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Warum verfolgte das NS-Regime Kirchen und Christen, wenn sie doch seinen Bestand nach den Ergebnissen der Widerstandsforschung nicht gefährdeten?
Dieser Frage gehen die Beiträge des Bandes nach, indem der religiöse Kern des Konflikts an Fallbeispielen von der Religionspolitik des Regimes bis zur Auseinandersetzung auf katholischer und evangelischer Gemeindeebene analysiert wird.

Produktbeschreibung
Warum verfolgte das NS-Regime Kirchen und Christen, wenn sie doch seinen Bestand nach den Ergebnissen der Widerstandsforschung nicht gefährdeten?

Dieser Frage gehen die Beiträge des Bandes nach, indem der religiöse Kern des Konflikts an Fallbeispielen von der Religionspolitik des Regimes bis zur Auseinandersetzung auf katholischer und evangelischer Gemeindeebene analysiert wird.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2005

Hakenkreuz gegen Kreuz
Der nationalsozialistische Überwachungsstaat und der Klerus

Joachim Kuropka (Herausgeber): Geistliche und Gestapo. Klerus zwischen Staatsallmacht und kirchlicher Hierarchie. LIT-Verlag, Münster 2004. 303 Seiten, 24,90 [Euro].

Thema des Sammelbands ist das spannungsreiche Verhältnis von katholischem Klerus beziehungsweise evangelischer Pfarrerschaft und den nationalsozialistischen Überwachungsorganen. Die Konflikte entzündeten sich stets am totalitären - politischen wie ideologischen - Erfassungsanspruch des nationalsozialistischen Regimes. Während es den Geistlichen in der Regel um unverkürzte Weitergabe der christlichen Botschaft, um weltanschauliche Immunisierung der Gläubigen und um kirchlich institutionelle Selbstbehauptung ging (also keineswegs um grundsätzliche politische Opposition), interpretierte die Gestapo diese Haltung als generelle Kampfansage an das Regime.

Selbst auf Entspannung bedachte Oberhirten wie der Osnabrücker Bischof Wilhelm Berning erschienen in ihrer Optik als "gefährliche Vertreter der politischen Romkirche", und für den notorischen Kirchenhasser Joseph Goebbels waren die "politisierenden Pfaffen . . . so ungefähr und nächst den Juden das widerwärtigste Gesindel, das wir heute noch im Reich beherbergen." Entsprechend oft und hart schlug die Gestapo zu, wann immer sich ihr Gelegenheit bot. Welches Ausmaß ihre Drangsalierungen annahmen und welche Möglichkeiten vom Verhör bis zur KZ-Einweisung oder Hinrichtung ihr oder einer willfährigen Justiz zu Gebote standen, zeigt sich daran, daß im Reichsdurchschnitt mehr als 36 Prozent des katholischen Klerus mit dem Regime in Konflikt geraten sind.

In vorliegenden Band geht es nicht um den statistischen Befund, sondern um dessen exemplarische Verdeutlichung, wobei sich der regionale Schwerpunkt der Fallstudien im nordwestdeutschen Raum aus vom Herausgeber betriebenen oder angeregten Forschungen erklären dürfte. In der Tat stellt das oldenburgische Münsterland mit seiner ausgeprägten, in festen Milieustrukturen wurzelnden Katholizität ein Untersuchungsobjekt dar, das sich für tiefere Einblicke in gesellschaftliches Beharrungsvermögen hervorragend eignet und schon mit dem Kreuzkampf von 1936 überregionales Aufsehen erregt hat. Daher überrascht auch nicht, daß die einzelnen Beiträge hinter das pauschale, mit reichlich viel linker Selbstgerechtigkeit gewürzte Verdammungsurteil "vom fundamentalen Versagen auch der katholischen Kirche gegenüber dem Nationalsozialismus" deutliche Fragezeichen setzen. Ihm stellt beispielsweise Maria Anna Zumholz die gut begründete These vom relativen Schutz entgegen, den das dörfliche Milieu selbst besonders streitbaren Geistlichen geboten habe, solange nicht "milieufremde Elemente" im Ort wie etwa ein Lager des Reichsarbeitsdienstes für eine Eskalation gesorgt hätten oder gar die Aufmerksamkeit des Reichssicherheitshauptamtes in Berlin geweckt worden sei.

Indessen zeigen der Beitrag über den couragierten Oldenburger Bekenntnispfarrer Hermann Buck sowie namentlich Thomas Fandels Untersuchung über die evangelischen und katholischen Pfarrer der Pfalz, wie sehr es sich lohnt, beide Konfessionen vergleichend zu betrachten, da das Verhältnis der christlichen Kirchen zum Nationalsozialismus "nur mit Blick auf die konfessionelle Spaltung Deutschlands verstehbar ist". So führten die bestehenden Spannungen einerseits zu unterschiedlicher politischer Orientierung der Katholiken und Protestanten in Zentrum und NSDAP. Letztere wurde in der Pfalz nachgerade zur "protestantischen Milieupartei". Andererseits verstärkte dieses politische Lagerdenken die konfessionellen Spannungen weiter. Eine Folge der "Segmentierung der deutschen Gesellschaft in weitgehend geschlossene Milieus" war jene häufig kritisierte "Blickverengung auf die jeweils eigenen Interessen", die gerade auch die Judenfrage für die Kirchen zu einem "Randproblem" werden ließ.

Während zwei einleitende Beiträge von Joachim Kuropka die Ergebnisse der lokalen und regionalen Einzelstudien in größere Erklärungs- und Deutungszusammenhänge einordnen, wendet sich ein gleichfalls perspektivisch übergreifender Beitrag von Wolfgang Dierker der Verfolgerseite zu. Er untersucht die Kirchen- und Religionspolitik des Sicherheitsdienstes der SS und unterstreicht einmal mehr, welches Gefahrenpotential der SD in den christlichen Wertvorstellungen sah. Als "ideologischer Gesinnungshüter" geriet er dabei in eine Dauerkonkurrenz zur Gestapo, die ihre Alleinzuständigkeit für die Bekämpfung von "Staatsfeinden" eifersüchtig wahrte. Die für das NS-Regime so typische Kompetenzenüberschneidung führte indessen nicht zu wechselseitiger Behinderung, sondern "steigerte die Effizienz und Radikalität des Gesamtapparates". Die Kriegshysterie bewirkte einen weiteren Radikalisierungsschub, wie der Fall der 1943 hingerichteten Lübecker Geistlichen Hermann Lange, Eduard Müller und Johannes Prassek zeigt, um deren Begnadigung Bischof Berning sich vergeblich bemühte. An diesen wie zahlreiche weitere Vorgänge ist angesichts der von der jüngeren NS-Forschung vorgenommenen Entmonumentalisierung der Gestapo zu erinnern.

Der umfassenden Beobachtung des Klerus korrespondierten weniger erfolgreiche Versuche, ihn durch Spitzel zu unterwandern - darunter nicht wenige ehemalige Priester, die mit ihrer vorgesetzten kirchlichen Behörde eine Rechnung offen hatten. Einer von ihnen, Albert Hartl, der es in der Berliner SD-Zentrale bis zum Leiter der kirchenpolitischen Abteilung gebracht hatte, brüstete sich nach dem Krieg damit, über 200 kirchliche V-Leute verfügt zu haben. Wie hoch der Anteil an Klerikern dabei auch immer war, er kann nach den Forschungen Dierkers nur etwa 0,6 Prozent der deutschen Welt- und Ordenspriester betragen haben. Geistliche, die ihren Mitbrüdern als "braun" bekannt waren, besaßen überdies nur begrenzte Informationsmöglichkeiten.

ULRICH VON HEHL

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Im vorliegenden Sammelband geht es Rezensent Ulrich von Hehl zufolge um eine "exemplarische Verdeutlichung" des "spannungsreichen Verhältnisses" von katholischem Klerus und evangelischer Pfarrerschaft und den nationalsozialistischen Überwachungsorganen. Im Vordergrund sieht er Fallstudien aus dem norddeutschen Raum stehen. Einzelne Beiträge setzen aus seiner Sicht teilweise "deutliche Fragezeichen" hinter das "pauschale, mit viel linker Selbstgerechtigkeit gewürzte Verdammungsurteil" vom Versagen der katholischen Kirche gegenüber dem Nationalsozialismus. Mit Interesse hat er auch einen Beitrag über den Oldenburger Bekenntnispfarrer Hermann Bruck gelesen, der ihm das Verhältnis der Kirchen zum Nationalsozialismus aus der konfessionellen Spaltung Deutschlands heraus erklärte. Auch die perspektivisch übergreifenden Beiträge fand der Rezensent lehrreich und informativ und die Einzelstudien in "größere Erklärungs- und Deutungszusammenhänge" einordnend.

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