»Gegenüberglück« - das ist für Sebastian Kleinschmidt eine Art Wechselrede des Geistes, lebendige Formel für das Zwiegespräch des Lesens, Signatur des Staunens und der Freude des Erkennens.Im Laufe seiner 18jährigen Tätigkeit als Chefredakteur der legendären Zeitschrift »Sinn und Form« ist Sebastian Kleinschmidt vielen großen Namen des literarischen und philosophischen Lebens begegnet. Warum es gerade Hans-Georg Gadamer, Georg Lukács, Ernst Jünger, Elias Canetti, Bertolt Brecht, George Steiner, Gerhard Nebel, René Girard, Vladimir Jankélévitch, Peter Huchel, Hartmut Lange, Thomas Hürlimann und Botho Strauß waren, mit denen er eine »Stunde der wahren Empfindung « (Handke) teilte, wird man aus den Texten selbst erfahren. Auch wenn sie der Form nach den reinen Essay und das klassische Gespräch verkörpern, gelingt Kleinschmidt in beidem etwas sehr Eigenes, fast Paradoxes: Strenge übt sich in Vorsicht, Offenheit kennt ihre Begrenztheit und Urteilskraft ihr Suchtpotential.»Vor jeder Begegnung, die beglückt, weil sie etwas befreit, das unerkannt in uns gefangen ist,liegen die Zufallswege, die zu ihr führen.« Sebastian Kleinschmidt
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.07.2008Lob des Pathos
Es gibt harte und weichere Formen der Reaktion auf Dissidententum. Die harte lernte Sebastian Kleinschmidt als von einem Kommilitonen verratener Dissident in der DDR kennen. Die weichere, da er es wagte, bald nach der Wiedervereinigung als Chefredakteur der in das neue Deutschland hinübergeretteten Zeitschrift "Sinn und Form" dort Ernst Jünger zu publizieren. Nicht nur Walter Jens schäumte ob dieses Tabubruchs vor Wut. Kleinschmidt ist ein überaus gelassener Tabubrecher und Grenzgänger. In seiner Essay-Sammlung "Gegenüberglück" formuliert er im Anschluss an ein mit Hans-Georg Gadamer geführtes Gespräch sein Programm in einem Satz: "Gelassenheit und Wartenkönnen zählen daher zu den hermeneutischen Kardinaltugenden." Gelassenheit ist die Mutter der Höflichkeit. Höflich und kenntnisreich verabschiedet sich der ehemals kritische DDR-Marxist von Brecht und Lukács und entdeckt nicht nur Ernst Jünger, sondern auch dessen schwierigen, aber völlig zu Unrecht vergessenen feurigen Verbündeten Gerhard Nebel neu. Das Zentrum seines Buches findet der Leser in dem Aufsatz "Pathosallergie und Ironiekonjunktur". Hier plädiert er ungeschützt und mit Hegel argumentierend für das Pathos als konstituierendes Element der Kunst und stellt fest: "In nichts scheint sich unsere nüchterne, verehrungsunwillige, von Visionen enttäuschte Zeit so zu gefallen wie in der Ablehnung dessen, was man die Autorität des Ergreifenden nennen könnte." Zwar begreift Kleinschmidt die Ironie als Gegenteil des Pathos, bleibt aber auch hier gerecht in einem Satz von aphoristischer Scharfsicht: "Wahrhafte Ironie, scheint mir, ist Verbergen von Frömmigkeit." Brillante Essays, scheint uns, sind das Verbergen eines Kampfes - eines Kampfes um Gewissen und Gerechtigkeit. (Sebastian Kleinschmidt: "Gegenüberglück". Essays. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2008. 259 S., geb., 24,80 [Euro].) mmes
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Es gibt harte und weichere Formen der Reaktion auf Dissidententum. Die harte lernte Sebastian Kleinschmidt als von einem Kommilitonen verratener Dissident in der DDR kennen. Die weichere, da er es wagte, bald nach der Wiedervereinigung als Chefredakteur der in das neue Deutschland hinübergeretteten Zeitschrift "Sinn und Form" dort Ernst Jünger zu publizieren. Nicht nur Walter Jens schäumte ob dieses Tabubruchs vor Wut. Kleinschmidt ist ein überaus gelassener Tabubrecher und Grenzgänger. In seiner Essay-Sammlung "Gegenüberglück" formuliert er im Anschluss an ein mit Hans-Georg Gadamer geführtes Gespräch sein Programm in einem Satz: "Gelassenheit und Wartenkönnen zählen daher zu den hermeneutischen Kardinaltugenden." Gelassenheit ist die Mutter der Höflichkeit. Höflich und kenntnisreich verabschiedet sich der ehemals kritische DDR-Marxist von Brecht und Lukács und entdeckt nicht nur Ernst Jünger, sondern auch dessen schwierigen, aber völlig zu Unrecht vergessenen feurigen Verbündeten Gerhard Nebel neu. Das Zentrum seines Buches findet der Leser in dem Aufsatz "Pathosallergie und Ironiekonjunktur". Hier plädiert er ungeschützt und mit Hegel argumentierend für das Pathos als konstituierendes Element der Kunst und stellt fest: "In nichts scheint sich unsere nüchterne, verehrungsunwillige, von Visionen enttäuschte Zeit so zu gefallen wie in der Ablehnung dessen, was man die Autorität des Ergreifenden nennen könnte." Zwar begreift Kleinschmidt die Ironie als Gegenteil des Pathos, bleibt aber auch hier gerecht in einem Satz von aphoristischer Scharfsicht: "Wahrhafte Ironie, scheint mir, ist Verbergen von Frömmigkeit." Brillante Essays, scheint uns, sind das Verbergen eines Kampfes - eines Kampfes um Gewissen und Gerechtigkeit. (Sebastian Kleinschmidt: "Gegenüberglück". Essays. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2008. 259 S., geb., 24,80 [Euro].) mmes
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.01.2009KURZKRITIK
Unter Einzelgängern
Sebastian Kleinschmidt streitet wider die Pathosallergie
Eine der Irritationen für die altbundesdeutsche Linke nach 1989 war die Sache mit Ernst Jünger. Im Westen eine persona non grata, galt er in der DDR als großer Einzelgänger. Sebastian Kleinschmidt, seit 18 Jahren Chefredakteur von „Sinn und Form”, zitiert in seinem Essayband auch gleich den „Waldgänger”, die zentrale Identifikationsschrift Jüngers für DDR-Intellektuelle, und überhaupt stellt sich Kleinschmidt in eine Geistestradition, die im Westen vorübergehend gekappt war. Programmatisch wird es im Aufsatz „Pathosallergie und Ironiekonjunktur”, wo der Autor sich in deutsch-ontologische Tiefenschichten begibt und die „Ironie”, die in der BRD in den achtziger Jahren die Oberhand gewonnen hatte, anprangert.
Von daher ist dieser Band, der auch Gelegenheitsarbeiten enthält, ein interessantes Dokument für immer noch virulente Unterschiede zwischen Ost- und Westsozialisierten. Das Ironische, Spielerische, Pragmatische, das sich in der alten Bundesrepublik mit einem popkulturellen amerikanischen Überbau langsam herausbildete, wird von Kleinschmidt mit einer zutiefst deutschen Geistesbasis konfrontiert. Aber ob das Pathos des großen Einzelnen wirklich immun gegen totalitäre Versuchungen macht? Kleinschmidts Ideal des „klausnerischen Daseins” unterliegt manchmal doch der alten deutschen Gefahr, Kultur gegen Zivilisation auszuspielen. Die Kriegsbegeisterung des jungen Ernst Jünger entspringt für Kleinschmidt einem „elementaren Hunger nach Wirklichkeit”, die Kampfschrift „Der Arbeiter” charakterisiert er als „zwar verblendet, doch nicht blind” – nicht immer steht der große Einzelne dem Zeitgeist jedoch so konträr gegenüber, wie er selbst es gern darstellt. Ein lesenswertes, zur Kritik herausforderndes Buch. HELMUT BÖTTIGER
SEBASTIAN KLEINSCHMIDT: Gegenüberglück. Essays. Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2008. 259 S., 24,80 Euro.
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Unter Einzelgängern
Sebastian Kleinschmidt streitet wider die Pathosallergie
Eine der Irritationen für die altbundesdeutsche Linke nach 1989 war die Sache mit Ernst Jünger. Im Westen eine persona non grata, galt er in der DDR als großer Einzelgänger. Sebastian Kleinschmidt, seit 18 Jahren Chefredakteur von „Sinn und Form”, zitiert in seinem Essayband auch gleich den „Waldgänger”, die zentrale Identifikationsschrift Jüngers für DDR-Intellektuelle, und überhaupt stellt sich Kleinschmidt in eine Geistestradition, die im Westen vorübergehend gekappt war. Programmatisch wird es im Aufsatz „Pathosallergie und Ironiekonjunktur”, wo der Autor sich in deutsch-ontologische Tiefenschichten begibt und die „Ironie”, die in der BRD in den achtziger Jahren die Oberhand gewonnen hatte, anprangert.
Von daher ist dieser Band, der auch Gelegenheitsarbeiten enthält, ein interessantes Dokument für immer noch virulente Unterschiede zwischen Ost- und Westsozialisierten. Das Ironische, Spielerische, Pragmatische, das sich in der alten Bundesrepublik mit einem popkulturellen amerikanischen Überbau langsam herausbildete, wird von Kleinschmidt mit einer zutiefst deutschen Geistesbasis konfrontiert. Aber ob das Pathos des großen Einzelnen wirklich immun gegen totalitäre Versuchungen macht? Kleinschmidts Ideal des „klausnerischen Daseins” unterliegt manchmal doch der alten deutschen Gefahr, Kultur gegen Zivilisation auszuspielen. Die Kriegsbegeisterung des jungen Ernst Jünger entspringt für Kleinschmidt einem „elementaren Hunger nach Wirklichkeit”, die Kampfschrift „Der Arbeiter” charakterisiert er als „zwar verblendet, doch nicht blind” – nicht immer steht der große Einzelne dem Zeitgeist jedoch so konträr gegenüber, wie er selbst es gern darstellt. Ein lesenswertes, zur Kritik herausforderndes Buch. HELMUT BÖTTIGER
SEBASTIAN KLEINSCHMIDT: Gegenüberglück. Essays. Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2008. 259 S., 24,80 Euro.
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