Das unglückliche Schicksal der jungen Grafikerin Gemma Bovery steht im Mittelpunkt einer Geschichte, in der Posy Simmonds abermals auf der Grundlage eines Meisterwerks der Literaturgeschichte eine gänzlich eigene Variation spinnt. In einem eigenwilligen Zusammenspiel von umfassenden inneren Monologen und knappen Dialogen führt sie dem Leser auch grafisch präzise die innere Zerrissenheit ihrer Charaktere vor Augen.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.05.2012Süddeutsche Zeitung Bibliothek
Graphic Novels Band 7
Anders
buchstabiert
„Gemma Bovery“
von Posy Simmonds
Dass „Madame Bovary“ ein Literaturklassiker ist, heißt nicht unbedingt, dass heute allzu viele mit der unglücklich verheirateten Arztgattin Emma die Langeweile des gelben Marktplatzes in der französischen Provinz geteilt hätten, seitenlang. Ihr Name allerdings ist verbreitetes Synonym für untreue Gattinnen, für ein Frauenschicksal, das man so nennen muss, weil es Mitte des 19. Jahrhunderts über ein ganzes Leben entscheiden konnte, wenn ein junger Mediziner kurz auf dem väterlichen Gut einkehrte. Wer darauf anspielt und wie die britische Künstlerin Posy Simmonds seine Titelheldin auf den Namen Gemma Bovery tauft, um die Story mit ihrem Tod zu beginnen, bezieht sich deutlich nicht nur auf Gustave Flaubert, sondern auch auf die Moritat – eine Entwicklungsgeschichte, die Tod, Verderben, Untergang entgegentrudelt.
Ein paar Seiten lang befürchtet man, die Autorin versetze tatsächlich Flauberts Roman in die Sphäre der Graphic Novel, etwas aktualisiert – so wie man es aus dem Kino kennt, wo Versatzstücke von Virginia Woolfs Büchern plötzlich durch Manhattan spazieren. Posy Simmonds weicher Bleistiftstrich malt denn auch sehr zeitlos das kleine Haus aus, die blonde Frau, den betrogenen Witwer, der nach dem Tod im Garten ihre Wäsche im Garten verbrennt. So soll also auch im 20. Jahrhundert eine unglückliche Ehe, ein Frauenleben geendet haben?
Die Sache ist vertrackter, und das nicht nur, weil der Erzähler – der Dorfbäcker Joubert –, zugibt, glühend in die Grafikerin verliebt zu sein, die mit ihrem Mann, einem Restaurator, aus einer miesen Gegend in London in die Idylle umgezogen ist. Sondern auch, weil handgeschriebene Tagebucheinträge als Rückblenden den Strip unterbrechen. Offensichtlich ist die pummelige, verpusselte Engländerin an der Seite des faden Charlie Bovery vor einer unglücklichen Liebe über den Ärmelkanal geflohen. Dass sie als junge Frau vom Restaurantkritiker Patrick verschmäht wurde, hat ihr Selbstbewusstsein zutiefst verletzt. Aber „Bovery“ buchstabiert sich anders als der Name ihrer literarischen Vorgängerin. Wie diese sucht Gemma Bestätigung in Affären – vorher aber trainiert sie sich ihr Übergewicht ab und wechselt das, was Magazine „Outfit“ und „Einrichtungsstil“ nennen. Was teuer ist, ihr aber sofort einen jungen, adligen Liebhaber beschert. Es ist Gemma, die erkennt: Die Bilanz stimmt nicht. Und anders als Emma kann sie ihre Ehe beenden, das Haus verkaufen, arbeiten. Gemma vertraut auf sich selbst – und als der verflossene Patrick vor ihr steht, wie sie es sich einst ausgemalt hatte, gibt sie ihm einen Korb.
Ihr Tod, das ist die Überraschung, ist aber tatsächlich irgendwie das Versagen vieler Männer. Gemma erstickt an einem Stück Brot, das ihr der Erzähler – den sie Spanner schimpft –, zur Versöhnung schenkt. Und der hätte sie vielleicht noch retten können, wäre nicht in dem Moment Charlie, ihr Noch-Ehemann, aufgetaucht, der den vermeintlichen Rivalen niederschlägt. Eine Verkettung blöder, ungeschickter Missverständnisse – daran können Frauen heute durchaus noch sterben. Auch wenn sie am Abend zuvor in Yoga-Position unverzweifelt im Garten saßen.
CATRIN LORCH
Posy Simmonds.
Foto: Jane Bown
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Graphic Novels Band 7
Anders
buchstabiert
„Gemma Bovery“
von Posy Simmonds
Dass „Madame Bovary“ ein Literaturklassiker ist, heißt nicht unbedingt, dass heute allzu viele mit der unglücklich verheirateten Arztgattin Emma die Langeweile des gelben Marktplatzes in der französischen Provinz geteilt hätten, seitenlang. Ihr Name allerdings ist verbreitetes Synonym für untreue Gattinnen, für ein Frauenschicksal, das man so nennen muss, weil es Mitte des 19. Jahrhunderts über ein ganzes Leben entscheiden konnte, wenn ein junger Mediziner kurz auf dem väterlichen Gut einkehrte. Wer darauf anspielt und wie die britische Künstlerin Posy Simmonds seine Titelheldin auf den Namen Gemma Bovery tauft, um die Story mit ihrem Tod zu beginnen, bezieht sich deutlich nicht nur auf Gustave Flaubert, sondern auch auf die Moritat – eine Entwicklungsgeschichte, die Tod, Verderben, Untergang entgegentrudelt.
Ein paar Seiten lang befürchtet man, die Autorin versetze tatsächlich Flauberts Roman in die Sphäre der Graphic Novel, etwas aktualisiert – so wie man es aus dem Kino kennt, wo Versatzstücke von Virginia Woolfs Büchern plötzlich durch Manhattan spazieren. Posy Simmonds weicher Bleistiftstrich malt denn auch sehr zeitlos das kleine Haus aus, die blonde Frau, den betrogenen Witwer, der nach dem Tod im Garten ihre Wäsche im Garten verbrennt. So soll also auch im 20. Jahrhundert eine unglückliche Ehe, ein Frauenleben geendet haben?
Die Sache ist vertrackter, und das nicht nur, weil der Erzähler – der Dorfbäcker Joubert –, zugibt, glühend in die Grafikerin verliebt zu sein, die mit ihrem Mann, einem Restaurator, aus einer miesen Gegend in London in die Idylle umgezogen ist. Sondern auch, weil handgeschriebene Tagebucheinträge als Rückblenden den Strip unterbrechen. Offensichtlich ist die pummelige, verpusselte Engländerin an der Seite des faden Charlie Bovery vor einer unglücklichen Liebe über den Ärmelkanal geflohen. Dass sie als junge Frau vom Restaurantkritiker Patrick verschmäht wurde, hat ihr Selbstbewusstsein zutiefst verletzt. Aber „Bovery“ buchstabiert sich anders als der Name ihrer literarischen Vorgängerin. Wie diese sucht Gemma Bestätigung in Affären – vorher aber trainiert sie sich ihr Übergewicht ab und wechselt das, was Magazine „Outfit“ und „Einrichtungsstil“ nennen. Was teuer ist, ihr aber sofort einen jungen, adligen Liebhaber beschert. Es ist Gemma, die erkennt: Die Bilanz stimmt nicht. Und anders als Emma kann sie ihre Ehe beenden, das Haus verkaufen, arbeiten. Gemma vertraut auf sich selbst – und als der verflossene Patrick vor ihr steht, wie sie es sich einst ausgemalt hatte, gibt sie ihm einen Korb.
Ihr Tod, das ist die Überraschung, ist aber tatsächlich irgendwie das Versagen vieler Männer. Gemma erstickt an einem Stück Brot, das ihr der Erzähler – den sie Spanner schimpft –, zur Versöhnung schenkt. Und der hätte sie vielleicht noch retten können, wäre nicht in dem Moment Charlie, ihr Noch-Ehemann, aufgetaucht, der den vermeintlichen Rivalen niederschlägt. Eine Verkettung blöder, ungeschickter Missverständnisse – daran können Frauen heute durchaus noch sterben. Auch wenn sie am Abend zuvor in Yoga-Position unverzweifelt im Garten saßen.
CATRIN LORCH
Posy Simmonds.
Foto: Jane Bown
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Christian Gasser legt uns diesen Comic der britischen Zeichnerin Posy Simmonds wärmstens ans Herz. Im britischen Original und in Frankreich ist er bereits vor über zehn Jahren erschienen, nun aber endlich auch auf dem sich entwickelnden deutschen Comicmarkt zu haben. Simmonds adaptiert natürlich Gustave Flauberts "Emma Bovary", sie erzählt die Geschichte der Britin Gemma Bovery, die mit ihrem Mann in die französische Provinz zieht, aus Langeweile mit anderen Männern anbändelt und ihren Mann und dessen Kinder zu verabscheuen beginnt. Dabei erweitere Simmonds die Geschichte von Liebe und Verrat, aber um all die Lebenslügen der britischen Mittelschicht und Sein und Schein des Savoir-vivre. Besonders lobt Gasser Simmonds erzählerisches Geschick, denn "Gemma Bovery" sei zwar Simmonds Comic-Debüt, als Karikaturistin könne sie aber auf eine lange und erfolgreiche Karriere zurückblicken. So lobt er ihren subtil karikierenden und multiperspektivischen Stil und auch die Textlastigkeit, die der Autorin von anderen Kritikern angekreidet wurde, findet er ganz richtig: Sie bremst mitunter notwendigerweise das Auge.
© Perlentaucher Medien GmbH
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