Mogadischu, eine Woche vor Ausbruch des Bürgerkriegs: Das Land ist voller Unruhe, in der Stadt wird gekämpft, da erhält Kalaman überraschend Besuch von seiner Kindheitsliebe, die, aus Amerika zurückgekehrt, ein altes Versprechen einlösen will. Die Ankunft Sholoongos läßt Kalaman Vergangenes erinnern. Nach und nach erschließen sich ihm die Rätsel, die sich um seinen sagenhaften Großvater, seine starke Mutter und seinen Vater ranken, und Kalaman erkennt, daß er die Geschichte seiner Vorfahren durchleuchten muß, um zu sich zu kommen. Die Geheimnisse offenbaren eine fremde, zaubervolle Welt in einer »fast lyrischen Dichte und Bildlichkeit der Sprache, einer trunkenen, auch sexuell angereicherten Atmosphäre des Erzählens« (Frankfurter Rundschau).
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.10.2000Die Heimat der Nachmittagssonne
An der Grenze der Welten: Nurrudin Farah sammelt Geheimnisse
Somalia ist auf der geistigen Landkarte der Deutschen durch zwei Momente fixiert: 1977 erlaubte der damalige Präsident Siyad Barre der Sondereinheit GSG-9, die gekidnappten Passagiere der Lufthansa-Maschine "Landshut" zu befreien. 1992, ein Jahr nach dem Sturz Barres, gingen UN-Truppen unter den Scheinwerfern der Weltpresse ins Land, um Frieden zu bringen, und zogen, als sich dies als unmöglich erwies, wenig später wieder ab, diesmal freilich ohne entsprechende mediale Begleitung.
Seitdem ist das Land sich selbst und seine Bevölkerung der Willkürherrschaft sich bekriegender Clans überlassen. Das Land hat keine funktionierende Regierung, kein Parlament, keine Justiz. Es herrscht das Recht der Faust und der Maschinenpistole. Dabei sind nicht, wie in nahezu allen anderen afrikanischen Staaten, ethnische Gegensätze die Ursache der Gewalt. Auch der koloniale Hintergrund (ein Teil des Landes wurde früher von England, ein anderer von Italien verwaltet) oder die weltpolitische Frontstellung während des "Kalten Krieges" liefern keine hinreichende Erklärung für die Anarchie, in der Somalia seit vielen Jahren dahintreibt.
In solchen Ausweglosigkeiten sucht man gern Hilfe bei der Literatur. Mancher hat etwa in den Weltkriegs-Romanen Aleksandar Tismas Aufschlüsse über die jugoslawische Selbstzerfleischung finden wollen. Im Fall Somalias scheint geradezu ein Glücksfall vorzuliegen. Mit Nuruddin Farah hat das Land einen Schriftsteller von internationalem Rang hervorgebracht, der, wie er einmal sagte, sein Land lebendig erhalten will, indem er darüber schreibt.
Farah, 1945 geboren und als Sohn einer Geschichtenerzählerin mit dem Rüstzeug mündlicher Tradierung ebenso ausgestattet wie mit einer "westlichen" Ausbildung, hat in Indien studiert und an europäischen, amerikanischen und afrikanischen Universitäten gelehrt. Sein Heimatland hat er so rechtzeitig verlassen, daß ein gegen ihn verhängtes Todesurteil nicht vollstreckt werden konnte. 24 Jahre, von 1974 bis 1998, konnte er Somalia nicht besuchen und schrieb doch über nichts anderes: über diktatorische Regimes, über die verhängnisvollen Auswirkungen der Entwicklungshilfe auf die heimische Landwirtschaft, über die schwierige Rolle der Frauen.
Farah besitzt großes Ansehen in der literarischen Welt. Für seinen jüngsten Roman "Geheimnisse" ist ihm der bedeutende Neustadt-Prize verliehen worden. Dieser Roman ist jetzt auf deutsch erschienen. Sagt er uns das, was wir wissen wollen? Natürlich nicht. Literatur beantwortet selten Fragen, außer denen, die sie selbst gestellt hat. In ihrer Welt sucht man eindeutige Wegweiser zur unsrigen vergeblich, und manchmal führen auch die, denen wir folgen wollen, in die Irre und geben Rätsel um Rätsel auf.
Genau dies ist hier der Fall. "Geheimnisse" ist voll von dem, was es im Titel führt. Daß von diesen beständig geredet wird, ist dabei keine Hilfe, denn wie mit ihnen umzugehen ist, bleibt selbst eines: aufklären oder bewahren? Das eine ist so verführerisch wie gefährlich, das andere so unumgänglich wie unerträglich. Ein zentrales Geheimnis immerhin wird gelüftet: die Herkunft des Helden (und in manchen Kapiteln auch Ich-Erzählers) Kalaman.
Dem vergleichsweise wohlhabenden Mann - er hat sich vom Briefschreiber zum Inhaber einer Computerfirma in Mogadiscio mit 15 Angestellten hochgearbeitet - schwant seit langem, daß mit seiner Abstammung etwas nicht in Ordnung ist. Sein Name - "ein Name wie eine Sackgasse", sagt er selbst - bedeutet nichts und ermöglicht keine Zuordnung zu einem der Clans. Die seinem Großvater (und Namensgeber) abgeforderte Erklärung, er habe ihm mit diesem voraussetzungslosen Namen Freiheit und Zukunft schenken sollen, befriedigt ihn nicht. Zu Recht: "Kalaman" ist, wie sich herausstellt, dem Krächzen eines Vogels nachgebildet. Auch daß er ein ungewolltes Kind war, hat Kalaman schon vermutet. Die Antwort auf seine bohrenden Fragen übertrifft aber seine Vorstellung, er erfährt von einer Gruppenvergewaltigung, sein leiblicher Vater gilt als unbekannt. Wer sucht, der findet: die Fratze der Aufklärung. Anstelle des Ungewissen ist ein viel schlimmeres Nichtwissen getreten. Denn ohne Vater steht Kalaman im sozialen Niemandsland und in den Tagen kurz vor Ausbruch des Bürgerkriegs, in denen der Roman spielt, ohne den Schutz eines Clans.
Auslöser für Kalamans verhängnisvolle Suche nach seinen Ursprüngen ist der Besuch seiner Jugendfreundin Sholoongo, der schillerndsten Gestalt des Romans. Als Kind zum "duugan", einem unheilbringenden Wesen, erklärt und in der Wildnis ausgesetzt, wurde sie von wilden Tieren aufgezogen und - so die psychologische Befrachtung dieser mythischen Konstruktion - kehrte dann voller Rachedurst in die Gesellschaft zurück, die sie einst ausstieß.
Sholoongo, die in den Vereinigten Staaten den Beruf des "Gestaltwandlers" ausübt, verletzt Tabus und Konventionen, vor allem aber männliche Herrschaftsansprüche. Ihre Waffe ist eine offensive Sexualität, der gleich drei Generationen vom Kalamans Familie anheimfallen: Sie verführt den achtjährigen Kalaman, dann seinen (vermeintlichen) Vater und schließlich, in einem Langstrecken-Finale am Ende des Romans, auch den weit über achtzigjährigen und "übermythosgroßen" Großvater. Dieser über viele Seiten ausgeführte Sexualakt ist Kampf und Erlösung - für die Frau, die schwanger werden will, und für den Greis, der endlich sterben kann, als Kalamans Geheimnis gelöst und nichts gewonnen ist. Sholoongo übertritt nicht nur die Tabus der alten und die Regeln der modernen Welt, sondern Grenzen aller Arten. Sie dringt in die Träume von Kalamans Mutter ein und stiftet dort Unheil, und auch daß sie es ist, die sich in einen riesigen Elefanten verwandelt und einen Jäger zu Tode trampelt, mögen die handelnden Personen nicht ausschließen.
Diese Übergänge dringen auch in den Stil ein. Die Bilder Nuruddin Farahs sind zum Teil antiquiert (wenn in den Augen einer Frau "die Erhabenheit der Nachmittagssonne eine Heimstadt gefunden hat"), wirken nur zuweilen auch für westliche Leser frisch (eine Frau sieht aus "wie eine Kuh, die mit ihrem eigenen flüssigen Dung beschmiert ist, so grün wie die Jahreszeit feucht"). Oft überkreuzen sich in den Bildern die Welten, schlägt die unkontrollierbare Modernisierung auf die Metaphernbildung durch: "Seine Worte kommen gerollt heraus wie die Blätter aus einem Faxgerät", heißt es einmal, oder: "Er war hellwach wie eine Reihe Taxis, die auf Kundschaft wartet." Im Bewußtsein des Helden berühren sich das tierisch-totemistische Erbe und die Maschinensymbiose unserer Tage: Die Identität, die solche Spannungen aushalten muß, kann nur zerbrechen.
Allerdings zerbricht auch dem Autor der Stil unter den Händen, führt die Konfrontation der Welten zu wüsten Brüchen. Das Vergnügen der Lektüre wird allzuoft getrübt: "Dem, was sie über ihren Mann sagte, entnahm ich, daß diese Partnerschaft bei ihr einen in vieler Hinsicht äußerst positiven Eindruck hinterlassen hatte." Vor allem die dann und wann den Personen in den Mund gelegten Leitartikelpassagen fallen unangenehm auf, ohne doch mehr als einfachste Wahrheiten zu verkünden.
Schwerer noch wiegt für den deutschen Leser, daß er zwar ahnt, daß alles miteinander zusammenhängt - nämlich Kalamans Identitätssuche mit der Anarchie seines Landes -, aber nicht nachvollziehen kann, auf welche Weise. Dazu - und auch zur gerechten Beurteilung der stilistischen Schwächen - fehlen die Voraussetzungen. Man muß die mündliche Tradition kennen, auch über ethnologische Spezialkenntnisse verfügen. (Daß Menstruationsblut mit einem Tabu belegt ist, kann man sich denken. Aber was genau verbietet das Tabu, und was impliziert seine Verletzung?) Ein schwacher, aber hilfreicher Ersatz wäre eine editorische Begleitung mit Kommentar, Glossar, Einführung oder Nachwort. Nichts davon hat der Suhrkamp Verlag für nötig gehalten. So bleiben unnötig viele Geheimnisse dieses Romans ungelüftet.
MARTIN EBEL
Nuruddin Farah: "Geheimnisse". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Eike Schönfeld. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2000. 396 S., geb., 49,80 DM.
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An der Grenze der Welten: Nurrudin Farah sammelt Geheimnisse
Somalia ist auf der geistigen Landkarte der Deutschen durch zwei Momente fixiert: 1977 erlaubte der damalige Präsident Siyad Barre der Sondereinheit GSG-9, die gekidnappten Passagiere der Lufthansa-Maschine "Landshut" zu befreien. 1992, ein Jahr nach dem Sturz Barres, gingen UN-Truppen unter den Scheinwerfern der Weltpresse ins Land, um Frieden zu bringen, und zogen, als sich dies als unmöglich erwies, wenig später wieder ab, diesmal freilich ohne entsprechende mediale Begleitung.
Seitdem ist das Land sich selbst und seine Bevölkerung der Willkürherrschaft sich bekriegender Clans überlassen. Das Land hat keine funktionierende Regierung, kein Parlament, keine Justiz. Es herrscht das Recht der Faust und der Maschinenpistole. Dabei sind nicht, wie in nahezu allen anderen afrikanischen Staaten, ethnische Gegensätze die Ursache der Gewalt. Auch der koloniale Hintergrund (ein Teil des Landes wurde früher von England, ein anderer von Italien verwaltet) oder die weltpolitische Frontstellung während des "Kalten Krieges" liefern keine hinreichende Erklärung für die Anarchie, in der Somalia seit vielen Jahren dahintreibt.
In solchen Ausweglosigkeiten sucht man gern Hilfe bei der Literatur. Mancher hat etwa in den Weltkriegs-Romanen Aleksandar Tismas Aufschlüsse über die jugoslawische Selbstzerfleischung finden wollen. Im Fall Somalias scheint geradezu ein Glücksfall vorzuliegen. Mit Nuruddin Farah hat das Land einen Schriftsteller von internationalem Rang hervorgebracht, der, wie er einmal sagte, sein Land lebendig erhalten will, indem er darüber schreibt.
Farah, 1945 geboren und als Sohn einer Geschichtenerzählerin mit dem Rüstzeug mündlicher Tradierung ebenso ausgestattet wie mit einer "westlichen" Ausbildung, hat in Indien studiert und an europäischen, amerikanischen und afrikanischen Universitäten gelehrt. Sein Heimatland hat er so rechtzeitig verlassen, daß ein gegen ihn verhängtes Todesurteil nicht vollstreckt werden konnte. 24 Jahre, von 1974 bis 1998, konnte er Somalia nicht besuchen und schrieb doch über nichts anderes: über diktatorische Regimes, über die verhängnisvollen Auswirkungen der Entwicklungshilfe auf die heimische Landwirtschaft, über die schwierige Rolle der Frauen.
Farah besitzt großes Ansehen in der literarischen Welt. Für seinen jüngsten Roman "Geheimnisse" ist ihm der bedeutende Neustadt-Prize verliehen worden. Dieser Roman ist jetzt auf deutsch erschienen. Sagt er uns das, was wir wissen wollen? Natürlich nicht. Literatur beantwortet selten Fragen, außer denen, die sie selbst gestellt hat. In ihrer Welt sucht man eindeutige Wegweiser zur unsrigen vergeblich, und manchmal führen auch die, denen wir folgen wollen, in die Irre und geben Rätsel um Rätsel auf.
Genau dies ist hier der Fall. "Geheimnisse" ist voll von dem, was es im Titel führt. Daß von diesen beständig geredet wird, ist dabei keine Hilfe, denn wie mit ihnen umzugehen ist, bleibt selbst eines: aufklären oder bewahren? Das eine ist so verführerisch wie gefährlich, das andere so unumgänglich wie unerträglich. Ein zentrales Geheimnis immerhin wird gelüftet: die Herkunft des Helden (und in manchen Kapiteln auch Ich-Erzählers) Kalaman.
Dem vergleichsweise wohlhabenden Mann - er hat sich vom Briefschreiber zum Inhaber einer Computerfirma in Mogadiscio mit 15 Angestellten hochgearbeitet - schwant seit langem, daß mit seiner Abstammung etwas nicht in Ordnung ist. Sein Name - "ein Name wie eine Sackgasse", sagt er selbst - bedeutet nichts und ermöglicht keine Zuordnung zu einem der Clans. Die seinem Großvater (und Namensgeber) abgeforderte Erklärung, er habe ihm mit diesem voraussetzungslosen Namen Freiheit und Zukunft schenken sollen, befriedigt ihn nicht. Zu Recht: "Kalaman" ist, wie sich herausstellt, dem Krächzen eines Vogels nachgebildet. Auch daß er ein ungewolltes Kind war, hat Kalaman schon vermutet. Die Antwort auf seine bohrenden Fragen übertrifft aber seine Vorstellung, er erfährt von einer Gruppenvergewaltigung, sein leiblicher Vater gilt als unbekannt. Wer sucht, der findet: die Fratze der Aufklärung. Anstelle des Ungewissen ist ein viel schlimmeres Nichtwissen getreten. Denn ohne Vater steht Kalaman im sozialen Niemandsland und in den Tagen kurz vor Ausbruch des Bürgerkriegs, in denen der Roman spielt, ohne den Schutz eines Clans.
Auslöser für Kalamans verhängnisvolle Suche nach seinen Ursprüngen ist der Besuch seiner Jugendfreundin Sholoongo, der schillerndsten Gestalt des Romans. Als Kind zum "duugan", einem unheilbringenden Wesen, erklärt und in der Wildnis ausgesetzt, wurde sie von wilden Tieren aufgezogen und - so die psychologische Befrachtung dieser mythischen Konstruktion - kehrte dann voller Rachedurst in die Gesellschaft zurück, die sie einst ausstieß.
Sholoongo, die in den Vereinigten Staaten den Beruf des "Gestaltwandlers" ausübt, verletzt Tabus und Konventionen, vor allem aber männliche Herrschaftsansprüche. Ihre Waffe ist eine offensive Sexualität, der gleich drei Generationen vom Kalamans Familie anheimfallen: Sie verführt den achtjährigen Kalaman, dann seinen (vermeintlichen) Vater und schließlich, in einem Langstrecken-Finale am Ende des Romans, auch den weit über achtzigjährigen und "übermythosgroßen" Großvater. Dieser über viele Seiten ausgeführte Sexualakt ist Kampf und Erlösung - für die Frau, die schwanger werden will, und für den Greis, der endlich sterben kann, als Kalamans Geheimnis gelöst und nichts gewonnen ist. Sholoongo übertritt nicht nur die Tabus der alten und die Regeln der modernen Welt, sondern Grenzen aller Arten. Sie dringt in die Träume von Kalamans Mutter ein und stiftet dort Unheil, und auch daß sie es ist, die sich in einen riesigen Elefanten verwandelt und einen Jäger zu Tode trampelt, mögen die handelnden Personen nicht ausschließen.
Diese Übergänge dringen auch in den Stil ein. Die Bilder Nuruddin Farahs sind zum Teil antiquiert (wenn in den Augen einer Frau "die Erhabenheit der Nachmittagssonne eine Heimstadt gefunden hat"), wirken nur zuweilen auch für westliche Leser frisch (eine Frau sieht aus "wie eine Kuh, die mit ihrem eigenen flüssigen Dung beschmiert ist, so grün wie die Jahreszeit feucht"). Oft überkreuzen sich in den Bildern die Welten, schlägt die unkontrollierbare Modernisierung auf die Metaphernbildung durch: "Seine Worte kommen gerollt heraus wie die Blätter aus einem Faxgerät", heißt es einmal, oder: "Er war hellwach wie eine Reihe Taxis, die auf Kundschaft wartet." Im Bewußtsein des Helden berühren sich das tierisch-totemistische Erbe und die Maschinensymbiose unserer Tage: Die Identität, die solche Spannungen aushalten muß, kann nur zerbrechen.
Allerdings zerbricht auch dem Autor der Stil unter den Händen, führt die Konfrontation der Welten zu wüsten Brüchen. Das Vergnügen der Lektüre wird allzuoft getrübt: "Dem, was sie über ihren Mann sagte, entnahm ich, daß diese Partnerschaft bei ihr einen in vieler Hinsicht äußerst positiven Eindruck hinterlassen hatte." Vor allem die dann und wann den Personen in den Mund gelegten Leitartikelpassagen fallen unangenehm auf, ohne doch mehr als einfachste Wahrheiten zu verkünden.
Schwerer noch wiegt für den deutschen Leser, daß er zwar ahnt, daß alles miteinander zusammenhängt - nämlich Kalamans Identitätssuche mit der Anarchie seines Landes -, aber nicht nachvollziehen kann, auf welche Weise. Dazu - und auch zur gerechten Beurteilung der stilistischen Schwächen - fehlen die Voraussetzungen. Man muß die mündliche Tradition kennen, auch über ethnologische Spezialkenntnisse verfügen. (Daß Menstruationsblut mit einem Tabu belegt ist, kann man sich denken. Aber was genau verbietet das Tabu, und was impliziert seine Verletzung?) Ein schwacher, aber hilfreicher Ersatz wäre eine editorische Begleitung mit Kommentar, Glossar, Einführung oder Nachwort. Nichts davon hat der Suhrkamp Verlag für nötig gehalten. So bleiben unnötig viele Geheimnisse dieses Romans ungelüftet.
MARTIN EBEL
Nuruddin Farah: "Geheimnisse". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Eike Schönfeld. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2000. 396 S., geb., 49,80 DM.
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Richtig gut findet der Rezensent Rüdiger Wartusch diesen Roman und bezeichnet ihn als "Tragödie mit Happy End". Das Buch zeichnet sich seiner Ansicht nach durch eine "simple äußere Handlung" (des Protagonisten Jugendliebe taucht wieder auf und will ein Kind von ihm), aber "komplexe Zusammenhänge" aus. Diese Komplexität werde dargestellt durch einen konstruierten, verwobenen Text, der "Ausdruck einer Welt ist, die sich auch in einem noch so kleinen Ausschnitt nicht mehr auseinander lösen lässt." Auch Politisches sei zwischen den Betrachtungen der individuellen Schicksale zu finden. Wartusch ist angetan vom Metaphernreichtum, von der Bildlichkeit und Dichtheit der Sprache, die seiner Ansicht nach - trotz einiger Versäumnisses des deutschen Lektorats, auf die der Rezensent verweist - die Qualität des Romans ausmachen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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