Mit einem Nachwort von Georg Klein.
Die literarische Miniatur ist, wie ihr Name schon sagt, klein. Dennoch ist ihr Herz so groß, dass es allerhand aufzunehmen versteht. Ein bei Nacht schwarz die Hafenmauer hochleckendes Meer, zum Beispiel, oder traurig dumme Duschgesange, eine menschenfressende Couch, nachmittäglich stehengebliebene Musikschuluhren und Trauben, die weich sind wie der Mond.
Aber der Reihe nach! Martin Lechner und Tobias Premper haben gemeinsam kurze Geschichten geschrieben. Auslöser waren störrisch steckengebliebene Texte, Fundstücke aus dem Satzteillager oder noch völlig ungekochte Notizen. Gemacht werden durfte damit nichts weniger als alles. Das ergab ein wildes Textetennis, in dessen Hinundhergesause die Frage der Urheberschaft zusehends verwischte. Am Ende war es gleichgültig, wer welche Sätze, Worte oder Buchstaben gestiftet hatte.
"Gelati! Gelati!" versammelt insgesamt 99 Miniaturen: 33 gemeinsam verfasste und jeweils 33 von Martin Lechner und33 von Tobias Premper.
Die literarische Miniatur ist, wie ihr Name schon sagt, klein. Dennoch ist ihr Herz so groß, dass es allerhand aufzunehmen versteht. Ein bei Nacht schwarz die Hafenmauer hochleckendes Meer, zum Beispiel, oder traurig dumme Duschgesange, eine menschenfressende Couch, nachmittäglich stehengebliebene Musikschuluhren und Trauben, die weich sind wie der Mond.
Aber der Reihe nach! Martin Lechner und Tobias Premper haben gemeinsam kurze Geschichten geschrieben. Auslöser waren störrisch steckengebliebene Texte, Fundstücke aus dem Satzteillager oder noch völlig ungekochte Notizen. Gemacht werden durfte damit nichts weniger als alles. Das ergab ein wildes Textetennis, in dessen Hinundhergesause die Frage der Urheberschaft zusehends verwischte. Am Ende war es gleichgültig, wer welche Sätze, Worte oder Buchstaben gestiftet hatte.
"Gelati! Gelati!" versammelt insgesamt 99 Miniaturen: 33 gemeinsam verfasste und jeweils 33 von Martin Lechner und33 von Tobias Premper.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.01.2022Augenblick und Stille
Zwei Autoren und ihre Miniaturen
Kalendergeschichten sind eine recht frühe literarische Form, die heute ein wenig aus der Mode gekommen ist. Auch Aphorismensammlungen haben ihre Blüte hinter sich. Martin Lechner und Tobias Premper, beide Jahrgang 1974, sprechen denn auch lieber von Miniaturen und noch viel lieber von "Kieselsteinen", die sie den dicken "Ziegelsteinen" gegenüberstellen. Vergleicht man ihre Texte beispielsweise mit den "Kalendergeschichten" Bertolt Brechts, so muss man schon fast von Staubkörnern sprechen, derart minimalistisch kommen sie daher.
Bis auf zwei Ausnahmen passt die Prosa der beiden stets auf eine Seite. Wer die Lektüre gern von hinten oder in der Mitte aufnimmt, wer überhaupt jede Chronologie verschmäht, wird erst recht Freude an dieser Zusammenstellung aus 33 jeweils einzeln und noch einmal so viel gemeinsam verfassten Texten haben. Wer auf eine Abstimmung mit dem aktuell gültigen Kalender Wert legt, ist auch fein raus, denn da gibt es die "Freibadtage", den 23. "Aprilmaijuni" oder auch den "2. Dezember", allerdings von 1960.
Lechner legt die erste Portion vor. Er hat meist ganz kurze Titel, seine Miniaturen bestehen oft nur aus einem einzigen Satz. In ihnen geht es viel um Elementarkräfte, Zerstörung, besonders gern durch Kometen, und Tiere. Den Auftakt bildet der "Streichelzoo", der düster wie Franz Kafkas "Kleine Fabel" ist. Dagegen ist "Leben" reine Phantastik und "Am Strand" herrlich absurd. Mancher Text kann sogar vollständig zitiert werden: "Die Kunst des ungepflegten Herumstehens, allen im Weg und blau wie ein Bär, gelang auch heute, im achtundneunzigsten Anlauf, nicht." Bernd Pfarr lässt grüßen.
Premper hat ein Faible für etwas längere oder englische Titel. Seine literarischen Anspielungen gehen teils in echte Persiflagen über, so in "Fischer, Frau, Butt" oder "Nachtfahrt". Auch er variiert das Scheitern, jedoch etwas weniger kosmisch, sondern stärker auf der Ebene geplatzter Träume oder gescheiterter sogenannter Lebensentwürfe. Auch von ihm sei ein Werk in Gänze zitiert, beinahe ein Aphorismus: "Ich merke mehr und mehr, dass weniger und weniger für mich der richtige Weg ist."
Die gemeinsam verfassten Texte sind besonders skurril und münden oft in eine überraschende Pointe. Dort findet sich der titelgebende Ruf "Gelati! Gelati!", der als konkrete Verkaufsaufforderung die zuvor völlig surreale Situation durchbricht. Im übrigen geht es überhaupt sehr oft um Eis.
In einem etwas gewollten Gespräch gehen die beiden Autoren im Anhang auf ihre Arbeitsweise ein. "Sobald ich sehe, dass sich eine Botschaft reingeschmuggelt hat, nehme ich die Kneifzange und zwacke sie wieder heraus", heißt es da. In der Tat sind ihre Texte albern, grotesk und unsinnig. Und auch die beklemmenderen Stücke sind nicht ohne weiteres deutbar. In dieser Kürze macht das richtig Spaß.
Da werden Assoziationen geweckt. Wenn der Fahrradfahrer auf Fußgänger zuhält und "wie ein Keil in ihre Mitte jagt", "denn wenn der Fahrradfahrer Fahrrad fährt, gehört die Stadt ihm", dann liegt der Himmel über Berlin unvermittelt auf dem Rücken der Drahtesel.
Ansonsten fehlt dem Gespräch der beiden die Prägnanz und das Sprachspielerische der Texte. Über einen Satz heißt es, der stand da "so herum und wusste nichts mit sich anzufangen. Aber du hast die Miniatur erkannt, die er ungeahnt im Herzen trug." Darauf kann getrost verzichten, wer zuvor in einem der literarischen Kurztexte festgehalten hat, er habe diese Miniatur einhundertdreiunddreißig Mal überarbeitet, und er "trug währenddessen keine Schuhe, aber einen Schal, trank eine Flasche kaltes Bier" und wärmte sich "zu jeder vollen Stunde die Hände in einer Schüssel mit wohltemperiertem Wasser". Auch die im Gespräch erwähnte "Mitmachliteratur" klingt fast schrecklich nach Animation an Stränden oder nach Kindergruppe. Dabei trifft sie den Nagel auf den Kopf: Die Texte lassen viel offen, laden ein. Damit tun sie, was gute Literatur immer tut. Oder tun sollte. Und so kommt zum guten Ende alles unter einen Hut, und "mit acht Abschiedspfützen im Kopf" wartet danach vielleicht ein "Augenblick abgrundblauer Stille". Mit oder ohne Eis. CHRISTIANE PÖHLMANN
Martin Lechner, Tobias Premper: "Gelati! Gelati!"
Edition Azur, Berlin und Dresden 2021. 136 S., br., 20,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zwei Autoren und ihre Miniaturen
Kalendergeschichten sind eine recht frühe literarische Form, die heute ein wenig aus der Mode gekommen ist. Auch Aphorismensammlungen haben ihre Blüte hinter sich. Martin Lechner und Tobias Premper, beide Jahrgang 1974, sprechen denn auch lieber von Miniaturen und noch viel lieber von "Kieselsteinen", die sie den dicken "Ziegelsteinen" gegenüberstellen. Vergleicht man ihre Texte beispielsweise mit den "Kalendergeschichten" Bertolt Brechts, so muss man schon fast von Staubkörnern sprechen, derart minimalistisch kommen sie daher.
Bis auf zwei Ausnahmen passt die Prosa der beiden stets auf eine Seite. Wer die Lektüre gern von hinten oder in der Mitte aufnimmt, wer überhaupt jede Chronologie verschmäht, wird erst recht Freude an dieser Zusammenstellung aus 33 jeweils einzeln und noch einmal so viel gemeinsam verfassten Texten haben. Wer auf eine Abstimmung mit dem aktuell gültigen Kalender Wert legt, ist auch fein raus, denn da gibt es die "Freibadtage", den 23. "Aprilmaijuni" oder auch den "2. Dezember", allerdings von 1960.
Lechner legt die erste Portion vor. Er hat meist ganz kurze Titel, seine Miniaturen bestehen oft nur aus einem einzigen Satz. In ihnen geht es viel um Elementarkräfte, Zerstörung, besonders gern durch Kometen, und Tiere. Den Auftakt bildet der "Streichelzoo", der düster wie Franz Kafkas "Kleine Fabel" ist. Dagegen ist "Leben" reine Phantastik und "Am Strand" herrlich absurd. Mancher Text kann sogar vollständig zitiert werden: "Die Kunst des ungepflegten Herumstehens, allen im Weg und blau wie ein Bär, gelang auch heute, im achtundneunzigsten Anlauf, nicht." Bernd Pfarr lässt grüßen.
Premper hat ein Faible für etwas längere oder englische Titel. Seine literarischen Anspielungen gehen teils in echte Persiflagen über, so in "Fischer, Frau, Butt" oder "Nachtfahrt". Auch er variiert das Scheitern, jedoch etwas weniger kosmisch, sondern stärker auf der Ebene geplatzter Träume oder gescheiterter sogenannter Lebensentwürfe. Auch von ihm sei ein Werk in Gänze zitiert, beinahe ein Aphorismus: "Ich merke mehr und mehr, dass weniger und weniger für mich der richtige Weg ist."
Die gemeinsam verfassten Texte sind besonders skurril und münden oft in eine überraschende Pointe. Dort findet sich der titelgebende Ruf "Gelati! Gelati!", der als konkrete Verkaufsaufforderung die zuvor völlig surreale Situation durchbricht. Im übrigen geht es überhaupt sehr oft um Eis.
In einem etwas gewollten Gespräch gehen die beiden Autoren im Anhang auf ihre Arbeitsweise ein. "Sobald ich sehe, dass sich eine Botschaft reingeschmuggelt hat, nehme ich die Kneifzange und zwacke sie wieder heraus", heißt es da. In der Tat sind ihre Texte albern, grotesk und unsinnig. Und auch die beklemmenderen Stücke sind nicht ohne weiteres deutbar. In dieser Kürze macht das richtig Spaß.
Da werden Assoziationen geweckt. Wenn der Fahrradfahrer auf Fußgänger zuhält und "wie ein Keil in ihre Mitte jagt", "denn wenn der Fahrradfahrer Fahrrad fährt, gehört die Stadt ihm", dann liegt der Himmel über Berlin unvermittelt auf dem Rücken der Drahtesel.
Ansonsten fehlt dem Gespräch der beiden die Prägnanz und das Sprachspielerische der Texte. Über einen Satz heißt es, der stand da "so herum und wusste nichts mit sich anzufangen. Aber du hast die Miniatur erkannt, die er ungeahnt im Herzen trug." Darauf kann getrost verzichten, wer zuvor in einem der literarischen Kurztexte festgehalten hat, er habe diese Miniatur einhundertdreiunddreißig Mal überarbeitet, und er "trug währenddessen keine Schuhe, aber einen Schal, trank eine Flasche kaltes Bier" und wärmte sich "zu jeder vollen Stunde die Hände in einer Schüssel mit wohltemperiertem Wasser". Auch die im Gespräch erwähnte "Mitmachliteratur" klingt fast schrecklich nach Animation an Stränden oder nach Kindergruppe. Dabei trifft sie den Nagel auf den Kopf: Die Texte lassen viel offen, laden ein. Damit tun sie, was gute Literatur immer tut. Oder tun sollte. Und so kommt zum guten Ende alles unter einen Hut, und "mit acht Abschiedspfützen im Kopf" wartet danach vielleicht ein "Augenblick abgrundblauer Stille". Mit oder ohne Eis. CHRISTIANE PÖHLMANN
Martin Lechner, Tobias Premper: "Gelati! Gelati!"
Edition Azur, Berlin und Dresden 2021. 136 S., br., 20,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Diese Miniaturen sind wirklich minimalistisch, versichert Rezensentin Christiane Pöhlmann, selten länger als eine Seite, und man kann sie kreuz und quer lesen. Es geht um alles - Fischer, Frau, Butt, Kometen, Tiere und das Scheitern -, ist assoziativ und wird auch gern absurd, schreibt sie und zitiert Martin Lechner: "Die Kunst des ungepflegten Herumstehens, allen im Weg und blau wie ein Bär, gelang auch heute, im achtundneunzigsten Anlauf, nicht." So gut ihr die Miniaturen gefallen, so wenig Freude hatte sie an dem Gespräch der beiden am Ende des Buchs: Hier erklären sie ihre Arbeitsweise und lassen dabei den Humor fehlen, der ihre Texte auszeichnet, bedauert die Rezensentin.
© Perlentaucher Medien GmbH
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