Die vorliegende Studie untersucht mit Hilfe der Forschungsmethodologie der Objektiven Hermeneutik die sich in biographischen Lebensentscheidungen und in Interviewäußerungen dokumentierende Gemeinwohlbindung und alltägliche Solidaritätsbereitschaft. Rekonstruiert werden die diesbezüglichen Habitusformationen und Deutungsmuster kontrastiver Fälle der Gegenwart sowie die darin faßbaren Transformationsprozesse. Daß sich partikularistische Formen von Gemeinwohlbindung und Solidaritätsbereitschaft zunehmend auflösen und die Enttraditionalisierung, Säkularisierung und Individuierung als universelle Entwicklungsprozesse weiter fortschreiten, bestätigt sich und läßt sich auf der Folie einer einleitenden Bestimmung des Solidaritätsbegriffs an den konkreten Fällen detailliert nachvollziehen. Es zeigt sich, daß der damit verbundene steigende Individuierungsdruck zur Folge hat, daß die alltägliche Gemeinwohlbindung und Solidaritätsbereitschaft zunehmend auf »Ich-Leistung« angewiesen ist und daher kehrseitig sozialisatorisch bedingte psychische Einschränkungen der Autonomie des Subjekts stärker ins Gewicht fallen als früher. Darüber hinaus finden sich Hinweise auf ein Fortwirken des deutschen Sonderwegdenkens, obwohl der deutsche Sonderweg im Prinzip seit dem Abschluß der Nationalstaatswerdung mit der Wiedervereinigung 1990 Geschichte ist. Die Sonderwegskultur hat ihre Pr ägekraft anscheinend auch im Hinblick auf die alltägliche Praxis der Gemeinwohlbindung und Solidaritätsbereitschaft noch nicht ganz verloren.
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