Das liebe Geld und seine besondere Faszination: Es macht aus korrekten Familienvätern wilde Abenteurer.Seit wann gibt es Banken? Wie sind sie entstanden? Von wem wurden sie geführt? Was bestimmte ihren Erfolg oder Misserfolg?Der bekannte italienische Wirtschaftshistoriker Carlo M. Cipolla erzählt in diesem Band extravagante Geschichten aus der Frühgeschichte des Bank-Handelswesens.Bis zum 11. Jahrhundert gab es kein Bankwesen. Der Handel wurde von sogenannten »mercatores« betrieben, von Kaufleuten, die ihre Waren persönlich begleiteten. Sie galten als »homines duri«, als »harte Männer«, weil sie sich den überall lauernden Gefahren ihrer weiten reisen aussetzten und zudem wegen ihrer rein materiellen Interessen von der Kirche verdammt wurden. Als die »harten Männer« auf die Idee kamen, sich zusammenzuschließen, entstand in Italien die »Compagnia«: Das Bankwesen war aus der Taufe gehoben.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.04.1995Von Bardi bis Baring
Am Gelde hängt doch alles: Carlo Cipolla zählt und erzählt
Selbst als die norditalienischen Stadtstaaten den europäischen Handel dominierten, trieb das Flair des Reichtums angesehene Bürger noch zu anrüchigen Geschäften. Die edle florentinische Familie der Bardi beispielsweise, die bis zu dessen Zusammenbruch im Jahre 1346 das größte Handelshaus ihrer Heimatstadt führte, hatte in ihren Reihen nicht nur einige der fähigsten Kaufleute des Kontinents, sondern auch einige der skrupellosesten Wirtschaftskriminellen des 14. Jahrhunderts - was nicht selten gleichbedeutend war.
Piero di Gualterotto aus der Bardi-Familie erwarb 1332 das direkt an der Grenze des florentinischen Gebiets und an der Straße nach Bologna gelegene Kastell von Vernio, wo er eine besonders effiziente Form des Güteraustauschs praktizierte: Den vorbeiziehenden Kaufleuten handelte er erfolgreich ihre Waren gegen ihr Leben ab. Das Klimpern der Geldstücke und der süße Duft des Großkapitals verführen die Menschen seit jeher mehr als andere Sinnesreize. Pieros saubere Verwandtschaft versuchte sich noch vor dem Bankrott des Jahres 1346 als Falschmünzer, entging aber dank ihrem Renommee nach der Entlarvung dem obligatorischen Feuertod. Zum Menetekel für die Standesgenossen avancierte deshalb weniger die Bloßstellung als vielmehr die Straffreiheit: Mehr als dreihundert Jahre später betätigte sich in der Republik Genua nahezu der komplette alte Adel als Geldfälscher.
Die absonderliche Vorliebe türkischer Frauen für die 1655 eingeführte französische Silbermünze louis des sous steigerte deren Preis auf das Doppelte des Nennwerts. Der daraus resultierende Geldzufluß aus der Levante brachte nicht nur die Geldmengenziele des französischen Königs durcheinander, sondern ließ die genuesischen Nobili sich ihrer alten Münzprivilegien erinnern. Alsbald prägten sie eigene minderwertige louis des sous, was einigen Geschlechtern, namentlich den Grimaldi in Monte Carlo, zu erstaunlichem Reichtum verhalf.
Frankreich zeigte sich ob dieses Betrugs auf Kosten der eigenen Währung wenig erbaut und revanchierte sich unter tatkräftiger Mithilfe von Venedig und Florenz, den alten Konkurrentinnen Genuas, durch eine systematische Verleumdung der genuesischen Regierung, die sich redlich bemühte, ihre geldgierigen Adelshäuser zur Räson zu bringen. Doch der französischen Kampagne gelang, was sie bezweckte: Sie trug wesentlich zum ökonomischen Niedergang der Republik Genua bei.
Die Geschichten der Bardi, der Grimaldi und anderer Plutokraten an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit erzählt ein schmales Bändchen des italienischen Wirtschaftshistorikers Carlo Maria Cipolla, das nicht umsonst im Original "Tre storie extravaganti" betitelt ist. Diese Erzählungen schweifen bewußt ab, sind unstetig wie die reisenden Kaufleute selbst, doch das Büchlein, auf deutsch jetzt als "Geld-Abenteuer" erschienen, wiegt manche umfassende Darstellung der Wirtschaftshistorie auf.
In den drei wundervoll flüssig und knapp erzählten Exempeln aus drei Jahrhunderten läßt Cipolla ein Panorama der ökonomischen Welt der Vergangenheit auferstehen - gleichsam aber en miniature und ohne jeden überflüssigen Faktenballast. Die kaum achtzig Seiten, angenehm übersetzt, sind eine ideale Ergänzung zu Cipollas opus magnum, der "Europäischen Wirtschaftsgeschichte", und können doch ebensogut wie im Hörsaal zur Unterhaltung im Familienkreis benutzt werden.
Denn seine Aperçus sind nicht minder als Juwelen der Quellenforschung auch Perlen historischer Erzählkunst. Daß der Autor seinen Schwerpunkt auf Italien legt, sei dem Nestor seiner Zunft verziehen. Dort, wo es angebracht ist, blickt er ohnehin über den italienischen Stiefel hinaus, was Cipollas grandiose Lektüre zweier Klassiker der ökonomischen Literatur, der 1675 und 1749 erschienenen Bücher der beiden Savarys, Jacques des Älteren und Jacques des Jüngeren, beweist.
Anhand mehrerer Beispiele belegt er die verblüffende Beobachtungsgabe der Savarys und vermag obendrein anschaulich zu machen, warum nur Franzosen derart gewichtige Werke ihrer Zeit verfassen konnten. Dabei gelingt ihm auf drei Seiten eine aufregende Schilderung des Antagonismus zwischen Adel und Kaufleuten in Frankreich, die prägnanter noch nirgends zu lesen war.
Cipolla erklärt über die Wirtschaft die Welt und löst damit einen Anspruch ein, den bedeutende Theoretiker wie Marx, Keynes oder Schumpeter vor ihm erhoben haben. Dem Historiker aus Pavia aber gelingt dies überzeugender, denn er kennt keine Parteien mehr. Er kennt nur noch Geldgierige. ANDREAS PLATTHAUS
Carlo M. Cipolla: "Geld-Abenteuer". Extravagante Geschichten aus dem europäischen Wirtschaftsleben. Aus dem Italienischen von Friedrike Hausmann. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 1995. 96 S., Abb., geb., 24,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Am Gelde hängt doch alles: Carlo Cipolla zählt und erzählt
Selbst als die norditalienischen Stadtstaaten den europäischen Handel dominierten, trieb das Flair des Reichtums angesehene Bürger noch zu anrüchigen Geschäften. Die edle florentinische Familie der Bardi beispielsweise, die bis zu dessen Zusammenbruch im Jahre 1346 das größte Handelshaus ihrer Heimatstadt führte, hatte in ihren Reihen nicht nur einige der fähigsten Kaufleute des Kontinents, sondern auch einige der skrupellosesten Wirtschaftskriminellen des 14. Jahrhunderts - was nicht selten gleichbedeutend war.
Piero di Gualterotto aus der Bardi-Familie erwarb 1332 das direkt an der Grenze des florentinischen Gebiets und an der Straße nach Bologna gelegene Kastell von Vernio, wo er eine besonders effiziente Form des Güteraustauschs praktizierte: Den vorbeiziehenden Kaufleuten handelte er erfolgreich ihre Waren gegen ihr Leben ab. Das Klimpern der Geldstücke und der süße Duft des Großkapitals verführen die Menschen seit jeher mehr als andere Sinnesreize. Pieros saubere Verwandtschaft versuchte sich noch vor dem Bankrott des Jahres 1346 als Falschmünzer, entging aber dank ihrem Renommee nach der Entlarvung dem obligatorischen Feuertod. Zum Menetekel für die Standesgenossen avancierte deshalb weniger die Bloßstellung als vielmehr die Straffreiheit: Mehr als dreihundert Jahre später betätigte sich in der Republik Genua nahezu der komplette alte Adel als Geldfälscher.
Die absonderliche Vorliebe türkischer Frauen für die 1655 eingeführte französische Silbermünze louis des sous steigerte deren Preis auf das Doppelte des Nennwerts. Der daraus resultierende Geldzufluß aus der Levante brachte nicht nur die Geldmengenziele des französischen Königs durcheinander, sondern ließ die genuesischen Nobili sich ihrer alten Münzprivilegien erinnern. Alsbald prägten sie eigene minderwertige louis des sous, was einigen Geschlechtern, namentlich den Grimaldi in Monte Carlo, zu erstaunlichem Reichtum verhalf.
Frankreich zeigte sich ob dieses Betrugs auf Kosten der eigenen Währung wenig erbaut und revanchierte sich unter tatkräftiger Mithilfe von Venedig und Florenz, den alten Konkurrentinnen Genuas, durch eine systematische Verleumdung der genuesischen Regierung, die sich redlich bemühte, ihre geldgierigen Adelshäuser zur Räson zu bringen. Doch der französischen Kampagne gelang, was sie bezweckte: Sie trug wesentlich zum ökonomischen Niedergang der Republik Genua bei.
Die Geschichten der Bardi, der Grimaldi und anderer Plutokraten an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit erzählt ein schmales Bändchen des italienischen Wirtschaftshistorikers Carlo Maria Cipolla, das nicht umsonst im Original "Tre storie extravaganti" betitelt ist. Diese Erzählungen schweifen bewußt ab, sind unstetig wie die reisenden Kaufleute selbst, doch das Büchlein, auf deutsch jetzt als "Geld-Abenteuer" erschienen, wiegt manche umfassende Darstellung der Wirtschaftshistorie auf.
In den drei wundervoll flüssig und knapp erzählten Exempeln aus drei Jahrhunderten läßt Cipolla ein Panorama der ökonomischen Welt der Vergangenheit auferstehen - gleichsam aber en miniature und ohne jeden überflüssigen Faktenballast. Die kaum achtzig Seiten, angenehm übersetzt, sind eine ideale Ergänzung zu Cipollas opus magnum, der "Europäischen Wirtschaftsgeschichte", und können doch ebensogut wie im Hörsaal zur Unterhaltung im Familienkreis benutzt werden.
Denn seine Aperçus sind nicht minder als Juwelen der Quellenforschung auch Perlen historischer Erzählkunst. Daß der Autor seinen Schwerpunkt auf Italien legt, sei dem Nestor seiner Zunft verziehen. Dort, wo es angebracht ist, blickt er ohnehin über den italienischen Stiefel hinaus, was Cipollas grandiose Lektüre zweier Klassiker der ökonomischen Literatur, der 1675 und 1749 erschienenen Bücher der beiden Savarys, Jacques des Älteren und Jacques des Jüngeren, beweist.
Anhand mehrerer Beispiele belegt er die verblüffende Beobachtungsgabe der Savarys und vermag obendrein anschaulich zu machen, warum nur Franzosen derart gewichtige Werke ihrer Zeit verfassen konnten. Dabei gelingt ihm auf drei Seiten eine aufregende Schilderung des Antagonismus zwischen Adel und Kaufleuten in Frankreich, die prägnanter noch nirgends zu lesen war.
Cipolla erklärt über die Wirtschaft die Welt und löst damit einen Anspruch ein, den bedeutende Theoretiker wie Marx, Keynes oder Schumpeter vor ihm erhoben haben. Dem Historiker aus Pavia aber gelingt dies überzeugender, denn er kennt keine Parteien mehr. Er kennt nur noch Geldgierige. ANDREAS PLATTHAUS
Carlo M. Cipolla: "Geld-Abenteuer". Extravagante Geschichten aus dem europäischen Wirtschaftsleben. Aus dem Italienischen von Friedrike Hausmann. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 1995. 96 S., Abb., geb., 24,80 DM.
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