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"Es ist schon sehr komisch mit dem Geld", schreibt Gertrude Stein in einem der fünf kurzen Prosatexte, die 1936 in der 'Saturday Evening Post' erstmals veröffentlicht wurden. "Was die Menschen von den Tieren utnerscheidet ist Geld. Alle Tiere haben die gleichen Grefühle und die gleichen Gewohnheiten wie Menschen ... Aber was kein Tier kann ist zählen, und was kein Tier kennt ist Geld."

Produktbeschreibung
"Es ist schon sehr komisch mit dem Geld", schreibt Gertrude Stein in einem der fünf kurzen Prosatexte, die 1936 in der 'Saturday Evening Post' erstmals veröffentlicht wurden. "Was die Menschen von den Tieren utnerscheidet ist Geld. Alle Tiere haben die gleichen Grefühle und die gleichen Gewohnheiten wie Menschen ... Aber was kein Tier kann ist zählen, und was kein Tier kennt ist Geld."
Autorenporträt
Michael Mundhenk geb. 1954 in Berlin, Studium der Architektur, Romanistik und Anglistik, ist der Übersetzer von u.a. Margret Atwood, Allen Ginsberg, Barry Lopez, David Adams Richards.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.03.2005

Verbale Stilleben
Es spukt der Vers: Gertrude Steins "Zarte Knöpfe", neu übersetzt

A propos Einstein-Jahr: Was, außer der zeitlichen Nähe, verbindet die Relativitätstheorie mit Gertrude Steins Sprachexperimenten, als deren Essenz der schlanke, wunderbar unverständliche Band "Tender Buttons" von 1912 gilt? Ein uralter Limerick über die bemerkenswerte Familie Stein beantwortet die Frage bündig ex negativo (und unter Einschluß des Bildhauers Epstein): "There's a notable family named Stein: / There's Gertrude, there's Ep, and there's Ein. / Gert's writing is hazy, / Ep's statues are crazy, / And no one can understand Ein." Es darf vermutet werden, daß Volkes Stimme noch heute so ähnlich spricht - und denkt. Differenzierter sieht es die Lyrikerin Barbara König als neueste Übersetzerin der zugleich harten und zarten Knöpfe und Knospen Steins.

In ihrem geistreich sprachspielerischen Nachwort fragt auch sie nach dem Zusammenhang von "Albert Ein- und Gertrude Stein"; und sie entdeckt eine wesentliche Gemeinsamkeit der beiden in der Aufgabe des privilegierten Standpunktes, von dem aus Zeit und Raum objektiv meßbar erscheinen. Von hier öffnet sich der Blick fast zwangsläufig auf den epochalen Bruch mit der Zentralperspektive, den die Malerei der Moderne zur gleichen Zeit vollzieht. Sind nicht Picasso und seine kubistischen Gefährten im berühmten Pariser Salon der Geschwister Stein aus und ein gegangen? Gerade am traditionell unbewegten Gegenstand der Kunst, am Stilleben, zeigt sich, so König, wieviel neue Bewegung das Medium der Einsicht in die unbeherrschbare Ordnung der Dinge verdankt. Gertrude Steins "Knöpfe / Knospen" erweisen sich, so gesehen, völlig einleuchtend als verbale Stilleben, die ihrem Betrachter seine meditative Versenkung mit frischer Erlebnisfähigkeit lohnen.

Von Horaz bis zu Lessings Einspruch im "Laokoon" galten Malerei und Dichtung als verschwisterte Künste, die mit ihren Mitteln der Farbe und des Wortes Wirklichkeit abbilden. Aparterweise läßt sich Stein gerade bei ihrer Abkehr vom mimetischen Prinzip, also auf dem Weg zur abstrahierenden und multiplen Sicht der Dinge, von der bildenden Kunst anregen. Ihre Prosagedichte zersplittern die Perspektive und zielen auf ebenjene Simultaneität der Erfahrung, die Lessing der Wortkunst abgesprochen hat. Ihrer Entstehung nach sind "Tender Buttons" die Notate einer Spanien-Reise; das Glück sinnlicher Anschauung und Gegenwart blitzt bereits in den Titeln auf: eine Karaffe, bunte Hüte, ein blauer Mantel; dazu viel Eßbares: Orange, Artischocke, Spargel, Fisch. Dazwischen tauchen so merkwürdige Überschriften auf wie Ein Stück Kaffee, Dreck und nicht Kupfer, Ein bißchen von einem Becher. Das Vertraute wird destabilisiert.

Auf Schritt und Tritt strafen die Texte den Anschein von Ordnung Lügen, den ihre Titel und ihre säuberliche Verteilung auf die drei Kategorien Gegenstände - Speisen - Räume vorspiegeln. Ihre Länge schwankt zwischen drei Worten und dreizehn Seiten; die Zeichensetzung beschränkt sich auf Punkt und Komma. Der Bezug zum Titel ist jeweils höchst punktuell und verliert sich meist rasch, denn die Beschreibung des Objektes wird zum subjektiven Assoziationsstrom des Betrachters, der freilich an keiner Stelle selber ins Bild kommt. Rhythmik, Klangechos und Wortspiele dienen statt kausaler und zeitlicher Verknüpfungen als Bindemittel. In ihrer - aus der Sicht der Lebensgefährtin Alice B. Toklas geschriebenen - höchst lesbaren Autobiographie wird die Autorin später erklären, es sei ihr darum gegangen, das Innere der Dinge "wie von außen gesehen" darzustellen. Ein großer, fast anarchischer Freiheitswille spricht aus diesen Texten, die ihre Objekte aus der Verankerung im Logischen und Normalen lösen und in Fluß bringen, um sie im Fließen zu betrachten.

Dabei dreht die Autorin spürbar übermütig am semantischen Kaleidoskop. Eine adamitische, besser: evitische Lust, die Dinge der Welt neu zu benennen, spricht aus ihr: "Ein weißer vogel, ein buntes bergwerk, ein gemischtes orange, ein hund". Diese Aufzählung umkreist, aus einer gewissen Distanz, das Thema "Zucker" ebenso wie die folgende: "Ein wirrwarr, ein riesenwirrwarr, ein schweres würgen . . ." Hier wie auch sonst macht sich Stein sichtlich über den verwirrten Leser lustig und gibt ihm zugleich, mit Bezug auf den Buchtitel, zu verstehen: The teasing is tender, "das albern ist zart"; zärtlich im Umgang mit den Objekten, keineswegs roh aber auch dem Leser gegenüber, dessen Sinnsuche die Autorin so unermüdlich durchkreuzt. Neues Lesen und neues Sehen im Zeichen eines ständigen Gestaltwandels sind angesagt.

Die Worte aus der Knechtschaft von Sinn und Syntax befreien, die Künste vermischen, die alte Logik aushebeln, Simultaneität erzeugen: Das sind lauter Ziele, wie sie die Futuristen um dieselbe Zeit in ganz Europa lautstark verkündeten. Aber wie kammermusikalisch gedämpft sind die Steinschen Töne im Vergleich zu dem futuristischen Gedröhn, wie ironisch verspielt und wieviel radikaler in ihrer Abkehr vom Prinzip der Verständlichkeit! Hier, in diesem surrealen Wunderland des Wider-Sinns, spukt der Geist von Lewis Carrolls Alice, die von der Übersetzerin zu Recht als Schutzpatronin angerufen wird. Beredt preist Barbara Köhler die Freiheit einer Sprache, "die hier einmal nicht vorgeführt wird als beherrschte, dressierte, disziplinierte, als objekt von gewalt und bemächtigung". Dieser Hieb, wir ahnen es, gilt generell dem männlichen Logo-&-Phallo-Zentrismus, und er gilt ausdrücklich dem Joyceschen "Ulysses" ("fast jedes wort ein sorgfältig gedrechseltes babeltürmchen"). Aber wer einmal seinen Joyce neben Steins Endlosroman "The Making of Americans" gelegt hat, weiß, daß Gertrudes Würze eher in der Kürze liegt und daß auch eine gewisse, noch so anspruchsvolle Lesbarkeit nicht unbedingt zu verachten ist.

Wie aber übersetzt man das Unübersetzbare? Zur radikalen Offenheit der "Tender Buttons" trägt die abenteuerliche Bedeutungsvielfalt der englischen Wörter ebenso bei wie die mühelose Konvertierbarkeit der grammatischen Klassen: "das verb substanzt" (Köhler). Vielerlei Wortspiele liegen, nur verschwommen wahrnehmbar, unter der Oberfläche der Wortströmung, und tiefer drunten vermutet man manchmal einen lesbischen Subtext: "rub her coke": ,rubber coat'; versteckt sich darin coker-nut, ein Slang-Ausdruck für die weibliche Brust? Wie dem auch sei - wahre Übersetzung ist die Kunst des Unmöglichen. Anders als die verdienstvolle ältere Übertragung von Marie-Anne Stiebel tritt die neue, endlich zweisprachige Fassung mit Elan die Flucht nach vorne an: "Reib ihrn koks. Rubbel ihr kicks". Die Sinn-Freiheit der Vorlage beflügelt Köhlers sprachschöpferisches Talent; zum Ausgleich für soviel Unübertragbares hat sie ihren Text durch eine Fülle von Wort- und Klangspielen bereichert: "wähl das rechte ringsherum, stell die resonanz in rechnung, kräusle jeden kragen grün" oder: "Es gibt kein entzicken keine mathematücken". Sie scheut sich nicht, einen Begriff durch zwei wiederzugeben, wo sie Mehrdeutigkeit vermutet: A plain: Eben ebne; an eye: aug und öhr.

Stellenweise lesen sich Barbara Köhlers "Knöpfe" nicht nur lustiger als das Original, sondern auch vertrackter. So lautet ihr deutscher Titel, weit paradoxer noch als der englische, "Zarte knöpft", da "buttons" theoretisch auch eine Verbform sein könnte. Über den Sinngewinn mag mancher Leser lange rätseln. Die Überschrift des ersten Stücks "A Carafe, that is a Blind Glass", die man als verkappte Poetik des Ganzen lesen darf, erscheint als "Eine Karaffe, die ein Widerspiegel ist". Im englischen Titel klingt mit großer Wahrscheinlichkeit die Absage an das alte mimetische oder widerspiegelnde Prinzip der Kunst an; Köhles Fassung hebt diese Pointe auf, es sei denn, man liest Widerspiegel als Anti-Spiegel. Das wäre Gertrude Stein in der Potenz, der Widersinn und seine Aufhebung in einem. Mit Stein/Köhler zu sprechen: "Entfalten ist der unterschied, differenz sprüht." Oder: "Was wäre die sprache die jeder kerl kapiert."

Als leichtverdaulicher Nachtisch zum Lese-Futter der "Knöpfe" sei ein neues Heft der schönen Friedenauer Presse-Drucke empfohlen, das Steins kurze, gemeinverständliche Essays über das liebe Geld versammelt. Sie, die Geldsorgen nur vom Hörensagen kannte, macht sich hier einigermaßen frivole Gedanken über die Berufsarbeitslosen und über den Sozialismus ("Es ist leicht die Reichen loszuwerden aber es ist nicht leicht die Armen loszuwerden") und erhofft für unser 21. Jahrhundert, wenn die unberührte Natur verbraucht und jeder überall gewesen sei, eine Rückkehr zum individuellen Leben. Die Botschaft eignet sich als Fußnote zum Thema Avantgarde und Utopie.

Gertrude Stein: "Zarte knöpft". Englisch/deutsch. Übertragung und Essay von Barbara Köhler. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004. 156 S., geb., 19,80 [Euro].

Gertrude Stein: "Geld". Aus dem Amerikanischen übersetzt von Michael Mundhenk. Mit Magischen Quadraten geliefert von Friedrich Meckseper. Friedenauer Presse, Berlin 2004. 24 S., br., 9,50 [Euro].

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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.04.2005

Ist Geld Geld?
Gertrude Stein hat einige Anmerkungen zu unserer Politik
Jetzt ist es raus: Clement hat gesagt, dass der Arbeitsmarkt in einem bedrückenden Zustand sei und dass die Erwerbslosenzahlen noch weiter steigen werden - und endlich glauben wir der Regierung wieder etwas von dem, was sie verlautbart. Wohnt allem Scheitern also doch ein neuer Anfang inne? Das Scheitern haben wir schließlich gelernt: die sozialverträglich Abgebauten, die Sockelarbeitslosen und vor allem die Start ups, die in den 90er Jahren schon mal geübt haben, was die Ich-AGler im neuen Jahrtausend nachmachen dürfen.
Ideen sind gut, gerade auch in der Politik, aber leider sind es oft nur „Minusvisionen” wie bei den jungen unternehmerischen Gewährsleuten von Ingo Niermann - ein wackeliger Halt für den, der daran glaubt, dass alles möglich ist, der aber nur ungenaue Vorstellungen davon hat, wie man das, was einem im Kopf herum spukt, auch anderen Menschen plausibel machen kann. Da geht es Clement nicht viel anders. Eigentlich ein Fall für die Literatur, die immer schon das Scheitern in Schönheit für interessanter befunden hat als das Glück des Gelingens.
Wenn ein Familienvater Tag für Tag seinen Angehörigen Bitten um ein bisschen Geld abschlagen muss, dann weiß er genau, was Geld ist, hat Gertrude Stein vor sehr langer Zeit, nämlich 1936 mitten hinein in die New Deal-Ära geschrieben, und hinzugefügt, dass diejenigen, die etwa als Politiker Geld nur in runden Summen verwalten, das meistens nicht so präzise wissen. Und siehe da - sie hatte Recht: Ein paar Zehntausend gescheiterte Ich-AGs, mehr als Hunderttausend Arbeitslosengeld II-Empfänger, deren Kontonummern falsch programmiert worden sind - das sind derzeit die genauen Zahlen, die nicht so aussehen wollen, wie die runden Ziffern der Reformatoren, die uns noch vor kurzem prognostiziert worden sind. Wir tragen es mit Fassung, denn wie gesagt: Clement ist jetzt einer von uns, und das eint die Republik im Elend der Welt.
„Ist Geld nun Geld oder ist Geld nun nicht Geld” hat Gertrude Stein in den drei Briefen gefragt, die sie 1936 in der Saturday Evening Post zu dieser Frage veröffentlicht hat - und damit diese unterschiedlichen Grundrechenarten nebst ihrer rhetorischen Einkleidungen spielerisch zerschrotet. Und heute wissen wir die Antwort darauf: „Geld ist Geld”, wenn Clement und wir keins mehr haben; aber „Geld ist nicht Geld”, wenn die Deutsche Bank den Hals nicht voll genug kriegen kann.
MICHAEL SCHMITT
GERTRUDE STEIN: Geld. Aus dem Amerikanischen von Michael Mundhenk. Friedenauer Presse, Berlin 2004. 24 Seiten, 5 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Auch wenn es knapp 70 Jahre her ist, dass Gertrude Stein diese fünf kurzen Zeitungsartikel zum Thema Geld verfasst hat: Der Rezensent mit dem Kürzel "mtt" ist beeindruckt von der Aktualität der Texte, die seiner Meinung nach als "ausgezeichnetes Antidepressivum für alle fußkranken Mitläufer der vielbeschworenen Globalisierung" funktionieren. Auch wenn eine kritische Sicht von Geld dominiert, fügt sich Steins Sicht der Dinge nicht in bestehende Ideologien ein. Sie ist "weder sozialdemokratisch noch neoliberal, sondern vor allem frech und respektlos". Auch stilistisch gefallen Steins Texte dem Rezensenten: Sie wirken beiläufig und sind doch "ganz genau zurechtgeschliffen".

© Perlentaucher Medien GmbH