Wer in diesem Buch die Annahme bestätigt bekommen möchte, daß der Kapitalismus zu einer distanzierten, kühlen und unemotionalen Welt geführt habe, in der sich ökonomisches Handeln und das Reich der authentischen Gefühle unversöhnlich gegenüberstehen, wird sich verwundert die Augen reiben. Die israelische Soziologin Eva Illouz geht vielmehr von der These aus, daß die Kultur des Kapitalismus eine intensive emotionale Kultur ausgebildet hat: am Arbeitsplatz, in der Familie und in jeder Form von sozialen Beziehungen. Und sie geht weiter: Während ökonomische Beziehungen immer mehr und immer weitgehender durch Gefühle bestimmt werden, gilt für das Reich der Gefühle das Umgekehrte: Sie werden ihrerseits durch eine Ökonomisierung geprägt, die von der ersten Kontaktaufnahme bis zur Trennung das Gefühlsleben reguliert. Dieses wird in immer deutlicherer Weise geprägt durch Verhandlungen, Austausch, Investitionen und Eigenkapital. Wer hat noch nicht davon gesprochen, etwas in eine Beziehung zu investieren? Illouz faßt dieses eigentümliche Verhältnis als emotionalen Kapitalismus und geht ihm in verschiedenen Feldern nach. Sie untersucht die neue Form der Gefühle im Internet-Chat und in Partnerbörsen, in Lifestyle-Magazinen und in Filmen, nimmt aber auch jene Berufsgruppe in den Blick, die aus den Irrungen und Wirrungen der Gefühle ihr Kapital zieht: die klinischen Psychologen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.03.2006Unsere Gefühle in höchster Gefahr
Während sich die Gründer des Instituts für Sozialforschung noch der Sexualität zuwandten, um auszuloten, wie die Natur des Menschen am ökonomischen System Schaden nimmt, wird dieser Kasus heute lieber unter dem Stichwort der "Emotionen" verhandelt. Mit ihrer vielbeachteten Studie über den "Konsum der Romantik", die in der Schriftenreihe des Frankfurter Instituts veröffentlicht wurde (F.A.Z. vom 7. Oktober 2003), hat die in Israel lehrende Soziologin Eva Illouz der Debatte um die emotionalen Nebenwirkungen des Kapitalismus eine nicht ganz unerwartete Wendung gegeben: Am Beispiel der romantischen Liebe, jener vermeintlichen Bastion des Unkalkulierten, erläuterte sie, daß der Markt nicht etwa einen natürlichen Reichtum des Gefühls austrockne, sondern daß er das Gefühlsleben umgekehrt durch seine Produkte bereichere und kultiviere.
Anfang letzten Jahres hielt Illouz die gemeinsam vom Institut für Sozialforschung und dem Suhrkamp Verlag veranstaltete dritte Frankfurter Adorno-Vorlesung. Die drei abendfüllenden Vorträge, die wegen der Geburt eines Kindes um einige Monate verschoben werden mußten, sind jetzt in einer eingängigen Übersetzung bei Adornos Hausverlag erschienen (Eva Illouz: "Gefühle in Zeiten des Kapitalismus". Adorno-Vorlesungen 2004. Aus dem Englischen von Martin Hartmann. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006. 170 S., br., 14,80 [Euro].) Der Bezug auf den Vater der Kritischen Theorie, so merkt man von Vorlesung zu Vorlesung immer deutlicher, hat aber offenbar Illouz' Vertrauen in die friedliche Koexistenz von Warenform und wahrem Gefühl erschüttert. Die "Gefühle in Zeiten des Kapitalismus", zumindest des vom Internet medial durchdrungenen Kapitalismus, schweben ihrer Darstellung des "spätkapitalistischen emotionalen Stils" zufolge nun doch in höchster Gefahr.
Dabei beginnt alles recht versöhnlich mit dem Siegeszug der Psychoanalyse in den Vereinigten Staaten. Durch Vermittlung des C.-G.-Jung-Schülers Elton Mayo traf die Lehre vom Unbewußten dort in den zwanziger Jahren auf Bestrebungen, die Führung von Unternehmen mit Hilfe psychologischen Wissens effizienter zu gestalten. Was Adorno noch wie eine Instrumentalisierung der psychoanalytischen Technik für die falschen, profitmaximierenden Zwecke erschienen sein muß, konstruiert Illouz als Teil einer fast spiegelbildlichen Emanzipation der Geschlechter: So wie die "therapeutische Kultur" den Feminismus rund vierzig Jahre später in die Lage versetzte, das Machtgefälle in Intimbeziehungen einzuebnen, bewirkte sie im Unternehmen nicht nur eine Demokratisierung der Arbeitsverhältnisse, sondern angeblich auch eine "Neuausrichtung der Maskulinität auf weibliche Selbstmuster".
Schon in der zweiten Vorlesung aber entwickelt die Geschichte vom "Aufstieg des Homo Sentimentalis" einen herben Beigeschmack. Illouz macht hier deutlich, wie schlecht sich Emotionen eigentlich im therapeutischen Diskurs verflüssigen lassen und wie wenig Kommunikation überhaupt zu deren "situativer und indexikalischer" Natur paßt. Durch "das Einsperren der Emotionen in die geschriebene Sprache" würden Gefühle aus ihrem leiblich gebundenen Zusammenhang gerissen und verdinglicht. Diese etwas unmoderne Sprachskepsis verbindet die Autorin mit der postmodernen These von der "Performativität des therapeutischen Narrativs": Der zum Beispiel in Form von Psychotherapien, Ratgeberliteratur oder Talk-Shows institutionalisierten Sorge um das eigene Selbst schreibt sie die Macht zu, das Leiden, über das zum Zweck der "Selbstverwirklichung" unablässig gesprochen und geschrieben werden muß, gleichzeitig zu produzieren. Deshalb ist die Psychologie für Illouz nicht nur die Schule emotionaler Kompetenz, sondern, frei nach Karl Kraus, auch die Krankheit, für deren Therapie sie sich hält.
In der virtuellen Welt der Internet-Partnerschaftsdienste (dritte Vorlesung "Romantische Netze") verliert Illouz aber endgültig die Geduld mit dem spätkapitalistischen Subjekt. Wo sie erwartet, die Konturen postmoderner Identitäten im Rollenspiel verschwimmen zu sehen, begegnet ihr in standardisierten "Profilen", mit deren Hilfe die Online-Suchdienste ihre Nutzern passende Partner zuordnen, nichts als die alte Illusion einer festumrissenen Identität. Ihre auf psychologischem Wissen basierende schriftliche Selbstauslegung ist für Illouz Inbegriff der Selbstentfremdung. Die invertierte Form des Kennenlernens, die sich vom abstrakten Wissen der Profile, über den Chat und das Telefonat erst allmählich zur konkreten Wahrnehmung des anderen vortastet, verschärft angeblich das Problem, weil sie unser intuitives Urteil (Liebe auf den ersten Blick) korrumpiert. "Verbales Überschatten" nennen Kognitionspsychologen eine solche Störung "visueller Prozesse".
Weil das Internet der Phantasie keine körpergerechten Grenzen mehr setzt, so Illouz' Fazit, wird hier die Utopie unstrategischer Zweisamkeit, die sich mit der Warenwelt ganz gut arrangiert hatte, am Ende doch geopfert. Wer nicht ganz so viel Vertrauen in die Weisheit körperlicher Reaktionen, dafür aber etwas mehr Spaß an ihnen hätte, könnte es sich vielleicht leisten, das Projekt romantischer Liebe auch im Reich hyperrealer Zeichen weiterzuverfolgen.
BETTINA ENGELS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Während sich die Gründer des Instituts für Sozialforschung noch der Sexualität zuwandten, um auszuloten, wie die Natur des Menschen am ökonomischen System Schaden nimmt, wird dieser Kasus heute lieber unter dem Stichwort der "Emotionen" verhandelt. Mit ihrer vielbeachteten Studie über den "Konsum der Romantik", die in der Schriftenreihe des Frankfurter Instituts veröffentlicht wurde (F.A.Z. vom 7. Oktober 2003), hat die in Israel lehrende Soziologin Eva Illouz der Debatte um die emotionalen Nebenwirkungen des Kapitalismus eine nicht ganz unerwartete Wendung gegeben: Am Beispiel der romantischen Liebe, jener vermeintlichen Bastion des Unkalkulierten, erläuterte sie, daß der Markt nicht etwa einen natürlichen Reichtum des Gefühls austrockne, sondern daß er das Gefühlsleben umgekehrt durch seine Produkte bereichere und kultiviere.
Anfang letzten Jahres hielt Illouz die gemeinsam vom Institut für Sozialforschung und dem Suhrkamp Verlag veranstaltete dritte Frankfurter Adorno-Vorlesung. Die drei abendfüllenden Vorträge, die wegen der Geburt eines Kindes um einige Monate verschoben werden mußten, sind jetzt in einer eingängigen Übersetzung bei Adornos Hausverlag erschienen (Eva Illouz: "Gefühle in Zeiten des Kapitalismus". Adorno-Vorlesungen 2004. Aus dem Englischen von Martin Hartmann. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006. 170 S., br., 14,80 [Euro].) Der Bezug auf den Vater der Kritischen Theorie, so merkt man von Vorlesung zu Vorlesung immer deutlicher, hat aber offenbar Illouz' Vertrauen in die friedliche Koexistenz von Warenform und wahrem Gefühl erschüttert. Die "Gefühle in Zeiten des Kapitalismus", zumindest des vom Internet medial durchdrungenen Kapitalismus, schweben ihrer Darstellung des "spätkapitalistischen emotionalen Stils" zufolge nun doch in höchster Gefahr.
Dabei beginnt alles recht versöhnlich mit dem Siegeszug der Psychoanalyse in den Vereinigten Staaten. Durch Vermittlung des C.-G.-Jung-Schülers Elton Mayo traf die Lehre vom Unbewußten dort in den zwanziger Jahren auf Bestrebungen, die Führung von Unternehmen mit Hilfe psychologischen Wissens effizienter zu gestalten. Was Adorno noch wie eine Instrumentalisierung der psychoanalytischen Technik für die falschen, profitmaximierenden Zwecke erschienen sein muß, konstruiert Illouz als Teil einer fast spiegelbildlichen Emanzipation der Geschlechter: So wie die "therapeutische Kultur" den Feminismus rund vierzig Jahre später in die Lage versetzte, das Machtgefälle in Intimbeziehungen einzuebnen, bewirkte sie im Unternehmen nicht nur eine Demokratisierung der Arbeitsverhältnisse, sondern angeblich auch eine "Neuausrichtung der Maskulinität auf weibliche Selbstmuster".
Schon in der zweiten Vorlesung aber entwickelt die Geschichte vom "Aufstieg des Homo Sentimentalis" einen herben Beigeschmack. Illouz macht hier deutlich, wie schlecht sich Emotionen eigentlich im therapeutischen Diskurs verflüssigen lassen und wie wenig Kommunikation überhaupt zu deren "situativer und indexikalischer" Natur paßt. Durch "das Einsperren der Emotionen in die geschriebene Sprache" würden Gefühle aus ihrem leiblich gebundenen Zusammenhang gerissen und verdinglicht. Diese etwas unmoderne Sprachskepsis verbindet die Autorin mit der postmodernen These von der "Performativität des therapeutischen Narrativs": Der zum Beispiel in Form von Psychotherapien, Ratgeberliteratur oder Talk-Shows institutionalisierten Sorge um das eigene Selbst schreibt sie die Macht zu, das Leiden, über das zum Zweck der "Selbstverwirklichung" unablässig gesprochen und geschrieben werden muß, gleichzeitig zu produzieren. Deshalb ist die Psychologie für Illouz nicht nur die Schule emotionaler Kompetenz, sondern, frei nach Karl Kraus, auch die Krankheit, für deren Therapie sie sich hält.
In der virtuellen Welt der Internet-Partnerschaftsdienste (dritte Vorlesung "Romantische Netze") verliert Illouz aber endgültig die Geduld mit dem spätkapitalistischen Subjekt. Wo sie erwartet, die Konturen postmoderner Identitäten im Rollenspiel verschwimmen zu sehen, begegnet ihr in standardisierten "Profilen", mit deren Hilfe die Online-Suchdienste ihre Nutzern passende Partner zuordnen, nichts als die alte Illusion einer festumrissenen Identität. Ihre auf psychologischem Wissen basierende schriftliche Selbstauslegung ist für Illouz Inbegriff der Selbstentfremdung. Die invertierte Form des Kennenlernens, die sich vom abstrakten Wissen der Profile, über den Chat und das Telefonat erst allmählich zur konkreten Wahrnehmung des anderen vortastet, verschärft angeblich das Problem, weil sie unser intuitives Urteil (Liebe auf den ersten Blick) korrumpiert. "Verbales Überschatten" nennen Kognitionspsychologen eine solche Störung "visueller Prozesse".
Weil das Internet der Phantasie keine körpergerechten Grenzen mehr setzt, so Illouz' Fazit, wird hier die Utopie unstrategischer Zweisamkeit, die sich mit der Warenwelt ganz gut arrangiert hatte, am Ende doch geopfert. Wer nicht ganz so viel Vertrauen in die Weisheit körperlicher Reaktionen, dafür aber etwas mehr Spaß an ihnen hätte, könnte es sich vielleicht leisten, das Projekt romantischer Liebe auch im Reich hyperrealer Zeichen weiterzuverfolgen.
BETTINA ENGELS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Der Rezensentin Bettina Engels entgeht nicht, wie das Vertrauen der Autorin Eva Illouz an eine friedliche Koexistenz von Emotion und Kapitalismus in diesem Band Seite für Seite schwindet. Engels kommt nicht umhin, den Bezug der Texte auf die Überfigur Adorno dafür verantwortlich zu machen. In insgesamt drei Vorlesungen nähert sich die Soziologin Illouz ihrem Thema. Vom hoffnungsfrohen Siegeszug der Psychoanalyse über "eine etwas unmoderne Sprachskepsis", mit der die Autorin laut Engels die Talk-Kultur der therapeutischen Kontraproduktivität überführt, bis hin zum endgültigen Bruch mit dem spätkapitalistischen Subjekt im Netz der Online-Partnerschaftsbörsen verläuft der Weg, auf dem die Rezensentin der Soziologin folgt. Das desillusionierende Fazit des Bandes, wonach die Utopie unstrategischer Zweisamkeit der Warenwelt schließlich zum Opfer fällt, möchte Engels aber dann doch nicht unterschreiben. Das Projekt romantischer Liebe, findet sie, wäre "im Reich hyperrealer Zeichen weiterzuverfolgen".
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Das Buch gehört zu den interessantesten des Jahres, gerade weil man an vielen Stellen geneigt ist, zu widersprechen und nachzufragen.« Süddeutsche Zeitung 20221214