"Die Lektüre ist spannend, ungewöhnlich und bringt haufenweise neue Einsichten." (Jan Kobrzinowski in JAZZTHETIK 5-6/2021)Seit den 1960er Jahren verschieben sich zusehends die musikalischen Koordinaten. Zwischen zeitgenössischer Komposition, moderner Improvisation, Elektronik, avanciertem Rock, Acid-Folk und traditionellen Musiken der Welt wächst ein musikalisches Areal der Stilkreuzungen und Vermischungen: Minimal Music, Post-Minimalismus, Ambient, Art-Rock, Math-Rock, Post-Rock und Post-Jazz, Minimal Techno, Ethnobeat, Ethnojazz ... Seit Mitte der 1980er Jahre hat der in England lebende Autor Christoph Wagner etliche dieser Tendenzen journalistisch begleitet und dazu einige ihrer Hauptvertreter nach ihren ästhetischen Konzeptionen, Leitideen und Visionen befragt.Es kommen zu Wort: Moses Asch (Folkways Records), Peter Zumthor & Peter Conradin Zumthor, Christian Wolff, George Crumb, George Lewis, Robyn Schulkowsky und Joey Baron, Komponisten der Minimal Music, Meredith Monk, JakiLiebezeit, Morton Subotnick, Patrick Gleeson, Borah Bergman, Marilyn Crispell, John Tchicai, Marshall Allen (Sun Ra Arkestra), David Harrington (Kronos Quartet), Christian Burchard (Embryo) und schließlich Robert Wyatt.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Mit Begeisterung liest Rezensent Andreas Schäfer diesen Interview-Band, in dem sich der Musikjournalist Christoph Wagner mit der Speerspitze moderner Musik unterhält. Schäfer begegnet Jazz-Avantgardisten wie Borah Bergman und Marilyn Crispell, dem Synthesizer-Pionier Patrick Gleeson, aber auch Koryphäen wie Meredith Monk oder Marshal Allen vom Sun Ra Arkestra und Peter Conradin Zumthor. Sie alle erzählen offen und freudig von ihrer Kunst, vom Avantgarde-Leben und von Klangutopien. Dass dabei alle auf dem Teppich bleiben, rechnet der Rezensent dem Autor hoch an.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.11.2021Stimmen hören
Ein Gesprächsband überschreitet Grenzen musikalischer Genres
In diesem Buch geht es um Entwicklungen und Entscheidungen beim Komponieren und Musikmachen. Die Performerin Meredith Monk, die Schlagwerkerin Robyn Schulkowsky oder der Geiger David Harrington vom Kronos Quartett - sie alle haben Wesentliches über neuere Musik und Jazz zu berichten und in Christoph Wagner einen Gesprächspartner, der manche von ihnen schon seit Jahrzehnten kennt.
So manches Interview erzählt die Geschichte eines Aussteigers. Der Schlagzeuger Jaki Liebezeit konnte mit dem Freejazz der späten Sechzigerjahre nichts anfangen: "Alle Regeln wurden abgelehnt . . . man behauptete, völlig 'free' zu sein, was in Wirklichkeit nicht stimmte, weil es jede Menge Verbote gab. Man durfte zum Beispiel nichts wiederholen - streng verboten!" Sein eigentliches Element wurden dann "motorische Grooves", wie Wagner es nennt. Später kam Liebezeit auch auf spanische, arabische, marokkanische, ägyptische Rhythmen, "ethnische Musik".
Einen anderen Akzent setzt George Lewis, maßgeblicher Gestalter der Association for the Advancement of Creative Musicians (AACM) in Chicago. Lewis wirbt für eine "Kreolisierung" zeitgenössischer Musik. Bei den Darmstädter Ferienkursen 2018 richtete er einen Hörraum für Komponisten aus der afrikanischen Diaspora ein, um die Notwendigkeit zu unterstreichen, sich der "europäischen Scheuklappen" zu entledigen.
Die Kreativ-Jazzerin Marilyn Crispell geht mit dem Thema Üben eher locker um. Anders als Borah Bergmann, der sich einen Tastaturersatz für sein Bett baute, um in schlaflosen Stunden weiter üben zu können. Marilyn Crispell beschäftigt sich lieber mit Dingen, die "mental, emotional und spirituell wichtig sind, um gute Musik zu schaffen": Die Woodstock-Veteranin gehört als Pianistin im Jazz für Wagner zu einer "markanten Minderheit" und ist heute Vorbild für viele jüngere Musikerinnen.
"Völlig solitär in der Landschaft der zeitgenössischen Musik" stehe die Sängerin Meredith Monk, schreibt Christoph Wagner in einem kurzen Vorspann zum Interview. Mit Mitte zwanzig hatte sie eine "Erleuchtung" während Tonleiter- und Intervallübungen; sie entdeckte die Stimme "als Klang- und Geräuscherzeuger mit endlosen Möglichkeiten". Dieses "Hauptforschungsfeld" ist ihr noch wichtiger als die Kunst an sich: "Die Musik ist nur das Vehikel, um den individuellen Charakter der Stimmen zum Vorschein zu bringen. Der menschliche Faktor ist wesentlich für mich." Nach ihrer Jugendliebe Folkmusik befragt, antwortet sie: "Ich hoffe, dass meine Musik dieselbe ruhige Würde und totale Ehrlichkeit wie Folk besitzt. Folkmusiker versuchen nicht etwas darzustellen, was sie nicht sind."
Querverbindungen ergeben sich zwischen dem Komponisten Christian Wolff und der herausragenden Perkussionistin Robyn Schulkowsky. Sie berichtet von den Hindernissen, die ihr früher im Weg standen, weil sie als Frau, noch dazu mit männlichem Vornamen, Schlagwerk spielte. Wolff lernte sie als Weggefährten von John Cage kennen. "Er sagt einem nicht, wie Stockhausen, wie etwas zu klingen hat. Das muss man selbst herausfinden. Aber dass er bei der Aufnahme dabei war, gab uns ein extra Paar Ohren." Zudem schätzt sie an Wolff, dass er "einer der wenigen Komponisten ist, die Stille in Musik verwandeln können". Ihr eigenes Stück "Armadillo" charakterisiert sie so: "Es sollte ein Plädoyer für Rhythmus sein, der immer noch wie ein Stiefkind in der zeitgenössischen Musik behandelt wird."
Wolff, ehemaliger Hochschullehrer für Griechisch und Sohn der legendären Verlegerin Helen Wolff, hat ein partizipatorisches, ja geradezu bescheidenes Verständnis von seiner Rolle als Komponist. "Wenn ich für Perkussion schreibe, halte ich die Instrumentierung ziemlich offen, notiere vielleicht nur: Fell, Metall, Holz. Ich bin mir sicher, dass Robyn Schulkowsky, wenn sie das spielen wird, eine interessante Auswahl trifft."
Mit seiner diskreten, kenntnisreichen Art zu fragen ist Christoph Wagner ein übrzeugendes Buch gelungen, für Musikliebhaber aller Epochen und Genres. ANJA-ROSA THÖMING.
Christoph Wagner: "Geistertöne". Gespräche über Musik jenseits der Genregrenzen.
Ed.Neue Zeitschrift für Musik. Schott Verlag, Mainz 2021. 172 S., br., 29,95 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Gesprächsband überschreitet Grenzen musikalischer Genres
In diesem Buch geht es um Entwicklungen und Entscheidungen beim Komponieren und Musikmachen. Die Performerin Meredith Monk, die Schlagwerkerin Robyn Schulkowsky oder der Geiger David Harrington vom Kronos Quartett - sie alle haben Wesentliches über neuere Musik und Jazz zu berichten und in Christoph Wagner einen Gesprächspartner, der manche von ihnen schon seit Jahrzehnten kennt.
So manches Interview erzählt die Geschichte eines Aussteigers. Der Schlagzeuger Jaki Liebezeit konnte mit dem Freejazz der späten Sechzigerjahre nichts anfangen: "Alle Regeln wurden abgelehnt . . . man behauptete, völlig 'free' zu sein, was in Wirklichkeit nicht stimmte, weil es jede Menge Verbote gab. Man durfte zum Beispiel nichts wiederholen - streng verboten!" Sein eigentliches Element wurden dann "motorische Grooves", wie Wagner es nennt. Später kam Liebezeit auch auf spanische, arabische, marokkanische, ägyptische Rhythmen, "ethnische Musik".
Einen anderen Akzent setzt George Lewis, maßgeblicher Gestalter der Association for the Advancement of Creative Musicians (AACM) in Chicago. Lewis wirbt für eine "Kreolisierung" zeitgenössischer Musik. Bei den Darmstädter Ferienkursen 2018 richtete er einen Hörraum für Komponisten aus der afrikanischen Diaspora ein, um die Notwendigkeit zu unterstreichen, sich der "europäischen Scheuklappen" zu entledigen.
Die Kreativ-Jazzerin Marilyn Crispell geht mit dem Thema Üben eher locker um. Anders als Borah Bergmann, der sich einen Tastaturersatz für sein Bett baute, um in schlaflosen Stunden weiter üben zu können. Marilyn Crispell beschäftigt sich lieber mit Dingen, die "mental, emotional und spirituell wichtig sind, um gute Musik zu schaffen": Die Woodstock-Veteranin gehört als Pianistin im Jazz für Wagner zu einer "markanten Minderheit" und ist heute Vorbild für viele jüngere Musikerinnen.
"Völlig solitär in der Landschaft der zeitgenössischen Musik" stehe die Sängerin Meredith Monk, schreibt Christoph Wagner in einem kurzen Vorspann zum Interview. Mit Mitte zwanzig hatte sie eine "Erleuchtung" während Tonleiter- und Intervallübungen; sie entdeckte die Stimme "als Klang- und Geräuscherzeuger mit endlosen Möglichkeiten". Dieses "Hauptforschungsfeld" ist ihr noch wichtiger als die Kunst an sich: "Die Musik ist nur das Vehikel, um den individuellen Charakter der Stimmen zum Vorschein zu bringen. Der menschliche Faktor ist wesentlich für mich." Nach ihrer Jugendliebe Folkmusik befragt, antwortet sie: "Ich hoffe, dass meine Musik dieselbe ruhige Würde und totale Ehrlichkeit wie Folk besitzt. Folkmusiker versuchen nicht etwas darzustellen, was sie nicht sind."
Querverbindungen ergeben sich zwischen dem Komponisten Christian Wolff und der herausragenden Perkussionistin Robyn Schulkowsky. Sie berichtet von den Hindernissen, die ihr früher im Weg standen, weil sie als Frau, noch dazu mit männlichem Vornamen, Schlagwerk spielte. Wolff lernte sie als Weggefährten von John Cage kennen. "Er sagt einem nicht, wie Stockhausen, wie etwas zu klingen hat. Das muss man selbst herausfinden. Aber dass er bei der Aufnahme dabei war, gab uns ein extra Paar Ohren." Zudem schätzt sie an Wolff, dass er "einer der wenigen Komponisten ist, die Stille in Musik verwandeln können". Ihr eigenes Stück "Armadillo" charakterisiert sie so: "Es sollte ein Plädoyer für Rhythmus sein, der immer noch wie ein Stiefkind in der zeitgenössischen Musik behandelt wird."
Wolff, ehemaliger Hochschullehrer für Griechisch und Sohn der legendären Verlegerin Helen Wolff, hat ein partizipatorisches, ja geradezu bescheidenes Verständnis von seiner Rolle als Komponist. "Wenn ich für Perkussion schreibe, halte ich die Instrumentierung ziemlich offen, notiere vielleicht nur: Fell, Metall, Holz. Ich bin mir sicher, dass Robyn Schulkowsky, wenn sie das spielen wird, eine interessante Auswahl trifft."
Mit seiner diskreten, kenntnisreichen Art zu fragen ist Christoph Wagner ein übrzeugendes Buch gelungen, für Musikliebhaber aller Epochen und Genres. ANJA-ROSA THÖMING.
Christoph Wagner: "Geistertöne". Gespräche über Musik jenseits der Genregrenzen.
Ed.Neue Zeitschrift für Musik. Schott Verlag, Mainz 2021. 172 S., br., 29,95 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main