»Es gilt zu mobilisieren, was dem Hassenden abgeht: die Fähigkeit zur Ironie, zu Zweifeln und die Vision einer offenen Gesellschaft.« Carolin Emcke
Carolin Emcke, eine der wichtigsten Intellektuellen der Gegenwart, äußert sich in ihrem engagierten Essay »Gegen den Hass« zu den großen Themen unserer Zeit: Rassismus, Fanatismus, Demokratiefeindlichkeit. In der zunehmend polarisierten, fragmentierten Öffentlichkeit dominiert vor allem jenes Denken, das Zweifel nur an den Positionen der anderen, aber nicht an den eigenen zulässt. Diesem dogmatischen Denken, das keine Schattierungen berücksichtigt, setzt Carolin Emcke ein Lob des Vielstimmigen, des »Unreinen« entgegen - weil so die Freiheit des Individuellen und auch Abweichenden zu schützen ist. Allein mit dem Mut, dem Hass zu widersprechen, und der Lust, die Pluralität auszuhalten und zu verhandeln, lässt sich Demokratie verwirklichen. Nur so können wir den religiösen und nationalistischen Fanatikern erfolgreich begegnen, weil Differenzierung und Genauigkeit das sind, was sie am meisten ablehnen.
Für alle, die überzeugende Argumente und Denkanstöße suchen, um eine humanistische Haltung und eine offene Gesellschaft zu verteidigen.
Carolin Emcke, eine der wichtigsten Intellektuellen der Gegenwart, äußert sich in ihrem engagierten Essay »Gegen den Hass« zu den großen Themen unserer Zeit: Rassismus, Fanatismus, Demokratiefeindlichkeit. In der zunehmend polarisierten, fragmentierten Öffentlichkeit dominiert vor allem jenes Denken, das Zweifel nur an den Positionen der anderen, aber nicht an den eigenen zulässt. Diesem dogmatischen Denken, das keine Schattierungen berücksichtigt, setzt Carolin Emcke ein Lob des Vielstimmigen, des »Unreinen« entgegen - weil so die Freiheit des Individuellen und auch Abweichenden zu schützen ist. Allein mit dem Mut, dem Hass zu widersprechen, und der Lust, die Pluralität auszuhalten und zu verhandeln, lässt sich Demokratie verwirklichen. Nur so können wir den religiösen und nationalistischen Fanatikern erfolgreich begegnen, weil Differenzierung und Genauigkeit das sind, was sie am meisten ablehnen.
Für alle, die überzeugende Argumente und Denkanstöße suchen, um eine humanistische Haltung und eine offene Gesellschaft zu verteidigen.
buecher-magazin.de"Dem Hass begegnen lässt sich nur, indem man seine Einladung, sich ihm anzuverwandeln, ausschlägt. Es gilt zu mobilisieren, was den Hassenden abgeht: genaues Beobachten, nicht nachlassendes Differenzieren und Selbstzweifel." Das Zitat aus dem Essay von Carolin Emcke, die 15 Jahre lang Krisenregionen weltweit bereiste, ist die Quintessenz. Sie will Denkanstöße liefern, damit wir Demokratie, Humanismus und eine offene Gesellschaft verteidigen können. Dank Nina Kunzendorf, die manchmal etwas ungenau und leicht brüchig, so aber umso eindringlicher und authentischer liest, erweist sich die Hörfassung besser als die Lesefassung. Fünf Stunden lang liefert die Autorin viele wichtige Ansätze, um etwa denjenigen zu begegnen, die Meinungsfreiheit nur für sich selbst einfordern. Mir persönlich schaut sie nicht weit genug hinter die Fassade des Hasses, fordert jedoch Differenzierung und Genauigkeit gegen Rechtsdenkende und Fanatiker. Erreicht damit aber doch nur, dass sich die Verteidiger von Toleranz und Offenheit bestätigt sehen. Wer hassen will, hört dieses Hörbuch nicht. Wenn aber nur ein Zweifler überzeugt werden kann, ist schon viel gewonnen.
© BÜCHERmagazin, René Wagner (rw)
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Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension
Es stehen viele richtige und löbliche Dinge über den Hass und seine Mechanismus in Carolin Emckes Buch, räumt Peter Praschl ein: Dass Hass nicht vom Himmel fällt, sondern geschürt wird, dass er seine Objekte so lange dämonisiert, bis er sich gerechtfertigt wähnt, dass man ihn nicht mit Gegen-Hass bekämpfen kann. Trotzdem hält der Rezensent das Buch für ein bisschen wohlfeil: Wer könnte dem Hass schon etwas Positives abgewinnen? Und wenn er es täte, würde er Emckes Essay lesen, der so wackelfest mit Zitaten von Eribon, Derrida und Goethe "möbliert" ist? Praschl fürchtet, dass das Buch eher der moralischen Selbstvergewisserung seiner Leser dient als der Minderung von Hass.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.10.2016Wenn ihr uns stecht, bluten wir nicht?
Urerfahrung Verletzbarkeit: Carolin Emcke will wissen, wie Verachtung entsteht
Wie ist es zu erklären, dass mit der sogenannten Flüchtlingskrise in die deutsche Politik zurückgekehrt ist, was man nur aus den Geschichtsbüchern kannte, etwa aus der ideologischen Rechtfertigung bürgerlicher Privilegien wie des Zensuswahlrechts: die offen bekundete Verachtung ganzer Klassen von Menschen? Die plötzliche Attraktivität rechter Wunschbilder vom ethnisch definierten Volksganzen möchten manche Kommentatoren ohne Sympathie für diese Parolen auch damit erklären, dass man es auf der Linken mit dem Lob der Differenz übertrieben habe. Es gehe im öffentlichen Leben nur noch um den Schutz von Minderheiten; die von dieser Aufmerksamkeit nicht Begünstigten habe man geradezu ermutigt, sich zusammenzuschließen und ihrerseits Anerkennung zu fordern, im Namen der Mehrheit. Die Gegenthese zu dieser als liberale Selbstkritik vorgetragenen Ansicht enthält das neue Buch von Carolin Emcke.
Versteht man die diesjährige Trägerin des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels richtig, so müssen Liberale sich eher vorwerfen, dass sie mitgelacht haben, als es Mode wurde, den programmatischen Eifer einer auf Herstellung tatsächlicher Gleichberechtigung verpflichteten Politik mit Spott zu bedenken. "Es gab in den letzten Jahren ein zunehmend artikuliertes Unbehagen, ob es nicht doch langsam etwas zu viel sei mit der Toleranz, ob diejenigen, die anders glauben, anders aussehen oder anders lieben, nicht langsam auch mal zufrieden sein könnten."
Eine der Internetseiten, deren Stammleser die Verachtung auf die Klasse der Politiker eingeübt haben, die sich an die religions- und asylpolitischen Entscheidungen des Grundgesetzes gebunden sehen, heißt "Politically Incorrect". Mit dem Begriff der politischen Korrektheit wurden deutsche Leser vor einem Vierteljahrhundert durch launige Korrespondentenberichte aus den Vereinigten Staaten vertraut. Aus einem Schlagwort für moralische Spracherziehungsmaßnahmen amerikanischer Hochschulen wurde der Name für eine angebliche Zeittendenz. Die Sonderwelt der akademischen Klostergemeinschaft reizt zur satirischen Betrachtung; die Berichterstattung über "korrekte" Wörterlisten betonte von vornherein das Kuriose der Sache und vernachlässigte die Frage, ob nicht das Ziel, die Förderung des zivilen Umgangs in gegenseitigem Respekt, pädagogisch vernünftig war. Heute sorgt es für Amüsement, wenn aus Amerika gemeldet wird, dass in Universitäten "sichere Räume" für Studenten eingerichtet werden, die etwa in kanonischen Texten der Literatur einer latenten Gewalt gegen Menschen wie sie zu begegnen fürchten.
Solche Experimente für evidentermaßen absurd zu halten ist in den Augen von Carolin Emcke verfehlt, weil niemand darüber verfügen kann, ob ein anderer sich verletzt fühlt oder nicht. Die Unsicherheit, die ein solcher Student empfindet, kann man ihm im Gespräch zu nehmen versuchen. Absprechen kann man sie ihm nicht. Es ist die große Stärke des Buchs, dass es die gegenwärtigen Fremdenhassausbrüche zu erklären versucht, dass es die politischen Sprachhandlungen der auf Bürgerkrieg eingestimmten Rotten an die Erfahrungen alltäglicher Kommunikation zurückbindet, an die Normalität der Verunsicherung. Unachtsamkeit bereitet der Verachtung den Boden, und wer meint, dass Kultur etwas mit Selbstbeherrschung und gewollten Hemmungen zu tun hat, wird es vielleicht nicht lustig finden, dass Achtsamkeit zum Juxwort geworden ist.
Wenn Muslime dieselben Rechte einklagen, wie Christen sie genießen, behaupten Mitbürger, die sich für besonders aufgeklärt halten, sie forderten Sonderrechte. Auch wenn Homosexuellen bedeutet wird, sie sollten mit der Lebenspartnerschaft zufrieden sein und brauchten die Ehe nicht, paart sich der "eigentümliche Vorwurf der mangelnden Demut" mit "Eigenlob für die bereits erbrachte Toleranz". Wie weit wir es in der Toleranz gebracht haben, überschätzen wir fast zwangsläufig: Wer kein Kopftuch trägt und nicht mit einem Partner gleichen Geschlechts Händchen hält, übersieht, welcher Mut dazugehört, sich so auf der Straße zu zeigen und erst recht vor Gericht.
Unter Berufung auf ihre Erfahrung als homosexuelle Frau bestreitet Carolin Emcke den Satz, dass die Stabilität eines Gemeinwesens die Homogenität der Bevölkerung zur Voraussetzung hat: das Axiom, das die AfD mit Ernst-Wolfgang Böckenförde teilt, dem Kirchenvater der liberalen Verfassungslehre. "Ich fühle mich weniger verletzbar, wenn ich spüre, dass die Gesellschaft, in der ich lebe, verschiedene Lebensentwürfe, verschiedene religiöse und politische Überzeugungen zulässt und aushält." Eine Begründung der Demokratie aus der Verletzbarkeit jedes Einzelnen: Das ist Carolin Emckes Antwort auf den wiedererwachten Willen zur Verletzung.
PATRICK BAHNERS
Carolin Emcke:
"Gegen den Hass".
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2016.
240 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Urerfahrung Verletzbarkeit: Carolin Emcke will wissen, wie Verachtung entsteht
Wie ist es zu erklären, dass mit der sogenannten Flüchtlingskrise in die deutsche Politik zurückgekehrt ist, was man nur aus den Geschichtsbüchern kannte, etwa aus der ideologischen Rechtfertigung bürgerlicher Privilegien wie des Zensuswahlrechts: die offen bekundete Verachtung ganzer Klassen von Menschen? Die plötzliche Attraktivität rechter Wunschbilder vom ethnisch definierten Volksganzen möchten manche Kommentatoren ohne Sympathie für diese Parolen auch damit erklären, dass man es auf der Linken mit dem Lob der Differenz übertrieben habe. Es gehe im öffentlichen Leben nur noch um den Schutz von Minderheiten; die von dieser Aufmerksamkeit nicht Begünstigten habe man geradezu ermutigt, sich zusammenzuschließen und ihrerseits Anerkennung zu fordern, im Namen der Mehrheit. Die Gegenthese zu dieser als liberale Selbstkritik vorgetragenen Ansicht enthält das neue Buch von Carolin Emcke.
Versteht man die diesjährige Trägerin des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels richtig, so müssen Liberale sich eher vorwerfen, dass sie mitgelacht haben, als es Mode wurde, den programmatischen Eifer einer auf Herstellung tatsächlicher Gleichberechtigung verpflichteten Politik mit Spott zu bedenken. "Es gab in den letzten Jahren ein zunehmend artikuliertes Unbehagen, ob es nicht doch langsam etwas zu viel sei mit der Toleranz, ob diejenigen, die anders glauben, anders aussehen oder anders lieben, nicht langsam auch mal zufrieden sein könnten."
Eine der Internetseiten, deren Stammleser die Verachtung auf die Klasse der Politiker eingeübt haben, die sich an die religions- und asylpolitischen Entscheidungen des Grundgesetzes gebunden sehen, heißt "Politically Incorrect". Mit dem Begriff der politischen Korrektheit wurden deutsche Leser vor einem Vierteljahrhundert durch launige Korrespondentenberichte aus den Vereinigten Staaten vertraut. Aus einem Schlagwort für moralische Spracherziehungsmaßnahmen amerikanischer Hochschulen wurde der Name für eine angebliche Zeittendenz. Die Sonderwelt der akademischen Klostergemeinschaft reizt zur satirischen Betrachtung; die Berichterstattung über "korrekte" Wörterlisten betonte von vornherein das Kuriose der Sache und vernachlässigte die Frage, ob nicht das Ziel, die Förderung des zivilen Umgangs in gegenseitigem Respekt, pädagogisch vernünftig war. Heute sorgt es für Amüsement, wenn aus Amerika gemeldet wird, dass in Universitäten "sichere Räume" für Studenten eingerichtet werden, die etwa in kanonischen Texten der Literatur einer latenten Gewalt gegen Menschen wie sie zu begegnen fürchten.
Solche Experimente für evidentermaßen absurd zu halten ist in den Augen von Carolin Emcke verfehlt, weil niemand darüber verfügen kann, ob ein anderer sich verletzt fühlt oder nicht. Die Unsicherheit, die ein solcher Student empfindet, kann man ihm im Gespräch zu nehmen versuchen. Absprechen kann man sie ihm nicht. Es ist die große Stärke des Buchs, dass es die gegenwärtigen Fremdenhassausbrüche zu erklären versucht, dass es die politischen Sprachhandlungen der auf Bürgerkrieg eingestimmten Rotten an die Erfahrungen alltäglicher Kommunikation zurückbindet, an die Normalität der Verunsicherung. Unachtsamkeit bereitet der Verachtung den Boden, und wer meint, dass Kultur etwas mit Selbstbeherrschung und gewollten Hemmungen zu tun hat, wird es vielleicht nicht lustig finden, dass Achtsamkeit zum Juxwort geworden ist.
Wenn Muslime dieselben Rechte einklagen, wie Christen sie genießen, behaupten Mitbürger, die sich für besonders aufgeklärt halten, sie forderten Sonderrechte. Auch wenn Homosexuellen bedeutet wird, sie sollten mit der Lebenspartnerschaft zufrieden sein und brauchten die Ehe nicht, paart sich der "eigentümliche Vorwurf der mangelnden Demut" mit "Eigenlob für die bereits erbrachte Toleranz". Wie weit wir es in der Toleranz gebracht haben, überschätzen wir fast zwangsläufig: Wer kein Kopftuch trägt und nicht mit einem Partner gleichen Geschlechts Händchen hält, übersieht, welcher Mut dazugehört, sich so auf der Straße zu zeigen und erst recht vor Gericht.
Unter Berufung auf ihre Erfahrung als homosexuelle Frau bestreitet Carolin Emcke den Satz, dass die Stabilität eines Gemeinwesens die Homogenität der Bevölkerung zur Voraussetzung hat: das Axiom, das die AfD mit Ernst-Wolfgang Böckenförde teilt, dem Kirchenvater der liberalen Verfassungslehre. "Ich fühle mich weniger verletzbar, wenn ich spüre, dass die Gesellschaft, in der ich lebe, verschiedene Lebensentwürfe, verschiedene religiöse und politische Überzeugungen zulässt und aushält." Eine Begründung der Demokratie aus der Verletzbarkeit jedes Einzelnen: Das ist Carolin Emckes Antwort auf den wiedererwachten Willen zur Verletzung.
PATRICK BAHNERS
Carolin Emcke:
"Gegen den Hass".
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2016.
240 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
'Gegen den Hass' ist ein leises, aber vehementes Plädoyer für gesellschaftliche Pluralität und Empathie - und nicht zuletzt eine Anrufung der Phantasie. Miriam Hefti NZZ am Sonntag 20161030