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Die Schriftstellerinnen Vita Sackville-West und Virginia Woolf führten fast zwanzig Jahre lang, bis zum Freitod Virginias, 1941, einen intensiven Briefwechsel. Er spiegelt eine spannungsreiche, für beide prägende Beziehung und kommentiert zudem gesellschaftliche Ereignisse und Begegnungen mit Zeitgenossen. Vitas Briefe erscheinen hier zum erstenmal in deutscher Übersetzung; wo nötig, sind ihnen Virginias Antworten beigegeben.

Produktbeschreibung
Die Schriftstellerinnen Vita Sackville-West und Virginia Woolf führten fast zwanzig Jahre lang, bis zum Freitod Virginias, 1941, einen intensiven Briefwechsel. Er spiegelt eine spannungsreiche, für beide prägende Beziehung und kommentiert zudem gesellschaftliche Ereignisse und Begegnungen mit Zeitgenossen. Vitas Briefe erscheinen hier zum erstenmal in deutscher Übersetzung; wo nötig, sind ihnen Virginias Antworten beigegeben.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.10.1995

Mit tiefroter Schleife
Vita Sackville-Wests Briefe an Virginia Woolf Von Walther Killy

Vita Sackville-West, die spätere Lady Nicolson, wurde 1892 in Knole, dem Haus ihrer Väter, geboren. Freilich kann man das der altadligen Familie gehörende Anwesen kaum ein Haus nennen: Es war ein vielhundertjähriger Komplex, ein Schloß mit 365 Räumen, einem für jeden Tag des Jahres. Virginia Woolf, Vitas berühmte Freundin, hat ihr die alle Historie kühn überspielende "Biographie" Orlando gewidmet, in dessen vom Mann zur Frau sich wandelnder Gestalt nicht nur Vita, sondern auch Knole denkwürdig werden: "Es sah mehr aus wie eine Stadt als ein Haus, aber eine Stadt, nicht hierhin oder dorthin gebaut, wie es dieser Mann wollte oder jener, sondern umsichtig von einem einzigen Architekten mit einer Idee im Kopf. Höfe und Gebäude, grau, rot, rötlichblau, lagen ordentlich und symmetrisch, manche Höfe waren rechteckig, manche quadratisch . . ., manche Bauten waren niedrig, manche zielten hoch; hier war eine Kapelle; dort ein Glockenturm; die grünsten Flächen Rasens lagen dazwischen."

Es ist nötig, an diese Herkunft zu erinnern, die für Vita bestimmend war. Sie war eine große Erscheinung, mit den dunklen Augen ihrer spanischen Großmutter, gern in Männerkleidern auftretend, einen Anflug eines Bartes auf der Oberlippe, überaus aristokratisch. Virginia schildert sie im Jahre 1927: "Denn da war Vita, sehr eindrucksvoll; wie ein Weidenbaum, auf den langen weißen Beinen mit einer tiefroten Schleife; aber ziemlich unbehaglich, sogar gezwungen, beim Essen ihre Strümpfe herunterzuziehen und ihre Beine mit Öl einzureiben, wegen der Mücken - das mag ich an den Aristokraten. Ich mag die Beine; ich mag die Stiche, ich mag die völlige Arroganz und Irrealität ihres Sinns. Auch hat sie ein Herz von Gold und einen Verstand, der, wenn auch langsam, zähe arbeitet; und hat ihre erleuchteten Momente."

Vitas Ehe mit dem Diplomaten Harold Nicolson war ein auf wechselseitigen Respekt gegründetes, gewissenhaft unterhaltenes Kunstwerk, der Sohn Nigel Nicolson hat es beschrieben. Beide waren literarisch produktiv, Vita mit wachsendem Erfolg; beide waren erotisch außerhalb der Ehe orientiert, beide am eigenen Geschlecht. Die Briefe der Violet Trefuris (siehe F.A.Z. vom 1. Juni 1993) sind ein feuriges Zeugnis dieser Neigung und die jetzt in deutscher Sprache vorgelegten Briefe Vitas an Virginia Woolf nicht minder.

Freilich herrscht in ihnen ein durchaus anderes Klima. Tägliches Erleben wird erzählt, lebhaft und farbig. Als Harold Nicolson an die britische Botschaft in Teheran versetzt wird, gehen bunte Schilderungen von Land und Leuten an die verehrte und geliebte Virginia, auch kritische Blicke auf diplomatisches Leben. Die kritische Vita ist unersättlich, wenn es um Wahrnehmung von Wirklichkeit geht, und sie läßt Virginia, die liebste Adressatin, daran teilnehmen. So etwa im Januar 1927, wenn sie Virginia ausführlich von einer Reise nach Persien berichtet.

Vitas erotische Bedürfnisse waren grenzenlos. "Ich mag Frauen lieber als Männer, sogar platonisch", schrieb sie an Virginia am 8. April 1926 aus Teheran. Nach der ersten Begegnung mit Virginia hatte diese in ihrem Tagebuch am 21. Dezember 1925 notiert: "Diese Lesben (englisch damals: sapphists) lieben Frauen, Freundschaft ist niemals frei von Verliebtheit." Aber sie fuhr fort: "Ich mag sie und das Zusammensein mit ihr und den Glanz - sie verbreitet ein Strahlen von brennenden Kerzen, wenn sie beim Krämer von Sevenoaks daherschreitet auf Beinen wie Buchen, rotglühend, klunker- und perlenbehangen. Das ist das Geheimnis ihres Zaubers, vermute ich . . . Was ist die Wirkung von alldem auf mich? Sehr gemischt. Da ist ihre Reife und Vollbusigkeit: wie sie so mit vollen Segeln auf hoher See kreuzt, während ich auf Nebengewässern dahindümpele . . . Kurzum, sie ist (was ich nie gewesen bin) eine richtige Frau. Dann hat sie eine gewisse Sinnlichkeit an sich; die Trauben sind reif; und sie reflektiert kaum. Nein, was Verstand und Scharfblick betrifft, ist sie nicht in dem Maße organisiert wie ich. Aber dessen ist sie sich auch bewußt . . ."

In seine so vornehm-verständige wie unterrichtende Einleitung hat der Mitherausgeber des Buches, Mitchell A. Leaska, eine Äußerung Vitas aufgenommen, die auf Besorgnisse ihres Mannes antwortet. "Ich liebe Virginia - und wer täte das nicht?" (Im folgenden erlaubt sich der Rezensent, mit einer eigenen von der gedruckten Übersetzung abzuweichen.) "Aber wirklich, mein Liebster, Virginia zu lieben ist etwas ganz anderes, etwas im Kopf, etwas Geistiges, wenn Du willst, etwas Intellektuelles, und sie erregt ein Gefühl von Zartheit, das, so glaube ich, von ihrer merkwürdigen Mischung aus Härte und Weichheit kommt - der Härte ihres Verstandes und der Angst, wieder wahnsinnig zu werden. So fühle ich mich schutzgewährend. Überdies liebt sie mich, was mir schmeichelt und mich freut... Ich habe eine tödliche Angst, körperliche Gefühle bei ihr zu erregen, eben wegen des Wahnsinns . . . es ist ein Feuer, mit dem ich nicht spielen mag. Ich habe zuviel Achtung und Respekt vor ihr . . . Ich war mit ihr im Bett (zweimal), aber das ist alles. Nun weißt Du alles, hoffentlich habe ich Dich nicht schockiert."

Diese Enthaltsamkeit Vitas, ein Zeugnis liebevoller Urteilskraft, beeinträchtigt die wechselseitige Zuneigung nicht, die ein Grundton dieser Briefe ist. Sie drückt sich schon in den Anreden aus: "My Darling Virginia - liebste Kreatur" (ein viel kräftigeres Wort als die zum Buchtitel gemachte Fassung Geliebtes Wesen); "Meine geliebte Virginia - Liebste Vita - Mein lieber Honig - liebster Honig". Dazu kommen Übernamen, "Insekt" für Vita, "Potto" für Virginia, "Delphin" wiederum für Vita, "ein lebhaftes Geschöpf, das lustige Luftsprünge macht", wie Virginia nicht ohne den lateinischen Namen Delphinius delphis anmerkt, wobei die Luftsprünge im weiteren Verlauf Kürzel für Vitas Seitensprünge werden. Am 5. Dezember 1924 schreibt Virginia: "Soll ich am Samstag über Nacht bleiben? . . . Würdest Du, wenn ich Dich anriefe und fragte, sagen, daß Du mich gern hast? Wenn ich Dich träfe, würdest Du mich küssen? Wenn ich im Bett wäre, würdest Du -." Die Antwort: "Wenn Du kommen kannst, sollen all Deine Fragen positiv beantwortet werden." Kein Wunder, daß die Mitwelt zu reden begann; Clive Bell wollte von Vita wissen, ob sie schon mit seiner Schwägerin Virginia im Bett gewesen sei; wenn nicht, ob es in naher Zukunft geschehen werde.

Solch unziemliche Neugier verkannte gänzlich, daß die Beziehung dieser beiden Frauen noch auf ganz anderen Gemeinsamkeiten beruhte: beide schreibend tätig, Virginia bereits anerkannt, kluge Mitarbeiterin ihres Mannes und sorglichen Gefährten Leonard Woolf. Seine Hogarth Press hatte sich als führender Verlag der englischen Moderne etabliert und führte - außer Virginia und T. S. Eliot - Rilke, Freud und Svevo unter seinen Autoren. Er sollte auch die meisten Bücher Vitas verlegen. Denn Vitas Ehrgeiz ging auf Schriftstellerei und Erzählkunst. Sie war von zähem Fleiß, demselben, der sie später den Garten des halbverfallenen, von Nicolson erworbenen Schlosses Sirringhurst zu einem Juwel englischer Gartenkunst machen ließ. Ihr kühler Blick auf menschliche, nicht zuletzt auf Liebesverhältnisse bewährte sich auch in ihren Erzählungen - man lese nur "The Edwardians" oder "All Passion spent". So nimmt es nicht wunder, daß Lektüre und Schreiben in den Briefen eine bedeutsame Rolle spielen - schon ein Blick auf das Namensregister macht das deutlich: Byron und Keats, Aphra Behn und die Brontës, Fielding und Hardy, Rilke und Gide werden zum Thema.

Bedauerlich ist, daß die in der Originalausgabe auf kluge Weise eingestreuten Stellen aus Virginia Woolfs Briefen verkürzt oder weggelassen wurden. So wird der Leser um das Gespräch gebracht, das zu jedem Briefwechsel gehört und in dem Virginias Meinung eine dominante Rolle spielt, so etwa, wenn sie Vita am 16. März 1926 nach Persien schreibt: "Was das mot juste betrifft, so bist Du ganz im Irrtum. Stil ist eine sehr einfache Sache, er ist ganz Rhythmus. Sobald Du den hast, kannst Du keine falschen Worte gebrauchen. Aber andererseits sitze ich hier den halben Morgen, übervoll mit Ideen und Erscheinungen und so fort, und kann sie nicht losbringen, weil der rechte Rhythmus fehlt. Nun, das, was Rhythmus ist, ist sehr tief (profound) und geht viel tiefer als Worte. Ein Anblick, eine Gemütsbewegung bringt diese Woge im Kopf hervor, lange ehe er Worte macht, die dazu passen; und beim Schreiben - das ist gegenwärtig meine Meinung - muß man dies wieder einfangen und zur Wirkung bringen (was scheinbar mit Worten nichts zu tun hat), und dann, wenn es im Kopf sich bricht und wälzt, macht es Worte, die passen."

Die Übersetzung ist insgesamt brauchbar, aber keineswegs frei von Fehlern: "Dotti sagt, daß sie einen guten Charakter für mich abgeben wird." Dotti will aber nicht so sinnloses Deutsch reden, sondern ein gutes Zeugnis ausstellen. Schlimmer ist eine Stelle, die vom Empfang am persischen Hof erzählt. Anwesend ist "ein Haufen Engländer von der Kolonie." ("A dollop of English colony".) Die groteske Lesart im deutschen Text: "ein Klotz von einem englischen Oberst" - eine Verwechslung von colony und Colonel. Genug davon, es gäbe mehr. Man sollte dem Verlag ein Lektorat wünschen, das solche Mängel bemerkt.

Vita Sackville-West/Virginia Woolf: "Geliebtes Wesen . . ." Briefe. Aus dem Englischen übersetzt von Sybill und Dirk Vanderbeke. Herausgegeben von Louise DeSalvo und Mitchell A. Leaska. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1995. 400S., Abb., geb., 58,- DM.

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