, eine scheinbar eindeutige Situation in einen neuen Rahmen zu stellen. Der Emotionsforscher Paul Ekman und der Dalai Lama haben sich, verteilt auf drei Treffen, vierzig Stunden lang darüber unterhalten, wie solche kognitiven Umstrukturierungen realisiert werden können, um Menschen dazu zu bringen, ihre negativen Emotionen im Zaum zu halten und stattdessen ein umfassendes Mitgefühl zu entwickeln. Das Gespräch wurde aufgezeichnet, Ekman hat es um Erläuterungen verschiedener Wissenschaftler und Buddhisten zu zentralen Begriffen ergänzt und es nun als Buch herausgegeben.
Dalai Lama und globales Mitgefühl, das klingt nach Friede, Freude, Eierkuchen, doch das trifft auf dieses Unternehmen durchaus nicht zu. Es geht vielmehr um eine subtile Analyse des emotionalen Erlebens und darum, den "Weg des Verstandes" gegen zu viel Emotionalität zu verteidigen. Lange galten Emotionen schließlich nur als Klotz am Bein der Vernunft. Doch seit Antonio Damasio beschrieb, dass Entscheidungen ohne Emotionen nicht rational, sondern überhaupt nicht getroffen werden, und Daniel Coleman die "emotionale Intelligenz" aus der Taufe hob, schlägt das Pendel in die Gegenrichtung aus. Da ist Ekmans Erinnerung überfällig, dass Emotionen uns auch ins Unglück stürzen können.
Ekman unterscheidet Stimmungen und Emotionen. Stimmungen dauern länger an als Emotionen, sie sind eine Art Filter, die die Sicht auf die Welt verengen und verzerren. In schlechter Stimmung machen wir alles nur noch schlimmer, in guter sind wir unsensibel für Probleme, die wir besser nicht übergehen sollten. Es wäre deshalb besser, so Ekman, wir hätten gar keine Stimmungen. Emotionen hingegen können gut oder schlecht sein, können konstruktiv oder destruktiv zum Ausdruck gebracht werden. Anders als das westliche Klischee vom Buddhismus erwarten lässt, stimmt der Dalai Lama zu: Emotionen seien nicht grundsätzlich negative Erregungen des Geistes. Durch Mitgefühl ausgelöste Empörung etwa könne durchaus konstruktiv sein.
Emotionen, so Ekman, kommen und gehen schnell und ohne bewusste Steuerung. Oft merken Menschen nicht einmal, wenn sie emotional werden. Je länger dieser Zustand anhält, desto unrealistischer wird die emotionale Sicht auf die Welt und desto mehr Leid wird das emotionale Handeln verursachen.
Die Frage ist, ob die von Ekman als Form kognitiver Umstrukturierung verstandene buddhistische Meditation helfen kann, Menschen so zu schulen, dass sie das Aufkommen von Emotionen früh genug bemerken, um die Realitätsverzerrung gering zu halten. Wenn wir ausgeglichenere Menschen werden wollen, so Ekman, müssen wir dem Bewusstsein mehr Mitwirkung erlauben - gegen unsere Natur. Denn dass das Emotionssystem schnell und unbewusst funktioniert, hatte evolutionär eben seinen Sinn.
Ein besonderer Stellenwert kommt dabei der Achtsamkeitsmeditation zu, die lehrt, das eigene Befinden und das der anderen sorgfältig wahrzunehmen. Wenn man über andere Prozesse meditiert, die unbewusst ablaufen, etwa die Atmung, so Ekman, könnte das dazu befähigen, die automatisch ablaufenden Emotionen besser zu beobachten. Sich im Nachhinein zu ärgern, dass man emotional gehandelt hat, ist Kindergartenniveau, so der Dalai Lama. Ekman spinnt den Faden fort: Der fortgeschrittene Schüler erkennt in der emotionalen Episode, wie es um ihn steht; der Doktorand erkennt den emotionalen Impuls schon, bevor er handelt; der Meister dürfte nicht einmal mehr den Impuls erleben, destruktiv zu handeln.
Ekman und der Dalai Lama sprechen über Groll und Hass, über Schuld und Verzeihen und die Möglichkeit, Mitgefühl zu kultivieren und auch in Extremsituationen emotionales Gleichgewicht zu bewahren. Dabei geht es nicht darum, den Problemen des Zusammenlebens in der Massengesellschaft durch weltabgewandte Versenkung in sich selbst zu entfliehen. Die Meditation, wie der Dalai Lama sie beschreibt, entpuppt sich vielmehr als analytische Phänomenologie und Selbsttherapie zugleich.
Der wissenschaftliche und der buddhistische Ansatz widersprechen sich nicht, versichert der Dalai Lama. Seine Anhänger ermahnt er, keine "Anhaftung", kein übertriebenes Klammern an den Buddhismus zu entwickeln. Und Ekman ist fasziniert: Die begrifflichen Unterscheidungen, die er ins Gespräch bringt, sind allerdings aus Sicht seines Gesprächspartners oft zu wenig differenziert: "Sie haben nie eine einfache Sicht auf die Dinge!", stöhnt er, als der Dalai Lama über die verschiedenen Arten des Wissens referiert.
Da wir die Emotionen nicht loswerden können, müssen wir lernen, intelligent mit ihnen umzugehen, so Ekman. Das geeignete Mittel ist das Mitgefühl, denn dieses ist - da sind sich beide einig - weder eine Emotion noch eine Stimmung, weil es den Blick auf die Realität nicht verstellt, sondern genauer macht. Die zentrale Frage ist also, so Ekman, wie das Mitgefühl gefördert werden kann. Seine Förderung müsse fester Bestandteil des Bildungssystems sein, fordert der Dalai Lama. Und Ekman steuert noch eine Vision für die Zukunft dazu bei: Wir brauchen "spirituelle Fitnessstudios", mit Stressdekompressionskammern, Inspirations-, Metaaufmerksamkeits- und Gütezimmern und einem Stressometer, der die Fortschritte im emotionalen Gleichgewicht misst.
MANUELA LENZEN
"Gefühl und Mitgefühl". Emotionale Achtsamkeit und der Weg zum seelischen Gleichgewicht. Ein Dialog zwischen dem Dalai Lama und Paul Ekman. Herausgegeben von Paul Ekman. Spektrum Verlag, Heidelberg 2009. 354 S., geb., 24,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wer häufiger ausrastet, sollte dringend etwas für sein seelisches Gleichgewicht tun. Der Emotionsforscher Paul Ekman hat sich mit dem Dalai-Lama über die Macht der Gefühle unterhalten.
Angenommen, Sie gehen, bepackt mit zwei Koffern die Straße hinunter. Jemand stellt sich ihnen in den Weg, so dass Sie nicht vorbeikönnen, und fragt dreist: "Haste ein Problem?" Wenn Sie jetzt ärgerlich werden und entsprechend antworten, nimmt die Sache vermutlich keinen guten Lauf. Sie könnten sich aber auch zusammenreißen und etwa antworten: "Ich möchte Ihnen keine Unannehmlichkeiten bereiten, aber ich habe hier diese schweren Koffer, könnten Sie mir helfen?"
Kognitive Umstrukturierung heißt dieses Verfahren, eine scheinbar eindeutige Situation in einen neuen Rahmen zu stellen. Der Emotionsforscher Paul Ekman und der Dalai Lama haben sich, verteilt auf drei Treffen, vierzig Stunden lang darüber unterhalten, wie solche kognitiven Umstrukturierungen realisiert werden können, um Menschen dazu zu bringen, ihre negativen Emotionen im Zaum zu halten und stattdessen ein umfassendes Mitgefühl zu entwickeln. Das Gespräch wurde aufgezeichnet, Ekman hat es um Erläuterungen verschiedener Wissenschaftler und Buddhisten zu zentralen Begriffen ergänzt und es nun als Buch herausgegeben.
Dalai Lama und globales Mitgefühl, das klingt nach Friede, Freude, Eierkuchen, doch das trifft auf dieses Unternehmen durchaus nicht zu. Es geht vielmehr um eine subtile Analyse des emotionalen Erlebens und darum, den "Weg des Verstandes" gegen zu viel Emotionalität zu verteidigen. Lange galten Emotionen schließlich nur als Klotz am Bein der Vernunft. Doch seit Antonio Damasio beschrieb, dass Entscheidungen ohne Emotionen nicht rational, sondern überhaupt nicht getroffen werden, und Daniel Coleman die "emotionale Intelligenz" aus der Taufe hob, schlägt das Pendel in die Gegenrichtung aus. Da ist Ekmans Erinnerung überfällig, dass Emotionen uns auch ins Unglück stürzen können.
Ekman unterscheidet Stimmungen und Emotionen. Stimmungen dauern länger an als Emotionen, sie sind eine Art Filter, die die Sicht auf die Welt verengen und verzerren. In schlechter Stimmung machen wir alles nur noch schlimmer, in guter sind wir unsensibel für Probleme, die wir besser nicht übergehen sollten. Es wäre deshalb besser, so Ekman, wir hätten gar keine Stimmungen. Emotionen hingegen können gut oder schlecht sein, können konstruktiv oder destruktiv zum Ausdruck gebracht werden. Anders als das westliche Klischee vom Buddhismus erwarten lässt, stimmt der Dalai Lama zu: Emotionen seien nicht grundsätzlich negative Erregungen des Geistes. Durch Mitgefühl ausgelöste Empörung etwa könne durchaus konstruktiv sein.
Emotionen, so Ekman, kommen und gehen schnell und ohne bewusste Steuerung. Oft merken Menschen nicht einmal, wenn sie emotional werden. Je länger dieser Zustand anhält, desto unrealistischer wird die emotionale Sicht auf die Welt und desto mehr Leid wird das emotionale Handeln verursachen.
Die Frage ist, ob die von Ekman als Form kognitiver Umstrukturierung verstandene buddhistische Meditation helfen kann, Menschen so zu schulen, dass sie das Aufkommen von Emotionen früh genug bemerken, um die Realitätsverzerrung gering zu halten. Wenn wir ausgeglichenere Menschen werden wollen, so Ekman, müssen wir dem Bewusstsein mehr Mitwirkung erlauben - gegen unsere Natur. Denn dass das Emotionssystem schnell und unbewusst funktioniert, hatte evolutionär eben seinen Sinn.
Ein besonderer Stellenwert kommt dabei der Achtsamkeitsmeditation zu, die lehrt, das eigene Befinden und das der anderen sorgfältig wahrzunehmen. Wenn man über andere Prozesse meditiert, die unbewusst ablaufen, etwa die Atmung, so Ekman, könnte das dazu befähigen, die automatisch ablaufenden Emotionen besser zu beobachten. Sich im Nachhinein zu ärgern, dass man emotional gehandelt hat, ist Kindergartenniveau, so der Dalai Lama. Ekman spinnt den Faden fort: Der fortgeschrittene Schüler erkennt in der emotionalen Episode, wie es um ihn steht; der Doktorand erkennt den emotionalen Impuls schon, bevor er handelt; der Meister dürfte nicht einmal mehr den Impuls erleben, destruktiv zu handeln.
Ekman und der Dalai Lama sprechen über Groll und Hass, über Schuld und Verzeihen und die Möglichkeit, Mitgefühl zu kultivieren und auch in Extremsituationen emotionales Gleichgewicht zu bewahren. Dabei geht es nicht darum, den Problemen des Zusammenlebens in der Massengesellschaft durch weltabgewandte Versenkung in sich selbst zu entfliehen. Die Meditation, wie der Dalai Lama sie beschreibt, entpuppt sich vielmehr als analytische Phänomenologie und Selbsttherapie zugleich.
Der wissenschaftliche und der buddhistische Ansatz widersprechen sich nicht, versichert der Dalai Lama. Seine Anhänger ermahnt er, keine "Anhaftung", kein übertriebenes Klammern an den Buddhismus zu entwickeln. Und Ekman ist fasziniert: Die begrifflichen Unterscheidungen, die er ins Gespräch bringt, sind allerdings aus Sicht seines Gesprächspartners oft zu wenig differenziert: "Sie haben nie eine einfache Sicht auf die Dinge!", stöhnt er, als der Dalai Lama über die verschiedenen Arten des Wissens referiert.
Da wir die Emotionen nicht loswerden können, müssen wir lernen, intelligent mit ihnen umzugehen, so Ekman. Das geeignete Mittel ist das Mitgefühl, denn dieses ist - da sind sich beide einig - weder eine Emotion noch eine Stimmung, weil es den Blick auf die Realität nicht verstellt, sondern genauer macht. Die zentrale Frage ist also, so Ekman, wie das Mitgefühl gefördert werden kann. Seine Förderung müsse fester Bestandteil des Bildungssystems sein, fordert der Dalai Lama. Und Ekman steuert noch eine Vision für die Zukunft dazu bei: Wir brauchen "spirituelle Fitnessstudios", mit Stressdekompressionskammern, Inspirations-, Metaaufmerksamkeits- und Gütezimmern und einem Stressometer, der die Fortschritte im emotionalen Gleichgewicht misst.
MANUELA LENZEN
"Gefühl und Mitgefühl". Emotionale Achtsamkeit und der Weg zum seelischen Gleichgewicht. Ein Dialog zwischen dem Dalai Lama und Paul Ekman. Herausgegeben von Paul Ekman. Spektrum Verlag, Heidelberg 2009. 354 S., geb., 24,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Die in über vierzig Stunden Gespräch errungenen Erkenntnisse des Emotionsforschers Paul Ekman und des Dalai Lama in Sachen kognitiver Umstrukturierung zeigen bei Manuela Lenzen schon ihre Wirkung. Aufmerksam, doch ohne realitätsverzerrende emotionale Regung liest sie die "subtile Analyse des emotionalen Erlebens", von Hass, Schuld und Mitgefühl und ihrer Steuerung mittels buddhistischer Meditation, die Ekman um Begriffserläuterungen ergänzt hat. Erstaunt stellt die Rezensentin fest, dass der wissenschaftliche und der buddhistische Ansatz einander nicht widersprechen. Die Meditation, fasst Lenzen zusammen, erweist sich als analytische Phänomenologie und Selbsttherapie mit dem Ziel eines intelligenten, auf Mitgefühl basierenden Umgangs mit Emotionen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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