Fritz Stern und Joschka Fischer sprechen über Themen, die sie beschäftigen und bewegen - neugierig aufeinander und immer daran interessiert, die eigenen Erfahrungen und Positionen zu hinterfragen. Sie sprechen über Heimatgefühle, Kindheitserinnerungen, über das historische Erbe der Weltkriege und diskutieren aktuelle politische Fragen - in Europa, den USA und im Nahen Osten. Mit weitreichender Kenntnis und rhetorischer Brillianz geht es dabei zu, nicht selten auch mit lakonischem Witz und Pointen, vor allem aber mit der Kraft der Argumente. Stets geht es scharfsinnig, lebhaft und konkret zu in diesem Dialog zwischen zwei Männen, die jeder auf seine Weise mehr als einmal im Leben gegen den Strom geschwommen sind.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Gregor Schöllgen möchte Joschka Fischer am liebsten umhalsen. Wie Fischer im Gespräch mit Fritz Stern "knapp und korrekt" auf die Nachruf-Affäre zurückblickt, sich reuig als Steinewerfer betrachtet und deutsche Geschichte direkt, frei und für Schöllgen weitgehend nachvollziehbar schildert, lässt das Rezensentenherz für Fischers Redlichkeit schlagen. Das bisschen Koketterie dann und wann oder Fischers dynamische Dominanz im Gespräch mit dem stets abwägenden Gelehrten kann Schöllgen verkraften. Das Buch offeriert ihm ein lesenswertes Geschichtspanorama, witzige Einblicke in die Kindheit und Weltsicht der beiden so ungleichen, doch für Schöllgen hier gut harmonierenden Gesprächspartner.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.05.2013Zweierlei Vergangenheit
Joschka Fischer und Fritz Stern entfalten ein lesenswertes Panorama der Geschichte
Drei Jahre ist es her, da setzten sich Helmut Schmidt und Fritz Stern im Hamburger Reihenhaus des vormaligen Bundeskanzlers zusammen und plauderten über "Unser Jahrhundert". Es war ein ausgewogenes Gespräch, schon weil die beiden trotz des Altersunterschiedes von acht Jahren der gleichen Generation angehören und viele Erfahrungen teilen. Das Ergebnis wurde später in Buchform auf den Markt gebracht. Wegen des beachtlichen Erfolgs hat sich der Verlag wieder an Fritz Stern gewandt und ihn dieses Mal mit dem ehemaligen Außenminister Joschka Fischer im Berliner Wissenschaftskolleg zusammengesetzt. Eine interessante Konstellation. Hier der Historiker, Jahrgang 1926, der seine deutsche Heimat mit zwölf verlassen musste, in Amerika Karriere machte und sich zeitlebens immer auch mit der Geschichte und der Gegenwart des Landes seiner Kindheit beschäftigt hat. Dort ein Politiker, 1948 im Fränkischen geboren, in Schwaben aufgewachsen und streng katholisch erzogen: Joseph ("Joschka") Fischer ist einer der prominentesten Vertreter jener 68er-Generation, die der Bundesrepublik ihren Stempel aufgedrückt hat.
Schon wegen des Altersunterschiedes von 22 Jahren würde man vermuten, dass der Ältere die Themen vorgibt und den Gesprächsverlauf dirigiert. Tatsächlich liegt die Regie jedoch bei Fischer. Er hat nicht nur das erste und das letzte Wort, sondern er zieht das Gespräch auch immer wieder an sich. Keine Epoche, keine Kultur, kein Kontinent ist ihm, der schon als Kind "die ganze Dorfbibliothek leer gelesen" hat, fern oder fremd. Dieser ungebrochene Vorwärtsdrang des Autodidakten versieht das - von Lektoren redigierte - Gespräch mit einer eigenwilligen Dynamik. Gewiss gibt es hier und da Redundanzen, mitunter auch Ausflüge auf weniger ertragreiches Terrain. Insgesamt aber entfalten die beiden ein lesenswertes Panorama der jüngeren Geschichte. Nicht ohne Witz erzählen sie von ihrer Kindheit und ihren Wegen in die jeweilige Laufbahn, erörtern das historische Erbe der beiden Weltkriege und reflektieren über die großen Themen der Weltpolitik. Sie tun das jeweils auf ihre Art, der eine mit dem abwägenden Duktus des Gelehrten, der andere mit dem robusten Instinkt des Praktikers.
Während Stern nicht ohne Wehmut darüber reflektiert, dass Politik "nicht mehr selbstverständlich als Dienst am Gemeinwohl, an der Res publica, verstanden wird", bekennt Fischer, nie ein "Anhänger der Dienst-These" gewesen zu sein: "Mich hat die Machtfrage interessiert, mich hat die Möglichkeit fasziniert, an der Geschichte mitarbeiten zu können, dort, wo Geschichte wirklich gemacht wird." Bei den Grünen, denen er sich nach diversen beruflichen Anläufen unter anderem als Frankfurter Sponti und Straßenkämpfer schließlich zuwandte, hat er sich "durchgesetzt durch Niederlagen, nicht durch Siege".
Die "schlimmste" Erfahrung, sagt Fischer heute, war die der ersten rot-grünen Koalition in Hessen während der Jahre 1985 bis 1987 - "das war furchtbar, in der Zeit bin ich richtig alt geworden". Die Bundespartei "war gegen mich . . . die Medien waren gegen mich, die SPD war nicht für mich, die Opposition . . . war heftig gegen mich - und ich hatte keine Ahnung vom Regieren, ich hatte keine Ahnung von Umweltpolitik . . . Das Regieren habe ich in diesen 16 Monaten gelernt, indem ich alles falsch gemacht habe, was möglich war." Natürlich ist dem eine Prise Koketterie beigemischt, insgesamt aber ist der Rückblick schnörkellos und ehrlich. Man merkt, dass Fischer nichts mehr werden muss.
Auch nicht Historiker. Sein Blick auf die deutsche Geschichte, die den Dreh- und Angelpunkt des Gespräches bildet, ist erfrischend frei von Umwegen und Kompromissen, und in aller Regel kann man ihm dabei folgen. So hat Fischer keinen Zweifel, dass die eigentliche Ursache für den - so gesehen - unvermeidlichen Weg Europas in die Katastrophe zweier Weltkriege in der Reichsgründung des Jahres 1871 zu suchen ist. Und es war das Versäumnis der alliierten Sieger, dass sie diesen Fehler nicht schon 1919, sondern erst 1945 "rückgängig" machten.
Womit sich die Frage aufdrängt, ob auf die äußere Demontage auch ein Reinemachen im Innern folgte. Die Debatte dieses Themas gehört zu den spannendsten des Buches. Während der Ältere, der 1950 ein erstes Mal nach Deutschland zurückkam und zunächst "voller Misstrauen" war, aus eigener Erfahrung "weder ein defensives Verhalten der Eliten . . . noch eine antisemitische Grundstimmung" bestätigen kann, hat der Jüngere andere Erfahrungen gemacht. Zum Beispiel als es um die Frage ging, wie es das Auswärtige Amt, an dessen Spitze er von 1998 bis 2005 stand, mit seiner Vergangenheit hielt. Diese sogenannte Nachruf-Affäre, die schließlich zur Einsetzung einer Historikerkommission führte, schildert Fischer knapp und korrekt.
Dabei wird deutlich, dass ein Minister mit diesem Lebensweg und eine Gruppe zumeist pensionierter, im "Dritten Reich" oder unmittelbar danach sozialisierter Diplomaten nicht zusammenfinden konnten: Wenn "das unsere Elite" ist, dachte er sich damals, "wandere ich aus, dann ist es um Deutschland geschehen". Andererseits stand - woran Stern erinnert - um die Jahrhundertwende "an der Spitze des Ministeriums ein Mann", der sich seinerseits der "eigenen Vergangenheit, wenn ich so sagen darf, nicht gestellt hat": "Sie haben Steine geworfen." Darauf gibt Fischer spontan eine Antwort, die erklärt, warum seine Gegner im Auswärtigen Amt keine Chance hatten: "Ja Entschuldigung. Die hätten genauer hingucken sollen, dann hätten sie gewusst, was ich für ein Typ bin, und dass ich einer Keilerei eigentlich nie aus dem Weg gegangen bin in meinem Leben. Die haben den Steinewerfer völlig falsch eingeschätzt, sonst hätten sie niemals einen öffentlichen Vorgang aus den Nachrufen gemacht."
War es das? War also die Steinewerferei ein Kavaliersdelikt? Schwamm drüber? Gibt es wie im Fall der "Mumien" des Auswärtigen Amtes auch in diesem Fall einen nachwirkenden Groll auf diejenigen, die ihn im Bundestag zwangen, Auskunft zu geben und sich zu entschuldigen? Es gibt ihn nicht: "Was glauben Sie, was ich als Oppositionsabgeordneter gemacht hätte, wenn ich einen Außenminister mit einem solchen Bildmaterial gefunden hätte?" Stattdessen gibt es eine Einsicht, die, so erfahren wir jetzt, älter ist als die Entschuldigung, weil "da etwas in mir arbeitete, nämlich diesen wirklich großen Fehler gemacht zu haben, die Bedeutung des Rechts zu unterschätzen. Heute kann ich im Grunde ohne jede Bitterkeit sagen, Ihre Generation, Fritz, hatte einfach recht, wenn sie gesagt hat: So geht es nicht, die Anwendung von der Gewalt ist ein großer Fehler." Was zu Ende gedacht nur heißen kann, dass auch die Vorwürfe an die Adresse dieser Generation nicht frei von Fehlern und "Selbstgerechtigkeit" gewesen sind: "Manchmal denke ich mir: Mein Gott, waren wir gnadenlos."
GREGOR SCHÖLLGEN
Joschka Fischer/Fritz Stern: Gegen den Strom. Ein Gespräch über Geschichte und Politik. Verlag C. H. Beck, München 2013. 223 S., 19,95 [Euro].
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Joschka Fischer und Fritz Stern entfalten ein lesenswertes Panorama der Geschichte
Drei Jahre ist es her, da setzten sich Helmut Schmidt und Fritz Stern im Hamburger Reihenhaus des vormaligen Bundeskanzlers zusammen und plauderten über "Unser Jahrhundert". Es war ein ausgewogenes Gespräch, schon weil die beiden trotz des Altersunterschiedes von acht Jahren der gleichen Generation angehören und viele Erfahrungen teilen. Das Ergebnis wurde später in Buchform auf den Markt gebracht. Wegen des beachtlichen Erfolgs hat sich der Verlag wieder an Fritz Stern gewandt und ihn dieses Mal mit dem ehemaligen Außenminister Joschka Fischer im Berliner Wissenschaftskolleg zusammengesetzt. Eine interessante Konstellation. Hier der Historiker, Jahrgang 1926, der seine deutsche Heimat mit zwölf verlassen musste, in Amerika Karriere machte und sich zeitlebens immer auch mit der Geschichte und der Gegenwart des Landes seiner Kindheit beschäftigt hat. Dort ein Politiker, 1948 im Fränkischen geboren, in Schwaben aufgewachsen und streng katholisch erzogen: Joseph ("Joschka") Fischer ist einer der prominentesten Vertreter jener 68er-Generation, die der Bundesrepublik ihren Stempel aufgedrückt hat.
Schon wegen des Altersunterschiedes von 22 Jahren würde man vermuten, dass der Ältere die Themen vorgibt und den Gesprächsverlauf dirigiert. Tatsächlich liegt die Regie jedoch bei Fischer. Er hat nicht nur das erste und das letzte Wort, sondern er zieht das Gespräch auch immer wieder an sich. Keine Epoche, keine Kultur, kein Kontinent ist ihm, der schon als Kind "die ganze Dorfbibliothek leer gelesen" hat, fern oder fremd. Dieser ungebrochene Vorwärtsdrang des Autodidakten versieht das - von Lektoren redigierte - Gespräch mit einer eigenwilligen Dynamik. Gewiss gibt es hier und da Redundanzen, mitunter auch Ausflüge auf weniger ertragreiches Terrain. Insgesamt aber entfalten die beiden ein lesenswertes Panorama der jüngeren Geschichte. Nicht ohne Witz erzählen sie von ihrer Kindheit und ihren Wegen in die jeweilige Laufbahn, erörtern das historische Erbe der beiden Weltkriege und reflektieren über die großen Themen der Weltpolitik. Sie tun das jeweils auf ihre Art, der eine mit dem abwägenden Duktus des Gelehrten, der andere mit dem robusten Instinkt des Praktikers.
Während Stern nicht ohne Wehmut darüber reflektiert, dass Politik "nicht mehr selbstverständlich als Dienst am Gemeinwohl, an der Res publica, verstanden wird", bekennt Fischer, nie ein "Anhänger der Dienst-These" gewesen zu sein: "Mich hat die Machtfrage interessiert, mich hat die Möglichkeit fasziniert, an der Geschichte mitarbeiten zu können, dort, wo Geschichte wirklich gemacht wird." Bei den Grünen, denen er sich nach diversen beruflichen Anläufen unter anderem als Frankfurter Sponti und Straßenkämpfer schließlich zuwandte, hat er sich "durchgesetzt durch Niederlagen, nicht durch Siege".
Die "schlimmste" Erfahrung, sagt Fischer heute, war die der ersten rot-grünen Koalition in Hessen während der Jahre 1985 bis 1987 - "das war furchtbar, in der Zeit bin ich richtig alt geworden". Die Bundespartei "war gegen mich . . . die Medien waren gegen mich, die SPD war nicht für mich, die Opposition . . . war heftig gegen mich - und ich hatte keine Ahnung vom Regieren, ich hatte keine Ahnung von Umweltpolitik . . . Das Regieren habe ich in diesen 16 Monaten gelernt, indem ich alles falsch gemacht habe, was möglich war." Natürlich ist dem eine Prise Koketterie beigemischt, insgesamt aber ist der Rückblick schnörkellos und ehrlich. Man merkt, dass Fischer nichts mehr werden muss.
Auch nicht Historiker. Sein Blick auf die deutsche Geschichte, die den Dreh- und Angelpunkt des Gespräches bildet, ist erfrischend frei von Umwegen und Kompromissen, und in aller Regel kann man ihm dabei folgen. So hat Fischer keinen Zweifel, dass die eigentliche Ursache für den - so gesehen - unvermeidlichen Weg Europas in die Katastrophe zweier Weltkriege in der Reichsgründung des Jahres 1871 zu suchen ist. Und es war das Versäumnis der alliierten Sieger, dass sie diesen Fehler nicht schon 1919, sondern erst 1945 "rückgängig" machten.
Womit sich die Frage aufdrängt, ob auf die äußere Demontage auch ein Reinemachen im Innern folgte. Die Debatte dieses Themas gehört zu den spannendsten des Buches. Während der Ältere, der 1950 ein erstes Mal nach Deutschland zurückkam und zunächst "voller Misstrauen" war, aus eigener Erfahrung "weder ein defensives Verhalten der Eliten . . . noch eine antisemitische Grundstimmung" bestätigen kann, hat der Jüngere andere Erfahrungen gemacht. Zum Beispiel als es um die Frage ging, wie es das Auswärtige Amt, an dessen Spitze er von 1998 bis 2005 stand, mit seiner Vergangenheit hielt. Diese sogenannte Nachruf-Affäre, die schließlich zur Einsetzung einer Historikerkommission führte, schildert Fischer knapp und korrekt.
Dabei wird deutlich, dass ein Minister mit diesem Lebensweg und eine Gruppe zumeist pensionierter, im "Dritten Reich" oder unmittelbar danach sozialisierter Diplomaten nicht zusammenfinden konnten: Wenn "das unsere Elite" ist, dachte er sich damals, "wandere ich aus, dann ist es um Deutschland geschehen". Andererseits stand - woran Stern erinnert - um die Jahrhundertwende "an der Spitze des Ministeriums ein Mann", der sich seinerseits der "eigenen Vergangenheit, wenn ich so sagen darf, nicht gestellt hat": "Sie haben Steine geworfen." Darauf gibt Fischer spontan eine Antwort, die erklärt, warum seine Gegner im Auswärtigen Amt keine Chance hatten: "Ja Entschuldigung. Die hätten genauer hingucken sollen, dann hätten sie gewusst, was ich für ein Typ bin, und dass ich einer Keilerei eigentlich nie aus dem Weg gegangen bin in meinem Leben. Die haben den Steinewerfer völlig falsch eingeschätzt, sonst hätten sie niemals einen öffentlichen Vorgang aus den Nachrufen gemacht."
War es das? War also die Steinewerferei ein Kavaliersdelikt? Schwamm drüber? Gibt es wie im Fall der "Mumien" des Auswärtigen Amtes auch in diesem Fall einen nachwirkenden Groll auf diejenigen, die ihn im Bundestag zwangen, Auskunft zu geben und sich zu entschuldigen? Es gibt ihn nicht: "Was glauben Sie, was ich als Oppositionsabgeordneter gemacht hätte, wenn ich einen Außenminister mit einem solchen Bildmaterial gefunden hätte?" Stattdessen gibt es eine Einsicht, die, so erfahren wir jetzt, älter ist als die Entschuldigung, weil "da etwas in mir arbeitete, nämlich diesen wirklich großen Fehler gemacht zu haben, die Bedeutung des Rechts zu unterschätzen. Heute kann ich im Grunde ohne jede Bitterkeit sagen, Ihre Generation, Fritz, hatte einfach recht, wenn sie gesagt hat: So geht es nicht, die Anwendung von der Gewalt ist ein großer Fehler." Was zu Ende gedacht nur heißen kann, dass auch die Vorwürfe an die Adresse dieser Generation nicht frei von Fehlern und "Selbstgerechtigkeit" gewesen sind: "Manchmal denke ich mir: Mein Gott, waren wir gnadenlos."
GREGOR SCHÖLLGEN
Joschka Fischer/Fritz Stern: Gegen den Strom. Ein Gespräch über Geschichte und Politik. Verlag C. H. Beck, München 2013. 223 S., 19,95 [Euro].
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