"Während der Nacht - ich lag bis zum Morgen schlaflos - faßte ich den Entschluß, Saverio in San Clemente zu besuchen. Vielleicht war sein Geist nicht zerstört, sondern nur gelockert, vielleicht würde er sich mir jetzt offenbaren. In den tröpfelnden Stunden dieser Nacht war die geistige Qual des Nichts-Wissens bis zur Krankheit gewachsen. Aber der Morgen kam, ich war todmüde, es regnete, und ich fand in mir die Kraft nicht, meinen Entschluß auszuführen. Der nächste Tag strahlte in solcher Schönheit, daß ich den Gegenstimmen in mir nachgab, die mich warnten, diese Lebenspracht durch einen…mehr
"Während der Nacht - ich lag bis zum Morgen schlaflos - faßte ich den Entschluß, Saverio in San Clemente zu besuchen. Vielleicht war sein Geist nicht zerstört, sondern nur gelockert, vielleicht würde er sich mir jetzt offenbaren. In den tröpfelnden Stunden dieser Nacht war die geistige Qual des Nichts-Wissens bis zur Krankheit gewachsen. Aber der Morgen kam, ich war todmüde, es regnete, und ich fand in mir die Kraft nicht, meinen Entschluß auszuführen. Der nächste Tag strahlte in solcher Schönheit, daß ich den Gegenstimmen in mir nachgab, die mich warnten, diese Lebenspracht durch einen Irrenhausbesuch zu verfinstern. Am dritten Morgen standen plötzlich viele Bedenken vor mir: Ich hatte kein Recht, einem Kranken das Rätsel entreißen zu wollen, das er bei gesunden Sinnen ängstlich verbarg. Auch könnte meine Visite schädliche Folgen für ihn haben. Vielleicht war dieser Wahnsinn nur ein Kampfmittel in dem erbitterten Kriege zwischen Saverio, der Contessa und einem mächtigen Ausbeuter. Würde da der Einbruch eines fremden Menschen nicht Unheil stiften? Und wie sollte ich, ein Ahnungsloser und Unbeteiligter, helfen können? Am Sonntag endlich wußte ich, daß ich mich fürchte und Ausreden suche, um den Weg nach San Clemente zu vermeiden." [Textauszug]Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Franz Werfel (1890-1945), österreichischer Schriftsteller jüdisch-deutschböhmischer Herkunft, ging während der nationalsozialistischen Herrschaft ins Exil und wurde 1941 US-amerikanischer Staatsbürger. Er war ein Wortführer des lyrischen Expressionismus. In den 1920er und 1930er Jahren waren seine Bücher Bestseller. Seine Popularität beruht vor allem auf seinen erzählenden Werken und Theaterstücken.Besonders bekannt wurden sein zweibändiger historischer Roman »Die vierzig Tage des Musa Dagh« und »Das Lied von Bernadette«. Nach dem Abitur 1909 ging Werfel als Volontär in einer Speditionsfirma nach Hamburg, Nach einjährigem Militärdienst wurde er 1912 Lektor beim Kurt Wolff Verlag in Leipzig. Im Ersten Weltkrieg diente er an der galizischen Front. 1929 heiratete er Alma Mahler, die 1920 von Gropius geschieden worden war. Nach dem »Anschluss« Österreichs, 1938, ließ sich Werfel mit Alma in Sanary-sur-Mer in Südfrankreich nieder. 1940, als die Wehrmacht große Teile Frankreichs besetzte, fand er Zuflucht in Lourdes und Werfel gelobte, falls er gerettet würde, ein Buch über die heilige Bernadette zu schreiben. Zu Fuß überquerte er mit seiner Frau Alma sowie Heinrich, Nelly und Golo Mann die Pyrenäen nach Spanien. Das Ehepaar erreichte von dort Portugal und emigrierte im Oktober 1940 in die USA. Werfel erhielt 1941 die amerikanische Staatsbürgerschaft. Er starb 1945 an einem Herzinfarkt.
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