Dystopien für junge Leser gibt es inzwischen wie Sand am Meer. Deswegen ist meine erste Frage immer: bietet dieses Buch etwas Neues, noch nie Dagewesenes? Hier kam ich zu der Antwort: ja, absolut, denn die Autorin hat ihre ganz eigene Vision der Zukunft zum Leben erweckt und viele originelle Ideen
mit eingebracht.
In der Welt von "Gelöscht" werden jugendliche Schwerverbrecher - vor allem…mehrDystopien für junge Leser gibt es inzwischen wie Sand am Meer. Deswegen ist meine erste Frage immer: bietet dieses Buch etwas Neues, noch nie Dagewesenes? Hier kam ich zu der Antwort: ja, absolut, denn die Autorin hat ihre ganz eigene Vision der Zukunft zum Leben erweckt und viele originelle Ideen mit eingebracht.
In der Welt von "Gelöscht" werden jugendliche Schwerverbrecher - vor allem Mörder und Terroristen - nicht ins Gefängnis gesteckt oder gar zum Tode verurteilt, sondern ihr Gehirn wird mit einer komplizierten Operation sozusagen zurückgesetzt auf Null. Sie verlieren all ihre Erinnerungen und müssen grundsätzliche Dinge wie Laufen und Sprechen erst wieder lernen, aber danach dürfen sie zurück in die Freiheit - mit Einschränkungen. Sie müssen ein sogenanntes "Levo" tragen, das ihre Gefühle überwacht, um sicherzustellen, dass sie immer ruhig, glücklich und friedlich sind. Starke Angst oder Wut führen dazu, dass das Levo seinen Träger kurzerhand ausschaltet.
Ich fand es sehr interessant, durch die Augen von Kyla, einer 16-jährigen "Slaterin", mitzuverfolgen, wie der Alltag nach der Zurücksetzung aussieht, denn das wirft viele Fragen über die Ethik einer solchen Maßnahme auf. Außerdem wird schnell klar, dass da etwas nicht mit rechten Dingen zugeht, dass vielleicht noch ganz andere Dinge hinter dem Slaten stecken als nur Strafvollzug... Wem kann Kyla noch trauen? Ihrer neuen Mutter, die meist ruppig und unfreundlich ist? Ihrem neuen Vater, der scheinbar nur ihr Bestes will? Nicht immer sind die Dinge so, wie sie anfänglich scheinen...
Jugendliche verschwinden manchmal einfach, und niemand traut sich, offen Fragen zu stellen, was mit ihnen passiert ist - denn sonst könnte man der Nächste sein, den die "Lorder" holen. Nur Kyla macht sich auf die Suche nach der Wahrheit, mit der Hilfe von Ben, einem Slater, in den sie sich verliebt hat. Für die beiden steht dabei alles auf dem Spiel, denn als Slater darf man sich keinen Fehltritt leisten, ohne mit dramatischen Konsequenzen rechnen zu müssen - und auch keine Kritik am System. Sonst wird man "zurückgegeben", was immer das heißen mag.
Die Autorin baut geschickt und schnell die Spannung auf und lässt sie dann bis zur letzten Seite nicht mehr abklingen. Ich hatte das Buch in Nullkommanix durch und hätte am liebsten direkt mit Band 2 weitergelesen...
Die Charaktere fand ich sehr gelungen, sehr authentisch. Gut gefiel mir auch, dass man nicht jeden Charakter direkt in "gut" oder "böse" einteilen kann, sondern dass die Autorin eher mit den ersten Eindrücken der Leser spielt, um sie dann auf den Kopf zu stellen und zu hinterfragen.
Eigentlich wird Slatern davon abgeraten, sich zu verlieben, denn das könnte die Gefühle so gefährlich durcheinander bringen, dass das Levo reagiert. Bei leichten emotionalen Turbulenzen führt das zu Bewusstlosigkeit, bei starken zum Tod. Aber Kyla kann ihre Gefühle nicht so einfach kontrollieren, besonders nicht, wenn es um Ben geht. Die Liebesgeschichte ist eher zaghaft und leise, ich fand sie aber dennoch sehr romantisch.
Der Schreibstil ist eher einfach, was dazu passt, dass Kyla ja gerade erst wieder Sprechen gelernt hat. Aber ich fand ihn sehr angenehm zu lesen, klar und einfach und dennoch eindringlich. Ich konnte mir alle Szenen immer wunderbar bildlich vorstellen, und auch die Emotionen der Charaktere kamen meines Erachtens gut rüber.
Fazit:
In einer nicht allzu fernen Zukunft werden die Gehirne jugendlicher Straftäter "neu gestartet" und sie beginnen danach ein neues Leben, ganz von vorne. Kyla, die das gerade hinter sich hat, versucht, sich in ihrer neuen Familie und ihrer neuen Schule einzuleben, stellt aber schnell fest, dass hinter diesem System mehr steckt als der Öffentlichkeit vorgegaukelt wird. "Gelöscht" ist eine spannende Jugenddystopie mit überzeugenden Protagonisten, originellen Ideen, ein bisschen Romantik und einem Schreibstil, der trotz aller Einfachheit klar und ansprechend ist.