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"Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden." (Artikel 4 Absatz 3 des Deutschen Grundgesetzes)Keine 10 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg begriff sich die Bundesrepublik Deutschland wieder als militärische Kraft. Die 1956 neu gegründete Bundeswehr verpflichtete Generationen junger Männer zum Dienst an der Waffe. Das Grundgesetz sah vor, dass man aufgrund von Gewissensnöten den Wehrdienst verweigern konnte, aber noch zu Zeiten von Willy Brandts Kanzlerschaft galt die Kriegsdienstverweigerung als systemzersetzend.Unter großem Druck und vielen Demütigungen…mehr

Produktbeschreibung
"Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden." (Artikel 4 Absatz 3 des Deutschen Grundgesetzes)Keine 10 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg begriff sich die Bundesrepublik Deutschland wieder als militärische Kraft. Die 1956 neu gegründete Bundeswehr verpflichtete Generationen junger Männer zum Dienst an der Waffe. Das Grundgesetz sah vor, dass man aufgrund von Gewissensnöten den Wehrdienst verweigern konnte, aber noch zu Zeiten von Willy Brandts Kanzlerschaft galt die Kriegsdienstverweigerung als systemzersetzend.Unter großem Druck und vielen Demütigungen musste die Gewissensnot bewiesen werden. Vor Gutachtern, denen die Bundeswehr mehr galt, als das Wohl der Rekruten. Einer dieser jungen Männer war Hermann Brinkmann, ein überzeugter Pazifist, der 1973 eingezogen wurde. Vergeblich wehrte er sich gegen seinen Einberufungsbefehl. Während der Grundausbildung nahm er sich das Leben ...Hannah Brinkmann arbeitet in ihrem für den Leibinger-Preis nominierten Debüt "Gegen mein Gewissen" das Schicksal ihres Onkels auf, das in den 1970ern bundesweit Schlagzeilen machte und eine Debatte über die Rechtmäßigkeit der Gewissensprüfung auslöste. Unaufgeregt, einfühlsam und brillant recherchiert, erzählt die Hamburger Comickünstlerin vom Aufbegehren gegen Autoritäten und dem Kampf für das Richtige.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Sehr beeindruckt liest Rezensent Alex Rühle diese Graphic Novel über eine wahre und sehr deutsche Geschichte. Hannah Brinkmann erzählt hier von ihrem Onkel, der sich in den frühen Siebzigern umbrachte, weil er von der Bundeswehr nicht als Wehrdienstverweigerer anerkannt und deshalb schikaniert wurde - er hatte bei der Verweigerung den prinzipienfestesten und schwierigsten Weg gewählt, so Rühle. Die Zeichnerin und Autorin macht es sich auch nicht leicht, verschränkt mehrere Zeitebenen, arbeitet zugleich ein privates Trauma in der Familie und ein Stück Zeitgeschichte auf, in der die Bundesrepublik als eine Zeit "reaktionären Miefs" erscheint, lesen wir. Die Zeichnungen nähern sich dem Fotorealismus, und schaffen eine bedrückende Atmosphäre, so Rühle, der nur bei der Figurenzeichnung eine kleine Einschränkung macht. Rühle empfiehlt den Band als "Pflichtlektüre für Leistungskurse Geschichte/Sozialkunde".

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.01.2021

„Hermann hat sich umgebracht“
In „Gegen mein Gewissen“ erzählt Hannah Brinkmann von ihrem Onkel, dessen Suizid 1974 die Bundeswehr erschütterte
Hermann Brinkmann (was für ein deutscher Name, gleich doppelt männlich) muss ein prinzipienfester Pazifist gewesen sein. Schon als Kind litt er so unter der Jagdleidenschaft seines Vaters, dass er sich weigerte, im Auto mitzufahren, wenn im Kofferraum irgendwelche Waffen lagen. Als er dann 1973 einberufen wurde, schlug er wie eine Art friedlicher Michael Kohlhaas alle Tricks und Alternativen aus, die ihm einen einfachen Weg aus seinem Dilemma gewiesen hätten.
Er hatte ein ärztliches Attest, mit dem er sich hätte ausmustern lassen können; er hätte nach Berlin gehen können wie einer seiner Brüder; oder verweigern „als braver Katholik“ (Verweigerungen aus Glaubensgründen hatten damals noch die größten Erfolgschancen).
Stattdessen berief er sich auf Artikel 4 des Grundgesetzes, Absatz 3: „Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden.“ Seinen entnervten Verwandten und Freunden erklärte er seine Prinzipienfestigkeit mit dem Satz, er wolle „ein Zeichen setzen“. Das hat er dann tatsächlich, allerdings nicht mit seiner Verweigerung, ein Zeichen, viel größer und dunkler, als er es selbst in seiner Verzweiflung erahnte.
Wann wird das Private politisch? Welche persönlichen Geschichten sind so symptomatisch für die Zeit, in der sie stattfanden, dass man sie als Zeitgeschichte lesen kann? Und was geht der Selbstmord eines Menschen die Öffentlichkeit an? Im Fall von Hermann Brinkmann haben dessen Eltern sofort nach dessen Suizid die letzte Frage durch ihre Traueranzeige in der FAZ beantwortet. Sie gaben darin der Bundeswehr eine Mitschuld am Tod ihres Sohnes im Januar 1974 – und lösten dadurch eine heftige Debatte aus.
Die Berliner Comic-Künstlerin Hannah Brinkmann hat nun 46 Jahre später in ihrem Debütband „Gegen mein Gewissen“ das Schicksal ihres Onkels so kunstvoll in die Geschichte der BRD gestellt, dass man „Gegen mein Gewissen“ als Pflichtlektüre für Leistungskurse Geschichte/Sozialkunde einführen könnte.
Zum einen verschränkt Brinkmann auf der erzählerischen Ebene sehr elegant drei Zeit- und Handlungsstränge: Hermann Brinkmanns Kindheit in einem niedersächsischen Bildungshaushalt der Fünfziger- und Sechzigerjahre wird vor der Folie der Wiederbewaffnungsdebatte erzählt.
D ie Adenauer-Regierung benutzte ausgerechnet den oben erwähnten „Pazifismus“-Paragrafen 4.3 des Grundgesetzes, um die Einführung der Wehrpflicht zu rechtfertigen – den Dienst mit der Waffe kann man schließlich nur verweigern, wenn es eine Armee gibt, also brauchen wir eine Armee!
Auf der zweiten Zeitebene wird erzählt, wie die Autorin selbst in einem betonschweren Schweigen aufwächst. Der Tod des Onkels ist die große Leerstelle, das schwarze Gravitationszentrum der Familie, das keiner zu benennen vermag.
Im Zentrum des Buches aber steht Brinkmanns Angst vor dem Bund, der in seiner schikanösen „Gewissensprüfung“ durch einen ehemaligen Bundeswehroffizier im Herbst 1973 gipfelt. Hannah Brinkmann muss sich für dieses Verhör mit Mutmaßungen behelfen, die Unterlagen seiner Verhandlung wurden von der Bundeswehr vernichtet. Aber die Fragen waren ja immer dieselben, konstruierte Situationen, wie die vom Triebtäter, der die eigene Freundin vergewaltigen will – würden Sie den Mann außer Gefecht setzen, ja oder nein?
Wer Ja sagt, der kann auch zum Bund. Wer Nein sagt, gilt als unglaubwürdig. Wer versucht, differenziert zu argumentieren, dem wird beschieden, er argumentiere „ausweichend“. Mehr als die Hälfte der Anträge wurden damals abgelehnt. Brinkmann wird einberufen, Training an der Waffe, Zusammenbruch, schwere Depressionen, die aber vom Bundeswehrgutachter weggewischt werden ... Brinkmanns Suizid wird nicht gezeigt, man sieht ihn nur nachts auf ein Trafohäuschen zulaufen, dann die vereiste Landschaft am Morgen danach. Ein Männerfuß, der an Häusern vorbeieilt, eine Klingel, die aufgerissenen Augen der Mutter, die gekrümmt zusammenbricht und den Tod von da an in ihrem alten Körper verpuppt wie einen ewig toten Embryo. Danach die Anzeige, die die Familie in der FAZ schaltete und in der sie die Bundeswehr explizit für den Tod des Sohnes verantwortlich machte.
Der Fall schlug Wellen, die Boulevardzeitungen stalkten die Familie und verbreiteten Lügen über den Toten, der Stern brachte eine zweiseitige Geschichte. Die sozial-liberale Koalition im Bundestag legte zwei Jahre später erstmals einen Gesetzentwurf vor, um das Prüfungsverfahren zu reformieren, 1984 wurde es durch ein vereinfachtes Anerkennungsverfahren ersetzt.
Hannah Brinkmann hat öffentliche Archive und Familienalben durchforstet und zu einem eindrücklichen Zeittableau arrangiert, in dem sogar die Hintergründe und Tapeten Gerüche, Stimmungen, Geschichte miterzählen: der reaktionäre Mief, der in den Nachkriegsfamilien hing wie uralte Vorhänge, die alles Licht der Gegenwart aufsaugen. Die engen Strickpullis und beigebraunen Interieurs, in denen trübes Licht herrscht wie in einem seit Jahren nicht geputzten Aquarium ...
Es gibt allegorische Panels und beinahe fotorealistische Winterlandschaften. Medizinische Querschnitte und Vergrößerungen von Zellen, Gewebe, Blutkörperchen erinnern an Brinkmanns Credo vom Wert allen Lebens, und die historischen Exkurse zitieren Politpropagandaplakate der Fünfzigerjahre, etwa wenn es um die instrumentalisierte Angst vor „den Russen“ geht.
Nur diese Körper, die Brinkmann in perfekt gezeichnete Züge oder Küchen setzt und stellt ... Die seltsamen Schrumpelfortsätze, die aus den Ärmeln ihrer Protagonisten schauen, machen eindrücklich sichtbar, warum Porträtmaler in früheren Zeiten Extrahonorar verlangten, wenn sie die Hände ihrer Modelle mitmalen sollten. Ähnlich schwer muss es anscheinend sein, die Spuren der Zeit in Gesichtern darzustellen: Alten Menschen malt Brinkmann schwarze Zitterstriche über den Kopf, das sollen dann wohl Falten sein.
Am Ende erzählt sie das Making-of, den anfänglichen Widerstand der Familie gegen ihr Projekt. Hannahs Vater sitzt ihr an Weihnachten gegenüber und ist entsetzt, als er von ihrem Plan erfährt: „Hermann hat sich umgebracht. Er hat mich alleingelassen. Was gibt es da noch zu erzählen ...“ Während er das sagt, sitzt er da abwechselnd als gebeugter Vater und als der 20-Jährige, der gerade seinen Bruder verloren hat. So als hätte Hermanns Tod diesen jungen Mann im Körper seines Alter Ego schockgefrostet.
Mit ihrem Buch, so deutet Brinkmann es auf den letzten Seiten an, hat sie der Familie aus dem schwarzen Schweigen geholfen. Schon dieser Aspekt würde Hannah Brinkmanns Debüt zu einer geglückten Trauerarbeit machen. Durch die kluge Verzahnung mit einem kaum bekannten Aspekt der BRD-Historie wird aus dem Band aber ein wichtiges Stück Zeitgeschichte.
ALEX RÜHLE
Hannah Brinkmann: „Gegen mein Gewissen“. Avant-Verlag, Berlin, 2020. 232 Seiten, 30 Euro.
Die Autorin verschränkt
sehr elegant drei Zeit-
und Handlungsstränge
Anfangs war die Familie
gegen das Buch, am Ende
hat es ihr geholfen
Angst vor dem Bund: Die „Gewissensprüfung“ war vor allem Schikane.
Foto: Brinkmann/Avant-Verlag
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