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Produktdetails
  • Herder Spektrum
  • Verlag: Herder, Freiburg
  • Abmessung: 190mm x 120mm x 15mm
  • Gewicht: 203g
  • ISBN-13: 9783451043864
  • Artikelnr.: 24728656
  • Herstellerkennzeichnung
  • Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.05.1996

"Sie sind als Dreck zu ignorieren"
Opus Dei und das Kreuz als Stein des Anstoßes

Peter Hertel: Geheimnisse des Opus Dei. Geheimdokumente - Hintergründe - Strategien. Herder Spektrum 4386. Verlag Herder, Freiburg im Breisgau 1995. 222 Seiten, 16,80 Mark.

Das Buch von Peter Hertel befaßt sich mit Opus Dei, einer ordensähnlichen religiösen Organisation innerhalb der katholischen Kirche mit zirka 1600 Priestern und 78000 Laien, in der Hauptsache aus Spanien, Italien, Mexiko, Deutschland, Österreich und der Schweiz. Im Brockhaus-Band 16 heißt es zur Charakterisierung dieser kirchenrechtlichen "Personalprälatur": "Geheimhaltung, rigoroses Innenleben (Geißel und Bußgürtel), Indoktrination Jugendlicher, sektenähnliche Werbepraktiken, Verstrickungen von Mitgliedern in Finanzskandale und Förderung kirchlicher Restauration im Sinne eines autoritären Konservatismus haben weltweit Kontroversen um das Opus Dei angefacht." Bringt das Buch von Hertel eine Klärung der Vorwürfe? Der Anfang ist diesbezüglich nicht sehr vielversprechend. Die vernichtenden Urteile auf der ersten Seite des ersten Kapitels werden nur pauschal begründet. Man fühlt sich an andere Vorgänge in der Kirchengeschichte erinnert, zum Beispiel an die Verdächtigungen, denen die Jesuiten über Jahrhunderte ausgesetzt waren, im übrigen mit ähnlichen Vorwürfen der Geheimbündelei und des politischen Machtstrebens. Aber dann kommt es anders: Der Text ist wie in einem Indizienprozeß aufgebaut. Es gibt authentische Informationen, Augenzeugenberichte. Der Autor läßt frühere Mitglieder, aber auch Elternorganisationen sprechen, er präsentiert Dokumente und bietet außerdem eine religiöse und psychologische Analyse der geistlichen Schriften durch renommierte Theologen. Darüber hinaus ist dem Buch ein Glossar beigefügt, das die verwirrende Geheimsprache des Opus Dei entschlüsselt und die zahlreichen internen Riten und Hierarchien erläutert. Eine Auflistung der grundlegenden Schriften des Opus Dei wird ergänzt durch ein Literaturverzeichnis, das sowohl kritische als auch verteidigende Schriften über das Opus Dei enthält, so daß der durch die Lektüre des Hertelschen Werkes schockierte, empörte und faszinierte oder möglicherweise forschungswütig gewordene Leser sich weiter mit diesem kirchlichen Phänomen beschäftigen und auseinandersetzen kann.

Das Ergebnis des Buches ist eindeutig: Opus Dei erscheint als ein anachronistischer Prototyp des alten geschlossenen Katholizismus, mit weitgehend geheimen Praktiken, mit "heiligem Zwang", "blindem Gehorsam", Zensur und Indoktrination, mit teilweise ehrenwerten Zielen, wie beispielsweise der Verchristlichung der Arbeit, aber konzipiert als Kampfgruppe innerhalb der Kirche mit dem Ziel, nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil und der menschenfreundlichen Öffnung der katholischen Kirche durch Papst Johannes XXIII. den "Papalismus" des Ersten Vatikanischen Konzils und die patriarchalisch ausgerichtete autoritäre Hierarchie neu zu etablieren und zu beleben.

Peter Hertel macht transparent, daß dieser Versuch, eine säkulare, liberale und damit für den einzelnen Menschen weniger Sicherheit bietende Gesellschaft in einen geschlossenen Gottesstaat mit klaren Kompetenzen und Zuordnungen zu überführen, auf viele Menschen eine offenbar verführerische Faszination ausübt und andererseits für viele eine Provokation für die demokratische und pluralistische Ordnung bedeutet. In den Augen der Mitglieder von Opus Dei ist dies aber die eigentliche Aufgabe: Das Kreuz sei schon immer Stein des Anstoßes gewesen. Hertel stellt aber zu Recht die Frage, ob es, wie zum Beispiel früher bei den Auseinandersetzungen zwischen den Jesuiten und den Dominikanern, dem Opus Dei um die Wahrheitsfrage, um das richtige Denken geht oder um die Verteidigung einer fundamentalistischen Position, die weder Bewegung noch Fortschritt akzeptiert. Das Buch von Hertel gibt wichtige Informationen über die nach seiner Ansicht vorkonziliaren Regeln und Konstitutionen mit täglich, wöchentlich, monatlich, jährlich vorgeschriebenen Gebeten und Riten. Während die bei der jesuitischen Erziehung beabsichtigte "abnegatio sui ipsius", die Zerstörung des Ego, des "alten Adam" als Voraussetzung für die Bildung des "neuen Menschen" verstanden wird, wird diese bei Opus Dei offenbar zum Selbstzweck. Der "eigene Verstand als schlechter Ratgeber" wird ersetzt durch die Autorität des "Vaters", des zu dem als göttlich erwählten Retter der Kirche und der Welt idealisierten Gründers Josémaria Escrivá de Balaguer.

Das Buch informiert über die Einteilung der Organisation in eine Männer- und Frauenabteilung, wobei die Frauen den Männern zu dienen haben. Die Frauenabteilung des Opus Dei ist weitgehend "administratio", eine speziell eingerichtete Diensteinrichtung für die Männer. Zu dem manichäistischen, emanzipationsfeindlichen Frauenbild des Opus Dei paßt, daß Meßdienerinnen in den Häusern des Opus Dei verpönt sind; daß es in der Prälatur Opus Dei im Gegensatz zu anderen Jurisdiktionsbezirken und Diözesen keine verheirateten Diakone gibt und keine pastoralen Laiengremien, in denen Männer und Frauen gemeinsam entscheiden. Die geistige Abschottung findet ihren Ausdruck auch in der Liste der Bücher, die die Mitglieder der Organisation nicht lesen dürfen: Von Luther und Spinoza über Lessing und Kant, Hegel, Schopenhauer und Nietzsche, Brecht, Pasternak und Hans Küng reicht die Liste derer, deren Werke im Opus Dei der Zensur unterliegen. "Sie sind als Dreck zu ignorieren", heißt es in einer der geistlichen Schriften.

Beeindruckend in Hertels Buch ist die Darlegung der Gründe für den Erfolg von Opus Dei in der nachkonziliaren Zeit. Sie ist vor allem auf die Förderung durch den heutigen Papst Johannes Paul II. zurückzuführen, der - wie Juan Arias in "Das Rätsel Woityla" formuliert - dem Opus gegenüber so etwas wie Liebe auf den ersten Blick empfand. So gehören auch die in der letzten Zeit von dem jetzigen Papst ernannten und am meisten umstrittenen Bischöfe, wie die von Feldkirch, Chur und St. Pölten, zu den ausgewiesenen Sympathisanten des Opus Dei. Daß der Gründer von Opus Dei schneller seliggesprochen wurde als der Konzilspapst Johannes XXIII., dessen Seligsprechungsprozeß nach wie vor auf große Schwierigkeiten stößt, wird von Hertel zu Recht als eine kirchenpolitische Entscheidung ersten Ranges gewertet. Angesichts der dem Opus immanenten Geheimhaltung - nach der Rechtsprechung des schweizerischen obersten Bundesgerichts in Lausanne darf Opus Dei als "Geheimorganisation" bezeichnet werden - ist eine umfassende Information über das Opus Dei eine für den normalen Zeitgenossen fast unlösbare Aufgabe. Das Buch von Hertel hilft in beeindruckender Weise, Licht in diese kirchliche Organisation zu bringen, die offensichtlich immer mehr Macht und Einfluß in Kirche und Gesellschaft gewinnt. HEINER GEISSLER

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