Diese Arbeit setzt sich mit der Bedeutung durch Wappen konstruierter genealogischer Systeme wie der Ahnentafel und dem Stammbaum auseinander und weniger mit der Symbolik des einzelnen Wappens.
Es werden genealogische Wappensyssteme am Beispiel von Kirchen- und Festsaalausstattungen, Grabdenkmalen, landkarten und Funeralwerken aus Büdingen, Güstrow, Marburg, Paderborn, Saarbrücken, Rudolstadt und anderen deutschen Residenzorten in der Zeit zwischen 1450 und 1650 untersucht.
Es werden genealogische Wappensyssteme am Beispiel von Kirchen- und Festsaalausstattungen, Grabdenkmalen, landkarten und Funeralwerken aus Büdingen, Güstrow, Marburg, Paderborn, Saarbrücken, Rudolstadt und anderen deutschen Residenzorten in der Zeit zwischen 1450 und 1650 untersucht.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.01.2003Ahnen zählt der Deutsche gern
Kilian Heck studiert die Rolle der Genealogie in Raum und Zeit
Derzeit staunt alle Welt über die Renaissance der Genealogie im Internet. Neben Sex, so hört man, sei Familiengeschichte das große Thema des Netzes: Der Laie stöbert und der Fachmann forscht in virtuellen Katakomben verblichener Ahnen. Ob es gar der Wunsch nach historischen Familienbanden in einer zunehmend bindungslosen und ahistorischen Gesellschaft ist, der diese Neugier antreibt? Die These klingt in ihrer Mischung aus oberflächlicher Medienanalyse und unerschütterlichem Kulturpessimismus geradezu bestechend zeitgemäß. Doch gemach, Kulturkritiker: Medien besitzen eine Eigendynamik, die stets auf die Ausnutzung der technischen Möglichkeiten drängt. Die wahre Hochkonjunktur der Genealogie liegt schon einige Jahrhunderte zurück, und sie vollzog sich nicht von ungefähr in einem politisch-juristischen Kontext, der mit dem derzeitigen, medial induzierten Strohfeuer gar nichts zu tun hat.
Zu welchen bildhaften Ausdrücken die Genealogie zwischen Spätmittelalter und siebzehntem Jahrhundert führte und welche Motive hinter dem Funktionswandel der visuellen Symbolik standen, erforscht das kecke Buch des Kunsthistorikers Kilian Heck. Hecks Dissertation überschreitet in erfrischender Weise den gewohnten Horizont kunsthistorischer Arbeiten, da sie auf einem mehrfachen Theoriemix fußt: Die Funktion genealogischer Monumente wird prinzipiell mittels semiotischer Theorien erschlossen. Man mag sich kaum vorstellen, wie dissonant und provokativ es in den Ohren klassischer Genealogen klingen mag, wenn hier etwa mit dem Modell der "Semiosphäre" des Literaturwissenschaftlers Jurij M. Lotmann Wappen, Grabmäler und Funeralwerke analysiert werden. Hinzu kommt Hecks Pendelblick zwischen zeitgenössischer politischer Theorie und materieller Praxis, der durchaus geeignet ist, das Herz auch konventioneller Historiker am dargebotenen kalten Stein zu erwärmen. Allerdings wird hier, in der politischen Ideengeschichte, der argumentative Boden etwas wacklig. Mehr als einige oberflächliche Nennungen des lipsianischen Neustoizismus hätten es schon sein dürfen. So aber bleibt der Referenzpunkt des vormodernen Herrscherethos bei Heck hinter dem gegenwärtigen Stand der Forschung zurück.
Das Geheimnis des Adels ist Zoologie, schrieb Karl Marx und spottete doch nur ganz zeitgemäß. Denn im neunzehnten Jahrhundert wurde jene Erfolgsgeschichte brüchig, die in der frühen Neuzeit eine heute marginal gewordene Wissenschaft zur Blüte gebracht hatte. Hecks Buch macht einige bemerkenswerte Entwicklungslinien sichtbar. Als kulturelle Ordnungsform war die Genealogie gewiß älter, doch erst das zwölfte Jahrhundert setzte die Wappen auf die Wehrschilde der Ritter. In der Folge nimmt ihre militärische Gebrauchsfunktion ab, während ihre Funktion als reines Zeichen zunimmt. Dennoch scheint vor 1500, so Heck, kein ausgeprägtes Geschlechtsbewußtsein der Herrschenden bestanden zu haben - jedenfalls, wenn man eine frühneuzeitliche Meßlatte anlegt.
Denn vom sechzehnten Jahrhundert an nahm die wissenschaftliche Konstruktion von geblütsmäßigen Bindungen augenfällig zu. Goethes Karikatur des deutschen Nationalcharakters aus französischer Sicht "Der Deutsche säuft und zählt die Ahnen" scheint Heck zufolge so falsch nicht zu sein. Jenseits der Reichsgrenzen und insbesondere südlich der Alpen jedenfalls interessierte man sich weniger für diese Form von politischer Ikonographie. Hecks Arbeit vertritt in ihrem Kern eine überzeugende Entwicklungshypothese, die die Ausbreitung genealogischer Zeichen an den frühneuzeitlichen Raumbildungsprozeß knüpft. Weil das Reich und die Territorien hier einen eigenen Weg gingen, könnte es durchaus sein, daß sich dies auch in der spezifischen Verwendung bildhafter Insignien durch die deutschen Führungsschichten niederschlug.
Heck entwickelt eine Typologie der Chronologie der Realien, wonach auf die Wappen zunächst die steinernen Grabdenkmale und dann die Landkarten und gedruckten Funeralwerke gefolgt seien. Diese Abfolge synchronisiert er mit dem Vordringen eines territorialen Denkens. Denn alle diese Zeichen nahmen Aus- und Abgrenzungen vor. Die Wappen saßen auf den Oberflächen, an den Rändern und vor den Dingen, die sie im wahrsten Sinne des Wortes bezeichneten, niemals jedoch drangen sie ins Zentrum vor. An der Peripherie sollten sie eine Distanz markieren und Informationen speichern, in denen sich soziale und politische Aspekte vermengten. Auch die Grabmonumente und die späteren Landkarten entwarfen solche Bezeichnungen. Allerdings verschob sich die Funktion der heraldischen Zeichen von der Person auf die Fläche des Bezeichneten: Der frühmoderne Staat konstituiert sich als "impermeable Flächenordnung" (Carl Schmitt).
Raum, Raumsubstitution und Fläche lautet die Abfolge daher, wenn man nur die Entwicklung des Zeichens verfolgt. Am Ende sind die Repräsentationen ganz an die Fläche gebunden, und auch die Herrschaft bezieht sich nicht mehr auf Personenverbände, sondern definiert sich über Landgrenzen, die auf der Erdoberfläche gezogen werden (und wieder mit Symbolen markiert sind). Hecks Arbeit beschäftigt sich daher mit der Geschichte von Verweisungsstrukturen. Sie gewinnt ihren Reiz aus ihrer strikt verfolgten Fragestellung nach der Funktion und dem Funktionswandel des genealogischen Denkens als einer Verweisungsstruktur und hat ihre Stärken in der Thesenbildung. Demgegenüber fehlt es der empirischen Beweisführung anhand von Detailbeispielen (Residenzstädte Büdingen, Güstrow, Marburg et cetera) an argumentativer Schärfe und rhetorischer Stringenz.
Hecks schlanke Arbeit lotet ein frühneuzeitliches Wissensfeld aus, das ebenso faszinierend wie fremd ist. Er beobachtet die Entwicklung eines Systems, das zunehmend größere Datenmengen ordnet und zur dynastischen Legitimation von Herrschaft benutzt: Immer mehr Ahnen und Generationen zurück reicht der Blick, immer weitere Kreise zieht der Wunsch nach eigener Altehrwürdigkeit. Es scheint so, daß die Vormoderne ebenso obsessiv der Konstruktion und Propaganda der Ungleichheit nachhing wie die Gegenwart von der Gleichheit besessen ist.
Nur am Rande erwähnt wird bei Heck der Grundsatzkonflikt mit dem Christentum, das ja auf der Einheit des Menschengeschlechts beharrte und allen Differenzierungsstrategien abweisend gegenüberstand. Auch die juristische Bedeutung genealogischer Argumente und Monumente scheint eher zu gering taxiert worden zu sein. Hier weckt Hecks originelle Arbeit den Wunsch nach einer Wissenschaftsgeschichte der Genealogie, die mit einem modernen Instrumentarium literarische Monumente wie Siebmachers "Wappen-Buch" untersuchte. Und erst recht wüßte der angeregte Leser gerne, was die vormoderne Adelsgesellschaft in ihrer ganzen Kreativität mit den technischen Möglichkeiten des Internets angestellt hätte.
MILOS VEC
Kilian Heck: "Genealogie als Monument und Argument." Der Beitrag dynastischer Wappen zur politischen Raumbildung der Neuzeit. Deutscher Kunstverlag, München 2002. 328 S., 164 S/W-Abb., br., 34,80 [Euro].
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Kilian Heck studiert die Rolle der Genealogie in Raum und Zeit
Derzeit staunt alle Welt über die Renaissance der Genealogie im Internet. Neben Sex, so hört man, sei Familiengeschichte das große Thema des Netzes: Der Laie stöbert und der Fachmann forscht in virtuellen Katakomben verblichener Ahnen. Ob es gar der Wunsch nach historischen Familienbanden in einer zunehmend bindungslosen und ahistorischen Gesellschaft ist, der diese Neugier antreibt? Die These klingt in ihrer Mischung aus oberflächlicher Medienanalyse und unerschütterlichem Kulturpessimismus geradezu bestechend zeitgemäß. Doch gemach, Kulturkritiker: Medien besitzen eine Eigendynamik, die stets auf die Ausnutzung der technischen Möglichkeiten drängt. Die wahre Hochkonjunktur der Genealogie liegt schon einige Jahrhunderte zurück, und sie vollzog sich nicht von ungefähr in einem politisch-juristischen Kontext, der mit dem derzeitigen, medial induzierten Strohfeuer gar nichts zu tun hat.
Zu welchen bildhaften Ausdrücken die Genealogie zwischen Spätmittelalter und siebzehntem Jahrhundert führte und welche Motive hinter dem Funktionswandel der visuellen Symbolik standen, erforscht das kecke Buch des Kunsthistorikers Kilian Heck. Hecks Dissertation überschreitet in erfrischender Weise den gewohnten Horizont kunsthistorischer Arbeiten, da sie auf einem mehrfachen Theoriemix fußt: Die Funktion genealogischer Monumente wird prinzipiell mittels semiotischer Theorien erschlossen. Man mag sich kaum vorstellen, wie dissonant und provokativ es in den Ohren klassischer Genealogen klingen mag, wenn hier etwa mit dem Modell der "Semiosphäre" des Literaturwissenschaftlers Jurij M. Lotmann Wappen, Grabmäler und Funeralwerke analysiert werden. Hinzu kommt Hecks Pendelblick zwischen zeitgenössischer politischer Theorie und materieller Praxis, der durchaus geeignet ist, das Herz auch konventioneller Historiker am dargebotenen kalten Stein zu erwärmen. Allerdings wird hier, in der politischen Ideengeschichte, der argumentative Boden etwas wacklig. Mehr als einige oberflächliche Nennungen des lipsianischen Neustoizismus hätten es schon sein dürfen. So aber bleibt der Referenzpunkt des vormodernen Herrscherethos bei Heck hinter dem gegenwärtigen Stand der Forschung zurück.
Das Geheimnis des Adels ist Zoologie, schrieb Karl Marx und spottete doch nur ganz zeitgemäß. Denn im neunzehnten Jahrhundert wurde jene Erfolgsgeschichte brüchig, die in der frühen Neuzeit eine heute marginal gewordene Wissenschaft zur Blüte gebracht hatte. Hecks Buch macht einige bemerkenswerte Entwicklungslinien sichtbar. Als kulturelle Ordnungsform war die Genealogie gewiß älter, doch erst das zwölfte Jahrhundert setzte die Wappen auf die Wehrschilde der Ritter. In der Folge nimmt ihre militärische Gebrauchsfunktion ab, während ihre Funktion als reines Zeichen zunimmt. Dennoch scheint vor 1500, so Heck, kein ausgeprägtes Geschlechtsbewußtsein der Herrschenden bestanden zu haben - jedenfalls, wenn man eine frühneuzeitliche Meßlatte anlegt.
Denn vom sechzehnten Jahrhundert an nahm die wissenschaftliche Konstruktion von geblütsmäßigen Bindungen augenfällig zu. Goethes Karikatur des deutschen Nationalcharakters aus französischer Sicht "Der Deutsche säuft und zählt die Ahnen" scheint Heck zufolge so falsch nicht zu sein. Jenseits der Reichsgrenzen und insbesondere südlich der Alpen jedenfalls interessierte man sich weniger für diese Form von politischer Ikonographie. Hecks Arbeit vertritt in ihrem Kern eine überzeugende Entwicklungshypothese, die die Ausbreitung genealogischer Zeichen an den frühneuzeitlichen Raumbildungsprozeß knüpft. Weil das Reich und die Territorien hier einen eigenen Weg gingen, könnte es durchaus sein, daß sich dies auch in der spezifischen Verwendung bildhafter Insignien durch die deutschen Führungsschichten niederschlug.
Heck entwickelt eine Typologie der Chronologie der Realien, wonach auf die Wappen zunächst die steinernen Grabdenkmale und dann die Landkarten und gedruckten Funeralwerke gefolgt seien. Diese Abfolge synchronisiert er mit dem Vordringen eines territorialen Denkens. Denn alle diese Zeichen nahmen Aus- und Abgrenzungen vor. Die Wappen saßen auf den Oberflächen, an den Rändern und vor den Dingen, die sie im wahrsten Sinne des Wortes bezeichneten, niemals jedoch drangen sie ins Zentrum vor. An der Peripherie sollten sie eine Distanz markieren und Informationen speichern, in denen sich soziale und politische Aspekte vermengten. Auch die Grabmonumente und die späteren Landkarten entwarfen solche Bezeichnungen. Allerdings verschob sich die Funktion der heraldischen Zeichen von der Person auf die Fläche des Bezeichneten: Der frühmoderne Staat konstituiert sich als "impermeable Flächenordnung" (Carl Schmitt).
Raum, Raumsubstitution und Fläche lautet die Abfolge daher, wenn man nur die Entwicklung des Zeichens verfolgt. Am Ende sind die Repräsentationen ganz an die Fläche gebunden, und auch die Herrschaft bezieht sich nicht mehr auf Personenverbände, sondern definiert sich über Landgrenzen, die auf der Erdoberfläche gezogen werden (und wieder mit Symbolen markiert sind). Hecks Arbeit beschäftigt sich daher mit der Geschichte von Verweisungsstrukturen. Sie gewinnt ihren Reiz aus ihrer strikt verfolgten Fragestellung nach der Funktion und dem Funktionswandel des genealogischen Denkens als einer Verweisungsstruktur und hat ihre Stärken in der Thesenbildung. Demgegenüber fehlt es der empirischen Beweisführung anhand von Detailbeispielen (Residenzstädte Büdingen, Güstrow, Marburg et cetera) an argumentativer Schärfe und rhetorischer Stringenz.
Hecks schlanke Arbeit lotet ein frühneuzeitliches Wissensfeld aus, das ebenso faszinierend wie fremd ist. Er beobachtet die Entwicklung eines Systems, das zunehmend größere Datenmengen ordnet und zur dynastischen Legitimation von Herrschaft benutzt: Immer mehr Ahnen und Generationen zurück reicht der Blick, immer weitere Kreise zieht der Wunsch nach eigener Altehrwürdigkeit. Es scheint so, daß die Vormoderne ebenso obsessiv der Konstruktion und Propaganda der Ungleichheit nachhing wie die Gegenwart von der Gleichheit besessen ist.
Nur am Rande erwähnt wird bei Heck der Grundsatzkonflikt mit dem Christentum, das ja auf der Einheit des Menschengeschlechts beharrte und allen Differenzierungsstrategien abweisend gegenüberstand. Auch die juristische Bedeutung genealogischer Argumente und Monumente scheint eher zu gering taxiert worden zu sein. Hier weckt Hecks originelle Arbeit den Wunsch nach einer Wissenschaftsgeschichte der Genealogie, die mit einem modernen Instrumentarium literarische Monumente wie Siebmachers "Wappen-Buch" untersuchte. Und erst recht wüßte der angeregte Leser gerne, was die vormoderne Adelsgesellschaft in ihrer ganzen Kreativität mit den technischen Möglichkeiten des Internets angestellt hätte.
MILOS VEC
Kilian Heck: "Genealogie als Monument und Argument." Der Beitrag dynastischer Wappen zur politischen Raumbildung der Neuzeit. Deutscher Kunstverlag, München 2002. 328 S., 164 S/W-Abb., br., 34,80 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Der Name des Autors lädt offenbar zu einem kleinen Wortspiel ein, denn Rezensent Milos Vec freut sich über das "kecke" Buch von Kilian Heck, das er an anderer Stelle auch als "schlank" und "erfrischend" bezeichnet. Heck nimmt sich eines Feldes an, nämlich der Genealogie, das zwar in Internetzeiten einen neuen Konjunkturschub erhielt, wie Vec wohl persönlich eruiert hat, aber im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit eine viel prachtvollere Blüte erleben konnte. Heck nähere sich der Genealogie als Kunsthistoriker, aber keinesfalls klassisch, sondern mit einem von der Zeichentheorie beeinflussten Theoriemix, so dass einem herkömmlichen Genealogen bei Hecks Analyse von Wappen oder Grabsteinen die Ohren schlackern müssten, vermutet Vec. Die Hauptthese Hecks sei der Funktionswandel genealogischer Zeichen in Verknüpfung mit dem frühneuzeitlichen Raumbildungsprozess. Anders formuliert: Macht definierte sich irgendwann nicht mehr über Personenverbände und Familienwappen, sondern über die Absteckung von Landesgrenzen. Hecks Ausführungen mangelt es nicht an provokativen Thesen, schreibt Vec, wohl aber stellenweise an empirischen Belegen und argumentativer Schärfe. Eine ebenso fremde wie faszinierende Materie ist die Genealogie, schließt Vec und wünscht sich eine Wissenschaftsgeschichte dieser Zunft.
© Perlentaucher Medien GmbH
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