Eines der spannendsten Dokumente des deutschen Exils in den USA, Zuckmayers "Geheimreport", wird hier erstmals veröffentlicht.
1943/44 verfasste der 1939 in die USA emigrierte Dramatiker Carl Zuckmayer für den amerikanischen Geheimdienst »Office of Strategic Services« einen Report mit etwa 150 Charakterporträts von Schriftstellern, Publizisten, Verlegern, Schauspielern, Regisseuren und Musikern (Hans Albers, Gustaf Gründgens, Heinz Rühmann, Theo Lingen, Gottfried Benn, Ernst Jünger, Wilhelm Furtwängler, Peter Suhrkamp u.a.), die im »Dritten Reich« zum Teil herausragende Positionen bekleidet haben.
1943/44 verfasste der 1939 in die USA emigrierte Dramatiker Carl Zuckmayer für den amerikanischen Geheimdienst »Office of Strategic Services« einen Report mit etwa 150 Charakterporträts von Schriftstellern, Publizisten, Verlegern, Schauspielern, Regisseuren und Musikern (Hans Albers, Gustaf Gründgens, Heinz Rühmann, Theo Lingen, Gottfried Benn, Ernst Jünger, Wilhelm Furtwängler, Peter Suhrkamp u.a.), die im »Dritten Reich« zum Teil herausragende Positionen bekleidet haben.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.06.2002Woher wußte er das nur alles?
Besser hat er nie geschrieben: Carl Zuckmayers "Geheimreport"
"Tatsache ist, dass eine ganze Reihe der hier zu behandelnden Personen auf dem Standpunkt standen und vielleicht noch stehen, die ganze Schweinerei ginge sie im Grund nichts an." Das ist einer der ersten Sätze der "Charakterologie", die Carl Zuckmayer seinen jetzt (soweit erhalten) vollständig veröffentlichten Studien über die im Deutschland des Dritten Reichs gebliebenen Künstler und Intellektuellen vorangestellt hat. Mit diesem Satz ist der Leser gleich an einem sozusagen zeitlos aktuellen Punkt angelangt - und hat im folgenden die faszinierende Gelegenheit, das Ambiente der Schweinerei von einem Kenner ausgeleuchtet zu sehen.
Ein vor der Emigration und nach seiner Rückkehr berühmter Autor hat 1943 ein Dossier für den amerikanischen Geheimdienst ausgearbeitet: eine Serie von etwa hundertfünfzig Fallstudien wechselnder Dichte und Länge, oft brillant. Die Beispiele, die in dieser Zeitung vorabgedruckt wurden, haben nicht umsonst Aufsehen erregt. Wie kam es zu dieser Tätigkeit? Zuckmayer verließ Österreich nach dem Anschluß und ging über die Schweiz in die Vereinigten Staaten; er lebte von 1939 bis 1946 in Barnard, Vermont. Über sein Engagement bei verschiedenen Organisationsversuchen der deutschen Exilanten wurden die amerikanischen Behörden auf ihn aufmerksam. Es wurde ihm angetragen, wie er 1947 schrieb, "die künftige Besatzungsmacht in Form von möglichst objektiven Charakterstudien über führende Persönlichkeiten des deutschen Kulturlebens zu informieren".
Das Office of Strategic Services (OSS), 1942 gegründet und ganz im Banne des legendären "Wild Bill" William Joseph Donovan, arbeitete unter anderem Strategieszenarien aus, bei denen solche Informationen wichtig waren. In seiner "Central Information Division" (CID) wurde unter Leitung der Emigranten Hajo Holborn, Felix Gilbert und Emmy C. Rado Material über Persönlichkeiten des Dritten Reiches gesammelt. Dieser Agentur arbeitete Zuckmayer zu. Welche Haltung den Kollegen im Dritten Reich gegenüber drückt sich in seinen Berichten aus?
Nach der Uraufführung von Zuckmayers "Des Teufels General" schrieb E. G. Buttler in der "Europäischen Rundschau" eine Rezension mit dem Titel: "Ein Emigrant plädiert für die Daheimgebliebenen". Das könnte man auch als Motto über dieses Buch setzen, denn so schonungslos manche Abrechnungen bei gegebenem Anlaß ausfallen, so groß ist ein unverbrüchliches Wohlwollen "den Deutschen" gegenüber, die gewiß nicht grundsätzlich bedenklicher sind als andere Völker.
Die Einteilung erfolgt in vier Gruppen: "Positiv (Vom Nazi-Einfluß unberührt, widerstrebend, zuverlässig)", "Negativ (Nazis, Anschmeisser, Nutzniesser, Kreaturen)", drittens - hier deutet sich die Aporie jeder Klassifizierung dieser Art an - "Sonderfälle, teils positiv, teils negativ, nicht ohne weiteres einzuordnen" und viertens "Indifferente, Undurchsichtige, Verschwommene, Fragliche". Die vierte Gruppe ist wiederum aufgeteilt in "(Negativ)" und "(Positiv oder vermutlich positiv)". Die Liste endet mit dem Vermerk "Dez. 1943 abgeschlossen. Viele Änderungen in der Klassifizierung vorgenommen."
Zuckmayer schrieb diese Porträts mit erstaunlicher Verve; von einer Pflichtübung ist wenig zu erkennen. Manche Details sind der Spur nach wiedergegeben - Falladas "Wer einmal aus dem Blechnapf fraß" mutiert zu "Wer niemals aus dem Blechnapf frißt". So etwas ist gleichgültig. Die Stärke dieser Skizzen liegt in ihrem sicheren Umriß; man liest sie mit Vergnügen und Bewunderung: präzis kalkulierte wegwerfende Bemerkungen wie die über die "mysteriösen Verblödungszustände" bei Ina Seidel und Agnes Miegel, die Charakteristik des Pädagogen Martin Luserke mit seiner Erscheinung "zwischen einem dämonischen Professor Unrat und einem zweiten Steuermann der Handelsmarine", knappe und doch erschöpfende Vignetten wie "Waggerl - der ,falsche Hamsun' des salzburger Landes - eine Zeitlang Entdeckung und Leuchte des Inselverlags als bodenständiger Dichter - hatte immer einen falschen Erdgeruch an sich und warf sich der Blu-Bo willfährig in die Arme." Zuckmayer hatte ein gutes Ohr. Auch da, wo das Porträt zeitbedingt ein wenig schief hängt wie bei Benn, muß man sagen, daß Zuckmayers Gedichtzitat von 1933 trifft: "Der kategorische" (recte: soziologische) "Nenner / Der hinter Jahrtausenden schlief / Heisst: Ein paar große Männer - / Und die litten tief." Das ist unsäglich, und selten ist treffender und knapper ausgedrückt worden als mit diesem Zitat, wie es einem großen Dichter ergeht, der einer Diktatur zujubeln will.
Zuckmayer ist nach dem Krieg, als das Porträt von Werner Krauß in einer Zeitung abgedruckt wurde, dieser Berichte wegen als Denunziant getadelt worden, und neuerdings ist ihm das wieder geschehen. Das scheint vollkommen töricht. Erstaunlich ist vielmehr, wie klug, maßvoll, differenziert (wenn auch gelegentlich von der Lust an einer starken Anekdote hingerissen) er schreibt. Das ergibt nicht nur ein faszinierend detailliertes Panorama großer Teile des Künstlertums und der Intelligenz im Dritten Reich, sondern auch, literarisch, eine Serie von scharfumrissenen Porträts, nach deren Lektüre man sagen möchte: Besser hat der Mann nie geschrieben. Denunziation? Zuckmayer nimmt zum Teil die Dargestellten gegen eine in Emigrantenkreisen herrschende Meinung in Schutz - Peter Suhrkamp gegen Brigitte und Gottfried Bermann Fischer, Tilly Wedekind gegen den "Bannfluch der Familie Mann".
Besonders großzügig ist Zuckmayer den Schauspielern gegenüber ("Schauspieler sind ja überhaupt psychologische Zwischenstufen"); ihre déformation professionelle ist es, daß der Schauspielerberuf allgemein das Verantwortungsgefühl und die charakterliche Zuverlässigkeit untergräbt. Einem genialen Mann wie Gründgens wird entsprechend ein Ausnahmestatus zugebilligt, und dann heißt es: "Natürlich kamen hier wie überall die echten, die fanatischen, die bösartigen und unverbesserlichen Nazis aus den Reihen der Zweitrangigen, der Verbitterten, der Charlatane . . . Man hat ja mit Recht im Theaterjargon die ganze Nazibewegung als die ,Revolution der Statisten' bezeichnet." Hier, bei Bühne und Film, ist Zuckmayer besonders in seinem Element: Hilpert und Albers, Gründgens und Rühmann, Karl Valentin und Hubert von Meyerinck, Käthe Dorsch und Paula Wessely. Es gibt natürlich Abrechnungen (die "Reichsgletscherspalte" Leni Riefenstahl), aber viele Urteile sind geradezu hymnisch. Vielleicht hatte der tückisch-völkische Erwin Guido Kolbenheyer, der in seiner Autobiographie über Zuckmayer herfiel, doch in diesem einen Punkt mit haßerfüllter Hellsichtigkeit recht: Zuckmayer machte keinen Theatermann wirklich schlecht, mit dem er nach dem Krieg wieder zusammenarbeiten wollte, und so hielt er für höchst kompromittierte Figuren wie Emil Jannings ("Ich liebe die alte Sau") oder Werner Krauß (der dann in "Jud Süß" eine zentrale Rolle hatte) am Ende versöhnliche Urteile parat. Das Ausmaß, in dem diese Schauspieler kollaboriert haben, wird nicht geschönt, aber es wird über eine "So sind sie eben"-Psychologie des Schauspielers die Absolution erteilt. Die anekdotischen Porträts gerade von Jannings und Krauß, die so gegeben werden, sind großartig.
Zur Lust an der anekdotischen Pointierung gehört die Zuspitzung zum Paradoxon. Über Willy Forst und den einst mit dem Kommunismus und der Psychoanalyse liierten Regisseur G. W. Pabst: "Bei beiden ist genau das Gegenteil von dem eingetreten, was man hätte erwarten können: der etwas gigolohafte Forst hat sich in der Nazizeit als ein außergewöhnlich anständiger Charakter erwiesen - während die Rückkehr des ,Gesinnungs-Künstlers' Pabst nach dem größeren Deutschland in einen recht trüben Nebel gehüllt ist."
Hier wird ein Motiv angeschlagen, das ein geheimer basso ostinato dieser Aufzeichnungen ist: Es wird am offensten in einer Bemerkung formuliert, welche die Charakteristik von Ernst Jünger und seinem Bruder Friedrich Georg abschließt: "In Wirklichkeit sind sie weniger reaktionär als viele der ,Progressiven', die nichts dazu gelernt haben." In einer Weise, die der entschiedenen, ja, fanatischen Antikommunistin Emmy Rado willkommen war, wird tendenziell die Linke desavouiert: Das Konservative hält sich in der moralisch-politischen Krisis besser. Dies entspricht natürlich auch Zuckmayers eigener Nähe zum Nationalen, "Volkhaften" - er war, so konsequent seine Gegnerschaft dann sein sollte, 1933 von der "nationalen Erhebung" zunächst nicht abgestoßen. "Ich gehöre nicht zu den Leuten, die über die jüngste Entwicklung in Deutschland unglücklich sind."
Hier zeigt er sich - man lese die zwei sich spiegelnden großen Konfrontations-Anekdoten über Friedrich Sieburg und Hans Reimann - als glänzender Raconteur mit einem stupenden Wissen über die Literatur- und Theaterszene. Wo er einer guten Geschichte nicht widerstehen kann, rückt der Anmerkungsapparat das zurecht. Seine Frau wird im Anhang mit dem fassungslosen Aufschrei: "Woher weisst du das" zitiert: Trotzdem scheint alles in allem nur wenig in die Kategorie "ben trovato" zu gehören. Er wußte einfach, gleich woher, viel.
Der umfangreiche Erläuterungsapparat, der wenig Wünsche unerfüllt läßt, ist präzis und reichhaltig. Das Nachwort zeichnet die Entstehungsgeschichte detailliert nach, stellt sie vor den Hintergrund der end- und erfolglosen Versuche, die deutsche Emigration in den Vereinigten Staaten in einem einzigen Forum zu vereinigen, und macht klar, wie sehr ab einem bestimmten Zeitpunkt all jene Organisationsdebatten eine Reaktion der Vereinigten Staaten und des amerikanischen Exils auf die Bildung des "Nationalkomitees Freies Deutschland" in der Sowjetunion waren. Emmy Rado scheint dafür gesorgt zu haben, daß Thomas Mann seine anfängliche Bereitschaft, den Vorsitz einer deutschen Exilvertretung anzunehmen, zurückzog - sie befürchtete seine Verwicklung in linke Strategien.
Es ist dies ein sehr wichtiges Buch; dessentwegen, was es erzählt und zu diagnostizieren versucht, und wegen dem, was es ungesagt läßt. Es scheint kaum aufzeigbare Folgen in der Kulturpolitik nach dem Krieg gehabt zu haben; um so eindringlicher schaut es uns heute an. Zuckmayers fundamental naive Auffassung vom "Charakter" eines Menschen (der fast invariant erscheint) scheint oft rätselhaft plausibel: Man ist anständig. Man ist es nicht. Die Hilflosigkeit solcher Diagnosen kann der Leser, der die Hilflosigkeit spürt, die einen noch aus großer Ferne angesichts der Barbarei ergreift, nicht verurteilen.
Dieser deutsche Mann, der seine Tochter "in etwas infantiler Laune" Winnetou genannt hat, erweist sich - auch für den Leser, der ihn für einen unbedeutenden Dichter hält - als hervorragender Beobachter. Wäre das Wort "Zeitzeuge" nicht inflationär verkommen und würde jedem von der Lokalpresse interviewten älteren Mitbürger nachgeworfen: Zuckmayer könnte man so nennen. Eingedenk dessen, daß Zeugenaussagen forensisch eingeschätzt werden wollen.
JOACHIM KALKA
Carl Zuckmayer: "Geheimreport". Herausgegeben von Gunther Nickel und Johanna Schrön. Wallstein Verlag, Göttingen 2002. 528 S., geb., 32,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Besser hat er nie geschrieben: Carl Zuckmayers "Geheimreport"
"Tatsache ist, dass eine ganze Reihe der hier zu behandelnden Personen auf dem Standpunkt standen und vielleicht noch stehen, die ganze Schweinerei ginge sie im Grund nichts an." Das ist einer der ersten Sätze der "Charakterologie", die Carl Zuckmayer seinen jetzt (soweit erhalten) vollständig veröffentlichten Studien über die im Deutschland des Dritten Reichs gebliebenen Künstler und Intellektuellen vorangestellt hat. Mit diesem Satz ist der Leser gleich an einem sozusagen zeitlos aktuellen Punkt angelangt - und hat im folgenden die faszinierende Gelegenheit, das Ambiente der Schweinerei von einem Kenner ausgeleuchtet zu sehen.
Ein vor der Emigration und nach seiner Rückkehr berühmter Autor hat 1943 ein Dossier für den amerikanischen Geheimdienst ausgearbeitet: eine Serie von etwa hundertfünfzig Fallstudien wechselnder Dichte und Länge, oft brillant. Die Beispiele, die in dieser Zeitung vorabgedruckt wurden, haben nicht umsonst Aufsehen erregt. Wie kam es zu dieser Tätigkeit? Zuckmayer verließ Österreich nach dem Anschluß und ging über die Schweiz in die Vereinigten Staaten; er lebte von 1939 bis 1946 in Barnard, Vermont. Über sein Engagement bei verschiedenen Organisationsversuchen der deutschen Exilanten wurden die amerikanischen Behörden auf ihn aufmerksam. Es wurde ihm angetragen, wie er 1947 schrieb, "die künftige Besatzungsmacht in Form von möglichst objektiven Charakterstudien über führende Persönlichkeiten des deutschen Kulturlebens zu informieren".
Das Office of Strategic Services (OSS), 1942 gegründet und ganz im Banne des legendären "Wild Bill" William Joseph Donovan, arbeitete unter anderem Strategieszenarien aus, bei denen solche Informationen wichtig waren. In seiner "Central Information Division" (CID) wurde unter Leitung der Emigranten Hajo Holborn, Felix Gilbert und Emmy C. Rado Material über Persönlichkeiten des Dritten Reiches gesammelt. Dieser Agentur arbeitete Zuckmayer zu. Welche Haltung den Kollegen im Dritten Reich gegenüber drückt sich in seinen Berichten aus?
Nach der Uraufführung von Zuckmayers "Des Teufels General" schrieb E. G. Buttler in der "Europäischen Rundschau" eine Rezension mit dem Titel: "Ein Emigrant plädiert für die Daheimgebliebenen". Das könnte man auch als Motto über dieses Buch setzen, denn so schonungslos manche Abrechnungen bei gegebenem Anlaß ausfallen, so groß ist ein unverbrüchliches Wohlwollen "den Deutschen" gegenüber, die gewiß nicht grundsätzlich bedenklicher sind als andere Völker.
Die Einteilung erfolgt in vier Gruppen: "Positiv (Vom Nazi-Einfluß unberührt, widerstrebend, zuverlässig)", "Negativ (Nazis, Anschmeisser, Nutzniesser, Kreaturen)", drittens - hier deutet sich die Aporie jeder Klassifizierung dieser Art an - "Sonderfälle, teils positiv, teils negativ, nicht ohne weiteres einzuordnen" und viertens "Indifferente, Undurchsichtige, Verschwommene, Fragliche". Die vierte Gruppe ist wiederum aufgeteilt in "(Negativ)" und "(Positiv oder vermutlich positiv)". Die Liste endet mit dem Vermerk "Dez. 1943 abgeschlossen. Viele Änderungen in der Klassifizierung vorgenommen."
Zuckmayer schrieb diese Porträts mit erstaunlicher Verve; von einer Pflichtübung ist wenig zu erkennen. Manche Details sind der Spur nach wiedergegeben - Falladas "Wer einmal aus dem Blechnapf fraß" mutiert zu "Wer niemals aus dem Blechnapf frißt". So etwas ist gleichgültig. Die Stärke dieser Skizzen liegt in ihrem sicheren Umriß; man liest sie mit Vergnügen und Bewunderung: präzis kalkulierte wegwerfende Bemerkungen wie die über die "mysteriösen Verblödungszustände" bei Ina Seidel und Agnes Miegel, die Charakteristik des Pädagogen Martin Luserke mit seiner Erscheinung "zwischen einem dämonischen Professor Unrat und einem zweiten Steuermann der Handelsmarine", knappe und doch erschöpfende Vignetten wie "Waggerl - der ,falsche Hamsun' des salzburger Landes - eine Zeitlang Entdeckung und Leuchte des Inselverlags als bodenständiger Dichter - hatte immer einen falschen Erdgeruch an sich und warf sich der Blu-Bo willfährig in die Arme." Zuckmayer hatte ein gutes Ohr. Auch da, wo das Porträt zeitbedingt ein wenig schief hängt wie bei Benn, muß man sagen, daß Zuckmayers Gedichtzitat von 1933 trifft: "Der kategorische" (recte: soziologische) "Nenner / Der hinter Jahrtausenden schlief / Heisst: Ein paar große Männer - / Und die litten tief." Das ist unsäglich, und selten ist treffender und knapper ausgedrückt worden als mit diesem Zitat, wie es einem großen Dichter ergeht, der einer Diktatur zujubeln will.
Zuckmayer ist nach dem Krieg, als das Porträt von Werner Krauß in einer Zeitung abgedruckt wurde, dieser Berichte wegen als Denunziant getadelt worden, und neuerdings ist ihm das wieder geschehen. Das scheint vollkommen töricht. Erstaunlich ist vielmehr, wie klug, maßvoll, differenziert (wenn auch gelegentlich von der Lust an einer starken Anekdote hingerissen) er schreibt. Das ergibt nicht nur ein faszinierend detailliertes Panorama großer Teile des Künstlertums und der Intelligenz im Dritten Reich, sondern auch, literarisch, eine Serie von scharfumrissenen Porträts, nach deren Lektüre man sagen möchte: Besser hat der Mann nie geschrieben. Denunziation? Zuckmayer nimmt zum Teil die Dargestellten gegen eine in Emigrantenkreisen herrschende Meinung in Schutz - Peter Suhrkamp gegen Brigitte und Gottfried Bermann Fischer, Tilly Wedekind gegen den "Bannfluch der Familie Mann".
Besonders großzügig ist Zuckmayer den Schauspielern gegenüber ("Schauspieler sind ja überhaupt psychologische Zwischenstufen"); ihre déformation professionelle ist es, daß der Schauspielerberuf allgemein das Verantwortungsgefühl und die charakterliche Zuverlässigkeit untergräbt. Einem genialen Mann wie Gründgens wird entsprechend ein Ausnahmestatus zugebilligt, und dann heißt es: "Natürlich kamen hier wie überall die echten, die fanatischen, die bösartigen und unverbesserlichen Nazis aus den Reihen der Zweitrangigen, der Verbitterten, der Charlatane . . . Man hat ja mit Recht im Theaterjargon die ganze Nazibewegung als die ,Revolution der Statisten' bezeichnet." Hier, bei Bühne und Film, ist Zuckmayer besonders in seinem Element: Hilpert und Albers, Gründgens und Rühmann, Karl Valentin und Hubert von Meyerinck, Käthe Dorsch und Paula Wessely. Es gibt natürlich Abrechnungen (die "Reichsgletscherspalte" Leni Riefenstahl), aber viele Urteile sind geradezu hymnisch. Vielleicht hatte der tückisch-völkische Erwin Guido Kolbenheyer, der in seiner Autobiographie über Zuckmayer herfiel, doch in diesem einen Punkt mit haßerfüllter Hellsichtigkeit recht: Zuckmayer machte keinen Theatermann wirklich schlecht, mit dem er nach dem Krieg wieder zusammenarbeiten wollte, und so hielt er für höchst kompromittierte Figuren wie Emil Jannings ("Ich liebe die alte Sau") oder Werner Krauß (der dann in "Jud Süß" eine zentrale Rolle hatte) am Ende versöhnliche Urteile parat. Das Ausmaß, in dem diese Schauspieler kollaboriert haben, wird nicht geschönt, aber es wird über eine "So sind sie eben"-Psychologie des Schauspielers die Absolution erteilt. Die anekdotischen Porträts gerade von Jannings und Krauß, die so gegeben werden, sind großartig.
Zur Lust an der anekdotischen Pointierung gehört die Zuspitzung zum Paradoxon. Über Willy Forst und den einst mit dem Kommunismus und der Psychoanalyse liierten Regisseur G. W. Pabst: "Bei beiden ist genau das Gegenteil von dem eingetreten, was man hätte erwarten können: der etwas gigolohafte Forst hat sich in der Nazizeit als ein außergewöhnlich anständiger Charakter erwiesen - während die Rückkehr des ,Gesinnungs-Künstlers' Pabst nach dem größeren Deutschland in einen recht trüben Nebel gehüllt ist."
Hier wird ein Motiv angeschlagen, das ein geheimer basso ostinato dieser Aufzeichnungen ist: Es wird am offensten in einer Bemerkung formuliert, welche die Charakteristik von Ernst Jünger und seinem Bruder Friedrich Georg abschließt: "In Wirklichkeit sind sie weniger reaktionär als viele der ,Progressiven', die nichts dazu gelernt haben." In einer Weise, die der entschiedenen, ja, fanatischen Antikommunistin Emmy Rado willkommen war, wird tendenziell die Linke desavouiert: Das Konservative hält sich in der moralisch-politischen Krisis besser. Dies entspricht natürlich auch Zuckmayers eigener Nähe zum Nationalen, "Volkhaften" - er war, so konsequent seine Gegnerschaft dann sein sollte, 1933 von der "nationalen Erhebung" zunächst nicht abgestoßen. "Ich gehöre nicht zu den Leuten, die über die jüngste Entwicklung in Deutschland unglücklich sind."
Hier zeigt er sich - man lese die zwei sich spiegelnden großen Konfrontations-Anekdoten über Friedrich Sieburg und Hans Reimann - als glänzender Raconteur mit einem stupenden Wissen über die Literatur- und Theaterszene. Wo er einer guten Geschichte nicht widerstehen kann, rückt der Anmerkungsapparat das zurecht. Seine Frau wird im Anhang mit dem fassungslosen Aufschrei: "Woher weisst du das" zitiert: Trotzdem scheint alles in allem nur wenig in die Kategorie "ben trovato" zu gehören. Er wußte einfach, gleich woher, viel.
Der umfangreiche Erläuterungsapparat, der wenig Wünsche unerfüllt läßt, ist präzis und reichhaltig. Das Nachwort zeichnet die Entstehungsgeschichte detailliert nach, stellt sie vor den Hintergrund der end- und erfolglosen Versuche, die deutsche Emigration in den Vereinigten Staaten in einem einzigen Forum zu vereinigen, und macht klar, wie sehr ab einem bestimmten Zeitpunkt all jene Organisationsdebatten eine Reaktion der Vereinigten Staaten und des amerikanischen Exils auf die Bildung des "Nationalkomitees Freies Deutschland" in der Sowjetunion waren. Emmy Rado scheint dafür gesorgt zu haben, daß Thomas Mann seine anfängliche Bereitschaft, den Vorsitz einer deutschen Exilvertretung anzunehmen, zurückzog - sie befürchtete seine Verwicklung in linke Strategien.
Es ist dies ein sehr wichtiges Buch; dessentwegen, was es erzählt und zu diagnostizieren versucht, und wegen dem, was es ungesagt läßt. Es scheint kaum aufzeigbare Folgen in der Kulturpolitik nach dem Krieg gehabt zu haben; um so eindringlicher schaut es uns heute an. Zuckmayers fundamental naive Auffassung vom "Charakter" eines Menschen (der fast invariant erscheint) scheint oft rätselhaft plausibel: Man ist anständig. Man ist es nicht. Die Hilflosigkeit solcher Diagnosen kann der Leser, der die Hilflosigkeit spürt, die einen noch aus großer Ferne angesichts der Barbarei ergreift, nicht verurteilen.
Dieser deutsche Mann, der seine Tochter "in etwas infantiler Laune" Winnetou genannt hat, erweist sich - auch für den Leser, der ihn für einen unbedeutenden Dichter hält - als hervorragender Beobachter. Wäre das Wort "Zeitzeuge" nicht inflationär verkommen und würde jedem von der Lokalpresse interviewten älteren Mitbürger nachgeworfen: Zuckmayer könnte man so nennen. Eingedenk dessen, daß Zeugenaussagen forensisch eingeschätzt werden wollen.
JOACHIM KALKA
Carl Zuckmayer: "Geheimreport". Herausgegeben von Gunther Nickel und Johanna Schrön. Wallstein Verlag, Göttingen 2002. 528 S., geb., 32,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein einzigartiges historisches Dokument
Auf die Veröffentlichung dieses Buches war lange gewartet worden. Um den 1943/44 im Exil verfassten Geheimreport Carl Zuckmayers rankten sich bereits Legenden. Bekannt war: Zuckmayer hatte im Auftrag des amerikanischen Geheimdienstes ein Dossier erstellt, indem er 150 deutsche Kulturschaffende, die in Nazideutschland geblieben waren, beurteilte. Er hatte so genannte Charakterporträts von Kollegen vor allem aus dem Theater- und Filmmilieu angefertigt, mit deren Hilfe die Amerikaner nach Ende des Zweiten Weltkrieges die deutschen Künstler hinsichtlich ihrer moralischen Integrität einordnen wollten. Um es simpel zu sagen: Es ging darum, Gute von weniger Guten, und diese wiederum von den Bösen zu unterscheiden. Mutige, Umfaller und Drückeberger
Zuckmayer kannte fast alle Personen, über die er mit bewundernswertem psychologischem Gespür schrieb. Wo er über keine persönlichen Erfahrungen verfügte, hielt er sich zurück. Auf diese Weise entstanden beispielsweise Charakterbilder von Gründgens, Jannings, Furtwängler, von Benn, Jünger, Barlach, von Suhrkamp, Harlan und vielen anderen. Dabei fällt auf, dass Zuckmayer immer menschlich, bisweilen allzumenschlich, bleibt. Selbst Mitläufer verurteilt er nicht pauschal. Oftmals hilft ihm dabei sein Humor oder aber seine Süffisanz. Über die beiden Schriftstellerinnen Agnes Miegel und Ina Seidel heißt es etwa: "Inwieweit solche Verblödungszustände bei an sich begabten und nicht ungescheiten Frauen von mangelnder Drüsentätigkeit stammen soll hier nicht untersucht werden." Sicher, Zuckmayer teilt die Menschen ein und verwendet dabei durchaus dehnbare Kategorien von Mutigen, Umfallern und Drückebergern. Aber in seinen Porträts wird deutlich, dass es ihm mehr um eine psychologische Beschreibung als um Verdammung ging. Der Leser wird also weniger zum Voyeur, sondern kommt vielmehr in den Genuss kenntnisreicher Beschreibungen von Charakteren. Besonders hilfreich und lobenswert ist der über 300 Seiten lange Anhang mit detailliertem Kommentar und Nachwort. Endlich, kann man nur sagen, ist der Geheimreport erschienen. Ein einzigartiges historisches Dokument.
(Mathias Voigt, literaturtest.de)
Auf die Veröffentlichung dieses Buches war lange gewartet worden. Um den 1943/44 im Exil verfassten Geheimreport Carl Zuckmayers rankten sich bereits Legenden. Bekannt war: Zuckmayer hatte im Auftrag des amerikanischen Geheimdienstes ein Dossier erstellt, indem er 150 deutsche Kulturschaffende, die in Nazideutschland geblieben waren, beurteilte. Er hatte so genannte Charakterporträts von Kollegen vor allem aus dem Theater- und Filmmilieu angefertigt, mit deren Hilfe die Amerikaner nach Ende des Zweiten Weltkrieges die deutschen Künstler hinsichtlich ihrer moralischen Integrität einordnen wollten. Um es simpel zu sagen: Es ging darum, Gute von weniger Guten, und diese wiederum von den Bösen zu unterscheiden. Mutige, Umfaller und Drückeberger
Zuckmayer kannte fast alle Personen, über die er mit bewundernswertem psychologischem Gespür schrieb. Wo er über keine persönlichen Erfahrungen verfügte, hielt er sich zurück. Auf diese Weise entstanden beispielsweise Charakterbilder von Gründgens, Jannings, Furtwängler, von Benn, Jünger, Barlach, von Suhrkamp, Harlan und vielen anderen. Dabei fällt auf, dass Zuckmayer immer menschlich, bisweilen allzumenschlich, bleibt. Selbst Mitläufer verurteilt er nicht pauschal. Oftmals hilft ihm dabei sein Humor oder aber seine Süffisanz. Über die beiden Schriftstellerinnen Agnes Miegel und Ina Seidel heißt es etwa: "Inwieweit solche Verblödungszustände bei an sich begabten und nicht ungescheiten Frauen von mangelnder Drüsentätigkeit stammen soll hier nicht untersucht werden." Sicher, Zuckmayer teilt die Menschen ein und verwendet dabei durchaus dehnbare Kategorien von Mutigen, Umfallern und Drückebergern. Aber in seinen Porträts wird deutlich, dass es ihm mehr um eine psychologische Beschreibung als um Verdammung ging. Der Leser wird also weniger zum Voyeur, sondern kommt vielmehr in den Genuss kenntnisreicher Beschreibungen von Charakteren. Besonders hilfreich und lobenswert ist der über 300 Seiten lange Anhang mit detailliertem Kommentar und Nachwort. Endlich, kann man nur sagen, ist der Geheimreport erschienen. Ein einzigartiges historisches Dokument.
(Mathias Voigt, literaturtest.de)
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Zu "Geheimdienst und Literatur" assoziiert der Rezensent Matthias Wegener: James Bond und dann auch die Stasi-Mitarbeit einzelner Autoren, beides macht aufgeregt. Die Erstveröffentlichung von Carl Zuckmayers "Geheimreport" über die individuelle Verstrickung von 150 Kulturschaffenden im nationalsozialistischen Deutschland - im Auftrag von Emmy Rado geschrieben, der Leiterin einer Abteilung des amerikanischen Geheimdienstes - ist gänzlich anderer Natur, beruhigt Wegener. Hier werde kein Autor entlarvt oder eine geheime Tätigkeit aufgedeckt, denn es habe bereits 1947 eine Teilveröffentlichung in der Münchner "Neuen Zeitung" gegeben. Die Bekämpfung des NS-Regimes, mittels hilfreicher Vorarbeit zur Einschätzung persönlich zu verantwortender Schuld und gegen ein geringfügiges Entgelt, sei darüber hinaus für einen emigrierten Schriftsteller naheliegend. Herausgekommen ist laut Wegener ein sehr empfehlenswertes, weil "philologisch solide aufbereitetes" Lexikon, dessen 337 Seiten langer, sehr detaillierter Kommentar mit einem klugen Nachwort versehen wurde und sich auf lediglich 188 Seiten Quellentext von Zuckmayer stützt, rechnet der Rezensent genau vor. Und die moralische Integrität des Autors steht für Wegener ganz außer Frage: hier findet er geradezu elegische Worte.
© Perlentaucher Medien GmbH
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