Produktdetails
  • Verlag: Suhrkamp
  • ISBN-13: 9783518076354
  • Artikelnr.: 25024375
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.08.2018

NEUE TASCHENBÜCHER
Volle Kraft – Ernst Blochs
„Geist der Utopie“ in der Urfassung
Es ist genug – das ist immer noch einer der aufregendsten Anfangssätze für ein Buch. „Es ist genug. Nun haben wir zu beginnen.“
Begonnen wurde der „Geist der Utopie“ Mitte der Zehnerjahre des vorigen Jahrhunderts, es ist ein Produkt des Ersten Weltkriegs. Ernst Bloch hatte nach seiner Promotion die großen deutschen Gesellschaftstheoretiker getroffen, Georg Simmel, Georg Lukács, Max Weber. Aber die deutsche Universität war ihm zu eng, er musste expressiv denken, expressionistisch, auch deutsch und dialektisch, aber mehr Hegel als Marx. 1917 zog er mit seiner Frau nach Ascona, dort entstand das Buch, eine revolutionäre Mischung von Eschatologie und Monte Verità. Hundert Jahre nach der Ersterscheinung kommt der „Geist der Utopie“ in seiner ursprünglichen Fassung wieder heraus, die von Bloch für spätere Ausgaben umgearbeitet wurde.
Das Buch ist noch heute erregend und provokativ, nicht was seinen Inhalt angeht, sondern wie es diesen zur Darstellung bringt. Seine Sperrigkeit hat ihm die Kraft seiner Vision bewahrt. „Und dazu hilft, wie wir sagten, aufs Kräftigste schnitzwerkhaft zu denken. Denn das griechische Leben ist flach und das ägyptische, der begriffene Stein, ist tot. Aber das innere Leben glüht und stampft. Es treibt hinüber und macht seine Gestalten verschlungen, winklig, voreinander, übereinander gestellt und aufgetürmt. Es ist dieselbe Kraft, die sich in der Lava, dem Bleisturz im kalten Wasser, der Holzmaserung und zuhöchst in der zuckenden, blutenden, fetzenartigen oder sonderbar geballten Gestaltung der inneren Organe ausgewirkt hat.“
Es gibt schon den ganzen Bloch in diesem Buch, den der „Spuren“ oder des monumentalen „Prinzips Hoffnung“, die furiosen Beethoven- und Wagnerextrapolationen, die konturenreichen historischen Momente, die Zusammenhänge von Utopie und Prophetie. Und es gibt so etwas wie Bloch privat, Passagen zum Zusammengehen von Mann und Frau – das Buch ist Blochs Frau Else von Stritzky gewidmet –, wo das Sexuelle und das Spirituelle eins sind. FRITZ GÖTTLER
Ernst Bloch: Geist der Utopie. Erste Fassung. Suhrkamp Verlag, Berlin 2018. 437 Seiten, 20 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension

Eckart Goebel liest Ernst Blochs Erstling in der Bloch-Neuausgabe mit Lust. Nicht nur Blochs expressionistische Prosa hat es ihm angetan, auch Blochs Denken fasziniert ihn ein ums andere Mal, weil es dem Streben nach einem Gestern den Geist der Utopie entgegensetzt, das schwärmerische Denken ins Zukünftige. Wenn Bloch als Vehikel dieses Denkens vor allem die Musik ausmacht, sieht Goebel über die hysterische, neunmalkluge Wagner-Begeisterung des Autors hinweg, ebenso wie über sein reichlich unterentwickeltes Frauenbild und verlegt sich auf die philosophischen Höhepunkte im Text. Wie der junge Autor die Dunkelheit unserer Selbsterfahrung und die Dunkelheit der Zukunft ins eins denkt, scheint ihm bemerkenswert.

© Perlentaucher Medien GmbH
»In einer atemberaubenden Konstruktion überblendet der junge Philosoph die Dunkelheit unserer Selbsterfahrung mit der Dunkelheit der Zukunft, sodass dann eine funkelnde Synthese herausspringt und als Leuchtrakete eine Philosophie auf den Weg bringt, die in schwärzester Zeit von der Sehnsucht beflügelt wird, dereinst 'endlich das Menschengesicht zu sehen', auf das wir noch immer warten.« Eckart Goebel DIE WELT 20181110