Produktdetails
- Verlag: Edition Rugerup
- Seitenzahl: 304
- Erscheinungstermin: 30. November 2009
- Deutsch
- Abmessung: 210mm
- Gewicht: 472g
- ISBN-13: 9789189034211
- ISBN-10: 918903421X
- Artikelnr.: 27700430
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.02.2010Errötende Landschaften
Gedichte bilden nicht ab, sie erzeugen vielmehr die Wirklichkeit: Dorothea Grünzweig übersetzt Gerard Manley Hopkins und führt in das Werk des Engländers ein, der zu den eigensinnigsten Poeten des neunzehnten Jahrhunderts zählt.
Wie soll man einen Dichter beschreiben, der den Beschreibungsvorgang selbst immer wieder zum Thema seiner Gedichte gemacht hat? Und noch schlimmer: wie einen übersetzen, dem die Sprache so flüssig wie die Phänomene flüchtig waren? Es kommt hinzu, dass wir Gerard Manley Hopkins (1844 bis 1889) literaturgeschichtlich nur schwer einordnen können. Er war weder Viktorianer noch Romantiker oder Modernist. Er ist in seiner Haltung mit Hölderlin zu vergleichen, in seinem lyrischen Wagemut jedoch auch mit Dadaisten und Imagisten. Nicht nur in der Literatur, auch in seiner Zeit stand er quer: Mit 22 Jahren konvertierte er zum Katholizismus, zwei Jahre später, 1868, entschied er sich, Geistlicher zu werden, und schloss sich den Jesuiten an. Seine Gedichte verbrannte er und gab für die nächsten Jahre das Schreiben auf.
Im Jahr 1874 jedoch regte ihn der Rektor seines Colleges an, doch einmal ein Gedicht über ein Schiffsunglück zu schreiben. Auf dem Weg nach Amerika war die "Deutschland" in einer Dezembernacht vor der Küste Kents gesunken. Unter den 57 Toten waren fünf Franziskaner-Nonnen aus Salzkotten, die Deutschland wegen der Religionsbeschränkungen durch Bismarck verlassen wollten. Bei Hopkins führte der Schiffbruch zu einem poetischen Durchbruch. "The Wreck of the Deutschland" ist eines seiner bekanntesten Gedichte geworden, ein schmerzensvoller Dialog mit Gott und Christus, mit den Elementen und dem "Gezeitenmeister", und vor allem mit sich selbst, einem Selbst, das im fernen, pastoralen Wales unter einem Dach geschützt sitzt. In einem frühen Gedicht sprach er noch von dem Himmelshafen, den die Nonne sucht, wo alles zahm ist, fern von "des Meeres Beben". Vielleicht erkannte er in der Niederschrift über den Schiffbruch, dass Religion kein Schutzmantel war.
Die Rückkehr zur Poesie hatte auch einen theologischen Grund. Hopkins beschäftigte sich damals mit dem mittelalterlichen Philosophen Duns Scotus, für den das konkrete Ding mit seinem besonderen Sosein Zugang zum Göttlichen bedeutete. Die Hinwendung zur Natur und ihren Phänomenen war demnach ein richtiger Weg, und Hopkins beschloss, ihn zu beschreiten.
Erst 1918, rund dreißig Jahre nach Hopkins' Tod, brachte sein Freund Robert Bridges, der spätere Poet Laureate, eine Sammlung heraus. So konnte er auch auf den längst entstandenen Modernismus kaum noch wirken, immer segelte er am Wind der Zeit vorbei: War der im selben Jahr wie Nietzsche Geborene spätromantisch, präraffaelitisch, symbolistisch, imagistisch? Seine Gedichte sind nicht nur eine Herausforderung für die Übersetzer, sie sind so opak, schwirrend und echohaltig verwirrend, dass es sogar Übersetzungen in die englische Normalsprache gibt.
Nicht in jedem Fall dürften Lyriker die besseren Übersetzer von Lyrik sein, aber bei Hopkins muss man davon ausgehen. Kein Zufall, dass der Lyriker Peter Waterhouse vor einigen Jahren die Tagebücher übersetzt hat - auch sie enthalten schwierigste poetische Naturskizzen zuhauf. Dorothea Grünzweig ist Lyrikerin, lebt in Finnland und hat sich seit ihrem Anglistik-Studium mit Hopkins auseinandergesetzt. Ein Umweg über die Beschäftigung mit finnisch-uigurischen Sprachen und die Zusammenarbeit mit einer britisch-finnischen Germanistin führte zu ihren eigenen Übersetzungsversuchen. Übersetzer aber sind nicht nur dem Text ausgesetzt, sie müssen auch vergleichen, wie andere Fährschiffe die Überfahrt über den reißenden Fluss geschafft haben. Doch die alten Fährschiffe taugen bei den heutigen Strömungen nicht mehr, zumal das Bildungsufer viel flacher geworden ist. So wurde die Hopkins-Übersetzung von Kemp und Clemen von 1954 für Grünzweig dauernde Stimulation und Herausforderung. Man kann in ihrer Übersetzung eine Art Trialog hören zwischen Hopkins, ihr und anderen deutschen Übersetzern. Wie Hopkins alte Wörter wiederbelebt, so erinnert uns die Übersetzerin an einen vergessenen Wortschatz in der eigenen Sprache: Erde hudert, Gelitz, dätschig, Zockelholz. Oder sie lässt sich von Hopkins' Erfindungen anregen und dichtet der deutschen Sprache neue Verben hinzu: vatern, kindern, muttern, inseln. Mehrfach setzt Grünzweig zu einem Verständnis dieses exzentrischen Dichters an und diskutiert Varianten in den Anmerkungen. All das sind Annäherungen an eine Sprache, die sich religiösen Impulsen verdankt, selbst wenn diese politisch, patriotisch oder erotisch gefärbt sind. Hopkins' Ergriffenheit vor der Schönheit der Dinge und Menschen sucht stammelnd nach Worten, man möchte von einer lallenden Präzision sprechen, einem kindlichen Sprechen mit den Werkzeugen der Erwachsenen.
Erst wenn Sprachen zu hallen und lallen beginnen, werden einem die Verwandtschaften klar. Einer seiner deutschen Bewunderer, der Naturlyriker Wilhelm Lehmann, sprach vom Fest der Sinne bei Hopkins, der immer neu zu erobernden Identität von Gedanke und Empfindung. Identität ist nur als Verwandlung erlebbar. Für diese dynamische Einheit fand Hopkins die kaum übersetzbaren Begriffe von "inscape" und "instress" - Grünzweig übersetzt sie einmal als "Ingefüge" und "Inwirkung", ein andermal als "Einschaft" und "Einkraft". Es geht um eine Energie, die Identität bildet, und um deren Übertragung auf den Betrachter, und diese Prozesse teilt die Dichtung mit der Natur. Hopkins erneuerte die romantische Lyrik durch Rückgriffe auf die Akzentverteilung des Altenglischen, aber auch durch eine musikalische Lenkung von Sprache. Gedichte bilden hier nicht mehr ab, sie sollen geradezu Wirklichkeit erzeugen. So sind wir bei Hopkins Zeugen von unaufhörlichen Schöpfungsprozessen.
Auf dem Umschlag des Bandes zeigt eine Zeichnung von Hopkins ein Kind, das von einer Brücke aus einen Wasserfall betrachtet. Zwischen uns und diesem Kind ist ein Abgrund, so wie zwischen Original und Übersetzung; aber der Abgrund ist eine Zeichnung. Grünzweigs neue, insgesamt sehr überzeugende Übersetzung wird begleitet von einem Hörbuch, das den wunderbaren Titel "Auf dem Rückflug zur Erde" trägt. Gedichte Hopkins' werden auf Deutsch und Englisch vorgetragen, eingeschoben sind Ausschnitte aus einem Vortrag der Übersetzerin, und begleitet wird diese erhellende Mischung von Cembalosuiten Henry Purcells, den Hopkins so sehr bewunderte, dass er ihm ein Gedicht widmete. Die letzte Zeile dieses Gedichtes kann man getrost auf sein eigenes Werk anwenden: "Errötet alle Landschaft jählings bei dem Klang."
ELMAR SCHENKEL
Gerard Manley Hopkins: "Geliebtes Kind der Sprache". Gedichte. Übertragen und kommentiert von Dorothea Grünzweig. Edition Rugerup, Hörby 2009. 299 S., geb., 29,90 [Euro].
Gerard Manley Hopkins: "Auf dem Rückflug zur Erde". Eine Einführung in sein poetisches Werk. Englische Lesung von George J. Low, deutsche Übertragungen von Helmut Becker. Übersetzung und Vortrag von Dorothea Grünzweig. Inigo Medien, München 2009. 1 CD mit Begleitheft, 72,42 Min. 14,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gedichte bilden nicht ab, sie erzeugen vielmehr die Wirklichkeit: Dorothea Grünzweig übersetzt Gerard Manley Hopkins und führt in das Werk des Engländers ein, der zu den eigensinnigsten Poeten des neunzehnten Jahrhunderts zählt.
Wie soll man einen Dichter beschreiben, der den Beschreibungsvorgang selbst immer wieder zum Thema seiner Gedichte gemacht hat? Und noch schlimmer: wie einen übersetzen, dem die Sprache so flüssig wie die Phänomene flüchtig waren? Es kommt hinzu, dass wir Gerard Manley Hopkins (1844 bis 1889) literaturgeschichtlich nur schwer einordnen können. Er war weder Viktorianer noch Romantiker oder Modernist. Er ist in seiner Haltung mit Hölderlin zu vergleichen, in seinem lyrischen Wagemut jedoch auch mit Dadaisten und Imagisten. Nicht nur in der Literatur, auch in seiner Zeit stand er quer: Mit 22 Jahren konvertierte er zum Katholizismus, zwei Jahre später, 1868, entschied er sich, Geistlicher zu werden, und schloss sich den Jesuiten an. Seine Gedichte verbrannte er und gab für die nächsten Jahre das Schreiben auf.
Im Jahr 1874 jedoch regte ihn der Rektor seines Colleges an, doch einmal ein Gedicht über ein Schiffsunglück zu schreiben. Auf dem Weg nach Amerika war die "Deutschland" in einer Dezembernacht vor der Küste Kents gesunken. Unter den 57 Toten waren fünf Franziskaner-Nonnen aus Salzkotten, die Deutschland wegen der Religionsbeschränkungen durch Bismarck verlassen wollten. Bei Hopkins führte der Schiffbruch zu einem poetischen Durchbruch. "The Wreck of the Deutschland" ist eines seiner bekanntesten Gedichte geworden, ein schmerzensvoller Dialog mit Gott und Christus, mit den Elementen und dem "Gezeitenmeister", und vor allem mit sich selbst, einem Selbst, das im fernen, pastoralen Wales unter einem Dach geschützt sitzt. In einem frühen Gedicht sprach er noch von dem Himmelshafen, den die Nonne sucht, wo alles zahm ist, fern von "des Meeres Beben". Vielleicht erkannte er in der Niederschrift über den Schiffbruch, dass Religion kein Schutzmantel war.
Die Rückkehr zur Poesie hatte auch einen theologischen Grund. Hopkins beschäftigte sich damals mit dem mittelalterlichen Philosophen Duns Scotus, für den das konkrete Ding mit seinem besonderen Sosein Zugang zum Göttlichen bedeutete. Die Hinwendung zur Natur und ihren Phänomenen war demnach ein richtiger Weg, und Hopkins beschloss, ihn zu beschreiten.
Erst 1918, rund dreißig Jahre nach Hopkins' Tod, brachte sein Freund Robert Bridges, der spätere Poet Laureate, eine Sammlung heraus. So konnte er auch auf den längst entstandenen Modernismus kaum noch wirken, immer segelte er am Wind der Zeit vorbei: War der im selben Jahr wie Nietzsche Geborene spätromantisch, präraffaelitisch, symbolistisch, imagistisch? Seine Gedichte sind nicht nur eine Herausforderung für die Übersetzer, sie sind so opak, schwirrend und echohaltig verwirrend, dass es sogar Übersetzungen in die englische Normalsprache gibt.
Nicht in jedem Fall dürften Lyriker die besseren Übersetzer von Lyrik sein, aber bei Hopkins muss man davon ausgehen. Kein Zufall, dass der Lyriker Peter Waterhouse vor einigen Jahren die Tagebücher übersetzt hat - auch sie enthalten schwierigste poetische Naturskizzen zuhauf. Dorothea Grünzweig ist Lyrikerin, lebt in Finnland und hat sich seit ihrem Anglistik-Studium mit Hopkins auseinandergesetzt. Ein Umweg über die Beschäftigung mit finnisch-uigurischen Sprachen und die Zusammenarbeit mit einer britisch-finnischen Germanistin führte zu ihren eigenen Übersetzungsversuchen. Übersetzer aber sind nicht nur dem Text ausgesetzt, sie müssen auch vergleichen, wie andere Fährschiffe die Überfahrt über den reißenden Fluss geschafft haben. Doch die alten Fährschiffe taugen bei den heutigen Strömungen nicht mehr, zumal das Bildungsufer viel flacher geworden ist. So wurde die Hopkins-Übersetzung von Kemp und Clemen von 1954 für Grünzweig dauernde Stimulation und Herausforderung. Man kann in ihrer Übersetzung eine Art Trialog hören zwischen Hopkins, ihr und anderen deutschen Übersetzern. Wie Hopkins alte Wörter wiederbelebt, so erinnert uns die Übersetzerin an einen vergessenen Wortschatz in der eigenen Sprache: Erde hudert, Gelitz, dätschig, Zockelholz. Oder sie lässt sich von Hopkins' Erfindungen anregen und dichtet der deutschen Sprache neue Verben hinzu: vatern, kindern, muttern, inseln. Mehrfach setzt Grünzweig zu einem Verständnis dieses exzentrischen Dichters an und diskutiert Varianten in den Anmerkungen. All das sind Annäherungen an eine Sprache, die sich religiösen Impulsen verdankt, selbst wenn diese politisch, patriotisch oder erotisch gefärbt sind. Hopkins' Ergriffenheit vor der Schönheit der Dinge und Menschen sucht stammelnd nach Worten, man möchte von einer lallenden Präzision sprechen, einem kindlichen Sprechen mit den Werkzeugen der Erwachsenen.
Erst wenn Sprachen zu hallen und lallen beginnen, werden einem die Verwandtschaften klar. Einer seiner deutschen Bewunderer, der Naturlyriker Wilhelm Lehmann, sprach vom Fest der Sinne bei Hopkins, der immer neu zu erobernden Identität von Gedanke und Empfindung. Identität ist nur als Verwandlung erlebbar. Für diese dynamische Einheit fand Hopkins die kaum übersetzbaren Begriffe von "inscape" und "instress" - Grünzweig übersetzt sie einmal als "Ingefüge" und "Inwirkung", ein andermal als "Einschaft" und "Einkraft". Es geht um eine Energie, die Identität bildet, und um deren Übertragung auf den Betrachter, und diese Prozesse teilt die Dichtung mit der Natur. Hopkins erneuerte die romantische Lyrik durch Rückgriffe auf die Akzentverteilung des Altenglischen, aber auch durch eine musikalische Lenkung von Sprache. Gedichte bilden hier nicht mehr ab, sie sollen geradezu Wirklichkeit erzeugen. So sind wir bei Hopkins Zeugen von unaufhörlichen Schöpfungsprozessen.
Auf dem Umschlag des Bandes zeigt eine Zeichnung von Hopkins ein Kind, das von einer Brücke aus einen Wasserfall betrachtet. Zwischen uns und diesem Kind ist ein Abgrund, so wie zwischen Original und Übersetzung; aber der Abgrund ist eine Zeichnung. Grünzweigs neue, insgesamt sehr überzeugende Übersetzung wird begleitet von einem Hörbuch, das den wunderbaren Titel "Auf dem Rückflug zur Erde" trägt. Gedichte Hopkins' werden auf Deutsch und Englisch vorgetragen, eingeschoben sind Ausschnitte aus einem Vortrag der Übersetzerin, und begleitet wird diese erhellende Mischung von Cembalosuiten Henry Purcells, den Hopkins so sehr bewunderte, dass er ihm ein Gedicht widmete. Die letzte Zeile dieses Gedichtes kann man getrost auf sein eigenes Werk anwenden: "Errötet alle Landschaft jählings bei dem Klang."
ELMAR SCHENKEL
Gerard Manley Hopkins: "Geliebtes Kind der Sprache". Gedichte. Übertragen und kommentiert von Dorothea Grünzweig. Edition Rugerup, Hörby 2009. 299 S., geb., 29,90 [Euro].
Gerard Manley Hopkins: "Auf dem Rückflug zur Erde". Eine Einführung in sein poetisches Werk. Englische Lesung von George J. Low, deutsche Übertragungen von Helmut Becker. Übersetzung und Vortrag von Dorothea Grünzweig. Inigo Medien, München 2009. 1 CD mit Begleitheft, 72,42 Min. 14,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Als notorisch schwer verständlich und darum auch als notorisch schwer zu übersetzen gelten die Gedichte des jesuitischen Autors und Priesters Gerard Manley Hopkins. Mancher Übertragungsversuch wurde unternommen, am umfangreichsten und bislang, wie der Rezensent Jürgen Brocan (selbst ein Übersetzer) findet, auch am gelungensten von Ursula Clemen und Friedhelm Kemp vor mehr als fünfzig Jahren. Die neuen Übersetzungen von Dorothea Grünzweig jedoch übertreffen, so Brocan, die vorherigen, und zwar - er demonstriert es am Beispiel -, weil sie trotz kleinerer Freiheiten den Eigenwilligkeiten des Originals poetisch am nächsten bleiben. Heraus gekommen sei so ein "Meilenstein" für die deutsche "Hopkins-Rezeption", durch Anmerkungen, Essays und eine Hörbuch-Version perfekt ergänzt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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