Aus kulturwissenschaftlicher Perspektive steht Friedrich der Große in einer historischen Konstellation, die aufschlußreiche Einblicke in die spezifischen Möglichkeiten und Grenzen eines Bündnisses von Geist und Macht im Kontext der europäischen Aufklärung eröffnet. Als roi philosophe, in seiner Doppelrolle als König und Philosoph, gelang es ihm, dem Ideen- und Kulturtransfer (von West- nach Mitteleuropa) nachhaltige Impulse zu geben und die Dynamik der soziokulturellen Modernisierung auf der Grundlage der grenzüberschreitenden, transnationalen Kulturbeziehungen zu intensivieren. Dabei verkörperte er die Rolle eines entscheidenden Akteurs, weil er sich in Abkehr von der höfischen Konvention als ein Intellektueller auf dem Thron verstand und dies als Autor eines umfangreichen Werkes auch sichtbar unter Beweis stellte. Zugleich nahm er diese Aufgabe als Herrscher wahr, entschlossen, auch auf der politischen Bühne eine entscheidende Rolle zu spielen. Die mit seiner Person verknüpftenAttribute Kultur und Politik oder Geist und Macht sind mit seiner Person untrennbar verknüpft und galten ihm selbst keineswegs als inkompatibel. Dennoch unterzogen bereits Zeitgenossen die friderizianische Verknüpfung von (politischer) Macht und (allgemeiner) Kulturentwicklung einer grundsätzlichen Kritik. Diese Kritik wiegt umso mehr, als sie sich, wie etwa im Falle Voltaires, auf dieselben aufgeklärten Ideen berief, die Friedrich für sich in Anspruch nahm. Die Beiträge des interdisziplinär konzipierten Bandes von Literaturwissenschaftern, Kunsthistorikern, Kulturwissenschaftlern und Kulturhistorikern beleuchten das von Friedrich II. angestrebte Bündnis von Geist und Macht kritisch und erörtern die Frage nach seiner historischen Funktion als Akteur der europäischen Kulturgeschichte.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.08.2006Potsdam! Links der Dogenpalast
Oder nicht? Na, ist ja egal: Friedrich der Große als Kulturimporteur
Als kunstsinnig galt Friedrich der Große seit jeher vor allem in Preußen. Ein Sachse hingegen hätte über den Titel dieses Buches nur bitter gelacht. Kaum waren die preußischen Truppen 1756 in das Nachbarland eingefallen, hausten sie dort wie Vandalen. Systematisch ließ der König die Schlösser des Adels verwüsten, deren Kunstschätze plündern oder zerstören, Möbel und Spiegel zerschlagen, Tapeten zerfetzen, Fenster zertrümmern. Solcher Haß auf den überlegenen Geschmack des Feindes spricht Bände. Nicht von der Liebe zur Kunst zeugt er, wohl aber von dem Respekt vor ihr - und von der Entschlossenheit, sie skrupellos zu benutzen.
Damit wären wir mitten im Thema. Doch so wörtlich ist die Titelverheißung, Friedrich "im Kontext der europäischen Kulturgeschichte" zeigen zu wollen, nicht gemeint. Weniger um systematische Vergleiche geht es den sechzehn Beiträgen des Potsdamer Tagungsbandes als um "Form und Funktion" von Friedrichs literarischen Werken und architektonischen Schöpfungen. Als deren Grundproblem tritt weniger der Konflikt zwischen "Geist und Macht" hervor als der zwischen Anspruch und Mitteln, Fernweh und Provinzialität.
Die Vielfalt der Themen macht es dem Leser nicht leicht, einen Gesamteindruck zu gewinnen. Einmal mehr bestätigt werden jedenfalls Friedrichs (in manchem berechtigte) Geringschätzung der zeitgenössischen deutschen Kultur und seine (in vielem überzogene) Emphase für alles Französische. In seinem literarischen Geschmack blieb der König konservativ, ein orthodoxer Frühaufklärer im Geiste jener französischen Bücher, die sein tyrannischer Vater ihm einst streng verboten hatte. Der Klassizismus eines Voltaire, von französischen Mimen rezitiert, konnte ihn noch im Alter zu Tränen rühren.
Sein berühmt-berüchtigtes Pamphlet "De la littérature allemande" von 1780 war, so zeigt Eberhard Lämmert, weniger eine Polemik gegen deutsche Gegenwartsliteratur als eine dringende Empfehlung an die Deutschen, ihre Sprache ähnlich zu kultivieren, wie die Franzosen dies seit der Renaissance getan hätten. Goethes "Götz" bestürzte ihn als Rückfall in Barbarei. Die deutschen Stürmer und Dränger revanchierten sich mit Schulterzucken. 1791 gab Schiller seinen Plan eines Friedrich-Epos endgültig auf: Er könne "diesen Karakter nicht lieb gewinnen; er begeistert mich nicht genug, die Riesenarbeit der Idealisirung an ihm vorzunehmen". Andere deutsche Literaten hielten durch. Doch was der Sammelband an poetischen Friedrich-Huldigungen präsentiert - Johann Georg Hamanns kryptische Reverenz "Au Salomon de Prusse" (1772), Gedichte von Karl Philipp Moritz und das zehntausend Hexameter lange Borussias-Epos des monomanen Daniel Jenisch (1794) -, wirkt durchwegs sonderbar mißlungen.
Auf anderen Feldern führte gerade die Orthodoxie, mit der Friedrich internationale Vorbilder in preußische Realität zu zwingen suchte, zu originellen Resultaten. Den (in seiner Raumwirkung heute nur mehr erahnbaren) Alten Markt in Potsdam beispielsweise ließ der König ganz aus Kopien prominenter Gebäude aus Venedig und Rom gestalten. Nicht nach Nutzaspekten wurden die einzelnen Häuser gebaut und kombiniert, sondern - sehr zum Leidwesen der Bewohner - nach dem Muster der im Rokoko beliebten Architektur-Capriccios, also nach Kulisseneffekten. Das bewirkte, wie Markus Becker zeigt, daß sich dem Besucher "keines der Gebäude in der Blickrichtung einer geraden Achse präsentierte", sondern in einer Verzerrung, die dem ganzen Ensemble eine Atmosphäre manieristischer Künstlichkeit im Geiste Piranesis verlieh. In künstlicher Natur kulminierte Friedrichs Gestaltungswille denn auch. Garten und Park von Sanssouci konnten, so stellt Annette Dorgerloh fest, nicht nur mit den bedeutendsten europäischen Vorbildern konkurrieren, sondern setzten ihrerseits Maßstäbe - auch und gerade für die Dessauer Gartenfürsten, die jene neue englische Fachliteratur, von der Friedrich sich anregen ließ, erst Jahre nach ihm kennenlernten.
Etwas aus dem Rahmen fallen drei Abhandlungen zur Wirkungsgeschichte Friedrichs. Klaus Weissenberger untersucht die konkurrierenden Friedrich-Rezeptionen der Brüder Mann. Heinz Dieter Kittsteiner situiert den Populärhistoriker Werner Hegemann, dessen Fridericus-Roman 1933 von den Nazis verbrannt wurde, im kulturellen Kontext der zwanziger Jahre, und Frank-Lothar Kroll gibt einen magistralen Überblick über den Wandel des Friedrich-Bildes in der europäischen Historiographie. Ganz am Ende versteckt sich Christoph Franks Kabinettstück über die tragische Karriere eines friderizianischen Kunstagenten in Rußland.
Vielleicht waren die kulturellen Dimensionen des friderizianischen Preußen tatsächlich so disparat. Vielleicht hätten sich die Konturen aber auch mehr geklärt, wenn man den König weniger als große Persönlichkeit denn als denjenigen betrachtet hätte, als den er sich selbst sah: als einen unter vielen Akteuren der europäischen Aufklärung seiner Zeit.
GERRIT WALTHER
Brunhilde Wehinger (Hrsg.): "Geist und Macht". Friedrich der Große im Kontext der europäischen Kulturgeschichte. Akademie Verlag, Berlin 2005. 306 S., 33 Abb., geb., 49,80 [Euro].
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Oder nicht? Na, ist ja egal: Friedrich der Große als Kulturimporteur
Als kunstsinnig galt Friedrich der Große seit jeher vor allem in Preußen. Ein Sachse hingegen hätte über den Titel dieses Buches nur bitter gelacht. Kaum waren die preußischen Truppen 1756 in das Nachbarland eingefallen, hausten sie dort wie Vandalen. Systematisch ließ der König die Schlösser des Adels verwüsten, deren Kunstschätze plündern oder zerstören, Möbel und Spiegel zerschlagen, Tapeten zerfetzen, Fenster zertrümmern. Solcher Haß auf den überlegenen Geschmack des Feindes spricht Bände. Nicht von der Liebe zur Kunst zeugt er, wohl aber von dem Respekt vor ihr - und von der Entschlossenheit, sie skrupellos zu benutzen.
Damit wären wir mitten im Thema. Doch so wörtlich ist die Titelverheißung, Friedrich "im Kontext der europäischen Kulturgeschichte" zeigen zu wollen, nicht gemeint. Weniger um systematische Vergleiche geht es den sechzehn Beiträgen des Potsdamer Tagungsbandes als um "Form und Funktion" von Friedrichs literarischen Werken und architektonischen Schöpfungen. Als deren Grundproblem tritt weniger der Konflikt zwischen "Geist und Macht" hervor als der zwischen Anspruch und Mitteln, Fernweh und Provinzialität.
Die Vielfalt der Themen macht es dem Leser nicht leicht, einen Gesamteindruck zu gewinnen. Einmal mehr bestätigt werden jedenfalls Friedrichs (in manchem berechtigte) Geringschätzung der zeitgenössischen deutschen Kultur und seine (in vielem überzogene) Emphase für alles Französische. In seinem literarischen Geschmack blieb der König konservativ, ein orthodoxer Frühaufklärer im Geiste jener französischen Bücher, die sein tyrannischer Vater ihm einst streng verboten hatte. Der Klassizismus eines Voltaire, von französischen Mimen rezitiert, konnte ihn noch im Alter zu Tränen rühren.
Sein berühmt-berüchtigtes Pamphlet "De la littérature allemande" von 1780 war, so zeigt Eberhard Lämmert, weniger eine Polemik gegen deutsche Gegenwartsliteratur als eine dringende Empfehlung an die Deutschen, ihre Sprache ähnlich zu kultivieren, wie die Franzosen dies seit der Renaissance getan hätten. Goethes "Götz" bestürzte ihn als Rückfall in Barbarei. Die deutschen Stürmer und Dränger revanchierten sich mit Schulterzucken. 1791 gab Schiller seinen Plan eines Friedrich-Epos endgültig auf: Er könne "diesen Karakter nicht lieb gewinnen; er begeistert mich nicht genug, die Riesenarbeit der Idealisirung an ihm vorzunehmen". Andere deutsche Literaten hielten durch. Doch was der Sammelband an poetischen Friedrich-Huldigungen präsentiert - Johann Georg Hamanns kryptische Reverenz "Au Salomon de Prusse" (1772), Gedichte von Karl Philipp Moritz und das zehntausend Hexameter lange Borussias-Epos des monomanen Daniel Jenisch (1794) -, wirkt durchwegs sonderbar mißlungen.
Auf anderen Feldern führte gerade die Orthodoxie, mit der Friedrich internationale Vorbilder in preußische Realität zu zwingen suchte, zu originellen Resultaten. Den (in seiner Raumwirkung heute nur mehr erahnbaren) Alten Markt in Potsdam beispielsweise ließ der König ganz aus Kopien prominenter Gebäude aus Venedig und Rom gestalten. Nicht nach Nutzaspekten wurden die einzelnen Häuser gebaut und kombiniert, sondern - sehr zum Leidwesen der Bewohner - nach dem Muster der im Rokoko beliebten Architektur-Capriccios, also nach Kulisseneffekten. Das bewirkte, wie Markus Becker zeigt, daß sich dem Besucher "keines der Gebäude in der Blickrichtung einer geraden Achse präsentierte", sondern in einer Verzerrung, die dem ganzen Ensemble eine Atmosphäre manieristischer Künstlichkeit im Geiste Piranesis verlieh. In künstlicher Natur kulminierte Friedrichs Gestaltungswille denn auch. Garten und Park von Sanssouci konnten, so stellt Annette Dorgerloh fest, nicht nur mit den bedeutendsten europäischen Vorbildern konkurrieren, sondern setzten ihrerseits Maßstäbe - auch und gerade für die Dessauer Gartenfürsten, die jene neue englische Fachliteratur, von der Friedrich sich anregen ließ, erst Jahre nach ihm kennenlernten.
Etwas aus dem Rahmen fallen drei Abhandlungen zur Wirkungsgeschichte Friedrichs. Klaus Weissenberger untersucht die konkurrierenden Friedrich-Rezeptionen der Brüder Mann. Heinz Dieter Kittsteiner situiert den Populärhistoriker Werner Hegemann, dessen Fridericus-Roman 1933 von den Nazis verbrannt wurde, im kulturellen Kontext der zwanziger Jahre, und Frank-Lothar Kroll gibt einen magistralen Überblick über den Wandel des Friedrich-Bildes in der europäischen Historiographie. Ganz am Ende versteckt sich Christoph Franks Kabinettstück über die tragische Karriere eines friderizianischen Kunstagenten in Rußland.
Vielleicht waren die kulturellen Dimensionen des friderizianischen Preußen tatsächlich so disparat. Vielleicht hätten sich die Konturen aber auch mehr geklärt, wenn man den König weniger als große Persönlichkeit denn als denjenigen betrachtet hätte, als den er sich selbst sah: als einen unter vielen Akteuren der europäischen Aufklärung seiner Zeit.
GERRIT WALTHER
Brunhilde Wehinger (Hrsg.): "Geist und Macht". Friedrich der Große im Kontext der europäischen Kulturgeschichte. Akademie Verlag, Berlin 2005. 306 S., 33 Abb., geb., 49,80 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Gerrit Walther hat so seine Schwierigkeiten mit diesem Tagungsband zu Friedrichs literarischen und architektonischen Schöpfungen. Zu breit gefächert erscheint ihm der Themenkreis, zu kurz kommt die vergleichende Systematik. Zu kurz, als dass ein Gesamteindruck vermittelt würde. Einzig die These von Friedrichs Bevorzugung der französischen Kultur vor der deutschen sieht Walther nach der Lektüre bestätigt. Im einzelnen bringen die Beiträge dem Rezensenten dennoch mehr oder weniger Erkenntnisgewinn, etwa die Einsicht, dass die Friedrich-Huldigungen von Hamann, Moritz und Jenisch ihre Misslungenheit gemein haben, oder dass die Gestaltung von Sanssouci Maßstäbe setze. Ein Kabinettstück nennt Walther den Schlussbeitrag über einen Kunstagenten Friedrichs in Russland. Gut möglich, dass ihm der Band richtig gut gefallen hätte, hätte er ein deutlicheres Bild des Königs abgegeben. Doch dafür, erklärt Walther bedauernd, hätte man diesen einfach als einen Aufklärer unter vielen betrachten müssen und nicht als einzigartige, große Persönlichkeit.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"[Ein] respektabler Beitrag zur Erforschung des Preußenkönigs, seiner Epoche und seiner Wahrnehmungsgeschichte." Johannes Kunisch in: Zeitschrift für Historische Forschung, 34.Band 2007, Heft 1