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1943/1944 verfaßte der 1939 in die USA emigrierte Dramatiker Carl Zuckmayer für den amerikanischen Geheimdienst 'Office of Strategic Services' einen Report mit etwa 150 Charakterporträts von Schriftstellern, Publizisten, Verlegern, Schauspielern, Regisseuren und Musikern, die im 'Dritten Reich' zum Teil herausragende Positionen bekleidet haben.
Hans Albers, Gustaf Gründgens, Heinz Rühmann und Theo Lingen gehören ebenso zu den Beschriebenen und Beurteilten, wie Gottfried Benn, Ernst Jünger, Wilhelm Furtwängler und Peter Suhrkamp. Zuckmayers lange Zeit gesperrter 'Geheimreport' wird hier zum ersten Mal im Taschenbuch veröffentlicht.
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Produktbeschreibung
1943/1944 verfaßte der 1939 in die USA emigrierte Dramatiker Carl Zuckmayer für den amerikanischen Geheimdienst 'Office of Strategic Services' einen Report mit etwa 150 Charakterporträts von Schriftstellern, Publizisten, Verlegern, Schauspielern, Regisseuren und Musikern, die im 'Dritten Reich' zum Teil herausragende Positionen bekleidet haben.

Hans Albers, Gustaf Gründgens, Heinz Rühmann und Theo Lingen gehören ebenso zu den Beschriebenen und Beurteilten, wie Gottfried Benn, Ernst Jünger, Wilhelm Furtwängler und Peter Suhrkamp. Zuckmayers lange Zeit gesperrter 'Geheimreport' wird hier zum ersten Mal im Taschenbuch veröffentlicht.
Autorenporträt
Zuckmayer, Carl
Carl Zuckmayer, geboren 1896 in Nackenheim/Rhein, Fabrikantensohn, arbeitete als freier Schriftsteller und Dramaturg, bevor er 1933 Deutschland verließ. 1938 Emigration über die Schweiz in die USA. Im Auftrag der Regierung führte er 1946/47 Untersuchungen zum Kulturleben in Deutschland und Österreich durch. 1958 kehrte er in die Schweiz zurück, wo er 1977 starb. Zu seinen berühmtesten Werken gehören 'Der Schinderhannes' (1927), 'Der Hauptmann von Köpenick' (1931) und 'Des Teufels General' (1942) sowie seine Autobiographie 'Als wär's ein Stück von mir' (1967).
Nickel, Gunther
Gunther Nickel, am 27. August 1961 geboren, unterrichtet Neuere deutsche Literaturgeschichte an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Er ist Lektor des Deutschen Literaturfonds in Darmstadt, Herausgeber des Zuckmayer-Jahrbuchs und gehört einer Reihe von Literaturpreisjurys an.

Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.06.2002

Woher wußte er das nur alles?
Besser hat er nie geschrieben: Carl Zuckmayers "Geheimreport"

"Tatsache ist, dass eine ganze Reihe der hier zu behandelnden Personen auf dem Standpunkt standen und vielleicht noch stehen, die ganze Schweinerei ginge sie im Grund nichts an." Das ist einer der ersten Sätze der "Charakterologie", die Carl Zuckmayer seinen jetzt (soweit erhalten) vollständig veröffentlichten Studien über die im Deutschland des Dritten Reichs gebliebenen Künstler und Intellektuellen vorangestellt hat. Mit diesem Satz ist der Leser gleich an einem sozusagen zeitlos aktuellen Punkt angelangt - und hat im folgenden die faszinierende Gelegenheit, das Ambiente der Schweinerei von einem Kenner ausgeleuchtet zu sehen.

Ein vor der Emigration und nach seiner Rückkehr berühmter Autor hat 1943 ein Dossier für den amerikanischen Geheimdienst ausgearbeitet: eine Serie von etwa hundertfünfzig Fallstudien wechselnder Dichte und Länge, oft brillant. Die Beispiele, die in dieser Zeitung vorabgedruckt wurden, haben nicht umsonst Aufsehen erregt. Wie kam es zu dieser Tätigkeit? Zuckmayer verließ Österreich nach dem Anschluß und ging über die Schweiz in die Vereinigten Staaten; er lebte von 1939 bis 1946 in Barnard, Vermont. Über sein Engagement bei verschiedenen Organisationsversuchen der deutschen Exilanten wurden die amerikanischen Behörden auf ihn aufmerksam. Es wurde ihm angetragen, wie er 1947 schrieb, "die künftige Besatzungsmacht in Form von möglichst objektiven Charakterstudien über führende Persönlichkeiten des deutschen Kulturlebens zu informieren".

Das Office of Strategic Services (OSS), 1942 gegründet und ganz im Banne des legendären "Wild Bill" William Joseph Donovan, arbeitete unter anderem Strategieszenarien aus, bei denen solche Informationen wichtig waren. In seiner "Central Information Division" (CID) wurde unter Leitung der Emigranten Hajo Holborn, Felix Gilbert und Emmy C. Rado Material über Persönlichkeiten des Dritten Reiches gesammelt. Dieser Agentur arbeitete Zuckmayer zu. Welche Haltung den Kollegen im Dritten Reich gegenüber drückt sich in seinen Berichten aus?

Nach der Uraufführung von Zuckmayers "Des Teufels General" schrieb E. G. Buttler in der "Europäischen Rundschau" eine Rezension mit dem Titel: "Ein Emigrant plädiert für die Daheimgebliebenen". Das könnte man auch als Motto über dieses Buch setzen, denn so schonungslos manche Abrechnungen bei gegebenem Anlaß ausfallen, so groß ist ein unverbrüchliches Wohlwollen "den Deutschen" gegenüber, die gewiß nicht grundsätzlich bedenklicher sind als andere Völker.

Die Einteilung erfolgt in vier Gruppen: "Positiv (Vom Nazi-Einfluß unberührt, widerstrebend, zuverlässig)", "Negativ (Nazis, Anschmeisser, Nutzniesser, Kreaturen)", drittens - hier deutet sich die Aporie jeder Klassifizierung dieser Art an - "Sonderfälle, teils positiv, teils negativ, nicht ohne weiteres einzuordnen" und viertens "Indifferente, Undurchsichtige, Verschwommene, Fragliche". Die vierte Gruppe ist wiederum aufgeteilt in "(Negativ)" und "(Positiv oder vermutlich positiv)". Die Liste endet mit dem Vermerk "Dez. 1943 abgeschlossen. Viele Änderungen in der Klassifizierung vorgenommen."

Zuckmayer schrieb diese Porträts mit erstaunlicher Verve; von einer Pflichtübung ist wenig zu erkennen. Manche Details sind der Spur nach wiedergegeben - Falladas "Wer einmal aus dem Blechnapf fraß" mutiert zu "Wer niemals aus dem Blechnapf frißt". So etwas ist gleichgültig. Die Stärke dieser Skizzen liegt in ihrem sicheren Umriß; man liest sie mit Vergnügen und Bewunderung: präzis kalkulierte wegwerfende Bemerkungen wie die über die "mysteriösen Verblödungszustände" bei Ina Seidel und Agnes Miegel, die Charakteristik des Pädagogen Martin Luserke mit seiner Erscheinung "zwischen einem dämonischen Professor Unrat und einem zweiten Steuermann der Handelsmarine", knappe und doch erschöpfende Vignetten wie "Waggerl - der ,falsche Hamsun' des salzburger Landes - eine Zeitlang Entdeckung und Leuchte des Inselverlags als bodenständiger Dichter - hatte immer einen falschen Erdgeruch an sich und warf sich der Blu-Bo willfährig in die Arme." Zuckmayer hatte ein gutes Ohr. Auch da, wo das Porträt zeitbedingt ein wenig schief hängt wie bei Benn, muß man sagen, daß Zuckmayers Gedichtzitat von 1933 trifft: "Der kategorische" (recte: soziologische) "Nenner / Der hinter Jahrtausenden schlief / Heisst: Ein paar große Männer - / Und die litten tief." Das ist unsäglich, und selten ist treffender und knapper ausgedrückt worden als mit diesem Zitat, wie es einem großen Dichter ergeht, der einer Diktatur zujubeln will.

Zuckmayer ist nach dem Krieg, als das Porträt von Werner Krauß in einer Zeitung abgedruckt wurde, dieser Berichte wegen als Denunziant getadelt worden, und neuerdings ist ihm das wieder geschehen. Das scheint vollkommen töricht. Erstaunlich ist vielmehr, wie klug, maßvoll, differenziert (wenn auch gelegentlich von der Lust an einer starken Anekdote hingerissen) er schreibt. Das ergibt nicht nur ein faszinierend detailliertes Panorama großer Teile des Künstlertums und der Intelligenz im Dritten Reich, sondern auch, literarisch, eine Serie von scharfumrissenen Porträts, nach deren Lektüre man sagen möchte: Besser hat der Mann nie geschrieben. Denunziation? Zuckmayer nimmt zum Teil die Dargestellten gegen eine in Emigrantenkreisen herrschende Meinung in Schutz - Peter Suhrkamp gegen Brigitte und Gottfried Bermann Fischer, Tilly Wedekind gegen den "Bannfluch der Familie Mann".

Besonders großzügig ist Zuckmayer den Schauspielern gegenüber ("Schauspieler sind ja überhaupt psychologische Zwischenstufen"); ihre déformation professionelle ist es, daß der Schauspielerberuf allgemein das Verantwortungsgefühl und die charakterliche Zuverlässigkeit untergräbt. Einem genialen Mann wie Gründgens wird entsprechend ein Ausnahmestatus zugebilligt, und dann heißt es: "Natürlich kamen hier wie überall die echten, die fanatischen, die bösartigen und unverbesserlichen Nazis aus den Reihen der Zweitrangigen, der Verbitterten, der Charlatane . . . Man hat ja mit Recht im Theaterjargon die ganze Nazibewegung als die ,Revolution der Statisten' bezeichnet." Hier, bei Bühne und Film, ist Zuckmayer besonders in seinem Element: Hilpert und Albers, Gründgens und Rühmann, Karl Valentin und Hubert von Meyerinck, Käthe Dorsch und Paula Wessely. Es gibt natürlich Abrechnungen (die "Reichsgletscherspalte" Leni Riefenstahl), aber viele Urteile sind geradezu hymnisch. Vielleicht hatte der tückisch-völkische Erwin Guido Kolbenheyer, der in seiner Autobiographie über Zuckmayer herfiel, doch in diesem einen Punkt mit haßerfüllter Hellsichtigkeit recht: Zuckmayer machte keinen Theatermann wirklich schlecht, mit dem er nach dem Krieg wieder zusammenarbeiten wollte, und so hielt er für höchst kompromittierte Figuren wie Emil Jannings ("Ich liebe die alte Sau") oder Werner Krauß (der dann in "Jud Süß" eine zentrale Rolle hatte) am Ende versöhnliche Urteile parat. Das Ausmaß, in dem diese Schauspieler kollaboriert haben, wird nicht geschönt, aber es wird über eine "So sind sie eben"-Psychologie des Schauspielers die Absolution erteilt. Die anekdotischen Porträts gerade von Jannings und Krauß, die so gegeben werden, sind großartig.

Zur Lust an der anekdotischen Pointierung gehört die Zuspitzung zum Paradoxon. Über Willy Forst und den einst mit dem Kommunismus und der Psychoanalyse liierten Regisseur G. W. Pabst: "Bei beiden ist genau das Gegenteil von dem eingetreten, was man hätte erwarten können: der etwas gigolohafte Forst hat sich in der Nazizeit als ein außergewöhnlich anständiger Charakter erwiesen - während die Rückkehr des ,Gesinnungs-Künstlers' Pabst nach dem größeren Deutschland in einen recht trüben Nebel gehüllt ist."

Hier wird ein Motiv angeschlagen, das ein geheimer basso ostinato dieser Aufzeichnungen ist: Es wird am offensten in einer Bemerkung formuliert, welche die Charakteristik von Ernst Jünger und seinem Bruder Friedrich Georg abschließt: "In Wirklichkeit sind sie weniger reaktionär als viele der ,Progressiven', die nichts dazu gelernt haben." In einer Weise, die der entschiedenen, ja, fanatischen Antikommunistin Emmy Rado willkommen war, wird tendenziell die Linke desavouiert: Das Konservative hält sich in der moralisch-politischen Krisis besser. Dies entspricht natürlich auch Zuckmayers eigener Nähe zum Nationalen, "Volkhaften" - er war, so konsequent seine Gegnerschaft dann sein sollte, 1933 von der "nationalen Erhebung" zunächst nicht abgestoßen. "Ich gehöre nicht zu den Leuten, die über die jüngste Entwicklung in Deutschland unglücklich sind."

Hier zeigt er sich - man lese die zwei sich spiegelnden großen Konfrontations-Anekdoten über Friedrich Sieburg und Hans Reimann - als glänzender Raconteur mit einem stupenden Wissen über die Literatur- und Theaterszene. Wo er einer guten Geschichte nicht widerstehen kann, rückt der Anmerkungsapparat das zurecht. Seine Frau wird im Anhang mit dem fassungslosen Aufschrei: "Woher weisst du das" zitiert: Trotzdem scheint alles in allem nur wenig in die Kategorie "ben trovato" zu gehören. Er wußte einfach, gleich woher, viel.

Der umfangreiche Erläuterungsapparat, der wenig Wünsche unerfüllt läßt, ist präzis und reichhaltig. Das Nachwort zeichnet die Entstehungsgeschichte detailliert nach, stellt sie vor den Hintergrund der end- und erfolglosen Versuche, die deutsche Emigration in den Vereinigten Staaten in einem einzigen Forum zu vereinigen, und macht klar, wie sehr ab einem bestimmten Zeitpunkt all jene Organisationsdebatten eine Reaktion der Vereinigten Staaten und des amerikanischen Exils auf die Bildung des "Nationalkomitees Freies Deutschland" in der Sowjetunion waren. Emmy Rado scheint dafür gesorgt zu haben, daß Thomas Mann seine anfängliche Bereitschaft, den Vorsitz einer deutschen Exilvertretung anzunehmen, zurückzog - sie befürchtete seine Verwicklung in linke Strategien.

Es ist dies ein sehr wichtiges Buch; dessentwegen, was es erzählt und zu diagnostizieren versucht, und wegen dem, was es ungesagt läßt. Es scheint kaum aufzeigbare Folgen in der Kulturpolitik nach dem Krieg gehabt zu haben; um so eindringlicher schaut es uns heute an. Zuckmayers fundamental naive Auffassung vom "Charakter" eines Menschen (der fast invariant erscheint) scheint oft rätselhaft plausibel: Man ist anständig. Man ist es nicht. Die Hilflosigkeit solcher Diagnosen kann der Leser, der die Hilflosigkeit spürt, die einen noch aus großer Ferne angesichts der Barbarei ergreift, nicht verurteilen.

Dieser deutsche Mann, der seine Tochter "in etwas infantiler Laune" Winnetou genannt hat, erweist sich - auch für den Leser, der ihn für einen unbedeutenden Dichter hält - als hervorragender Beobachter. Wäre das Wort "Zeitzeuge" nicht inflationär verkommen und würde jedem von der Lokalpresse interviewten älteren Mitbürger nachgeworfen: Zuckmayer könnte man so nennen. Eingedenk dessen, daß Zeugenaussagen forensisch eingeschätzt werden wollen.

JOACHIM KALKA

Carl Zuckmayer: "Geheimreport". Herausgegeben von Gunther Nickel und Johanna Schrön. Wallstein Verlag, Göttingen 2002. 528 S., geb., 32,- [Euro].

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