Antisemitismus in der politischen Linken wurde nicht erst nach 1945 zum Thema. Die Kritik daran ist so alt wie die Sache selbst. In der Weimarer Republik waren es ehemalige Gründungsmitglieder der KPD wie Franz Pfemfert oder Anarchosyndikalisten wie Rudolf Rocker, die die antisemitische Agitation während des Schlageter-Kurses kritisierten. Mitte der 1920er Jahre warnte Clara Zetkin auf dem Parteitag der KPD vor judenfeindlichen Stimmungen an der Basis. 1929 erschien im Zentralorgan der um Heinrich Brandler und August Thalheimer gebildeten KPD-Opposition eine der ersten radikalen Kritiken des Antizionismus der KPD. Mit ihrer Kritik knüpften die anarchistischen und kommunistischen Linken an Interventionen von Rosa Luxemburg oder Leo Trotzki an und reflektierten zugleich die Entwicklung in Russland nach der bolschewistischen Revolution. Marx' Anspruch, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch »ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen« ist, schloss für sie den Kampf gegen Antisemitismus auch in den eigenen Reihen mit ein.
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Der hier rezensierende Historiker Philipp Lenhard schätzt die große Differenziertheit und Umsicht, mit der Olaf Kistenmacher Traditionslinien des Antisemitismus in der Linken offenlegt. Sich auf die Zeit der Weimarer Republik beschränkend und dort wesentlich auf die KPD-Zeitung Rote Fahne stützend gelinge es dem Autor, zu zeigen, das antisemitische linke Haltungen keine "Ausrutscher" seien, sondern tiefe Wurzeln schon lange vor dem Zweiten Weltkrieg haben, resümiert Lenhard. So thematisiere Kistenmacher gleichermaßen detailliert einen Antiimperialismus, der sogar eine Gewaltserie gegen auch nichtzionistische Juden in Palästina 1929 als "Schläge gegen England" (so zu lesen in der Roten Fahne) legitimierte, wie auch einen antisemitischen Antikapitalismus, von dem der Autor etwa Rosa Luxemburg oder Leo Trotzki "eingeschränkt" ausnimmt, so Lenhard anerkennend. Spannend zu lesen findet er auch Kistenmachers Auseinandersetzungen mit von ihm bewunderten anarchistischen, auch unbekannteren Autoren wie Franz Pfemfert oder Otto Heller. Eine "erfrischend prägnante" Analyse, die auch den gegenwärtigen Israelhass besser verstehen lässt, lobt Lenhard.
© Perlentaucher Medien GmbH
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