Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.01.2011Oligarchen in Ägypten
Die Finanzelite bleibt dem Regime Mubarak treu
In Ägypten wurden seit der Jahrtausendwende die Besitzverhältnisse in der Wirtschaft völlig neu strukturiert. Die Privatisierungen haben zwar zur Bildung einer neuen Unternehmer- und Finanzelite geführt, deren Macht unaufhörlich wächst. Dem autoritären Mubarak-Regime ist sie aber dennoch hörig (Stephan Roll: "Geld und Macht. Finanzsektorreformen und politische Bedeutungszunahme der Unternehmer- und Finanzelite in Ägypten", Hans Schiler Verlag, November 2010).
Schon in der ersten Reformphase zwischen 1991 und 2003 wurde deutlich, dass die Staatsführung unter Hosni Mubarak bemüht war, eine tatsächliche Entstaatlichung der Finanzintermediation zu vermeiden. Die Forscher sprechen von einem "Reformtheater", das immer dann inszeniert wurde, wenn ein Entzug der internationalen Entwicklungsgelder drohte. Man ergriff nur kurzfristig orientierte Sofortmaßnahmen, langfristig ausgerichtete Strukturreformen wurden hingegen kaum angegangen, weil sie dem Primat der Herrschaftssicherung widersprachen.
So favorisierten die damals noch weitgehend in öffentlicher Hand befindlichen Banken bei der Kreditvergabe nur einige wenige Großunternehmer, die den lediglich oberflächlich betriebenen Strukturanpassungsprozess nutzten, um riesige Unternehmenskonglomerate aufzubauen. Schon Ende der neunziger Jahre konsolidierte sich eine Unternehmer-Kernelite, die aus einer überschaubaren Zahl von Familien besteht und bis heute ihre Vormachtstellung behalten hat. Zwar waren aufgrund wiederholter Wirtschaftskrisen zwischen 2004 und 2008 die Entstaatlichung des Bankensektors und die Öffnung des ägyptischen Kapitalmarkts für ausländische Investoren unumgänglich geworden. Aber Hauptnutznießer dieser Entwicklung waren nicht die in der Zwischenzeit hinzugekommenen neuen einheimischen Wirtschaftsakteure, sondern in erster Linie wieder jene mittlerweile auch international weit wettbewerbsfähigeren Konglomerate der Unternehmer-Elite.
Besonders Letztere scheint von den Maßnahmen gegen die zahlreichen "faulen Kredite" - ein chronisches Problem des Bankensektors im Land, das die ägyptische Regierung 2007 mit Straferlass für Schuldner bei Teilrückzahlung in den Griff zu bekommen versuchte - profitiert zu haben: Anders als im Fall der zahlreichen kleinen und mittelständischen Unternehmer, die von dieser Teiltilgungsoption Gebrauch machten, wurden die wirklich großen notleidenden Kredite, über deren Inhaber und tatsächliche Größe die Regierung Stillschweigen bewahrte, überhaupt nicht zurückgezahlt.
Angewiesen wären die ägyptischen Großunternehmer zu diesem Zeitpunkt zwar auf die staatlichen Kredite nicht gewesen, da sie inzwischen dank der beschleunigten Binnenentwicklung sowie der Internationalisierung des ägyptischen Kapitalmarkts vom Staat immer unabhängiger geworden waren. Doch ihre Unabhängigkeit, so die Beobachtung des Verfassers, habe sie keineswegs zu Gegnern des Regimes werden lassen. Vielmehr habe sie zu einer zunehmenden Verflechtung zwischen ihnen und einflussreichen politischen Entscheidungsträgern geführt.
Zu diesen gehört vor allem der Sohn des Staatspräsidenten, Gamal Mubarak, der sich gleich zu Beginn an die Spitze des wirtschaftlichen Reformprozesses stellte. Der international tätige Investmentbanker wurde schnell zu einer zentralen Scharnierfigur beim Tranfer ausländischen Kapitals nach Ägypten, woraus er und sein Bruder Alaa auch noch ihren persönlichen Gewinn zogen - Kritik daran, einhergehend mit Korruptionsvorwürfen, duldete das Regime nicht. Seit seiner Ernennung 2002 - durch den Vater - zum Chef des Politischen Sekretariats der Regierungspartei NDP hat Gamal Mubarak ebenso die Beziehungen zwischen dieser und den führenden Wirtschaftskreisen des Landes ausgebaut wie über seine Protegés auf die ökonomischen Strukturreformen maßgeblich Einfluss genommen.
Stephan Roll vermutet, dass der Präsidentensohn, sollte er eines Tages tatsächlich seinem Vater im Amt folgen, seine politisch-wirtschaftlichen Netzwerke noch stärker benötigen werde, weil er im Gegensatz zu den bisherigen ägyptischen Staatschefs nicht aus den Reihen des Militärs kommt. Er müsste dann die Interessen seiner Klientel aus der Wirtschaft bedienen, dabei aber beachten, dass aus Verbündeten nicht Rivalen würden. Gelänge dieser Spagat nicht, so Roll, drohe in Ägypten eine "Oligarchisierung" der Wirtschaft und des Herrschaftssystems.
Vater Mubarak, mittlerweile 83 Jahre alt, hat jedenfalls verlauten lassen, er beabsichtige, bei den Präsidentenwahlen Ende nächsten Jahres wieder zu kandidieren. Ob dem Sohn damit mehr Zeit gegeben werden soll, seine Machtbasis weiter zu verbreitern, oder ob Präsident Mubaraks Erklärung lediglich wahlkampftaktisch seiner Partei den Rücken stärken sollte, wurde in Ägypten bis zuletzt heiß diskutiert.
JOSEPH CROITORU
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Finanzelite bleibt dem Regime Mubarak treu
In Ägypten wurden seit der Jahrtausendwende die Besitzverhältnisse in der Wirtschaft völlig neu strukturiert. Die Privatisierungen haben zwar zur Bildung einer neuen Unternehmer- und Finanzelite geführt, deren Macht unaufhörlich wächst. Dem autoritären Mubarak-Regime ist sie aber dennoch hörig (Stephan Roll: "Geld und Macht. Finanzsektorreformen und politische Bedeutungszunahme der Unternehmer- und Finanzelite in Ägypten", Hans Schiler Verlag, November 2010).
Schon in der ersten Reformphase zwischen 1991 und 2003 wurde deutlich, dass die Staatsführung unter Hosni Mubarak bemüht war, eine tatsächliche Entstaatlichung der Finanzintermediation zu vermeiden. Die Forscher sprechen von einem "Reformtheater", das immer dann inszeniert wurde, wenn ein Entzug der internationalen Entwicklungsgelder drohte. Man ergriff nur kurzfristig orientierte Sofortmaßnahmen, langfristig ausgerichtete Strukturreformen wurden hingegen kaum angegangen, weil sie dem Primat der Herrschaftssicherung widersprachen.
So favorisierten die damals noch weitgehend in öffentlicher Hand befindlichen Banken bei der Kreditvergabe nur einige wenige Großunternehmer, die den lediglich oberflächlich betriebenen Strukturanpassungsprozess nutzten, um riesige Unternehmenskonglomerate aufzubauen. Schon Ende der neunziger Jahre konsolidierte sich eine Unternehmer-Kernelite, die aus einer überschaubaren Zahl von Familien besteht und bis heute ihre Vormachtstellung behalten hat. Zwar waren aufgrund wiederholter Wirtschaftskrisen zwischen 2004 und 2008 die Entstaatlichung des Bankensektors und die Öffnung des ägyptischen Kapitalmarkts für ausländische Investoren unumgänglich geworden. Aber Hauptnutznießer dieser Entwicklung waren nicht die in der Zwischenzeit hinzugekommenen neuen einheimischen Wirtschaftsakteure, sondern in erster Linie wieder jene mittlerweile auch international weit wettbewerbsfähigeren Konglomerate der Unternehmer-Elite.
Besonders Letztere scheint von den Maßnahmen gegen die zahlreichen "faulen Kredite" - ein chronisches Problem des Bankensektors im Land, das die ägyptische Regierung 2007 mit Straferlass für Schuldner bei Teilrückzahlung in den Griff zu bekommen versuchte - profitiert zu haben: Anders als im Fall der zahlreichen kleinen und mittelständischen Unternehmer, die von dieser Teiltilgungsoption Gebrauch machten, wurden die wirklich großen notleidenden Kredite, über deren Inhaber und tatsächliche Größe die Regierung Stillschweigen bewahrte, überhaupt nicht zurückgezahlt.
Angewiesen wären die ägyptischen Großunternehmer zu diesem Zeitpunkt zwar auf die staatlichen Kredite nicht gewesen, da sie inzwischen dank der beschleunigten Binnenentwicklung sowie der Internationalisierung des ägyptischen Kapitalmarkts vom Staat immer unabhängiger geworden waren. Doch ihre Unabhängigkeit, so die Beobachtung des Verfassers, habe sie keineswegs zu Gegnern des Regimes werden lassen. Vielmehr habe sie zu einer zunehmenden Verflechtung zwischen ihnen und einflussreichen politischen Entscheidungsträgern geführt.
Zu diesen gehört vor allem der Sohn des Staatspräsidenten, Gamal Mubarak, der sich gleich zu Beginn an die Spitze des wirtschaftlichen Reformprozesses stellte. Der international tätige Investmentbanker wurde schnell zu einer zentralen Scharnierfigur beim Tranfer ausländischen Kapitals nach Ägypten, woraus er und sein Bruder Alaa auch noch ihren persönlichen Gewinn zogen - Kritik daran, einhergehend mit Korruptionsvorwürfen, duldete das Regime nicht. Seit seiner Ernennung 2002 - durch den Vater - zum Chef des Politischen Sekretariats der Regierungspartei NDP hat Gamal Mubarak ebenso die Beziehungen zwischen dieser und den führenden Wirtschaftskreisen des Landes ausgebaut wie über seine Protegés auf die ökonomischen Strukturreformen maßgeblich Einfluss genommen.
Stephan Roll vermutet, dass der Präsidentensohn, sollte er eines Tages tatsächlich seinem Vater im Amt folgen, seine politisch-wirtschaftlichen Netzwerke noch stärker benötigen werde, weil er im Gegensatz zu den bisherigen ägyptischen Staatschefs nicht aus den Reihen des Militärs kommt. Er müsste dann die Interessen seiner Klientel aus der Wirtschaft bedienen, dabei aber beachten, dass aus Verbündeten nicht Rivalen würden. Gelänge dieser Spagat nicht, so Roll, drohe in Ägypten eine "Oligarchisierung" der Wirtschaft und des Herrschaftssystems.
Vater Mubarak, mittlerweile 83 Jahre alt, hat jedenfalls verlauten lassen, er beabsichtige, bei den Präsidentenwahlen Ende nächsten Jahres wieder zu kandidieren. Ob dem Sohn damit mehr Zeit gegeben werden soll, seine Machtbasis weiter zu verbreitern, oder ob Präsident Mubaraks Erklärung lediglich wahlkampftaktisch seiner Partei den Rücken stärken sollte, wurde in Ägypten bis zuletzt heiß diskutiert.
JOSEPH CROITORU
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