19,00 €
inkl. MwSt.
Versandkostenfrei*
Versandfertig in 1-2 Wochen
payback
0 °P sammeln
  • Broschiertes Buch

»Ich heiße Sylvie Meyer. Ich bin dreiundfünfzig Jahre alt. Ich bin Mutter zweier Kinder. Ich lebe seit einem Jahr von meinem Mann getrennt. Ich arbeite bei Cagex, einem Gummiunternehmen. Ich leite die Personalentwicklung. Ich bin nicht vorbestraft.«Sylvie Meyer ist eine einfache, starke Frau mit klaren Grundsätzen, und eine Arbeiterin, auf die man sich verlassen kann. Als ihr Mann sie verließ, sagte sie nichts, weinte nicht. Sie machte weiter wie zuvor. Kümmerte sich um ihre beiden Söhne im Teenageralter. Versuchte nachts ein Bett auszufüllen, das zu groß für sie geworden war. Auch als ihr…mehr

Produktbeschreibung
»Ich heiße Sylvie Meyer. Ich bin dreiundfünfzig Jahre alt. Ich bin Mutter zweier Kinder. Ich lebe seit einem Jahr von meinem Mann getrennt. Ich arbeite bei Cagex, einem Gummiunternehmen. Ich leite die Personalentwicklung. Ich bin nicht vorbestraft.«Sylvie Meyer ist eine einfache, starke Frau mit klaren Grundsätzen, und eine Arbeiterin, auf die man sich verlassen kann. Als ihr Mann sie verließ, sagte sie nichts, weinte nicht. Sie machte weiter wie zuvor. Kümmerte sich um ihre beiden Söhne im Teenageralter. Versuchte nachts ein Bett auszufüllen, das zu groß für sie geworden war. Auch als ihr Chef Victor Andrieu sie neuerdings zwingt, die anderen Arbeiterinnen, ihre »Bienen«, heimlich zu überwachen, fügt sie sich. Sylvie will kein Opfer sein. Sie erstellt Kriterien und Listen für zukünftige Entlassungen. Wieder handelt sie, wie von ihr erwartet, jedoch gegen ihr moralisches Empfinden.Bis zu jenem Tag im November als die Ungerechtigkeit, die Gewalt der Welt und ihre eigene Einsamkeitsie einholen; als sie erkennt, dass sie seit Langem erstickt, bei der Arbeit und im Privaten - da endlich rebelliert Sylvie und schreitet zur Tat. Sie verliert viel, doch für eine kurze Weile fühlt sie sich wieder lebendig und frei.Nina Bouraoui verleiht ihrer Heldin in einem poetischen Monolog eine Stimme, wie sie in dieser Dringlichkeit und Unmittelbarkeit nur selten zu erleben ist. Sie erzählt die Geschichte einer Gefangenschaft und einer Befreiung: kraftvoll und doch diskret, voller Feingefühl für die seelischen Zwischentöne.
Autorenporträt
Nina Bouraoui, geboren 1967, ist eine der führenden französischen Schriftstellerinnen ihrer Generation. Sie verbrachte ihre Kindheit und Jugend in Algerien, mit Zwischenstationen in Zürich und Abu Dhabi, und lebt seitdem in Paris. Sie ist Preisträgerin des Prix Renaudot, Prix du Livre Inter und Prix Emmanuel Roblès, und Commandeur de l'ordre des Arts et des Lettres. Ihre Romane sind weltweit in zahlreiche Sprachen übersetzt. "Geiseln" wurde mit dem Prix Anaïs Nin 2020 ausgezeichnet und für den Prix des Cinq Continents nominiert. Nina Bouraoui schrieb "Geiseln" bereits 2016 ¿ noch vor der Bürgerbewegung der Gilets jaunes und vor #MeToo ¿ "als Hommage an die wirtschaftlichen und emotionalen Geiseln, die wir alle sind".
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensentin Kim Maurus lobt die Sorgfalt, mit der Nina Bouraoui in ihrem ursprünglich als Theaterstück konzipiertem Roman das Machtgefälle zwischen Frauen und Männern aus der Sicht einer "gewöhnlichen" Frau beschreibt. Wie die Protagonistin sich langsam über die emotionalen und finanziellen Abhängigkeitsverhältnisse in ihrem Leben und ihrem Beruf bewusst wird, vermittelt der Text laut Maurus in Form eines selbstreflexiven in klarer Sprache verfassten Monologs. Der bereits vor MeToo erarbeitete Text mündet in einen Akt der Selbstermächtigung der facettenreichen Figur, erklärt Maurus.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.01.2022

Macht und Widerstand
Nina Bouraouis Roman "Geiseln"

Sylvie Meyer führt ein gewöhnliches Leben. Sie ist Mitte fünfzig, hat zwei Kinder, ihr Ehemann hat sie vor einem Jahr verlassen, aber damit kommt sie schon klar. Sylvie verantwortet die Produktionskontrolle in einem Unternehmen, das Gummi herstellt, ist ordentlich und fleißig. Ihr Chef vertraut ihr, tischt ihr Arbeit und selbstmitleidige Monologe auf. Eines Tages bittet er sie, Listen über die Fähigkeiten ihrer Mitarbeiterinnen zu erstellen, um die schlechtesten entlassen zu können. Ihren Werten entspricht das nicht, doch was soll sie tun? Sie will schließlich ihren Job behalten.

In ihrem Roman "Geiseln" zeichnet die französische Autorin Nina Bouraoui das Bild einer Frau, deren Gedanken viel freier und entschiedener sind als ihr Verhalten - zumindest bis zu einer Nacht, in der sie sich geradezu selbst mit ihrem Handeln überrumpelt. Der Roman ist aus der Ich-Perspektive geschrieben und wirkt durch seine klare Sprache wie ein langer Tagebucheintrag, der die Entwicklung von Sylvies Selbstreflexion offenbart. Sagt sie am Anfang etwa noch: "Ich kenne keine Gewalt und habe nie Gewalt erfahren", stellt sich später heraus, dass Sylvie sich das nur eingeredet hat, um ein Ereignis aus ihrer Jugend zu verdrängen. Definiert sie zu Beginn noch: "Arbeit ist eine Möglichkeit, glücklich zu sein oder wenigstens dem Glück näherzukommen", kommt sie später zu dem Schluss: "Arbeit ist und bleibt Unterwerfung"; sie sei etwas, dass sie "verletze".

Das zugrundeliegende Thema, das Bouraoui an Sylvies Figur aufzieht, ist die finanzielle und emotionale Abhängigkeit von Frauen. Beide zentralen Männer in Sylvies Leben, sowohl ihr Ehemann als auch ihr Chef, stoßen Sylvie über ihre Grenzen, und sie kann nichts tun, als sich der Tatsache zu beugen, dass der eine sie verlassen hat und der andere sie ausnutzt. Und dann ist da noch ein dritter Mann, was der Leser nicht gleich erfährt, der ihr noch viel mehr genommen hat.

Bouraoui war der MeToo-Debatte ein paar Jahre voraus, den Stoff zu "Geiseln" fand sie schon 2015. Er war als Theaterstück konzipiert und wurde in Frankreich mehrmals aufgeführt. "Das Schicksal meiner Heldin hat sich immer enger mit den Geschehnissen unserer chaotischen Welt verbunden, und so habe ich eine neue Version geschrieben", sagt Bouraoui über das Buch, das Nathalie Rouanet nun ins Deutsche übersetzt hat.

Die Gewöhnlichkeit von Sylvies Monolog macht seine Brisanz aus. Gerade weil die Dinge in ihrem Leben sind, wie sie sind, sind sie noch nicht auserzählt. "Frauen werden immer dem erstbesten Arschloch ausgeliefert sein. Das ist so, man muss es akzeptieren, aber ich akzeptiere das nicht", heißt es etwa. Ihren Alltag beschreibt Sylvie so: "Ein Blutegel, diese Langeweile. Er saugt alles heraus, ohne dass man es merkt, bis zu dem Tag, an dem man ihn wie einen Schlag ins Gesicht zu spüren bekommt, aber dann ist es schon zu spät." In der entscheidenden Nacht rebelliert sie gegen alles, was sie satt hat - den Chef, ihr bisheriges Leben -, und fühlt sie sich für ein paar Stunden wundersam frei.

In der Romanform erhält das Thema noch einen neuen Anstoß. Indem Sylvie etwas macht, was sie von sich selbst nicht erwartet hat, und die Erzählung an dieser Stelle erst richtig losgeht, greift Bouraoui eine wichtige Frage auf: Welche Mittel haben Frauen eigentlich, wenn sie auch mal Macht ausüben wollen? Und auch: Wie können sie sich tatsächlich gegen Männer behaupten, die meinen, die körperliche Unterlegenheit einer Frau sei der natürliche Beweis für Strukturen, wie sie in Sylvies Welt herrschen?

Das Buch hat darauf nur eine traurige Antwort, aber das ist seine Stärke. Sylvie scheint voller Widersprüche zu sein, stark und verletzlich zugleich. Sie reflektiert ihre Ausführungen mit Sätzen wie: "Ich will nicht auf die Tränendrüse drücken, aber das ist die Wahrheit", und beschreibt das von ihr empfundene Machtgefälle etwa so: "Es ist eine Stärke von uns Frauen, die Macht der Männer über uns zu verachten." Als sie überlegt, was sie getan hat, denkt sie: "Endlich war ich der Vergewaltiger." Dass selbst ein solcher Satz nicht irritiert, sondern für den Leser nachvollziehbare Erleichterung transportiert, ist nur ein Beispiel für die beeindruckende Sorgfalt, mit der die Autorin die Gedankenwelt ihrer Protagonistin aufgebaut hat. KIM MAURUS

Nina Bouraoui:

"Geiseln". Roman.

Aus dem

Französischen von Nathalie Rouanet.

Elster & Salis Verlag, Wien 2021. 160 S., geb., 19,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr