E. L. James: Geheimes Verlangen - ein Welterfolg!
Kennen Sie schon den Bestseller von E. L. James? Geheimes Verlangen ist ein Erotikbuch, das zuerst in einem kleinen australischen Verlag erschien und über Mundpropaganda zu einem internationalen Erfolg wurde. Lesen auch Sie den Liebesroman, über den jeder spricht!
In E. L. James' Geheimes Verlangen geht es um die junge Literaturstudentin Ana Steele, die noch nicht allzu viele Erfahrungen in der Liebe gesammelt hat. Bei einem Interview für Ihre Universitätszeitung lernt sie den reichen und attraktiven Unternehmer Christian Grey kennen. Dieser zieht sie sofort in seinen Bann. Die Begegnung mit ihm verwirrt Ana sehr und sie möchte ihn so schnell wie möglich wieder vergessen - doch das klappt nicht. Grey übernimmt immer mehr die Kontrolle über Anas Gefühlswelt und führt Ana in eine dunkle, gefährliche Welt der Liebe ein. Eine Liebe, vor der sie zurückschreckt und die sie unwiderstehlich anzieht.
Bestellen Sie jetzt den leidenschaftlichen Roman von E. L. James! Er wird sicher auch Sie fesseln!
Kennen Sie schon den Bestseller von E. L. James? Geheimes Verlangen ist ein Erotikbuch, das zuerst in einem kleinen australischen Verlag erschien und über Mundpropaganda zu einem internationalen Erfolg wurde. Lesen auch Sie den Liebesroman, über den jeder spricht!
In E. L. James' Geheimes Verlangen geht es um die junge Literaturstudentin Ana Steele, die noch nicht allzu viele Erfahrungen in der Liebe gesammelt hat. Bei einem Interview für Ihre Universitätszeitung lernt sie den reichen und attraktiven Unternehmer Christian Grey kennen. Dieser zieht sie sofort in seinen Bann. Die Begegnung mit ihm verwirrt Ana sehr und sie möchte ihn so schnell wie möglich wieder vergessen - doch das klappt nicht. Grey übernimmt immer mehr die Kontrolle über Anas Gefühlswelt und führt Ana in eine dunkle, gefährliche Welt der Liebe ein. Eine Liebe, vor der sie zurückschreckt und die sie unwiderstehlich anzieht.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.07.2012Mit Duschgel gefesselt
Den sadomasochistischen Bestseller „Shades of Grey“ gibt es jetzt auch auf Deutsch – ein Deutungsversuch
Anastasia Steel und Christian Grey sind ein erotisches Traumpaar. Es funkt sofort. Dabei ist Anastasia, genannt Ana, Studentin der Englischen Literatur im kanadischen Vancouver, nur eingesprungen für ihre erkältete Freundin Kate, mit der sie eine WG teilt. Kate sollte für die Studentenzeitung ein Interview mit dem steinreichen Unterstützer der Uni machen, dem Boss eines weltweit operierenden IT-Unternehmens. Der residiert im amerikanischen Seattle, sodass Ana 250 Kilometer zum Interview mit Mister Grey fahren muss. „Zum Glück“, denkt Ana mit dem ihr eigenen praktischen Sinn, „hat Kate mir ihren spritzigen Mercedes CLK geliehen. Ob ich es mit Wanda, meinem alten VW-Käfer, pünktlich schaffen würde, ist fraglich. Doch mit dem Mercedes macht die Sache Spaß, und ich trete das Gaspedal durch.“
Die Autorin dieser entwaffnend simplen Prosa heißt E. L. James, eigentlich Erika Leonard, Jahrgang 1963, wohnhaft in London, verheiratet, zwei Kinder. Seit sie mit ihrer Romantrilogie „Shades of Grey“ binnen eines Jahres ungefähr so reich geworden sein dürfte wie ihre Romanfigur Mister Grey, schleppt sie sich nicht mehr ins Büro des Fernsehsenders, bei dem sie angestellt war. Ihren märchenhaften Erfolg packt sie in britisches Understatement: Sie habe ihre Midlifecrisis mit eigenen Phantasien bearbeitet, „das ist alles“. Der Ehe hat’s offenbar nicht geschadet, ihrem Mann („Für Niall, den Herrn und Meister meines Universums“) ist der Schinken gewidmet.
Nun ist der erste Band von „Shades of Grey“ auf Deutsch unter dem Titel „Geheimes Verlangen“ erschienen. Auf den ersten Blick handelt es sich um einen genretypischen erotischen Roman mit pornografischen Anteilen. Im Zentrum stehen das einundzwanzigjährige Unschuldslamm Ana, dessen sinnliches Potenzial als „Sub“ noch zu entdecken ist, und der gewiefte Habitué Grey, der für seine sadomasochistischen Arrangements keine Mittel scheut. Ana wird seine ideale, wenngleich widerspenstige Geliebte, die er in seine Künste (und Abgründe) mit der Höchstgeschwindigkeit eines Mercedes CLK einführt. Nachdem er sie entjungfert hat, korrekt mit Kondom (bald folgt die Pille), ruft sie uns zu: „Wahnsinn! Jetzt weiß ich, wovon alle schwärmen.“
Das klassische Modell also, vergleichbar der „Histoire d’O“ (1954) von Pauline Réage, nur dass die Geschichte von Ana und Mister Grey nicht mehr auf einem abgelegenen Schloss angesiedelt ist; auch sind die Libertins längst keine Aristokraten mehr. Das „Spielzimmer“, in dem Mister Grey sein Werkzeug (Ketten, Peitschen etc.) bereithält, ist in das Anwesen eines heutigen Superreichen, inklusive Chauffeur und Haushälterin, verlegt. Man sollte präzisieren: Es ist das Klischee-Anwesen eines Klischee-Amerikaners. Die britische Autorin hätte ihre Phantasie auch auf heimischem Terrain austoben können. Hat sie aber nicht.
Das peinliche Selbstbewusstsein dieses siebenundzwanzigjährigen Beau namens Grey kann man nur als Parodie des naivsten Kapitalismus amerikanischer Machart begreifen. Auf Anas Interviewfrage, wie er so jung reich und erfolgreich sein könne, antwortet ihr zukünftiger Liebhaber und „Dom“ im Duktus einer Werbebroschüre: „Im Geschäftsleben geht es um Menschen, Miss Steele, und ich bin ein guter Menschenkenner. Ich weiß, wie sie ticken, was ihren Erfolg oder Misserfolg ausmacht, was sie antreibt und wie man sie motiviert. Ich beschäftige ein außergewöhnliches Team, das ich großzügig entlohne.“
Es ist schon fast schmerzhaft angeberisch, wie Grey das Mittelstandsgirl Ana im Hubschrauber von einer Stadt zur anderen fliegt, wie er ihr einen brandneuen Audi aufdrängt und einen Blackberry, mit dem dann ein Großteil der erotischen Kommunikation abgewickelt wird. Oder, besonders krass, wie er seinen Privatjet stundenlang „auf Standby“ hält, während er Ana und ihrer Mutter in einer Hotelbar hinterherspioniert.
Das Buch steckt überhaupt voller Schleichwerbung. Den Auto- und Mobiltelefonmarken gesellen sich Macs, iPads, iPhones und Klamotten von Ralph Lauren hinzu sowie die Monsterfirmen Amazon (wo man Bücher bestellt, wo sonst) und Google, vom obligatorischen Moët nicht zu reden. Zwei interessante Phänomene kommen hier zusammen: eine absolut standardisierte Warenwelt und ein kindliches Verhältnis zum Konsum. Dem passt sich die pornografische Sprache an, der es an jeglicher Originalität und Poesie gebricht. Nach obszönen Ausdrücken sucht man vergeblich.
Mit klinischer Akkuratesse werden die Körperteile bezeichnet, die da zu- und ineinander finden. Der Geruch von Duschgel verschwindet nie. Und wenn „seine Erektion zum Vorschein kommt“, meint man, Streber über Sex sprechen zu hören: Pornostreber. Denkt man dagegen an Nicholson Bakers Roman „Haus der Löcher“, diese köstlich schmuddelige Satire auf ein pornografisches Wunderland im US-amerikanischen Nirgendwo, wird der Unterschied schreiend deutlich.
Doch bleiben wir nüchtern und halten die literaturkritischen Reflexe niedrig. Schließlich will E. L. James gar keine Literatur schreiben, wenngleich Literatur – englische, keine amerikanische! – sehr wohl Erwähnung findet. Einmal gesteht Ana, die den nordamerikanischen Kontinent nie verlassen hat, sie würde gern das Land kennenlernen, in dem Shakespeare und Jane Austen ihre Inspiration fanden. Der aufmerksame Grey lässt es sich nicht nehmen, Ana mit der Erstausgabe von Thomas Hardys „Tess of d’Ubervilles“ (1891) zu verblüffen, einem Klassiker der sexuellen Unterwerfung. Anas Freundin Kate taxiert per Google das Geschenk gleich auf vierzehntausend Dollar. Alles soll vom Teuersten sein bei diesem Märchenprinzen aus dem Manager-Modellbaukasten, der jedoch, wie Ana schnell herausfindet, eine traurige, unheimliche Seite hat.
Und darauf kommt es an. Denn die dunkle Seite des talentierten Mister Grey – er spielt nebenbei „umwerfend“ Klavier – wirkt auf Ana anziehend. Als er in dem Baumarkt, wo Ana jobbt, nach Kreppklebeband und Schnüren verlangt, ahnt sie noch nichts Böses. Bald aber führt er sie in sein Reich: in das „Spielzimmer“, eine Variante des de Sade’schen Boudoirs für das 21. Jahrhundert. Ana fühlt sich dennoch an die „Inquisition“ erinnert. Ist sie erschrocken? Ja und nein. E. L. James hat sich für Anas Ambivalenz – sie ist ja auf der Suche nach einer noch unbekannten Lust – eine geschickte Instanzenlehre ausgedacht, die da lautet: „innere Göttin“ versus „mein Unterbewusstsein“. (Letzteres muss man sich als Vulgärfassung des Freud’schen Unbewussten vorstellen.) Wenn Anas „innere Göttin“ jubiliert, schlägt ihr „Unterbewusstsein“ schon mal Alarm. Eigentlich ist dieses „Unterbewusstsein“ eher eine Art Über-Ich, ein moralischer Aufpasser, während die „innere Göttin“ Anas tiefe Wünsche repräsentiert. Man könnte sagen: Juliette und Justine in Personalunion.
Anastasia Steel ist ein Geschöpf ihrer Zeit, Psychobabble gehört genauso dazu wie das permanente Checken von Mails. Zwei unvorhergesehene Dinge geschehen: a) Christian, der abgebrühte „Dom“, der sich nicht anfassen lassen will (was Ana stört), verliebt sich. Ana in ihrem Misstrauen merkt es nicht gleich, aber glücklicherweise helfen Kate und ihre Mom ihr auf die Sprünge. b) Ana verliebt sich ebenfalls, widersetzt sich aber ein Stück weit den von Grey gesetzten „Regeln“, ist somit keine hundertprozentige „Sub“. Im Land der Schmerzensgeldklagen verwundert es kaum, dass sich ein reicher Mann, der ein Mädchen fesseln und ihr Schmerzen zufügen möchte, sich mit einem Vertragswerk absichert. Das seitenlange Vertragswerk enthält „hard limits“ und „soft limits“. Ana soll festlegen, wo ihre Grenzen sind. Das kann sie aber nicht, und will es auch nicht. Stattdessen will sie wissen: „Warum bist du so geworden?“ Auf das Arrangement lässt sie sich trotzdem ein, und siehe, es gefällt ihr. Die Ideologie der Unterwerfung aus Lust kommt voll und ganz und ohne jede Kritik zu ihrem Recht. Nach der ersten Session im Spielzimmer spricht Ana von einem „süßen Schmerz, an der Grenze des Erträglichen“ und stellt fest: „Er zieht mich in jenen tief verborgenen Teil meines Selbst, der sich dieser höchst erotischen Empfindung ergibt. Ja – jetzt verstehe ich endlich.“
So entpuppt sich „Shades of Grey“ als Psychothriller für Damen, die den harten Kerl knacken wollen. Langsam, aber sicher zieht Ana den Vorhang seines Theaters der Kontrollsucht zur Seite. Herauskommt, dass Grey als Fünfzehnjähriger von einer älteren Lady zum „Sklaven“ gemacht wurde. Ein Türchen öffnet sich dem Mitleid: Ach so, der Arme verbirgt in seinem Dominanzwunsch also seine Verletzlichkeit? Das ist keineswegs genrekonform, und vermutlich findet der Dreiteiler mit seiner Heiß-kalt-Mischung aus gefühlsseligem Groschenroman und Sadomaso-Porno gerade deshalb reißenden Absatz.
INA HARTWIG
E. L. JAMES: Shades of Grey. Geheimes Verlangen. Band 1. Roman. Aus dem Englischen von Sonja Hauser und Andrea Brandl. Goldmann Verlag, München 2012. 608 Seiten, 12,99 Euro.
Mit klinischer Akkuratesse
werden die beteiligten
Körperteile bezeichnet
Anastasia Steel ist ein Geschöpf
ihrer Zeit, samt Psychobabble und
permanentem Checken von Mails
Die englische Autorin E. L. James im Mai 2012 in der Buchhandlung Barnes & Nobles in New York Foto: Polaris/laif
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Den sadomasochistischen Bestseller „Shades of Grey“ gibt es jetzt auch auf Deutsch – ein Deutungsversuch
Anastasia Steel und Christian Grey sind ein erotisches Traumpaar. Es funkt sofort. Dabei ist Anastasia, genannt Ana, Studentin der Englischen Literatur im kanadischen Vancouver, nur eingesprungen für ihre erkältete Freundin Kate, mit der sie eine WG teilt. Kate sollte für die Studentenzeitung ein Interview mit dem steinreichen Unterstützer der Uni machen, dem Boss eines weltweit operierenden IT-Unternehmens. Der residiert im amerikanischen Seattle, sodass Ana 250 Kilometer zum Interview mit Mister Grey fahren muss. „Zum Glück“, denkt Ana mit dem ihr eigenen praktischen Sinn, „hat Kate mir ihren spritzigen Mercedes CLK geliehen. Ob ich es mit Wanda, meinem alten VW-Käfer, pünktlich schaffen würde, ist fraglich. Doch mit dem Mercedes macht die Sache Spaß, und ich trete das Gaspedal durch.“
Die Autorin dieser entwaffnend simplen Prosa heißt E. L. James, eigentlich Erika Leonard, Jahrgang 1963, wohnhaft in London, verheiratet, zwei Kinder. Seit sie mit ihrer Romantrilogie „Shades of Grey“ binnen eines Jahres ungefähr so reich geworden sein dürfte wie ihre Romanfigur Mister Grey, schleppt sie sich nicht mehr ins Büro des Fernsehsenders, bei dem sie angestellt war. Ihren märchenhaften Erfolg packt sie in britisches Understatement: Sie habe ihre Midlifecrisis mit eigenen Phantasien bearbeitet, „das ist alles“. Der Ehe hat’s offenbar nicht geschadet, ihrem Mann („Für Niall, den Herrn und Meister meines Universums“) ist der Schinken gewidmet.
Nun ist der erste Band von „Shades of Grey“ auf Deutsch unter dem Titel „Geheimes Verlangen“ erschienen. Auf den ersten Blick handelt es sich um einen genretypischen erotischen Roman mit pornografischen Anteilen. Im Zentrum stehen das einundzwanzigjährige Unschuldslamm Ana, dessen sinnliches Potenzial als „Sub“ noch zu entdecken ist, und der gewiefte Habitué Grey, der für seine sadomasochistischen Arrangements keine Mittel scheut. Ana wird seine ideale, wenngleich widerspenstige Geliebte, die er in seine Künste (und Abgründe) mit der Höchstgeschwindigkeit eines Mercedes CLK einführt. Nachdem er sie entjungfert hat, korrekt mit Kondom (bald folgt die Pille), ruft sie uns zu: „Wahnsinn! Jetzt weiß ich, wovon alle schwärmen.“
Das klassische Modell also, vergleichbar der „Histoire d’O“ (1954) von Pauline Réage, nur dass die Geschichte von Ana und Mister Grey nicht mehr auf einem abgelegenen Schloss angesiedelt ist; auch sind die Libertins längst keine Aristokraten mehr. Das „Spielzimmer“, in dem Mister Grey sein Werkzeug (Ketten, Peitschen etc.) bereithält, ist in das Anwesen eines heutigen Superreichen, inklusive Chauffeur und Haushälterin, verlegt. Man sollte präzisieren: Es ist das Klischee-Anwesen eines Klischee-Amerikaners. Die britische Autorin hätte ihre Phantasie auch auf heimischem Terrain austoben können. Hat sie aber nicht.
Das peinliche Selbstbewusstsein dieses siebenundzwanzigjährigen Beau namens Grey kann man nur als Parodie des naivsten Kapitalismus amerikanischer Machart begreifen. Auf Anas Interviewfrage, wie er so jung reich und erfolgreich sein könne, antwortet ihr zukünftiger Liebhaber und „Dom“ im Duktus einer Werbebroschüre: „Im Geschäftsleben geht es um Menschen, Miss Steele, und ich bin ein guter Menschenkenner. Ich weiß, wie sie ticken, was ihren Erfolg oder Misserfolg ausmacht, was sie antreibt und wie man sie motiviert. Ich beschäftige ein außergewöhnliches Team, das ich großzügig entlohne.“
Es ist schon fast schmerzhaft angeberisch, wie Grey das Mittelstandsgirl Ana im Hubschrauber von einer Stadt zur anderen fliegt, wie er ihr einen brandneuen Audi aufdrängt und einen Blackberry, mit dem dann ein Großteil der erotischen Kommunikation abgewickelt wird. Oder, besonders krass, wie er seinen Privatjet stundenlang „auf Standby“ hält, während er Ana und ihrer Mutter in einer Hotelbar hinterherspioniert.
Das Buch steckt überhaupt voller Schleichwerbung. Den Auto- und Mobiltelefonmarken gesellen sich Macs, iPads, iPhones und Klamotten von Ralph Lauren hinzu sowie die Monsterfirmen Amazon (wo man Bücher bestellt, wo sonst) und Google, vom obligatorischen Moët nicht zu reden. Zwei interessante Phänomene kommen hier zusammen: eine absolut standardisierte Warenwelt und ein kindliches Verhältnis zum Konsum. Dem passt sich die pornografische Sprache an, der es an jeglicher Originalität und Poesie gebricht. Nach obszönen Ausdrücken sucht man vergeblich.
Mit klinischer Akkuratesse werden die Körperteile bezeichnet, die da zu- und ineinander finden. Der Geruch von Duschgel verschwindet nie. Und wenn „seine Erektion zum Vorschein kommt“, meint man, Streber über Sex sprechen zu hören: Pornostreber. Denkt man dagegen an Nicholson Bakers Roman „Haus der Löcher“, diese köstlich schmuddelige Satire auf ein pornografisches Wunderland im US-amerikanischen Nirgendwo, wird der Unterschied schreiend deutlich.
Doch bleiben wir nüchtern und halten die literaturkritischen Reflexe niedrig. Schließlich will E. L. James gar keine Literatur schreiben, wenngleich Literatur – englische, keine amerikanische! – sehr wohl Erwähnung findet. Einmal gesteht Ana, die den nordamerikanischen Kontinent nie verlassen hat, sie würde gern das Land kennenlernen, in dem Shakespeare und Jane Austen ihre Inspiration fanden. Der aufmerksame Grey lässt es sich nicht nehmen, Ana mit der Erstausgabe von Thomas Hardys „Tess of d’Ubervilles“ (1891) zu verblüffen, einem Klassiker der sexuellen Unterwerfung. Anas Freundin Kate taxiert per Google das Geschenk gleich auf vierzehntausend Dollar. Alles soll vom Teuersten sein bei diesem Märchenprinzen aus dem Manager-Modellbaukasten, der jedoch, wie Ana schnell herausfindet, eine traurige, unheimliche Seite hat.
Und darauf kommt es an. Denn die dunkle Seite des talentierten Mister Grey – er spielt nebenbei „umwerfend“ Klavier – wirkt auf Ana anziehend. Als er in dem Baumarkt, wo Ana jobbt, nach Kreppklebeband und Schnüren verlangt, ahnt sie noch nichts Böses. Bald aber führt er sie in sein Reich: in das „Spielzimmer“, eine Variante des de Sade’schen Boudoirs für das 21. Jahrhundert. Ana fühlt sich dennoch an die „Inquisition“ erinnert. Ist sie erschrocken? Ja und nein. E. L. James hat sich für Anas Ambivalenz – sie ist ja auf der Suche nach einer noch unbekannten Lust – eine geschickte Instanzenlehre ausgedacht, die da lautet: „innere Göttin“ versus „mein Unterbewusstsein“. (Letzteres muss man sich als Vulgärfassung des Freud’schen Unbewussten vorstellen.) Wenn Anas „innere Göttin“ jubiliert, schlägt ihr „Unterbewusstsein“ schon mal Alarm. Eigentlich ist dieses „Unterbewusstsein“ eher eine Art Über-Ich, ein moralischer Aufpasser, während die „innere Göttin“ Anas tiefe Wünsche repräsentiert. Man könnte sagen: Juliette und Justine in Personalunion.
Anastasia Steel ist ein Geschöpf ihrer Zeit, Psychobabble gehört genauso dazu wie das permanente Checken von Mails. Zwei unvorhergesehene Dinge geschehen: a) Christian, der abgebrühte „Dom“, der sich nicht anfassen lassen will (was Ana stört), verliebt sich. Ana in ihrem Misstrauen merkt es nicht gleich, aber glücklicherweise helfen Kate und ihre Mom ihr auf die Sprünge. b) Ana verliebt sich ebenfalls, widersetzt sich aber ein Stück weit den von Grey gesetzten „Regeln“, ist somit keine hundertprozentige „Sub“. Im Land der Schmerzensgeldklagen verwundert es kaum, dass sich ein reicher Mann, der ein Mädchen fesseln und ihr Schmerzen zufügen möchte, sich mit einem Vertragswerk absichert. Das seitenlange Vertragswerk enthält „hard limits“ und „soft limits“. Ana soll festlegen, wo ihre Grenzen sind. Das kann sie aber nicht, und will es auch nicht. Stattdessen will sie wissen: „Warum bist du so geworden?“ Auf das Arrangement lässt sie sich trotzdem ein, und siehe, es gefällt ihr. Die Ideologie der Unterwerfung aus Lust kommt voll und ganz und ohne jede Kritik zu ihrem Recht. Nach der ersten Session im Spielzimmer spricht Ana von einem „süßen Schmerz, an der Grenze des Erträglichen“ und stellt fest: „Er zieht mich in jenen tief verborgenen Teil meines Selbst, der sich dieser höchst erotischen Empfindung ergibt. Ja – jetzt verstehe ich endlich.“
So entpuppt sich „Shades of Grey“ als Psychothriller für Damen, die den harten Kerl knacken wollen. Langsam, aber sicher zieht Ana den Vorhang seines Theaters der Kontrollsucht zur Seite. Herauskommt, dass Grey als Fünfzehnjähriger von einer älteren Lady zum „Sklaven“ gemacht wurde. Ein Türchen öffnet sich dem Mitleid: Ach so, der Arme verbirgt in seinem Dominanzwunsch also seine Verletzlichkeit? Das ist keineswegs genrekonform, und vermutlich findet der Dreiteiler mit seiner Heiß-kalt-Mischung aus gefühlsseligem Groschenroman und Sadomaso-Porno gerade deshalb reißenden Absatz.
INA HARTWIG
E. L. JAMES: Shades of Grey. Geheimes Verlangen. Band 1. Roman. Aus dem Englischen von Sonja Hauser und Andrea Brandl. Goldmann Verlag, München 2012. 608 Seiten, 12,99 Euro.
Mit klinischer Akkuratesse
werden die beteiligten
Körperteile bezeichnet
Anastasia Steel ist ein Geschöpf
ihrer Zeit, samt Psychobabble und
permanentem Checken von Mails
Die englische Autorin E. L. James im Mai 2012 in der Buchhandlung Barnes & Nobles in New York Foto: Polaris/laif
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.07.2012Dieses rätselhafte Ziehen im Unterleib
E. L. James' sadomasochistisch angehauchte Romantrilogie "Shades of Grey" sorgt für Diskussionen, jetzt auch auf Deutsch
Als ich "Pretty Woman" zum ersten Mal gesehen habe - lange her, es war, als der Film eben in den Kinos war -, musste ich weinen, vor Wut. Ich konnte darin keine Liebe entdecken, kein Märchen über ein magisches Zusammentreffen zweier Menschen und schon gar keine Romantik - ich sah nur eine Geschichte über Geld. Die Macht, die Geld auf Menschen ausübt. Eine junge, nahezu mittellose Frau, die ihren Körper verkaufen muss, um die Miete zu zahlen, gerät in den Bann eines reichen und damit mächtigen Mannes, der sie mit materiellen Dingen wie Hubschrauberflügen oder Shopping in Luxusboutiquen beeindruckt, was ein Kinderspiel ist, da sie ja weder Ausbildung noch ein geregeltes Einkommen hat.
Das derzeit weltweit erfolgreichste Buch, genauer: die derzeit weltweit erfolgreichste Romantrilogie, erfolgreicher noch als seinerzeit "Harry Potter" oder die "Twilight"-Trilogien, erzählt im Grunde dieselbe Geschichte: "50 Shades of Grey". Jetzt erscheint der erste Band unter dem Titel "Shades of Grey - Geheimes Verlangen" auf Deutsch.
Geschrieben hat es die Engländerin Erika Leonard, 49, unter dem Pseudonym E. L. James. Der Erfolg von Stephenie Meyer, der Autorin der "Twilight"-Saga, habe sie zum Schreiben inspiriert, erzählt sie in Interviews. Innerhalb von 18 Monaten habe sie die drei Bände fertiggehabt, keine schmalen Bücher, sie schrieb abends und am Wochenende, während sie ansonsten ihrem normalen Beruf als Angestellte eines TV-Senders nachging. Sie ist verheiratet, Mutter zweier Söhne, "Shades of Grey" ist das Erste, was sie je geschrieben hat.
Fesseln
Der Roman erzählt von der Beziehung einer 21-jährigen Studentin, zu Anfang der Handlung noch Jungfrau, zu einem superreichen, sexuell erfahrenen 27-jährigen Geschäftsmann. Sie ist blass, braunhaarig und hat "viel zu große Augen" (was ist das?); er sieht umwerfend gut aus und hat "wahnsinnig graue Augen". Clou dieser Trilogie, wie es bei "Harry Potter" das Zaubern war und bei "Twilight" das Vampirthema, diesmal: Sadomasochismus. Christian Grey, der gutaussehende Millionär, steht nämlich auf unterwerfenden Sex, auf Fesseln, Knebeln und das Benutzen von Hilfsmitteln, wie es sie in Baumärkten oder Sexshops zu kaufen gibt; als Vorspiel erregt es ihn, Frauen zu schlagen.
Dass Christian Grey einen "beachtlichen Penis" hat, versteht sich an dieser Stelle von selbst, dennoch ist die Mühelosigkeit, mit der Anastasia Steele, die junge Studentin, von Orgasmus zu Orgasmus segelt, nachdem sie auf Seite 133 des 600 Seiten umfassenden Werkes einmal damit angefangen hat, zumindest beachtlich. Einmal gelingt es ihr sogar im Schlaf - dass ihr Christian Grey im Traum erscheint, genügt.
Typische Sätze des aus Sicht der Studentin geschriebenen Werks: "Plötzlich ziehen sich mir bisher unbekannte Muskeln im Unterleib zusammen." Oder: ". . . die Muskeln in meinem Unterleib ziehen sich auf köstliche Weise zusammen." Oder: "In meinem Unterleib ziehen sich sämtliche Muskeln zusammen." Oder: "Dieses Ziehen tief in meinem Unterleib." Oder: "Wieder spüre ich dieses Ziehen im Unterleib." Oder: "Ich stöhne auf, spüre das Ziehen in meinem Unterleib." Oder: "Ich stöhne, als sich die Lust mit einem scharfen Ziehen in meinem Unterleib bemerkbar macht." Oder: ". . . dieses vertraute Ziehen tief in meinem Unterleib, immer schneller, immer heftiger." Oder auch: "Sämtliche Muskeln in meinem Unterleib spannen sich an." Irgendwann scheint sich die Heldin allerdings an ihre neue Muskeltätigkeit gewöhnt zu haben, ab Seite 420 findet sie keine Erwähnung mehr.
Schlagen
Zur ersten Penetration kommt es auf Seite 135. Auf Seite 177 etwa hätte ich es normalerweise weggelegt und wäre erschöpft und genervt eingeschlafen. Doch, Himmel, dann hätte ich ja das erste Schlagen verpasst, zu dem es erst auf Seite 312 kommt und das unserer großäugigen Heldin sogar Vergnügen bereitet, einfach deshalb, weil es dieser "absolut göttlich" aussehende Typ ist, der da seine Hand (später auch Gürtel und Gerten) auf ihr entblößtes Hinterteil niedersausen lässt. Und da sie so unschuldig und unerfahren ist, kennt sie es ja auch gar nicht anders.
Lässt man den sadomasochistischen Aspekt einmal beiseite, was nicht schwer ist, weil er so zahm und lieb aufbereitet ist, dass man das Buch auch Kindern in die Hand drücken könnte, ohne nachhaltige Schäden befürchten zu müssen, erzählt "Shades of Grey" die klassische Geschichte vom Reiz der Gegensätze. Hier eben so: Sie steht nicht so aufs Fisten, er nicht auf Berührungen. Oder auch, noch ein Klassiker: Sie will etwas, das er nicht geben kann - Liebe.
Bislang wurden weltweit etwa zehn Millionen Exemplare der Romanserie verkauft, das Buch führt seit März die Bestsellerliste der "New York Times" an, die Buchrechte wurden in 37 Länder verkauft. Während der bisherige Rekordhalter im Absetzen von Taschenbüchern, "Der Da Vinci Code", 36 Wochen benötigte, um es auf eine Million Exemplare zu schaffen, genügten "Shades of Grey" dafür gerade mal elf. Am größten aber ist der Erfolg als elektronischer Download. Natürlich, es handelt sich ja nicht um die Memoiren eines männlichen Politikers, ist die Leserschaft vor allem weiblich, und ein Grund für den gewaltigen Absatz als E-Book könnte sein, dass Frauen sich nicht gerne in Bus oder Bahn beim Lesen eines sadomasochistisch angehauchten Buchs erwischen lassen wollen - da ist so ein E-Reader doch viel diskreter.
Absahnen
Das Interessanteste an "Shades of Grey", das sich trotz der SM-Szenen überraschend bieder liest, ist wohl, wie es überhaupt zu einem solchen Riesenerfolg werden konnte. In den amerikanischen Medien ist eine Diskussion darüber entbrannt, was das Thema einer sich vollkommen einem Mann unterwerfenden Frau über unsere Zeit aussagt. Einige Journalistinnen waren der Ansicht, dass dies bedauernswert rückständig sei, andere erklärten eine Sehnsucht nach Kontrollverlust und totaler Auslieferung, wenigstens im Bett (beziehungsweise in der Folterkammer), mit den gestiegenen Anforderungen an Frauen in der heutigen Berufswelt. Wieder andere glaubten, es sage gar nichts über Männer und Frauen heute aus, sondern der Erfolg erkläre sich schlicht und einfach durch geniales Marketing. Zunächst war die Trilogie nämlich nur schwer erhältlich, weil es darin aber, wie rasch durchsickerte um Hardcore-Spielarten von Sex ging, wurde Neugierde geweckt, wurde über das zunächst im Internet publizierte Werk viel gemunkelt, wurde es noch vor der offiziellen Veröffentlichung zu einer Art Mythos - und als es dann endlich auf den Markt kam, war das Interesse bereits so groß, dass jeder beziehungsweise jede sich ein eigenes Bild machen wollte. Ein Selbstläufer, erfolgreich wegen seines Erfolgs, das typische Paris-Hilton-Phänomen.
Es ist im Grunde dieselbe, langweilig zu lesende Erfolgsgeschichte, wie man sie seit Jahren aus der Musikindustrie kennt. Jemand veröffentlicht etwas auf eigene Faust im Internet, es findet sein Publikum - und schließlich seinen Weg in die althergebrachten Vertriebswege. Zunächst hatte E. L. James ihre erotischen Phantasien gratis als nicht jugendfreie Fortsetzung der "Twilight"-Saga auf eine Fan-Fiction-Website gestellt. 37 000 Leserkommentare später tilgte sie die Referenzen an "Twilight" und stellte das Werk kostenpflichtig auf eine eigene Website, wo die Nachfrage wiederum so riesig war, dass sie irgendwann einen (angeblich siebenstelligen) Buchvertrag bekam. Inzwischen sind auch die Filmrechte verkauft (für angeblich fünf Millionen Dollar), Bret Easton Ellis, der in letzter Zeit vor allem auf Twitter publiziert, vermeldete eben dort, dass er sich anerböte, das Drehbuch zu schreiben, und nahezu minütlich werden neue Schauspielernamen als mögliche Besetzung ins Gespräch gebracht. Sogar Tom Cruise, soeben 50 geworden, können sich einige in der Rolle des 27-jährigen Christian Grey vorstellen.
Trotz aller gutgemeinten Warnungen: "Shades of Grey" ist bestimmt keine Absage an den Feminismus, kein Rückschritt in Sachen Gleichberechtigung, keine Bedrohung für nichts und niemanden. Es ist eine unbeholfen geschriebene Liebesgeschichte, die ziemlich viel davon erfüllt, was Frauen sich gemeinhin so wünschen, unter anderem einen Mann, der so gut wie nichts unversucht lässt, seiner Partnerin Freude zu bereiten, oder sagen wir ruhig: Lust.
Der Roman ist eine Mischung aus "Pretty Woman" (bis hin zum vom Helden geflogenen Hubschrauber), "91/2 Wochen" (Champagner im Bauchnabel) und eben "Twilight", wo das Beißen des männlichen Vampirs ja auch etwas dringend Sexuelles hat. Wer ein gutes Buch lesen möchte, sollte die Finger davon lassen; wer wissen möchte, was es mit diesem Phänomen auf sich hat, wird wahrscheinlich enttäuscht sein. Orgasmen reihen sich an Orgasmen, dazwischen verliert sich die Autorin in einem Wust aus überflüssig detaillierten Beschreibungen ("Das Heathman liegt im Stadtzentrum von Portland. Das eindrucksvolle rötlich-braune Sandsteingebäude wurde knapp vor dem großen Crash Ende der Zwanzigerjahre fertiggestellt") und Adjektiven ("Anmutig schlendert er vor den Käfig und sieht mich eindringlich an"). Auf nahezu jeder zweiten Seite findet sich eine neue Beschreibung der wahnsinnig grauen Augen des Protagonisten, mal funkeln sie gefährlich, mal glimmen sie wölfisch, mal weiten sie sich, glühen, sehen aus wie flüssiges Silber, dann wieder blicken sie kalt.
Für die von ihm selbst offenherzig eingestandene "Abgefucktheit" des Helden gibt es recht schnell eine psychologische Erklärung: Seine Mutter war eine, was sonst, "Crackhure", außerdem, doppelt hält besser, wurde er von einer Freundin seiner Adoptivmutter als Teenager missbraucht. Die meisten Kapitel beginnen damit, dass die Heldin aus dem Schlaf erwacht (in den sie, von Peitschenhieben und diversen Stößen ermattet, selig gefallen war). Weil es ein moderner Roman ist, wird vor jedem Sexualakt erst mal ein Kondom übergestreift, mindestens zwanzig der 600 Seiten gehen alleine für diese Tätigkeit drauf. Und weil es um Lust geht, nicht um Vergewaltigung, werden die Grenzen dessen, was die Frau mitzumachen bereit ist, zuvor penibel in einem Regelwerk festgelegt; nichts geschieht gegen ihren Willen - und am Ende, so die Verheißung des ersten Bands, der, entschuldigen Sie den hoffentlich verzeihlichen Verrat, mit einer Trennung endet, besteht für die Fortsetzungen sogar noch Hoffnung auf eine nun wirklich nicht abgefuckte Sache: Liebe.
P. S. Als ich "Pretty Woman" neulich im Fernsehen wieder gesehen habe, fand ich es eigentlich ganz nett.
JOHANNA ADORJÁN
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
E. L. James' sadomasochistisch angehauchte Romantrilogie "Shades of Grey" sorgt für Diskussionen, jetzt auch auf Deutsch
Als ich "Pretty Woman" zum ersten Mal gesehen habe - lange her, es war, als der Film eben in den Kinos war -, musste ich weinen, vor Wut. Ich konnte darin keine Liebe entdecken, kein Märchen über ein magisches Zusammentreffen zweier Menschen und schon gar keine Romantik - ich sah nur eine Geschichte über Geld. Die Macht, die Geld auf Menschen ausübt. Eine junge, nahezu mittellose Frau, die ihren Körper verkaufen muss, um die Miete zu zahlen, gerät in den Bann eines reichen und damit mächtigen Mannes, der sie mit materiellen Dingen wie Hubschrauberflügen oder Shopping in Luxusboutiquen beeindruckt, was ein Kinderspiel ist, da sie ja weder Ausbildung noch ein geregeltes Einkommen hat.
Das derzeit weltweit erfolgreichste Buch, genauer: die derzeit weltweit erfolgreichste Romantrilogie, erfolgreicher noch als seinerzeit "Harry Potter" oder die "Twilight"-Trilogien, erzählt im Grunde dieselbe Geschichte: "50 Shades of Grey". Jetzt erscheint der erste Band unter dem Titel "Shades of Grey - Geheimes Verlangen" auf Deutsch.
Geschrieben hat es die Engländerin Erika Leonard, 49, unter dem Pseudonym E. L. James. Der Erfolg von Stephenie Meyer, der Autorin der "Twilight"-Saga, habe sie zum Schreiben inspiriert, erzählt sie in Interviews. Innerhalb von 18 Monaten habe sie die drei Bände fertiggehabt, keine schmalen Bücher, sie schrieb abends und am Wochenende, während sie ansonsten ihrem normalen Beruf als Angestellte eines TV-Senders nachging. Sie ist verheiratet, Mutter zweier Söhne, "Shades of Grey" ist das Erste, was sie je geschrieben hat.
Fesseln
Der Roman erzählt von der Beziehung einer 21-jährigen Studentin, zu Anfang der Handlung noch Jungfrau, zu einem superreichen, sexuell erfahrenen 27-jährigen Geschäftsmann. Sie ist blass, braunhaarig und hat "viel zu große Augen" (was ist das?); er sieht umwerfend gut aus und hat "wahnsinnig graue Augen". Clou dieser Trilogie, wie es bei "Harry Potter" das Zaubern war und bei "Twilight" das Vampirthema, diesmal: Sadomasochismus. Christian Grey, der gutaussehende Millionär, steht nämlich auf unterwerfenden Sex, auf Fesseln, Knebeln und das Benutzen von Hilfsmitteln, wie es sie in Baumärkten oder Sexshops zu kaufen gibt; als Vorspiel erregt es ihn, Frauen zu schlagen.
Dass Christian Grey einen "beachtlichen Penis" hat, versteht sich an dieser Stelle von selbst, dennoch ist die Mühelosigkeit, mit der Anastasia Steele, die junge Studentin, von Orgasmus zu Orgasmus segelt, nachdem sie auf Seite 133 des 600 Seiten umfassenden Werkes einmal damit angefangen hat, zumindest beachtlich. Einmal gelingt es ihr sogar im Schlaf - dass ihr Christian Grey im Traum erscheint, genügt.
Typische Sätze des aus Sicht der Studentin geschriebenen Werks: "Plötzlich ziehen sich mir bisher unbekannte Muskeln im Unterleib zusammen." Oder: ". . . die Muskeln in meinem Unterleib ziehen sich auf köstliche Weise zusammen." Oder: "In meinem Unterleib ziehen sich sämtliche Muskeln zusammen." Oder: "Dieses Ziehen tief in meinem Unterleib." Oder: "Wieder spüre ich dieses Ziehen im Unterleib." Oder: "Ich stöhne auf, spüre das Ziehen in meinem Unterleib." Oder: "Ich stöhne, als sich die Lust mit einem scharfen Ziehen in meinem Unterleib bemerkbar macht." Oder: ". . . dieses vertraute Ziehen tief in meinem Unterleib, immer schneller, immer heftiger." Oder auch: "Sämtliche Muskeln in meinem Unterleib spannen sich an." Irgendwann scheint sich die Heldin allerdings an ihre neue Muskeltätigkeit gewöhnt zu haben, ab Seite 420 findet sie keine Erwähnung mehr.
Schlagen
Zur ersten Penetration kommt es auf Seite 135. Auf Seite 177 etwa hätte ich es normalerweise weggelegt und wäre erschöpft und genervt eingeschlafen. Doch, Himmel, dann hätte ich ja das erste Schlagen verpasst, zu dem es erst auf Seite 312 kommt und das unserer großäugigen Heldin sogar Vergnügen bereitet, einfach deshalb, weil es dieser "absolut göttlich" aussehende Typ ist, der da seine Hand (später auch Gürtel und Gerten) auf ihr entblößtes Hinterteil niedersausen lässt. Und da sie so unschuldig und unerfahren ist, kennt sie es ja auch gar nicht anders.
Lässt man den sadomasochistischen Aspekt einmal beiseite, was nicht schwer ist, weil er so zahm und lieb aufbereitet ist, dass man das Buch auch Kindern in die Hand drücken könnte, ohne nachhaltige Schäden befürchten zu müssen, erzählt "Shades of Grey" die klassische Geschichte vom Reiz der Gegensätze. Hier eben so: Sie steht nicht so aufs Fisten, er nicht auf Berührungen. Oder auch, noch ein Klassiker: Sie will etwas, das er nicht geben kann - Liebe.
Bislang wurden weltweit etwa zehn Millionen Exemplare der Romanserie verkauft, das Buch führt seit März die Bestsellerliste der "New York Times" an, die Buchrechte wurden in 37 Länder verkauft. Während der bisherige Rekordhalter im Absetzen von Taschenbüchern, "Der Da Vinci Code", 36 Wochen benötigte, um es auf eine Million Exemplare zu schaffen, genügten "Shades of Grey" dafür gerade mal elf. Am größten aber ist der Erfolg als elektronischer Download. Natürlich, es handelt sich ja nicht um die Memoiren eines männlichen Politikers, ist die Leserschaft vor allem weiblich, und ein Grund für den gewaltigen Absatz als E-Book könnte sein, dass Frauen sich nicht gerne in Bus oder Bahn beim Lesen eines sadomasochistisch angehauchten Buchs erwischen lassen wollen - da ist so ein E-Reader doch viel diskreter.
Absahnen
Das Interessanteste an "Shades of Grey", das sich trotz der SM-Szenen überraschend bieder liest, ist wohl, wie es überhaupt zu einem solchen Riesenerfolg werden konnte. In den amerikanischen Medien ist eine Diskussion darüber entbrannt, was das Thema einer sich vollkommen einem Mann unterwerfenden Frau über unsere Zeit aussagt. Einige Journalistinnen waren der Ansicht, dass dies bedauernswert rückständig sei, andere erklärten eine Sehnsucht nach Kontrollverlust und totaler Auslieferung, wenigstens im Bett (beziehungsweise in der Folterkammer), mit den gestiegenen Anforderungen an Frauen in der heutigen Berufswelt. Wieder andere glaubten, es sage gar nichts über Männer und Frauen heute aus, sondern der Erfolg erkläre sich schlicht und einfach durch geniales Marketing. Zunächst war die Trilogie nämlich nur schwer erhältlich, weil es darin aber, wie rasch durchsickerte um Hardcore-Spielarten von Sex ging, wurde Neugierde geweckt, wurde über das zunächst im Internet publizierte Werk viel gemunkelt, wurde es noch vor der offiziellen Veröffentlichung zu einer Art Mythos - und als es dann endlich auf den Markt kam, war das Interesse bereits so groß, dass jeder beziehungsweise jede sich ein eigenes Bild machen wollte. Ein Selbstläufer, erfolgreich wegen seines Erfolgs, das typische Paris-Hilton-Phänomen.
Es ist im Grunde dieselbe, langweilig zu lesende Erfolgsgeschichte, wie man sie seit Jahren aus der Musikindustrie kennt. Jemand veröffentlicht etwas auf eigene Faust im Internet, es findet sein Publikum - und schließlich seinen Weg in die althergebrachten Vertriebswege. Zunächst hatte E. L. James ihre erotischen Phantasien gratis als nicht jugendfreie Fortsetzung der "Twilight"-Saga auf eine Fan-Fiction-Website gestellt. 37 000 Leserkommentare später tilgte sie die Referenzen an "Twilight" und stellte das Werk kostenpflichtig auf eine eigene Website, wo die Nachfrage wiederum so riesig war, dass sie irgendwann einen (angeblich siebenstelligen) Buchvertrag bekam. Inzwischen sind auch die Filmrechte verkauft (für angeblich fünf Millionen Dollar), Bret Easton Ellis, der in letzter Zeit vor allem auf Twitter publiziert, vermeldete eben dort, dass er sich anerböte, das Drehbuch zu schreiben, und nahezu minütlich werden neue Schauspielernamen als mögliche Besetzung ins Gespräch gebracht. Sogar Tom Cruise, soeben 50 geworden, können sich einige in der Rolle des 27-jährigen Christian Grey vorstellen.
Trotz aller gutgemeinten Warnungen: "Shades of Grey" ist bestimmt keine Absage an den Feminismus, kein Rückschritt in Sachen Gleichberechtigung, keine Bedrohung für nichts und niemanden. Es ist eine unbeholfen geschriebene Liebesgeschichte, die ziemlich viel davon erfüllt, was Frauen sich gemeinhin so wünschen, unter anderem einen Mann, der so gut wie nichts unversucht lässt, seiner Partnerin Freude zu bereiten, oder sagen wir ruhig: Lust.
Der Roman ist eine Mischung aus "Pretty Woman" (bis hin zum vom Helden geflogenen Hubschrauber), "91/2 Wochen" (Champagner im Bauchnabel) und eben "Twilight", wo das Beißen des männlichen Vampirs ja auch etwas dringend Sexuelles hat. Wer ein gutes Buch lesen möchte, sollte die Finger davon lassen; wer wissen möchte, was es mit diesem Phänomen auf sich hat, wird wahrscheinlich enttäuscht sein. Orgasmen reihen sich an Orgasmen, dazwischen verliert sich die Autorin in einem Wust aus überflüssig detaillierten Beschreibungen ("Das Heathman liegt im Stadtzentrum von Portland. Das eindrucksvolle rötlich-braune Sandsteingebäude wurde knapp vor dem großen Crash Ende der Zwanzigerjahre fertiggestellt") und Adjektiven ("Anmutig schlendert er vor den Käfig und sieht mich eindringlich an"). Auf nahezu jeder zweiten Seite findet sich eine neue Beschreibung der wahnsinnig grauen Augen des Protagonisten, mal funkeln sie gefährlich, mal glimmen sie wölfisch, mal weiten sie sich, glühen, sehen aus wie flüssiges Silber, dann wieder blicken sie kalt.
Für die von ihm selbst offenherzig eingestandene "Abgefucktheit" des Helden gibt es recht schnell eine psychologische Erklärung: Seine Mutter war eine, was sonst, "Crackhure", außerdem, doppelt hält besser, wurde er von einer Freundin seiner Adoptivmutter als Teenager missbraucht. Die meisten Kapitel beginnen damit, dass die Heldin aus dem Schlaf erwacht (in den sie, von Peitschenhieben und diversen Stößen ermattet, selig gefallen war). Weil es ein moderner Roman ist, wird vor jedem Sexualakt erst mal ein Kondom übergestreift, mindestens zwanzig der 600 Seiten gehen alleine für diese Tätigkeit drauf. Und weil es um Lust geht, nicht um Vergewaltigung, werden die Grenzen dessen, was die Frau mitzumachen bereit ist, zuvor penibel in einem Regelwerk festgelegt; nichts geschieht gegen ihren Willen - und am Ende, so die Verheißung des ersten Bands, der, entschuldigen Sie den hoffentlich verzeihlichen Verrat, mit einer Trennung endet, besteht für die Fortsetzungen sogar noch Hoffnung auf eine nun wirklich nicht abgefuckte Sache: Liebe.
P. S. Als ich "Pretty Woman" neulich im Fernsehen wieder gesehen habe, fand ich es eigentlich ganz nett.
JOHANNA ADORJÁN
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Ina Hartwig staunt nicht schlecht: Ein Porno, in dem kein einziges obszönes Wort fällt? In dem "eine Erektion zum Vorschein kommt"? In dem der S/M-Sex per Vertrag abgesichert wird und der Geruch nach Duschgel nie verschwindet? So einen biederen Schmöker hat Hartwig lange nicht gelesen. Eigentlich bräuchte sie zu der Geschichte von der unschuldigen Studentin, die in den Bann eines superreichen, supergutaussehenden und überhaupt supercoolen Geschäftsmanns mit Sadomaso-Neigung gerät, nicht mehr viel dazu sagen, aber sie möchte doch belegen, wie simpel die Prosa dieser Autorin ist, die mit ihren Frauenporno-Bestsellern zur Multimillionärin geworden ist. Schlimm findet die Rezensentin auch den Werbebroschüren-Duktus ("Im Geschäftsleben geht es um Menschen, Miss Steele, und ich bin ein guter Menschenkenner"), die ganze bunte Warenwelt und das "kindische Verhältnis zum Konsum". Für Hartwig nur Schmerz, keine Lust.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Das Buch gilt nicht bloß als derzeit heißester Lesetipp für Frauen, sondern versetzt auch die angelsächsischen Medien in Auf- und Erregung, «Fifty Shades of Grey» und die Folgebände sind derzeit ein Phänomen, wie es Ende der 1990er-Jahre die TV-Serie «Sex and the City» war. In Onlineforen tauscht die Leserinnenschaft ihre Begeisterung aus, in Zeitungen und im Fernsehen gestehen Frauen, wie die Lektüre der Bondage-Bände die eigene Lust entfesselt."