Nach 13 Jahren Großer Koalition wird klar, dass sich neben der Sozialdemokratie auch der Konservatismus und seine traditionelle politische Heimat, die CDU, in einer tiefen Identitätskrise befinden. Das zeigen nicht zuletzt das Aufkommen der AfD und ministeriale Revolutionsaufrufe gegen die vermeintliche liberale Kulturhegemonie. Erstaunlicherweise waren schon bei der Wahl der schwarz-gelben Kohl-Regierung 1983 ähnliche Töne zu hören: Gegen die Vorherrschaft der 68er-Ideen sollte eine »geistig-moralische Wende« dem Konservatismus wieder zu seiner rechtmäßigen Stellung verhelfen. Doch während zur gleichen Zeit Reagan und Thatcher die Gesellschaft nachhaltig umgestalteten, ist der geistig-moralische Aufbruch hierzulande fast völlig vergessen; grundlegende Strukturreformen blieben den rot-grünen Nachfolgern überlassen. Doch warum? In seiner Untersuchung der Erschöpfung des Konservatismus unternimmt Thomas Biebricher eine Reise in das politisch-kulturelle Klima der letzten Jahre der alten Bundesrepublik und der Wendezeit und beschreibt die wachsende Orientierungslosigkeit zwischen Neue Rechte und Neoliberalismus. Auf diese Weise erzählt er zugleich die Vorgeschichte des Zerfalls unseres klassischen politischen Koordinatensystems, dessen Zeugen wir heute werden.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Klug und elegant sieht Isabell Trommer von Thomas Biebricher Zeit- und Ideengeschichte verbunden, wenn der Politikwissenschaftler den Niedergang des Konservatismus nachzeichnet. Dessen Erschöpfung, erfährt die Rezensentin aus dem Buch, habe lange vor Angela Merkel eingesetzt, nämlich schon unter Helmut Kohl, auch wenn dieser bekanntlich die geistig-moralische Wende einleiten wollte. Doch nicht nur der Sieg der Reformkonservativen Kräfte um Rita Süßmuth und Heiner Geißler über die rechtskonservativen Haudegen wie Alfred Dregger und Heinrich Lummer in den achtziger Jahren, sondern auch wegen eines immanenten Widerspruchs konservativer Wirtschaftspolitik. Wer den technologischen und ökonomischen Wandel wolle, müsse sich nicht über Folgen für Familie und Tradition wundern. Da kann Trommer nicht widersprechen. Treffend findet sie auch, dass Biebricher an der Person von Jens Spahn ausmacht, dass der Konservatismus in der Union nur noch verflacht oder aufgesetzt wirke.
© Perlentaucher Medien GmbH
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