Produktdetails
- Verlag: Knecht
- ISBN-13: 9783782008310
- ISBN-10: 3782008316
- Artikelnr.: 23996074
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.01.2001Rettungsschwimmer im Geburtskanal
Was die Gene ihrer Umwelt so alles zu erzählen haben: Johannes Huber bringt Biowissenschaften und Theologie miteinander ins Gespräch über Gott und die Welt
Wenn der Autor eines Buches zugleich Doktor der Theologie ist (und Sekretär des Wiener Kardinals König war) und Professor für Reproduktionsmedizin (und eine Klinik leitet), dann hört man gerne zu. Denn das Gespräch zwischen den Disziplinen hat genau jetzt, in Zeiten der Genom-Entzifferung, seine Stunde. Die Botschaft des Selbstgesprächs, das der Autor mit seinen beiden Kompetenzen, ja noch mit einer dritten, der psychologischen, führt, betrifft zwar nicht genau die jüngste Debatte über Gen-Ethik, wohl aber deren wissenschaftlichen Rahmen. Also: Wie sich das denn zueinander verhält, das Werden der Natur und der Sinn des Lebens, die Medizin und die Auffassung vom Menschen, sein biologisches Werden und sein psychisches Reifen, am Ende auch: die allmähliche Menschwerdung des Menschen und die christliche Auffassung von der Menschwerdung Gottes. Johannes Huber versucht nicht leichtfertig eine Synthese, sondern bleibt der biologisch-medizinischen Spur genauso treu wie der psychologischen und auch der theologischen.
Ist denn also die Schöpfung durch eine Kette unglaublich exakt aufeinander abgepaßter Zufälle entstanden? Ist Evolution insofern die Erklärung des Ganzen, als sich Zufallsbildungen als das je Stärkere einfach durchgesetzt hätten? Nein, sagt Huber, das wäre genauso, wie wenn man die Entstehung eines Lexikons aus der Explosion einer Druckerei erklären wollte. Die genetische Ordnung ist nicht das Ergebnis eines würfelnden Gottes, sondern Produkt eines Zwiegesprächs, das die Gene mit der Außenwelt führen. In diesem Sinne gibt es so etwas wie ein Reagieren der Gene auf ihr Umfeld, reaktive Bewegungen, Gespräche zwischen Gen und Umwelt. "Zwiegespräch", "Dialog" wird dann das Schlüsselwort dieses Buches.
Kein Wunder, daß im Augenblick deshalb der alte Jean-Baptiste Lamarck wieder Zulauf erfährt, während Darwins Theorie, die zufällige Sprünge annimmt, zusehends veraltet. Kann es so etwas geben wie eine zielgerichtete, steuernde Kraft, die die Ereignisse in eine bestimmte Richtung lenkt? Liegt in dieser Richtung nicht auch Sinn und Geist? Huber verzichtet souverän darauf, dieses sogleich Gott oder gar Gottes Willen zu nennen. Es geht ihm viel schlichter darum, daß nicht überhaupt alles nur von Zufallssprüngen sozusagen geistloser Materie bestimmt wird. Ein übergeordneter Sinn triumphiert über die nackte Gewalt der natürlichen Auslese.
Das methodische Grundprinzip seines Buchs wendet Huber dann auch auf die Entstehung jedes einzelnen Menschen an: Grundlegend ist der Dialog. Jede Ausgangsthese wird in einer dialogischen Antithese aufgegriffen, erfährt eine Reaktion, in der die Antwort als Anfrage noch erkennbar ist. Das Weltprinzip Hubers ist ein Weltgeschehen dialogischer Art.
Wenn also ein Mensch nach der Geburt allmählich zu dem heranreift, der er ist, haben nicht die Geburtsvorgänge starke Nachwirkungen? Etwa in dem Sinne, daß der Augenblick, in dem das kleine Kind das Licht der Welt erblickt, prägend wird für seine Meinung über Befreiung und Erlösung überhaupt? Daß das ganze psychische Leben des Menschen Reaktion ist auf die Grunderfahrung des Geborenwerdens? Es mag sein, daß Huber am Ende die archetypische Bedeutung der Geburt für das ganze weitere Leben überschätzt - unbestreitbar ist, daß die Bilder aus dem Geburtsvorgang selbst noch die Art prägen, in der Menschen das Sterben erleben. Denn nach allem, was wir aus den Nahtoderfahrungen wissen, gilt: Der Tod wird wie der Durchgang durch einen Geburtskanal erlebt. Wenn auch Martin Luther das in seinem "Sermon vom Sterben" so schildert, dann beruft er sich zu Recht auf uralte Erfahrungen der ganzen Menschheit, eben auf die Befreiung aus dem Dunkel hinein in die lichte Welt.
Wenn der Mensch aber nicht mehr bloßes Zufalls- oder Abfallsprodukt der Evolution ist, sondern in einer Sinnspur steht, dann wird das Werden in der Natur in gewissem Sinne menschlicher, für die menschliche Frage nach Ordnung und Sinn faßbarer. Und ganz Entsprechendes nimmt Huber auch für die sogenannte Offenbarung Gottes an. Denn wenn die Gene, die wir in uns tragen, durch einen langwierigen dialogischen Prozeß mit der Umwelt geprägt sind, wenn auch unsere Heilsvorstellungen bestimmt sind durch Erfahrungen wie die der Geburt, dann bedeutet das: Unsere Erkenntnisse und Vorstellungen sind nicht willkürlich oder zufällige Phantasieprodukte, sondern spiegeln eine tatsächlich existente Wirklichkeit, eben unsere Umwelt. Könnte es nicht mit der Gottesvorstellung genauso sein? Gilt der Satz Hubers: "Gäbe es ihn nicht, dann hätten wir von ihm keine begriffliche Ahnung"? Und vielleicht bedeutet das für die Offenbarung: Hier werden den Menschen nicht irgendwelche beliebigen transzendenten und rein himmlischen Dinge mitgeteilt, sondern Gott geht auf unser Leben und Verstehen ein.
So lautet das Fazit des Buches: Menschliches und anderes Leben ist gewollt, und der Mensch hat Anteil an der Weltvernunft. Andererseits greift Gott den Menschen auf und ergreift ihn. Dabei wird das typisch Menschliche nicht zerstört, sondern der Mensch findet Sinn so, wie er ist. Anderes wäre gar nicht möglich. Der Mensch soll nicht Engel werden, sondern eben Mensch. Auf diese Weise gelingt Johannes Huber ein kühner Brückenschlag zwischen der Theologie der Inkarnation und der Naturwissenschaft. Während nämlich Theologen sonst oft die Menschwerdung Gottes als eine Art Wunder verstehen, bei dem der große Gott ganz klein wird, geht es Huber nicht länger um ein Kontrastwunder dieser Art. Sondern Gott will sich verständlich machen, will eingehen auf die Bedingungen unseres Verstehens. Am Ende stellt sich dieses Buch dar als konsequente Durchführung eines dialogischen Grundansatzes - nicht ohne ein gewisses Quantum Hegel (wie in der katholischen Systematik seit Karl Rahner oft üblich). Es kann gut sein, daß diese Art Philosophie dem gegenwärtigen Gespräch nützliche Dienste leistet.
KLAUS BERGER.
Johannes Huber: "Geheimakte Leben". Wie die Biomedizin unser Leben und unsere Weltsicht verändert. Mit einem Vorwort von Franz Kardinal König. Knecht Verlag, Frankfurt am Main 2000. 221 S., geb., 39,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Was die Gene ihrer Umwelt so alles zu erzählen haben: Johannes Huber bringt Biowissenschaften und Theologie miteinander ins Gespräch über Gott und die Welt
Wenn der Autor eines Buches zugleich Doktor der Theologie ist (und Sekretär des Wiener Kardinals König war) und Professor für Reproduktionsmedizin (und eine Klinik leitet), dann hört man gerne zu. Denn das Gespräch zwischen den Disziplinen hat genau jetzt, in Zeiten der Genom-Entzifferung, seine Stunde. Die Botschaft des Selbstgesprächs, das der Autor mit seinen beiden Kompetenzen, ja noch mit einer dritten, der psychologischen, führt, betrifft zwar nicht genau die jüngste Debatte über Gen-Ethik, wohl aber deren wissenschaftlichen Rahmen. Also: Wie sich das denn zueinander verhält, das Werden der Natur und der Sinn des Lebens, die Medizin und die Auffassung vom Menschen, sein biologisches Werden und sein psychisches Reifen, am Ende auch: die allmähliche Menschwerdung des Menschen und die christliche Auffassung von der Menschwerdung Gottes. Johannes Huber versucht nicht leichtfertig eine Synthese, sondern bleibt der biologisch-medizinischen Spur genauso treu wie der psychologischen und auch der theologischen.
Ist denn also die Schöpfung durch eine Kette unglaublich exakt aufeinander abgepaßter Zufälle entstanden? Ist Evolution insofern die Erklärung des Ganzen, als sich Zufallsbildungen als das je Stärkere einfach durchgesetzt hätten? Nein, sagt Huber, das wäre genauso, wie wenn man die Entstehung eines Lexikons aus der Explosion einer Druckerei erklären wollte. Die genetische Ordnung ist nicht das Ergebnis eines würfelnden Gottes, sondern Produkt eines Zwiegesprächs, das die Gene mit der Außenwelt führen. In diesem Sinne gibt es so etwas wie ein Reagieren der Gene auf ihr Umfeld, reaktive Bewegungen, Gespräche zwischen Gen und Umwelt. "Zwiegespräch", "Dialog" wird dann das Schlüsselwort dieses Buches.
Kein Wunder, daß im Augenblick deshalb der alte Jean-Baptiste Lamarck wieder Zulauf erfährt, während Darwins Theorie, die zufällige Sprünge annimmt, zusehends veraltet. Kann es so etwas geben wie eine zielgerichtete, steuernde Kraft, die die Ereignisse in eine bestimmte Richtung lenkt? Liegt in dieser Richtung nicht auch Sinn und Geist? Huber verzichtet souverän darauf, dieses sogleich Gott oder gar Gottes Willen zu nennen. Es geht ihm viel schlichter darum, daß nicht überhaupt alles nur von Zufallssprüngen sozusagen geistloser Materie bestimmt wird. Ein übergeordneter Sinn triumphiert über die nackte Gewalt der natürlichen Auslese.
Das methodische Grundprinzip seines Buchs wendet Huber dann auch auf die Entstehung jedes einzelnen Menschen an: Grundlegend ist der Dialog. Jede Ausgangsthese wird in einer dialogischen Antithese aufgegriffen, erfährt eine Reaktion, in der die Antwort als Anfrage noch erkennbar ist. Das Weltprinzip Hubers ist ein Weltgeschehen dialogischer Art.
Wenn also ein Mensch nach der Geburt allmählich zu dem heranreift, der er ist, haben nicht die Geburtsvorgänge starke Nachwirkungen? Etwa in dem Sinne, daß der Augenblick, in dem das kleine Kind das Licht der Welt erblickt, prägend wird für seine Meinung über Befreiung und Erlösung überhaupt? Daß das ganze psychische Leben des Menschen Reaktion ist auf die Grunderfahrung des Geborenwerdens? Es mag sein, daß Huber am Ende die archetypische Bedeutung der Geburt für das ganze weitere Leben überschätzt - unbestreitbar ist, daß die Bilder aus dem Geburtsvorgang selbst noch die Art prägen, in der Menschen das Sterben erleben. Denn nach allem, was wir aus den Nahtoderfahrungen wissen, gilt: Der Tod wird wie der Durchgang durch einen Geburtskanal erlebt. Wenn auch Martin Luther das in seinem "Sermon vom Sterben" so schildert, dann beruft er sich zu Recht auf uralte Erfahrungen der ganzen Menschheit, eben auf die Befreiung aus dem Dunkel hinein in die lichte Welt.
Wenn der Mensch aber nicht mehr bloßes Zufalls- oder Abfallsprodukt der Evolution ist, sondern in einer Sinnspur steht, dann wird das Werden in der Natur in gewissem Sinne menschlicher, für die menschliche Frage nach Ordnung und Sinn faßbarer. Und ganz Entsprechendes nimmt Huber auch für die sogenannte Offenbarung Gottes an. Denn wenn die Gene, die wir in uns tragen, durch einen langwierigen dialogischen Prozeß mit der Umwelt geprägt sind, wenn auch unsere Heilsvorstellungen bestimmt sind durch Erfahrungen wie die der Geburt, dann bedeutet das: Unsere Erkenntnisse und Vorstellungen sind nicht willkürlich oder zufällige Phantasieprodukte, sondern spiegeln eine tatsächlich existente Wirklichkeit, eben unsere Umwelt. Könnte es nicht mit der Gottesvorstellung genauso sein? Gilt der Satz Hubers: "Gäbe es ihn nicht, dann hätten wir von ihm keine begriffliche Ahnung"? Und vielleicht bedeutet das für die Offenbarung: Hier werden den Menschen nicht irgendwelche beliebigen transzendenten und rein himmlischen Dinge mitgeteilt, sondern Gott geht auf unser Leben und Verstehen ein.
So lautet das Fazit des Buches: Menschliches und anderes Leben ist gewollt, und der Mensch hat Anteil an der Weltvernunft. Andererseits greift Gott den Menschen auf und ergreift ihn. Dabei wird das typisch Menschliche nicht zerstört, sondern der Mensch findet Sinn so, wie er ist. Anderes wäre gar nicht möglich. Der Mensch soll nicht Engel werden, sondern eben Mensch. Auf diese Weise gelingt Johannes Huber ein kühner Brückenschlag zwischen der Theologie der Inkarnation und der Naturwissenschaft. Während nämlich Theologen sonst oft die Menschwerdung Gottes als eine Art Wunder verstehen, bei dem der große Gott ganz klein wird, geht es Huber nicht länger um ein Kontrastwunder dieser Art. Sondern Gott will sich verständlich machen, will eingehen auf die Bedingungen unseres Verstehens. Am Ende stellt sich dieses Buch dar als konsequente Durchführung eines dialogischen Grundansatzes - nicht ohne ein gewisses Quantum Hegel (wie in der katholischen Systematik seit Karl Rahner oft üblich). Es kann gut sein, daß diese Art Philosophie dem gegenwärtigen Gespräch nützliche Dienste leistet.
KLAUS BERGER.
Johannes Huber: "Geheimakte Leben". Wie die Biomedizin unser Leben und unsere Weltsicht verändert. Mit einem Vorwort von Franz Kardinal König. Knecht Verlag, Frankfurt am Main 2000. 221 S., geb., 39,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Ein Theologe und Mediziner als Autor, ein gelungener Brückenschlag zwischen Theologie und Naturwissenschaft. So legt es Klaus Berger in seiner Besprechung dar. Gelungen findet er den Spagat vor allem deshalb, weil der Autor nicht leichtfertig zu Werke geht, sondern sowohl der biologisch-medizinischen als auch der theologischen Spur treu bleibt bei seinem Versuch, uns das Verhältnis zwischen dem Werden der Natur und dem Sinn des Lebens näher zu bringen. Als das methodische Grundprinzip des Buches erkennt Berger den Dialog, der es mit sich bringt, dass der Autor sich nicht vorschnell auf eine Seite einschießt und etwa alles dem Zufall oder ausschließlich dem Willen Gottes zuordnet. Hinter diesem Prinzip verberge sich natürlich "ein gewisses Quantum Hegel", schreibt Berger und ist damit ganz glücklich: Gut möglich, meint er, dass diese Art von Philosophie nützliche Dienste leistet.
© Perlentaucher Medien GmbH
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