»Baut dauerhafter, dichter und vor allem weniger!« ruft uns der Architekt und Historiker Vittorio Magnago Lampugnani zu. Nachhaltiges Bauen ist in aller Munde. Die meisten Vorschläge zielen auf kurzatmige Maßnahmen wie die Anbringung von Dämmplatten (von Lampugnani »Vermummungsfundamentalismus« genannt) oder die Ächtung von Beton. Um langfristig nachhaltiges Wohnen in qualitativ hochwertigen Häusern zu schaffen, bedarf es aber weit differenzierterer und umfassenderer Überlegungen.Lampugnani skizziert eine kleine Geschichte des städtebaulichen und architektonischen Konsumismus und baut darauf seine Überlegungen zu einer Kultur substantieller Nachhaltigkeit. Er schreibt an gegen die Auslöschung der Natur durch Zersiedelung und plädiert für eine Strategie der Dichte: Allein die kompakte Stadt kann ökologisch sein.Um den immensen Material- und Energieverbrauch der Bauwirtschaft zu reduzieren, fordert er eine rigorose Kehrtwende: die Abkehr von der Erschließung weiteren Baulands und dem hemmungslosen Verbrauch von Rohstoffen. Nicht abreißen und neu bauen, sondern umbauen, rückbauen, weiterbauen. Je länger ein Gebäude lebt, desto ökologischer ist es.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Hannes Hintermeier hört aufmerksam zu, wenn der Städtebau-Historiker Vittorio Magnago Lampugnani der Architekturzunft die Leviten liest. Das Buch ist laut Hintermeier ein Plädoyer gegen den Neubau und für Bau- und Denkmalpflege und Wiederverwertung sowie für solides Handwerk. Klingt mitunter drastisch, meint der Rezensent, etwa wenn der Autor Dämmungsexzesse und Photovoltaik relativiert und dagegen den Erhalt von alter Bausubstanz als bessere ökologische Alternative ins Feld führt, ist aber allemal bedenkenswert, findet er.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.02.2024Wer jetzt kein Haus hat, baue sich keines mehr
Nicht alles, was sich grün nennt, ist auch klimafreundlich: Vittorio Magnago Lampugnani plädiert für eine Stadtplanung des Um- und Weiterbaus
Vor sechs Jahren kündigte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder an, die eigens zu diesem Zweck gegründete Bayernheim solle bis 2025 zehntausend bezahlbare Wohnungen bauen. Als Anfang 2023 eine Zwischenbilanz gezogen wurde, wurde öffentlich, die staatliche Firma werde bis Ende diesen Jahres maximal 682 Wohnungen fertigstellen. Söder musste sich vorrechnen lassen, dass er damit 93 Prozent der angekündigten Wohnungen fehlen. Zum Vergleich: Das bis heute weltweit bewunderte "Rote Wien" baute von 1919 an in nur vierzehn Jahren 73.000 Wohnungen, in Form der bis heute begehrten sogenannten Arbeiterpaläste.
Aber ist ungezügelter Neubau überhaupt der richtige Weg? Seit Jahren wird der Bauindustrie vorgerechnet, dass sie in den Disziplinen Emissionen, Abfallmenge, Energie-, Ressourcen- und Flächenverbrauch zu den schlimmsten Feinden des Weltklimas zählt. Fortschritt gibt es, etwa im Bereich umweltverträglicherer Baustoffe, aber nicht annähernd genug. Der vielfach ausgewiesene Architekt und Städtebau-Historiker Vittorio Magnago Lampugnani legt nun gesammelte Argumente gegen den Neubau vor. Sein Essay "Gegen Wegwerfarchitektur" rennt weit offen stehende Tore ein und scheut sich nicht, utopische Ziele zu formulieren.
Der Autor durchstreift die Geschichte der Stadt, die er künftig nur in der kompakten Form sehen möchte, als Gegensatz zur Natur, die man dann bitte - extra muros sozusagen - möglichst in Ruhe lassen solle. Die Pest Zersiedlung, Suburbia mit ihrem Zwang zur Mobilität, macht das Problem nur größer. Wenn Provinz, dann organisiert in kleineren Städten, die alle wesentlichen Anforderungen an Urbanität erfüllen mit einer Mischung aus Wohnen, Produktion, Freizeit- und Kulturangebot.
Aktuell steht die Stadt für Lampugnani unter hohem Druck: Nachlässigkeits-, Luxus- und Investitionsleerstand schwäche ihre Entwicklung. Dabei warnt er vor der "trügerischen" Auffassung, alles, was heute an Dämmungen und Photovoltaik propagiert werde und sich "grün" nenne, sei per se klimafreundlich. Die Produktion eines energieeffizienten Gebäudes erzeuge mehr Kohlenstoffdioxid-Ausstoß als in sechzig Betriebsjahren anfalle. Drei Viertel des europäischen Baubestandes ist angeblich energetisch ineffizient - hier meldet Lampugnani Zweifel an.
Klimaschonend beheizte und üppig gedämmte Häuser, die sich "zertifiziert" nennen dürfen als Nonplusultra? Über graue Energie und Abfallentsorgung werde erst gar nicht gesprochen: "Der Konsumismus hat eine neue Begründung und die Bauindustrie eine neue Marketingmasche". So lautet seine scharfe Absage an die "vulgäre Wegwerfideologie". Lampugnani ist überzeugt davon, dass jedes Haus, das mehr als hundert Jahre steht, energetisch eine bessere Figur abgibt als ein zeitgenössisches Passivhaus.
Sein Forderungskatalog klingt drastisch. Gebaut werden dürfe grundsätzlich nur mehr dort, wo bereits gebaut wurde, neues Bauland dürfe nicht mehr ausgewiesen werden. Er plädiert für die bewährte Blockrandbebauung mit vier- bis achtgeschossigen Wohngebäuden. Bodenaushub müsse dort verwendet werden, wo er entsteht. Häuser müssten gewartet und repariert werden, und nicht als Spekulationsobjekt ihr Abrissdatum schon eingeschrieben bekommen. Auf die Denkmalpflege komme eine neue Aufgabe zu, sie müsse unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit für die Erhaltung bestehender Bausubstanz einstehen.
Der Architektenzunft scheibt Lampugnani ins Stammbuch, sie solle die "Allüre", mit aufsehenerregender Architektur glänzen zu wollen, aufgeben, sich zurückzunehmen und auf die viel schwierigere Aufgabe des Um- und Weiterbaus konzentrieren. Der Autor erinnert an die seit der Antike praktizierte Wiederverwendung von Bauteilen, nennt als Beispiele die Mezquita von Córdoba, den Dom in Pisa, in dessen Fassade römische Spolien verbaut wurden, aber auch Bauten von Schinkel und Gropius. "Nachhaltige Architektur ist immer Architektur, die sich der Globalisierung widersetzt", verfügt Lampugnani, und tritt jenem "platten, provinziellen Internationalismus" entgegen, der nicht nur Flughäfen rund um den Globus gleich aussehen lässt.
Hinweise, wie dieser Umbau gelingen könnte, gibt er auch. Um den ökologischen Notstand abzuwenden, müssten wir zurück zu einem Lebensstandard der Sechzigerjahre, der sei immer noch "ausgesprochen angenehm". Dazu könne eine neuer Architekturstil beitragen, einfache Volumina, kräftige Mauern als Speichermasse, moderate Fensteröffnungen, solides Handwerk, Wiederverwendung von qualitativ gutem Baumaterial. Der Markt werde es nicht richten, weil er die Stadt in "ein ausschließlich gewinnorientiertes Unternehmen" verwandle. Weswegen Lampugnani nicht nur Vorschriften und Anreize, sondern Sanktionen für notwendig hält - "selbst Eingriffe in Privateigentum zugunsten gemeinschaftlicher Interessen" seien künftig nicht zu vermeiden. Merke: "Das ökologischste Haus ist das, was nicht realisiert wird." HANNES HINTERMEIER
Vittorio Magnago Lampugnani: "Gegen Wegwerfarchitektur".
Klaus Wagenbach Verlag, Berlin 2023. 128 S., Abb., br., 18,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Nicht alles, was sich grün nennt, ist auch klimafreundlich: Vittorio Magnago Lampugnani plädiert für eine Stadtplanung des Um- und Weiterbaus
Vor sechs Jahren kündigte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder an, die eigens zu diesem Zweck gegründete Bayernheim solle bis 2025 zehntausend bezahlbare Wohnungen bauen. Als Anfang 2023 eine Zwischenbilanz gezogen wurde, wurde öffentlich, die staatliche Firma werde bis Ende diesen Jahres maximal 682 Wohnungen fertigstellen. Söder musste sich vorrechnen lassen, dass er damit 93 Prozent der angekündigten Wohnungen fehlen. Zum Vergleich: Das bis heute weltweit bewunderte "Rote Wien" baute von 1919 an in nur vierzehn Jahren 73.000 Wohnungen, in Form der bis heute begehrten sogenannten Arbeiterpaläste.
Aber ist ungezügelter Neubau überhaupt der richtige Weg? Seit Jahren wird der Bauindustrie vorgerechnet, dass sie in den Disziplinen Emissionen, Abfallmenge, Energie-, Ressourcen- und Flächenverbrauch zu den schlimmsten Feinden des Weltklimas zählt. Fortschritt gibt es, etwa im Bereich umweltverträglicherer Baustoffe, aber nicht annähernd genug. Der vielfach ausgewiesene Architekt und Städtebau-Historiker Vittorio Magnago Lampugnani legt nun gesammelte Argumente gegen den Neubau vor. Sein Essay "Gegen Wegwerfarchitektur" rennt weit offen stehende Tore ein und scheut sich nicht, utopische Ziele zu formulieren.
Der Autor durchstreift die Geschichte der Stadt, die er künftig nur in der kompakten Form sehen möchte, als Gegensatz zur Natur, die man dann bitte - extra muros sozusagen - möglichst in Ruhe lassen solle. Die Pest Zersiedlung, Suburbia mit ihrem Zwang zur Mobilität, macht das Problem nur größer. Wenn Provinz, dann organisiert in kleineren Städten, die alle wesentlichen Anforderungen an Urbanität erfüllen mit einer Mischung aus Wohnen, Produktion, Freizeit- und Kulturangebot.
Aktuell steht die Stadt für Lampugnani unter hohem Druck: Nachlässigkeits-, Luxus- und Investitionsleerstand schwäche ihre Entwicklung. Dabei warnt er vor der "trügerischen" Auffassung, alles, was heute an Dämmungen und Photovoltaik propagiert werde und sich "grün" nenne, sei per se klimafreundlich. Die Produktion eines energieeffizienten Gebäudes erzeuge mehr Kohlenstoffdioxid-Ausstoß als in sechzig Betriebsjahren anfalle. Drei Viertel des europäischen Baubestandes ist angeblich energetisch ineffizient - hier meldet Lampugnani Zweifel an.
Klimaschonend beheizte und üppig gedämmte Häuser, die sich "zertifiziert" nennen dürfen als Nonplusultra? Über graue Energie und Abfallentsorgung werde erst gar nicht gesprochen: "Der Konsumismus hat eine neue Begründung und die Bauindustrie eine neue Marketingmasche". So lautet seine scharfe Absage an die "vulgäre Wegwerfideologie". Lampugnani ist überzeugt davon, dass jedes Haus, das mehr als hundert Jahre steht, energetisch eine bessere Figur abgibt als ein zeitgenössisches Passivhaus.
Sein Forderungskatalog klingt drastisch. Gebaut werden dürfe grundsätzlich nur mehr dort, wo bereits gebaut wurde, neues Bauland dürfe nicht mehr ausgewiesen werden. Er plädiert für die bewährte Blockrandbebauung mit vier- bis achtgeschossigen Wohngebäuden. Bodenaushub müsse dort verwendet werden, wo er entsteht. Häuser müssten gewartet und repariert werden, und nicht als Spekulationsobjekt ihr Abrissdatum schon eingeschrieben bekommen. Auf die Denkmalpflege komme eine neue Aufgabe zu, sie müsse unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit für die Erhaltung bestehender Bausubstanz einstehen.
Der Architektenzunft scheibt Lampugnani ins Stammbuch, sie solle die "Allüre", mit aufsehenerregender Architektur glänzen zu wollen, aufgeben, sich zurückzunehmen und auf die viel schwierigere Aufgabe des Um- und Weiterbaus konzentrieren. Der Autor erinnert an die seit der Antike praktizierte Wiederverwendung von Bauteilen, nennt als Beispiele die Mezquita von Córdoba, den Dom in Pisa, in dessen Fassade römische Spolien verbaut wurden, aber auch Bauten von Schinkel und Gropius. "Nachhaltige Architektur ist immer Architektur, die sich der Globalisierung widersetzt", verfügt Lampugnani, und tritt jenem "platten, provinziellen Internationalismus" entgegen, der nicht nur Flughäfen rund um den Globus gleich aussehen lässt.
Hinweise, wie dieser Umbau gelingen könnte, gibt er auch. Um den ökologischen Notstand abzuwenden, müssten wir zurück zu einem Lebensstandard der Sechzigerjahre, der sei immer noch "ausgesprochen angenehm". Dazu könne eine neuer Architekturstil beitragen, einfache Volumina, kräftige Mauern als Speichermasse, moderate Fensteröffnungen, solides Handwerk, Wiederverwendung von qualitativ gutem Baumaterial. Der Markt werde es nicht richten, weil er die Stadt in "ein ausschließlich gewinnorientiertes Unternehmen" verwandle. Weswegen Lampugnani nicht nur Vorschriften und Anreize, sondern Sanktionen für notwendig hält - "selbst Eingriffe in Privateigentum zugunsten gemeinschaftlicher Interessen" seien künftig nicht zu vermeiden. Merke: "Das ökologischste Haus ist das, was nicht realisiert wird." HANNES HINTERMEIER
Vittorio Magnago Lampugnani: "Gegen Wegwerfarchitektur".
Klaus Wagenbach Verlag, Berlin 2023. 128 S., Abb., br., 18,- Euro.
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