In Hans Blumenbergs Nachlaß findet sich eine Mappe mit dem Kürzel »GT«, die einige kleinere Schriften zur Geistesgeschichte der Technik enthält. Auf wenigen Seiten entfaltet Blumenberg darin auf gewohnt pointierte Weise Überlegungen, wie eine solche Geistesgeschichte - etwa im Unterschied zur üblichen Technikgeschichte - überhaupt aussehen könnte. Damit ist er als Vordenker für die Historiographie naturwissenschaftlicher und technischer Entwicklungen, die gegenwärtig vor allem in wissenschaftshistorischer Perspektive Konjunktur hat, noch zu entdecken. Die meisten dieser Texte erscheinen hier zum ersten Mal in gedruckter Form, wie etwa zwei längere Vorträge, die Blumenberg in den 1960er Jahren in wissenschaftlichen Kontexten, aber auch im Rundfunk einer breiteren Öffentlichkeit vorgetragen hatte. Einer dieser Vorträge mit dem Titel »Die Maschinen und der Fortschritt. Gedanken zu einer Geistesgeschichte der Technik« ist als einziger der Radiobeiträge Hans Blumenbergs erhalten geblieben und dem Buch beigegeben.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.11.2009Die Technisierung als Wille und Vorstellung
Warum eigentlich hat die Natur immer noch einen so guten Ruf? Hans Blumenbergs Überlegungen zu einer Geistesgeschichte der Technik verbinden große Fragen mit bescheidenen Maximen.
Der Titel der jüngsten Veröffentlichung aus dem Nachlass von Hans Blumenberg sollte keine falschen Erwartungen wecken. Eine "Geistesgeschichte der Technik" hat dieser Autor nicht geschrieben. Es sei denn, man würde die große Studie zur "Legitimität der Neuzeit", in deren Kontext die nun erschienenen Texte aus den fünfziger und sechziger Jahren gehören, in eine solche Geistesgeschichte einordnen wollen. Was etwas merkwürdig klingen mag, denn die "Legitimität" hat es schließlich mit mentalen Umbrüchen an der Schwelle zur Neuzeit zu tun, doch nicht mit Technik im einigermaßen handfesten Sinn. Weshalb man sie allenfalls zu einer Vorgeschichte rechnen könnte, die jene Veränderungen der Weltwahrnehmung umreißt, mit denen sich der Raum technischer Inventionen öffnet.
Liest man aber die tastenden Überlegungen über die "Schwierigkeiten" und "methodologische Probleme" einer Geistesgeschichte der Technik, bemerkt man schnell, dass Blumenberg gerade an solcher Eröffnung eines technischen Weltverhältnisses interessiert ist. Was sich dann an technischen Inventionen und Problemlösungen, die ihrerseits wiederum neue Problemstellungen aufwerfen, in diesem bereits wissenschaftlich und technisch besetzten Raum abspielt, interessiert da vorerst nur am Rande. Die zentrale Frage einer solchen Geistesgeschichte ist vielmehr, "ob und wie aus einem bestimmten Verständnis der Wirklichkeit und der Stellung des Menschen innerhalb dieser Wirklichkeit technischer Wille entsteht", der Wille und die Motivation zur technischen Veränderung.
Womit allerdings gleich auch die Frage aufgeworfen ist, ob eine so gedachte Geistesgeschichte es bei ihren Quellen etwa des 17. und 18. Jahrhunderts tatsächlich mit solchen Motivationen zu tun bekommt oder doch eher mit nachgereichten Rechtfertigungen einer ohnehin schon auf den Weg gebrachten technischen Realität. Wie immer sie sich aber mit dieser Unterscheidung herumschlägt: Sie hat es für Blumenberg mit dem Geist vor und nach dem technischen Phänomen zu tun, mit dem "Reich der Antriebe und dem der Wertungen, der Vorwegnahmen und der Ausstrahlungen".
An der technischen Realität kann sie dabei natürlich nicht vorbeigehen. Zumal sie nur auf diese Weise ein Phänomen in den Blick bekommt, das Blumenberg insbesondere interessiert, nämlich eine in der Tradition gut verankerte Abwertung der Sphäre des Technischen gegenüber der Natur. Eine Abwertung, die von Technikkritik auch dann noch bemüht wird, wenn die Lebensverhältnisse längst wissenschaftlich-technisch geprägt sind. Die grundierenden "Antithesen von Naturbestand und Menschenwerk" erweisen sich als resistent, obwohl sich die dabei vorausgesetzten Grenzziehungen mehr und mehr verwischen. An Aktualität hat diese Diagnose sicherlich nicht verloren, im Gegenteil. Die "Technisierung des Organischen" durch "zunehmende Verfügbarkeit auch organischer Strukturen bis in den Kern der Gensubstanz hinein", so Blumenberg hellsichtig, könnte schließlich erst an ihrem Anfang stehen.
Aber die Versuchung, Technik als irgendwie defizient gegenüber einer "eigentlichen" naturhaften Realität anzusehen, bleibt trotzdem lebendig. Vielleicht auch deshalb, so Blumenberg, weil sie uns von einer Tradition vorbuchstabiert wird, die unsere Begriffe durchtränkt. Um sie etwas auf Distanz zu bringen, blickt der Ideenhistoriker zurück auf die Epochenschwelle zur Neuzeit, die für ihn gerade dadurch gekennzeichnet ist, dass menschliche Inventionen schrittweise eine eigene Legitimität zugesprochen erhalten, die sich nicht mehr an ihrem Nachahmungs- oder Erfüllungscharakter von vermeintlichen natürlichen Vorbildern bemisst. Je klarer formuliert wird, dass der Mensch nicht nach der Natur, ja vielleicht sogar nur gegen sie zu seinen Lebenserleichterungen und Einsichten kommt, umso deutlicher tritt das technische Element hervor. Auch wenn es defensiv formuliert bleibt, wie in der rhetorisch kaum überbietbaren Wendung Francis Bacons, dass die Natur durch Unterwerfung unter sie beherrscht werde.
Bacon hat seinen Auftritt in einer Skizze der Geschichte des Begriffes von Naturgesetzlichkeit. Eine andere Facette, an der Blumenberg die Ablösung vom Nachahmungsparadigma vor Augen führt, ist die Umwertung des Begriffs der Erfindung. Und schließlich geht es mit dem Verweis auf die mit der Neuzeit eintretende Wende von einer dem Menschen zugemessenen zu einer ihm rücksichtslos erscheinenden Welt, welche die technische Selbstbehauptung erzwingt, um die grundsätzliche Signatur dieses Prozesses. "Ordnungsschwund und Selbstbehauptung" sind die zugeordneten Stichwörter; unter diesem Titel verhandelt Blumenberg auf knappem Raum die Frage, warum eigentlich nicht schon aus dem Hellenismus am Ende der Antike so etwas wie eine Neuzeit hervorgegangen ist. Die auch aus der "Legitimität" bekannte Antwort lautet: weil tiefliegende teleologische Restbestände den spätantiken Ordnungsschwund überstanden.
Die begriffsgeschichtlichen Dimensionen eines solchen Nachdenkens über Technik sind nicht bescheiden, und Blumenbergs Interpretationskunst zeigt sich in den Beobachtungen, die er für sie ins Feld führt. Etwa im Seitenblick auf Nietzsche, der doch eigentlich in der Technik den Erweis der von ihm so nachdrücklich herausgestellten Selbsterschaffung des Menschen bereits vor Augen hatte - und trotzdem der Kunst diesen paradigmatischen Stellenwert zusprach. Vermutlich deshalb, so Blumenberg, weil er Technik in der Weise verstand, wie diese sich selbst präsentierte, nämlich als angewandte Naturwissenschaft und insofern immer noch dem Ideal des erkennenden Nachvollzugs unterworfen.
Die moderne Wissenschaftsgeschichte hat dagegen genuin technische Dimensionen der Naturwissenschaften herausgearbeitet, nicht an ihren Rändern, sondern in ihrem Kern. Insofern haben die Herausgeber des Bandes wohl recht, dass in ihr etwas von der Geistesgeschichte der Technik erfüllt ist, die Blumenberg in diesen Texten umkreist. Und seine Empfehlung, dabei lieber nicht die etwas zu groß zugeschnittene Frage beantworten zu wollen, ob nun der erfinderische Geist oder die vorspurenden Verhältnisse ausschlaggebend sind - instrumentiert mit Hegel gegen Marx, aber auch mit einem kleinen Exkurs zur Frühgeschichte der Wolkenkratzer -, sondern bescheidener und konkreter anzusetzen, müsste man heute wohl ohnehin nicht mehr so nachdrücklich anbringen.
Blumenberg ist später allerdings auf diese neuen Tendenzen in der Technik- und Wissenschaftsgeschichtsschreibung kaum mehr eingegangen. Er hatte, so wird man das vielleicht verstehen dürfen, eben bereits seinen eigenen Kanon von Fragen.
HELMUT MAYER
Hans Blumenberg: "Geistesgeschichte der Technik". Mit einem Radiovortrag auf CD. Aus dem Nachlass herausgegeben von Alexander Schmitz und Bernd Stiegler. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009. 152 S., geb., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Warum eigentlich hat die Natur immer noch einen so guten Ruf? Hans Blumenbergs Überlegungen zu einer Geistesgeschichte der Technik verbinden große Fragen mit bescheidenen Maximen.
Der Titel der jüngsten Veröffentlichung aus dem Nachlass von Hans Blumenberg sollte keine falschen Erwartungen wecken. Eine "Geistesgeschichte der Technik" hat dieser Autor nicht geschrieben. Es sei denn, man würde die große Studie zur "Legitimität der Neuzeit", in deren Kontext die nun erschienenen Texte aus den fünfziger und sechziger Jahren gehören, in eine solche Geistesgeschichte einordnen wollen. Was etwas merkwürdig klingen mag, denn die "Legitimität" hat es schließlich mit mentalen Umbrüchen an der Schwelle zur Neuzeit zu tun, doch nicht mit Technik im einigermaßen handfesten Sinn. Weshalb man sie allenfalls zu einer Vorgeschichte rechnen könnte, die jene Veränderungen der Weltwahrnehmung umreißt, mit denen sich der Raum technischer Inventionen öffnet.
Liest man aber die tastenden Überlegungen über die "Schwierigkeiten" und "methodologische Probleme" einer Geistesgeschichte der Technik, bemerkt man schnell, dass Blumenberg gerade an solcher Eröffnung eines technischen Weltverhältnisses interessiert ist. Was sich dann an technischen Inventionen und Problemlösungen, die ihrerseits wiederum neue Problemstellungen aufwerfen, in diesem bereits wissenschaftlich und technisch besetzten Raum abspielt, interessiert da vorerst nur am Rande. Die zentrale Frage einer solchen Geistesgeschichte ist vielmehr, "ob und wie aus einem bestimmten Verständnis der Wirklichkeit und der Stellung des Menschen innerhalb dieser Wirklichkeit technischer Wille entsteht", der Wille und die Motivation zur technischen Veränderung.
Womit allerdings gleich auch die Frage aufgeworfen ist, ob eine so gedachte Geistesgeschichte es bei ihren Quellen etwa des 17. und 18. Jahrhunderts tatsächlich mit solchen Motivationen zu tun bekommt oder doch eher mit nachgereichten Rechtfertigungen einer ohnehin schon auf den Weg gebrachten technischen Realität. Wie immer sie sich aber mit dieser Unterscheidung herumschlägt: Sie hat es für Blumenberg mit dem Geist vor und nach dem technischen Phänomen zu tun, mit dem "Reich der Antriebe und dem der Wertungen, der Vorwegnahmen und der Ausstrahlungen".
An der technischen Realität kann sie dabei natürlich nicht vorbeigehen. Zumal sie nur auf diese Weise ein Phänomen in den Blick bekommt, das Blumenberg insbesondere interessiert, nämlich eine in der Tradition gut verankerte Abwertung der Sphäre des Technischen gegenüber der Natur. Eine Abwertung, die von Technikkritik auch dann noch bemüht wird, wenn die Lebensverhältnisse längst wissenschaftlich-technisch geprägt sind. Die grundierenden "Antithesen von Naturbestand und Menschenwerk" erweisen sich als resistent, obwohl sich die dabei vorausgesetzten Grenzziehungen mehr und mehr verwischen. An Aktualität hat diese Diagnose sicherlich nicht verloren, im Gegenteil. Die "Technisierung des Organischen" durch "zunehmende Verfügbarkeit auch organischer Strukturen bis in den Kern der Gensubstanz hinein", so Blumenberg hellsichtig, könnte schließlich erst an ihrem Anfang stehen.
Aber die Versuchung, Technik als irgendwie defizient gegenüber einer "eigentlichen" naturhaften Realität anzusehen, bleibt trotzdem lebendig. Vielleicht auch deshalb, so Blumenberg, weil sie uns von einer Tradition vorbuchstabiert wird, die unsere Begriffe durchtränkt. Um sie etwas auf Distanz zu bringen, blickt der Ideenhistoriker zurück auf die Epochenschwelle zur Neuzeit, die für ihn gerade dadurch gekennzeichnet ist, dass menschliche Inventionen schrittweise eine eigene Legitimität zugesprochen erhalten, die sich nicht mehr an ihrem Nachahmungs- oder Erfüllungscharakter von vermeintlichen natürlichen Vorbildern bemisst. Je klarer formuliert wird, dass der Mensch nicht nach der Natur, ja vielleicht sogar nur gegen sie zu seinen Lebenserleichterungen und Einsichten kommt, umso deutlicher tritt das technische Element hervor. Auch wenn es defensiv formuliert bleibt, wie in der rhetorisch kaum überbietbaren Wendung Francis Bacons, dass die Natur durch Unterwerfung unter sie beherrscht werde.
Bacon hat seinen Auftritt in einer Skizze der Geschichte des Begriffes von Naturgesetzlichkeit. Eine andere Facette, an der Blumenberg die Ablösung vom Nachahmungsparadigma vor Augen führt, ist die Umwertung des Begriffs der Erfindung. Und schließlich geht es mit dem Verweis auf die mit der Neuzeit eintretende Wende von einer dem Menschen zugemessenen zu einer ihm rücksichtslos erscheinenden Welt, welche die technische Selbstbehauptung erzwingt, um die grundsätzliche Signatur dieses Prozesses. "Ordnungsschwund und Selbstbehauptung" sind die zugeordneten Stichwörter; unter diesem Titel verhandelt Blumenberg auf knappem Raum die Frage, warum eigentlich nicht schon aus dem Hellenismus am Ende der Antike so etwas wie eine Neuzeit hervorgegangen ist. Die auch aus der "Legitimität" bekannte Antwort lautet: weil tiefliegende teleologische Restbestände den spätantiken Ordnungsschwund überstanden.
Die begriffsgeschichtlichen Dimensionen eines solchen Nachdenkens über Technik sind nicht bescheiden, und Blumenbergs Interpretationskunst zeigt sich in den Beobachtungen, die er für sie ins Feld führt. Etwa im Seitenblick auf Nietzsche, der doch eigentlich in der Technik den Erweis der von ihm so nachdrücklich herausgestellten Selbsterschaffung des Menschen bereits vor Augen hatte - und trotzdem der Kunst diesen paradigmatischen Stellenwert zusprach. Vermutlich deshalb, so Blumenberg, weil er Technik in der Weise verstand, wie diese sich selbst präsentierte, nämlich als angewandte Naturwissenschaft und insofern immer noch dem Ideal des erkennenden Nachvollzugs unterworfen.
Die moderne Wissenschaftsgeschichte hat dagegen genuin technische Dimensionen der Naturwissenschaften herausgearbeitet, nicht an ihren Rändern, sondern in ihrem Kern. Insofern haben die Herausgeber des Bandes wohl recht, dass in ihr etwas von der Geistesgeschichte der Technik erfüllt ist, die Blumenberg in diesen Texten umkreist. Und seine Empfehlung, dabei lieber nicht die etwas zu groß zugeschnittene Frage beantworten zu wollen, ob nun der erfinderische Geist oder die vorspurenden Verhältnisse ausschlaggebend sind - instrumentiert mit Hegel gegen Marx, aber auch mit einem kleinen Exkurs zur Frühgeschichte der Wolkenkratzer -, sondern bescheidener und konkreter anzusetzen, müsste man heute wohl ohnehin nicht mehr so nachdrücklich anbringen.
Blumenberg ist später allerdings auf diese neuen Tendenzen in der Technik- und Wissenschaftsgeschichtsschreibung kaum mehr eingegangen. Er hatte, so wird man das vielleicht verstehen dürfen, eben bereits seinen eigenen Kanon von Fragen.
HELMUT MAYER
Hans Blumenberg: "Geistesgeschichte der Technik". Mit einem Radiovortrag auf CD. Aus dem Nachlass herausgegeben von Alexander Schmitz und Bernd Stiegler. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009. 152 S., geb., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Begeistert widmet sich Rezensent Oliver Müller zwei von Alexander Schmitz und Bernd Stiegler aus dem Nachlass herausgegebenen Texten zu einer "Geistesgeschichte der Technik" von Hans Blumenberg. Für Müller gehören sie nicht nur in die Nähe von Blumenbergs großen Arbeiten über die Neuzeit. Zusammen mit anderen hier abgedruckten (teilweise sogar von Blumenberg selbst gesprochenen und auf der beiliegenden CD anzuhörenden) Texten ergeben sie für Müller bemerkenswerte Versuche, das Thema Technik in den Griff zu bekommen. Dass der Leser bei Blumenberg keine Geschichte der Technik bekommt, sondern eine handlungstheoretische, historisch-anthropologisch ausgerichtete Annäherung an das Phänomen Technik, lässt uns Müller wissen. Dass daraus keine "echte große Geistesgeschichte der Technik" geworden ist, findet der Rezensent bedauerlich.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH