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Die "geheimen Zimmer" sind die Räume, die wir vor den anderen verschließen, in denen wir unsere Geheimnisse aufbewahren. Jelmer van Hoff, der Ich-Erzähler, ein ehemaliger Geschichtslehrer, liebt Daphne, die Frau seines Studienfreundes Nico Sibelijn und eine berühmte Sängerin, die wiederum ihren alten Gesangslehrer liebt. Auch Paula, Jelmers Frau, lebt zwar noch mit ihm unter einem Dach, hat sich aber innerlich längst von ihm gelöst. Dieser Mann scheint für das Unglück geboren, und doch gilt ihm die ganze Sympathie des Lesers, seiner Ehrlichkeit und Uneitelkeit, seiner Romantik, seiner…mehr

Produktbeschreibung
Die "geheimen Zimmer" sind die Räume, die wir vor den anderen verschließen, in denen wir unsere Geheimnisse aufbewahren. Jelmer van Hoff, der Ich-Erzähler, ein ehemaliger Geschichtslehrer, liebt Daphne, die Frau seines Studienfreundes Nico Sibelijn und eine berühmte Sängerin, die wiederum ihren alten Gesangslehrer liebt. Auch Paula, Jelmers Frau, lebt zwar noch mit ihm unter einem Dach, hat sich aber innerlich längst von ihm gelöst. Dieser Mann scheint für das Unglück geboren, und doch gilt ihm die ganze Sympathie des Lesers, seiner Ehrlichkeit und Uneitelkeit, seiner Romantik, seiner Selbstironie und seinem stoischen Sarkasmus, aber vor allem seiner Hingegebenheit an das Leben. Tragisch-komisch wie das Leben ist dieser Roman, geschrieben in einer spielerischen, reichen Sprache - ein Lesevergnügen auf hohem literarischem Niveau.
Autorenporträt
Jeroen Brouwers ist 1940 in Batavia, der damaligen Hauptstadt von Niederländisch-Ostindien, geboren. Er wurde 1943 bis1945 zusammen mit allen weiblichen Familienangehörigen im japanischen Lager Tjideng interniert. 1948 kehrte die Familie in die Niederlande zurück. Nach einer Ausbildung zum Journalisten arbeitete er 1964 bis 1976 als Redakteur in Brüssel. Seinen ersten Roman veröffentlichte Brouwers 1967.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.01.2003

Herzensergüsse in Entengrütze
Wo das Leben trist ist, feiert die Literatur Triumphe: Jeroen Brouwers verwandelt den klassischen Ehebruchsroman in eine Opera buffa

Daphne war in der griechischen Mythologie eine jungfräuliche Jägerin, die sich weder Mensch noch Gott hingab. Eros, von Apollon verspottet, machte den Frevler mit einem goldenen Pfeil rasend vor Liebe und Daphne mit einem stumpfen frigide. Von Apollon verfolgt, verwandelte sich die Nymphe in einen Lorbeerbaum; seither tragen Leier und Bogen Lorbeerkränze. In dem Roman "Geheime Zimmer", für den Jeroen Brouwers in Holland und Belgien mit Kritikerlorbeer, fünf Literaturpreisen und Bestsellerruhm gekrönt wurde, ist Daphne eine zickige Opernsängerin und ihr verzweifelter Liebhaber ein frühpensionierter Lehrer, der auf seinem Hausboot gelangweilt Patiencen legt. Jelmer van Hoff, der Erzähler, ist ein geborener Verlierer, gescheitert als Intellektueller, Mann und Mensch. Daphne, die Frau seines Jugendfreundes Nico, war ihm schon als Student aufgefallen; jetzt, da sie zur ätherischen Sopranistin und der Archäologe Nico zu einer Art Erich von Däniken gereift ist, setzt er sich schmachtend wieder auf ihre Fährte. Aber statt eines Liebesabenteuers erlebt er sein Fiasko: Leichtgläubig und naiv, täppisch und apathisch brummend, läßt sich der Tanzbär von der hysterischen Diva am Nasenring der Liebe durch den holländischen Dauerregen und hinters Licht führen.

"Geheime Zimmer" ist ein klassischer Ehebruchsroman. Die Pointe dabei ist, daß der Lehrer von der traurigen Gestalt nie ans Ziel seiner Wünsche gelangt. Jäger und Beute verheddern sich bald so im Netz ihrer Lügen, daß sie sich nur noch beschnuppern und belauern, aber nicht mehr bewegen oder gar ovidische Metamorphosen durchleben können. Jelmer belügt und betrügt seine Frau Paula - und muß sich von ihr, die kein Geheimnis aus ihrer Untreue macht, wie ein verschämter Sünder verdächtigen, ertappen und verhöhnen lassen. Er glaubt, Nico zu hintergehen; dabei sorgt Daphne doch dafür, daß der akademische Betrüger "nicht zu kurz kommt"; ihr alter Liebhaber, ein Gesangslehrer, hält sich unterdessen an seinem Studentinnen-Harem schadlos.

So hält die kapriziöse, selbst- und magersüchtige Sängerin ihren Verehrer mit opernhaften Auftritten - Ohnmachten, Liebesbrief-Arien, kichernde Koloraturen am Telefon - bei Laune und gleichzeitig von ihrem Allerheiligsten fern. Ihre Lügen rechtfertigt sie mit einer pathetisch-praktischen Erkenntnistheorie: "Wenn du nichts sagst, ist es, als wäre nichts geschehen." Was niemand hört, sieht und weiß, existiert nicht in ihrer Schicksalstragödie. Droht die Wahrheit sie einzuholen, zieht sich Madame Uitwyck huldvoll schmollend in die geheimen Zimmer ihres Herzens zurück. Jelmer glaubte den Schlüssel dafür zu besitzen, durfte aber allenfalls Blicke durchs Schlüsselloch werfen: Er war nur der Eunuch in ihrer "Entführung aus dem Serail", ein Chorknabe ihrer Racheoper und Blasebalg ihrer Gefühlsorgel. Immerhin, ihr Katechismus der Lüge machte ihn zum Schriftsteller. Nicht zufällig lud sie ihn zur "Matthäuspassion" und zu Haydns "Schöpfung" ein: Der Lügner ist ein literarischer Weltenschöpfer und muß dafür am Kreuz seiner Leidenschaft büßen.

Der Kritiker, Essayist und Schriftsteller Brouwers gilt in seiner Heimat als Spezialist für literarische Selbstmorde; drei seiner fast vierzig Bücher handeln von diesem Motiv, und es fehlt nicht viel, daß auch Jelmer zum Strick greift. Drei Jahre lang belagert der romantische Trottel die Festung Daphne, setzt alles, was ihm an Vernunft, Stolz und Glück geblieben ist, aufs Spiel und erntet nur Hohn und Häme dafür: Paulas Liebhaber, Dr. psych. A. Weldon, erteilt ihm therapeutische Nachhilfestunden; ein Paparazzo zieht ihn in den Schmutz, in dem Jelmer sich von jeher suhlte. Schon die alten Meister der holländischen Genremalerei liebten es derb, und auch Brouwers scheut vor keiner Peinlichkeit zurück. Wie seine alte, kranke Hündin Nonja wird der Lehrer ständig von Diarrhö, Darmwinden, Brechreiz, physischer und psychischer Inkontinenz geplagt: Seine Herzensergüsse landen in der Entengrütze, sein Wohnboot wird von stinkendem Brackwasser überflutet. Seine mongoloide Tochter Hanneke besabbert beim Besuchstag im Heim Effata (ein erzählerisches Glanzstück: schonungslos, grausam und doch anrührend zart und zärtlich) seinen besten Anzug; Gonneke, die anschmiegsame Witwe, reinigt die Hose und spendet ihm betrunken glucksend sexuellen Trost. So kriecht Mijnheer van Hoff, ohne Hoffnung und wider besseres Wissen, immer wieder zu Daphne zurück, ein "herumwühlendes, dreckiges, geiles Schwein auf der Suche nach Trüffeln". Er hält sich für Petrarca, Orpheus und verklebt sich listig wie Odysseus das Ohr mit Wachs und erliegt doch dem Gesang einer Sirene, deren geheime Zimmer bloß Banalitäten, Launen und Lügen bergen.

Manches an dieser Tragikomödie ist albern, geschmacklos oder unbeholfen; es gibt neben feingesponnenen Leitmotiven und mythologischem Zierat viel bombastische Symbolik, Vulgärpsychologie und verrutschte Metaphern. Aber selbst in Kot und Erniedrigung bleibt die Sprache plastisch, sinnlich und erbarmungslos genau: Die Geheimniskrämer behalten ihr Geheimnis, ihre Lügen verraten die Wahrheit über Liebe, Verrat und Tod. Brouwers stattet seinen Helden mit einem sarkastischen Gleichmut aus, der das Grobe und Monströse delikat, das Bittere süß und das Traurige heiter macht; so werden Niederlagen in literarische Siege umgemünzt. In seinen früheren Romanen - nur "Versunkenes Rot", der zweite Teil einer Trilogie über seine Jugend in Indonesien, wurde bislang ins Deutsche übersetzt - war Brouwers oft pathetisch und barock überladen, angestrengt und anstrengend. Mit "Geheime Zimmer" hat er jetzt nach zehnjähriger Pause zu einer kompositorischen Sicherheit, erzählerischen Ökonomie und melancholischen Gelassenheit gefunden, die seinen Roman zu einer, wie der Holländer sagt, "leckeren" Opera buffa machen.

Jeroen Brouwers: "Geheime Zimmer". Roman. Aus dem Niederländischen übersetzt von Christiane Kuby. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2002. 430 S., geb., 24,90 [Euro].

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"'Geheime Zimmer' ist ein Meisterwerk. Ein notwendiges Meisterwerk für unsere Zeit, für meine egoistische Generation." (Geert von Istendael in Vrij Nederland)
"'Geheime Zimmer' ist spannend, anrührend, grausam, traurig undvoller Humor." (De Morgen)