Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Rezensent Harry Nutt liest Caroline Fourests Fallsammlung mit Beispielen aus der linken Identitätspolitik mit Schrecken. Ob Thomas Gottschalk des Blackfacings, eine Yogagruppe der kulturellen Aneignung beschuldigt wird oder das Wort Zigeunerschnitzel auf den Index kommt, die Grenzen zwischen rechter und linker Identitätspolitik sind längst fließend, lernt Nutt bei Fourest. Wie analytisch klar die Autorin den Blick schärft für den Tugendterror, findet Nutt bewundernswert. Lustig ist das alles längst nicht mehr, stellt er fest, auch wenn die Autorin sich in "bittere Ironie" rettet.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.03.2021Das Gegenteil von Freiheit
Nicht neu, aber aktueller denn je: Caroline Fourests „Generation Beleidigt“
Die französische Journalistin Caroline Fourest, 45, ist ein häufiger Gast in französischen Talkshows. Sie wird eingeladen, wenn es um Meinungsfreiheit und Laizismus geht, sie hat für Charlie Hebdo gearbeitet. Außerdem wird sie inzwischen als Expertin für linke Identitätspolitik befragt, ein Phänomen, das, von amerikanischen Universitäten ausgehend, immer stärker auch in Europa eine Rolle spielt. Als Beispiel sei einmal mehr auf den Wirbel um die holländische Übersetzung für Amanda Gorman verwiesen, die junge schwarze Lyrikerin aus Los Angeles, die durch ihren Auftritt bei Bidens Amtseinführung zum Star wurde. Dafür war Marieke Lucas Rijnveld, Booker-Preis 2020, vorgesehen. Als sich Protest regte, weil der Auftrag nicht an jemanden mit schwarzer Hautfarbe ging, gab Rijnveld den Übersetzungsauftrag zurück. Am Donnerstag nun wurde bekannt, dass auch der katalanische Übersetzer von Gormans Buch, Victor Obiols, von seinem Verlag in Barcelona abgezogen wurde. Dem Guardian sagte Obiols, der mit seiner Übersetzung schon fertig war, man habe ihm mitgeteilt, er werde durch eine Übersetzerin ersetzt mit einem anderen Profil: „jung, aktivistisch und vorzugsweise schwarz“.
Für die deutsche Gorman-Übersetzung hatte man im Verlag Hoffmann und Campe in vorauseilendem Verständnis für alle Seiten, die sensibel reagieren könnten, ein dreiköpfiges Expertenteam mit der Aufgabe betraut, die Verse einer dunkelhäutigen 22-jährigen US-Amerikanerin, die in Harvard Soziologie studierte, ins Deutsche zu übertragen, unter anderem ist auch eine Rassismusforscherin dabei.
Caroline Fourest hat darüber ein Buch geschrieben: über linke Identitätspolitik und den Umgang mit ihr. Es erschien vor einem Jahr in Frankreich und im Oktober in Klaus Bittermanns kleinem Verlag Edition Tiamat auch auf Deutsch: „Generation Beleidigt“. Seitdem wird es stündlich aktueller. Es ist das Buch zum Verständnis einer Debatte, die aus dem Ruder gelaufen ist. Doch wem nützt es, stets auf die ethnische Zugehörigkeit von Menschen zu verweisen, um darüber zu bestimmen, wer im öffentlichen Diskurs die Stimme erheben darf? Wie sinnvoll ist das? Und wohin führt es?
Vor einem Jahr wurde Caroline Fourest in einem französischen Interview gebeten, ihre eigene Identität zu definieren. Ihre Antwort, verkürzt: Sie definiere sich als lesbische Feministin, Anhängerin des Universalismus, daher Antirassistin. Motor ihrer Arbeit sei Widerstand gegen Patriarchat und Homophobie. Sie definiere sich außerdem über ihre Berufe, neben dem Schreiben ist sie Regisseurin, als solche eine Verfechterin von Meinungs- und Kunstfreiheit. Schließlich nannte sie als Teil ihrer Identität auch noch die Beschäftigung mit den Themen Rechtsextremismus und religiösem Fundamentalismus, die sie seit mehr als 20 Jahren betreibt.
Nun stelle man sich vor, wie diese Person, die all das Genannte ausmacht, nach den Anschlägen auf Charlie Hebdo an einer amerikanischen Universität vor Studierenden über den französischen Laizismus sprach. Irgendwann ging es ums Thema Schleier. Da meldete sich eine Studentin zu Wort und erklärte, Fourest dürfe nicht über den Schleier sprechen, da dies ein Symbol muslimischer Kultur sei – und sie eine Weiße. „In den Augen dieser linken Identitären war alles, was mich ausmacht, auf meine Hautfarbe reduziert.“
Caroline Fourest schildert diese Situation in ihrem Buch, das sich als Appell versteht, nicht in dieselben Fallen zu tappen, wie es in Amerika und Kanada bereits geschehen ist. Dort hat die linke Identitätspolitik den Kampf nach Auffassung Fourests bereits gewonnen, eine Bewegung, der man nicht auch in Europa die Meinungsführerschaft überlassen möge. Eine im Namen der Genetik zensierte Kultur ist eine rassistische Kultur, wie Fourest schreibt, und: „Die Identitären sind nicht die neuen Antirassisten, sondern vielmehr die neuen Rassisten.“
Es ist nun das eine, den Protest gegen kulturelle Aneignung von Konservativen kritisiert zu sehen, die natürlich Angst um ihre Privilegien haben. Hier jedoch kommt die Kritik von einer linken, lesbischen, feministischen Aktivistin, die nicht hinnehmen möchte, dass der Diskurs über Rassismus von Wächterinnen und Wächtern dominiert wird, die im Namen von Opfern oder vermeintlichen Opfern jede Diskussion abwürgen, unterstützt von einem anonymen Mob im Internet, der auf Reizworte reagiert wie ein Pawlowscher Hund und vor dessen Wut und Hass Institutionen heute kuschen.
Reizwort Nummer 1: Kulturelle Aneignung.
Fourest sieht die politische Linke aufgeteilt in zwei Lager, die unterschiedlich Rassismus überwinden wollen: auf der einen Seite die Anhänger des Universalismus, die eine Gleichbehandlung aller Menschen wollen, ganz gleich welcher Herkunft, sexueller Orientierung oder welchen Geschlechts. Ihr Ziel: das Ende der Diskriminierungen. Auf der anderen Seite die Identitären mit einer separatistischen Vorstellung von Identität und Kultur, die streng darüber wachen, welcher Herkunft jemand ist, ob „rassifiziert“ (ihr eigener Ausdruck) oder nicht, und die auf diese Weise Unterschiede zwischen Menschen zementieren. Die also etwa fordern, dass nur Schwarze die Werke von Schwarzen übersetzen dürfen.
Oder nur echte Juden Juden im Film spielen dürfen, wie etwa in der Netflix-Serie „Unorthodox“ der Fall. Da ist man dann nicht weit entfernt von einem DNA-Test beim Casting. Ist das erstrebenswert?
Oder die finden, dass ein älterer Mann auf einer Theaterbühne keine ältere Frauenrolle spielen soll, eine Ansicht, die das Züricher Schauspielhaus vertritt, die den ausdrücklichen Wunsch der Dramatikerin Yasmina Reza abschlug, ihr Stück „Anne-Marie die Schönheit“, den Monolog einer alternden Schauspielerin, mit einem männlichen Schauspieler zu besetzen, um durch diesen Kniff den Text nicht zu privat werden zu lassen, um durch diese Künstlichkeit Distanz zu schaffen. Oder nur echte Homosexuelle Homosexuelle usw. Die also, wenn man es weiterdenkt, und Fourest hat im Buch viele Beispiele dafür, Rollenspiel prinzipiell verbieten wollen, weil jeder auf einer Bühne oder im Film nur seine eigene Identität repräsentiert. Es geht dabei ausdrücklich nicht um die bessere Repräsentation etwa Homosexueller oder Non-Binärer, es geht ausdrücklich um die immer stärker auch in Europa um sich greifenden Verbote jeder Form der künstlerischen Aneignung.
Der zweite Kampfbegriff der linken identitären Bewegung: Opfer.
Der Status als Opfer legitimiert Shitstorms, die zur Waffe des Kampfes geworden sind, der meistens zu Entschuldigungen oder Zensur führt, zum Sieg der Beleidigten, auch wenn der Anlass des Shitstorms oft nur ein „Anlass“ ist, also eigentlich jeder Grundlage zur allfälligen Empörung entbehrt. „Dieses neue Kräfteverhältnis erweist sich als recht angenehm, wenn es darum geht, Ungerechtigkeit oder multinationale Konzerne zu bekämpfen, Diktatoren zu trotzen und Tyrannen zu stürzen“, schreibt Fourest. Doch geht es den Identitären selten um, wie in den 70er-Jahren, Bonzen oder Diktatoren. Vielmehr: „Die Kehrseite der Medaille ist die Inflation absurder und unverhältnismäßiger Kampagnen gegen Familienmütter, Prominente und Künstler.“
Ein Beispiel aus dem Buch: 2012 veranstaltete eine amerikanische Mutter für ihre Tochter eine Geburtstagsfeier im japanischen Stil. Der Tisch war mit Kirschblüten geschmückt, die Kinder aßen mit Stäbchen, Tochter und Freundinnen schminkten sich wie Geishas. Fotos von diesem Fest wurden in den sozialen Netzwerken gepostet: Ein Sturm der Entrüstung folgte, die Mutter wurde des „Yellowfacing“ bezichtigt. Unter die wütenden Kommentare mischten sich auch die ratlosen Kommentare einiger Japaner, die schrieben, sie verstünden die Aufregung nicht, nichts sei in beleidigender Absicht geschehen, sie fühlten sich im Gegenteil geehrt von der Anerkennung ihrer Kultur. Nützte nichts, das Urteil war gefällt: Hier hatte eine Mutter etwas Unerträgliches, nicht Hinnehmbares getan.
Für die Ideologen der Kulturtrennung darf niemand für sich die Freiheit beanspruchen, kein Opfer zu sein: Zum Opfer wird, wer den Beleidigten als Opfer taugt.
Dem englischen Starkoch Jamie Oliver wurde der Aneignungsvorwurf gemacht, als er ein Rezept für Reis „Jerk Rice“ taufte, wegen der jamaikanischen Inspiration der darin verwandten Gewürze. Die Sängerin Katy Perry trug in einem Musikvideo die Haare zu blonden, bereits an der Kopfhaut beginnenden Zöpfen, was ihr den Vorwurf der kulturellen Aneignung afroamerikanischer Haartracht einbrachte, obzwar, wie Fourest anmerkt, die Frisur eher an ukrainische Zöpfe erinnerte. Katy Perrys anschließend öffentlich zur Schau gestellte Reue kam einer Selbstgeißelung gleich.
Besondere Empörung schlägt weißen Künstlern entgegen, die in ihrem Werk Rassismus anprangern. Denn Rassismus scheint in der Logik der Beleidigten ein Thema zu sein, das nur diejenigen öffentlich verhandeln dürfen, die Opfer von Rassismus sind. Weiße, die ja mit dem Thema ebenso viel zu tun haben, sogar in verantwortender Position, sollen dagegen schweigen. Sie sollen die Opfer im Kampf gegen den Rassismus nicht unterstützen: Als Beispiel nennt Fourest den Skandal um ein Gemälde der Künstlerin Dana Schutz, „Open Casket“, das, angelehnt an ein berühmtes Foto von 1955, an die brutale Ermordung eines jungen Schwarzen erinnern soll, des 14-jährigen Emmett Till. Es wurde 2017 bei der Biennale im Whitney Museum in New York ausgestellt und nach Protest schnell wieder abgehängt. Die Kunstwelt lerne daraus, lieber nicht mehr das Leid von Minderheiten anzuprangern, man ende damit ja nur auf der Anklagebank, schreibt Fourest.
Sie vollzieht in ihrem kühlen, analytischen Buch nach, wie der Begriff der kulturellen Aneignung seine ursprüngliche Bedeutung verlor, nämlich, dass eine solche sich in der Absicht von Ausbeutung oder Herrschaft vollzieht. Inzwischen kann vielmehr jede noch so freundliche Anleihe bei einer Kultur, die nicht der eigenen Herkunft entspricht, als Aneignung und also Verfehlung abgepfiffen werden. Eine andere Kultur darf somit nicht mehr gefeiert werden, nichts darf sich mischen. Konsequent weitergedacht dürften nur Italiener noch Pizza backen.
Während also auch in Europa die extreme Rechte erstarkt, richtet sich der Bannstrahl der linken Identitären wahnwitzigerweise nie gegen diese. Anstatt gegen wahre Rassisten wird gegen liberal eingestellte Künstler gewütet oder gegen Privatpersonen, die nichts Böses im Sinn hatten. Für Caroline Fourest steht daher fest: Die Empörung selbst ist das eigentliche Ziel. Es gehe den „für kulturelle Aneignung zuständigen Inquisitoren“ im Grunde nicht um Fortschritt. Ihr Zweck bestehe vielmehr darin, „zu existieren, und das bedeutet heutzutage, sich für ,beleidigt’ zu erklären“. Die autoritären Forderungen identitärer Linker spielten stets identitären Rechten in die Hände.
Es sollte also niemand verstummen, aus Angst, auf der vermeintlich falschen Seite zu stehen.
JOHANNA ADORJÁN
„Die Identitären sind nicht die
neuen Antirassisten, sondern
vielmehr die neuen Rassisten.“
Jamie Oliver wurde der
Aneignungsvorwurf gemacht, als
er ein Rezept „Jerk Rice“ nannte
Motor ihrer Arbeit sei der Widerstand gegen Patriarchat und Homophobie, sagt Caroline Fourest.
Foto: Joel Saget/AFP
Caroline Fourest:
Generation Beleidigt.
Von der Sprachpolizei
zur Gedankenpolizei. Über den wachsenden Einfluss linker Identitärer. Eine Kritik (Edition Tiamat), 200 Seiten,
18 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Nicht neu, aber aktueller denn je: Caroline Fourests „Generation Beleidigt“
Die französische Journalistin Caroline Fourest, 45, ist ein häufiger Gast in französischen Talkshows. Sie wird eingeladen, wenn es um Meinungsfreiheit und Laizismus geht, sie hat für Charlie Hebdo gearbeitet. Außerdem wird sie inzwischen als Expertin für linke Identitätspolitik befragt, ein Phänomen, das, von amerikanischen Universitäten ausgehend, immer stärker auch in Europa eine Rolle spielt. Als Beispiel sei einmal mehr auf den Wirbel um die holländische Übersetzung für Amanda Gorman verwiesen, die junge schwarze Lyrikerin aus Los Angeles, die durch ihren Auftritt bei Bidens Amtseinführung zum Star wurde. Dafür war Marieke Lucas Rijnveld, Booker-Preis 2020, vorgesehen. Als sich Protest regte, weil der Auftrag nicht an jemanden mit schwarzer Hautfarbe ging, gab Rijnveld den Übersetzungsauftrag zurück. Am Donnerstag nun wurde bekannt, dass auch der katalanische Übersetzer von Gormans Buch, Victor Obiols, von seinem Verlag in Barcelona abgezogen wurde. Dem Guardian sagte Obiols, der mit seiner Übersetzung schon fertig war, man habe ihm mitgeteilt, er werde durch eine Übersetzerin ersetzt mit einem anderen Profil: „jung, aktivistisch und vorzugsweise schwarz“.
Für die deutsche Gorman-Übersetzung hatte man im Verlag Hoffmann und Campe in vorauseilendem Verständnis für alle Seiten, die sensibel reagieren könnten, ein dreiköpfiges Expertenteam mit der Aufgabe betraut, die Verse einer dunkelhäutigen 22-jährigen US-Amerikanerin, die in Harvard Soziologie studierte, ins Deutsche zu übertragen, unter anderem ist auch eine Rassismusforscherin dabei.
Caroline Fourest hat darüber ein Buch geschrieben: über linke Identitätspolitik und den Umgang mit ihr. Es erschien vor einem Jahr in Frankreich und im Oktober in Klaus Bittermanns kleinem Verlag Edition Tiamat auch auf Deutsch: „Generation Beleidigt“. Seitdem wird es stündlich aktueller. Es ist das Buch zum Verständnis einer Debatte, die aus dem Ruder gelaufen ist. Doch wem nützt es, stets auf die ethnische Zugehörigkeit von Menschen zu verweisen, um darüber zu bestimmen, wer im öffentlichen Diskurs die Stimme erheben darf? Wie sinnvoll ist das? Und wohin führt es?
Vor einem Jahr wurde Caroline Fourest in einem französischen Interview gebeten, ihre eigene Identität zu definieren. Ihre Antwort, verkürzt: Sie definiere sich als lesbische Feministin, Anhängerin des Universalismus, daher Antirassistin. Motor ihrer Arbeit sei Widerstand gegen Patriarchat und Homophobie. Sie definiere sich außerdem über ihre Berufe, neben dem Schreiben ist sie Regisseurin, als solche eine Verfechterin von Meinungs- und Kunstfreiheit. Schließlich nannte sie als Teil ihrer Identität auch noch die Beschäftigung mit den Themen Rechtsextremismus und religiösem Fundamentalismus, die sie seit mehr als 20 Jahren betreibt.
Nun stelle man sich vor, wie diese Person, die all das Genannte ausmacht, nach den Anschlägen auf Charlie Hebdo an einer amerikanischen Universität vor Studierenden über den französischen Laizismus sprach. Irgendwann ging es ums Thema Schleier. Da meldete sich eine Studentin zu Wort und erklärte, Fourest dürfe nicht über den Schleier sprechen, da dies ein Symbol muslimischer Kultur sei – und sie eine Weiße. „In den Augen dieser linken Identitären war alles, was mich ausmacht, auf meine Hautfarbe reduziert.“
Caroline Fourest schildert diese Situation in ihrem Buch, das sich als Appell versteht, nicht in dieselben Fallen zu tappen, wie es in Amerika und Kanada bereits geschehen ist. Dort hat die linke Identitätspolitik den Kampf nach Auffassung Fourests bereits gewonnen, eine Bewegung, der man nicht auch in Europa die Meinungsführerschaft überlassen möge. Eine im Namen der Genetik zensierte Kultur ist eine rassistische Kultur, wie Fourest schreibt, und: „Die Identitären sind nicht die neuen Antirassisten, sondern vielmehr die neuen Rassisten.“
Es ist nun das eine, den Protest gegen kulturelle Aneignung von Konservativen kritisiert zu sehen, die natürlich Angst um ihre Privilegien haben. Hier jedoch kommt die Kritik von einer linken, lesbischen, feministischen Aktivistin, die nicht hinnehmen möchte, dass der Diskurs über Rassismus von Wächterinnen und Wächtern dominiert wird, die im Namen von Opfern oder vermeintlichen Opfern jede Diskussion abwürgen, unterstützt von einem anonymen Mob im Internet, der auf Reizworte reagiert wie ein Pawlowscher Hund und vor dessen Wut und Hass Institutionen heute kuschen.
Reizwort Nummer 1: Kulturelle Aneignung.
Fourest sieht die politische Linke aufgeteilt in zwei Lager, die unterschiedlich Rassismus überwinden wollen: auf der einen Seite die Anhänger des Universalismus, die eine Gleichbehandlung aller Menschen wollen, ganz gleich welcher Herkunft, sexueller Orientierung oder welchen Geschlechts. Ihr Ziel: das Ende der Diskriminierungen. Auf der anderen Seite die Identitären mit einer separatistischen Vorstellung von Identität und Kultur, die streng darüber wachen, welcher Herkunft jemand ist, ob „rassifiziert“ (ihr eigener Ausdruck) oder nicht, und die auf diese Weise Unterschiede zwischen Menschen zementieren. Die also etwa fordern, dass nur Schwarze die Werke von Schwarzen übersetzen dürfen.
Oder nur echte Juden Juden im Film spielen dürfen, wie etwa in der Netflix-Serie „Unorthodox“ der Fall. Da ist man dann nicht weit entfernt von einem DNA-Test beim Casting. Ist das erstrebenswert?
Oder die finden, dass ein älterer Mann auf einer Theaterbühne keine ältere Frauenrolle spielen soll, eine Ansicht, die das Züricher Schauspielhaus vertritt, die den ausdrücklichen Wunsch der Dramatikerin Yasmina Reza abschlug, ihr Stück „Anne-Marie die Schönheit“, den Monolog einer alternden Schauspielerin, mit einem männlichen Schauspieler zu besetzen, um durch diesen Kniff den Text nicht zu privat werden zu lassen, um durch diese Künstlichkeit Distanz zu schaffen. Oder nur echte Homosexuelle Homosexuelle usw. Die also, wenn man es weiterdenkt, und Fourest hat im Buch viele Beispiele dafür, Rollenspiel prinzipiell verbieten wollen, weil jeder auf einer Bühne oder im Film nur seine eigene Identität repräsentiert. Es geht dabei ausdrücklich nicht um die bessere Repräsentation etwa Homosexueller oder Non-Binärer, es geht ausdrücklich um die immer stärker auch in Europa um sich greifenden Verbote jeder Form der künstlerischen Aneignung.
Der zweite Kampfbegriff der linken identitären Bewegung: Opfer.
Der Status als Opfer legitimiert Shitstorms, die zur Waffe des Kampfes geworden sind, der meistens zu Entschuldigungen oder Zensur führt, zum Sieg der Beleidigten, auch wenn der Anlass des Shitstorms oft nur ein „Anlass“ ist, also eigentlich jeder Grundlage zur allfälligen Empörung entbehrt. „Dieses neue Kräfteverhältnis erweist sich als recht angenehm, wenn es darum geht, Ungerechtigkeit oder multinationale Konzerne zu bekämpfen, Diktatoren zu trotzen und Tyrannen zu stürzen“, schreibt Fourest. Doch geht es den Identitären selten um, wie in den 70er-Jahren, Bonzen oder Diktatoren. Vielmehr: „Die Kehrseite der Medaille ist die Inflation absurder und unverhältnismäßiger Kampagnen gegen Familienmütter, Prominente und Künstler.“
Ein Beispiel aus dem Buch: 2012 veranstaltete eine amerikanische Mutter für ihre Tochter eine Geburtstagsfeier im japanischen Stil. Der Tisch war mit Kirschblüten geschmückt, die Kinder aßen mit Stäbchen, Tochter und Freundinnen schminkten sich wie Geishas. Fotos von diesem Fest wurden in den sozialen Netzwerken gepostet: Ein Sturm der Entrüstung folgte, die Mutter wurde des „Yellowfacing“ bezichtigt. Unter die wütenden Kommentare mischten sich auch die ratlosen Kommentare einiger Japaner, die schrieben, sie verstünden die Aufregung nicht, nichts sei in beleidigender Absicht geschehen, sie fühlten sich im Gegenteil geehrt von der Anerkennung ihrer Kultur. Nützte nichts, das Urteil war gefällt: Hier hatte eine Mutter etwas Unerträgliches, nicht Hinnehmbares getan.
Für die Ideologen der Kulturtrennung darf niemand für sich die Freiheit beanspruchen, kein Opfer zu sein: Zum Opfer wird, wer den Beleidigten als Opfer taugt.
Dem englischen Starkoch Jamie Oliver wurde der Aneignungsvorwurf gemacht, als er ein Rezept für Reis „Jerk Rice“ taufte, wegen der jamaikanischen Inspiration der darin verwandten Gewürze. Die Sängerin Katy Perry trug in einem Musikvideo die Haare zu blonden, bereits an der Kopfhaut beginnenden Zöpfen, was ihr den Vorwurf der kulturellen Aneignung afroamerikanischer Haartracht einbrachte, obzwar, wie Fourest anmerkt, die Frisur eher an ukrainische Zöpfe erinnerte. Katy Perrys anschließend öffentlich zur Schau gestellte Reue kam einer Selbstgeißelung gleich.
Besondere Empörung schlägt weißen Künstlern entgegen, die in ihrem Werk Rassismus anprangern. Denn Rassismus scheint in der Logik der Beleidigten ein Thema zu sein, das nur diejenigen öffentlich verhandeln dürfen, die Opfer von Rassismus sind. Weiße, die ja mit dem Thema ebenso viel zu tun haben, sogar in verantwortender Position, sollen dagegen schweigen. Sie sollen die Opfer im Kampf gegen den Rassismus nicht unterstützen: Als Beispiel nennt Fourest den Skandal um ein Gemälde der Künstlerin Dana Schutz, „Open Casket“, das, angelehnt an ein berühmtes Foto von 1955, an die brutale Ermordung eines jungen Schwarzen erinnern soll, des 14-jährigen Emmett Till. Es wurde 2017 bei der Biennale im Whitney Museum in New York ausgestellt und nach Protest schnell wieder abgehängt. Die Kunstwelt lerne daraus, lieber nicht mehr das Leid von Minderheiten anzuprangern, man ende damit ja nur auf der Anklagebank, schreibt Fourest.
Sie vollzieht in ihrem kühlen, analytischen Buch nach, wie der Begriff der kulturellen Aneignung seine ursprüngliche Bedeutung verlor, nämlich, dass eine solche sich in der Absicht von Ausbeutung oder Herrschaft vollzieht. Inzwischen kann vielmehr jede noch so freundliche Anleihe bei einer Kultur, die nicht der eigenen Herkunft entspricht, als Aneignung und also Verfehlung abgepfiffen werden. Eine andere Kultur darf somit nicht mehr gefeiert werden, nichts darf sich mischen. Konsequent weitergedacht dürften nur Italiener noch Pizza backen.
Während also auch in Europa die extreme Rechte erstarkt, richtet sich der Bannstrahl der linken Identitären wahnwitzigerweise nie gegen diese. Anstatt gegen wahre Rassisten wird gegen liberal eingestellte Künstler gewütet oder gegen Privatpersonen, die nichts Böses im Sinn hatten. Für Caroline Fourest steht daher fest: Die Empörung selbst ist das eigentliche Ziel. Es gehe den „für kulturelle Aneignung zuständigen Inquisitoren“ im Grunde nicht um Fortschritt. Ihr Zweck bestehe vielmehr darin, „zu existieren, und das bedeutet heutzutage, sich für ,beleidigt’ zu erklären“. Die autoritären Forderungen identitärer Linker spielten stets identitären Rechten in die Hände.
Es sollte also niemand verstummen, aus Angst, auf der vermeintlich falschen Seite zu stehen.
JOHANNA ADORJÁN
„Die Identitären sind nicht die
neuen Antirassisten, sondern
vielmehr die neuen Rassisten.“
Jamie Oliver wurde der
Aneignungsvorwurf gemacht, als
er ein Rezept „Jerk Rice“ nannte
Motor ihrer Arbeit sei der Widerstand gegen Patriarchat und Homophobie, sagt Caroline Fourest.
Foto: Joel Saget/AFP
Caroline Fourest:
Generation Beleidigt.
Von der Sprachpolizei
zur Gedankenpolizei. Über den wachsenden Einfluss linker Identitärer. Eine Kritik (Edition Tiamat), 200 Seiten,
18 Euro.
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.03.2021In sicheren Räumen
Caroline Fourest über Strategien der identitären Linken
Hier spricht jemand Klartext. Caroline Fourest räumt mit Verve den öffentlichen Diskurs auf, der vor lauter Empörungsreflexen eine vernünftige Verständigung mittlerweile nahezu unmöglich macht. Längst sind es nicht mehr bloß die Rechtsextremen, die ihr politisches Projekt zu einer Frage der Identität erklären. Auch die Linke ist auf den Geschmack gekommen und führt den Kampf der politischen Hypersensibilisierung.
Die linksidentitäre Selbstbehauptung hat viele Gesichter. Ob es um gendergerechte Sprache geht, Antirassismus, Diversitätsgebote oder Dekolonialisierung - die Praxis der Subsumierung entweder unter die Bösen oder die Guten ist institutionell bereits tief verankert. An der Universität, in der Verwaltung, in Film, Kunst und Medien, überall ist die eigene Identität plötzlich politisch, und sie steht gleich unter Verdacht, wenn sie nicht zu einer als diskriminiert geltenden Minderheit gehört. Die französische Journalistin Caroline Fourest hat diesen identitätspolitischen Verdrehungen eine scharfsinnige Kritik gewidmet.
Fourest, die für "Charlie Hebdo" gearbeitet hat, legt in ihrem Buch ihre Orientierung offen: Sie ist homosexuell und war deshalb etlichen Anfeindungen ausgesetzt. Aber sie wählt nicht den Weg der identifikatorischen Aufladung des Politischen, sondern sieht sich selbst in der Tradition der republikanischen, universalistischen Linken. Wo die eigene Identität als Waffe gegen jegliche Kritik eingesetzt wird, nimmt diese biographische Transparenz der Gegenseite den Wind aus den Segeln.
Fourest erzählt von "Safe Spaces" an Universitäten, die Studenten vor diskriminierenden "Mikroaggressionen" schützen sollen. Aus Sicht der "opferzentrierten Ideologie des Antirassismus" droht diese Gefahr überall: in der Art, wie wir sprechen, in Seminarthemen und Büchern, sogar in der Darstellung von Geschichte, die historisches Unrecht beim Namen nennt. Das führt so weit, dass "segregierte Werkstätten" entstehen, die "Rassifizierte" von "Nicht-Rassifizierten" (den Weißen) trennen. Wer aufgrund seiner Hautfarbe privilegiert ist, gehört ausgeschlossen. Das ist das Diktum einer neuen Linken, die im Namen des Antirassismus rassistische Denkweisen neu festschreibt, nur unter umgekehrtem Vorzeichen: "Sag mir, welcher Herkunft du bist, und ich werde dir sagen, ob du reden darfst!"
Fourest kritisiert die Verharmlosung des politischen Islams und beobachtet die Vorwürfe der "kulturellen Aneignung", die etwa in Kanada so weit gingen, dass Yoga-Kurse boykottiert wurden, aus Angst, sich indische Kultur anzueignen. Sie kritisiert die Forderung von Schauspielern, ihre Herkunft und sexuelle Orientierung bei der Vergabe von Rollen zu berücksichtigen und für eine stärkere Repräsentation unterdrückter Minderheiten zu sorgen. Man müsse nicht das sein, was man spielt. Eine solche Offerte missachte den Geist des Theaters, "das allen Menschen erlaubt, in alle erdenklichen Rollen zu schlüpfen, ohne sich einem DNA-Test zu unterziehen". Sie erkennt, wie "brandgefährlich" die politische Motivation der identitären Linken ist: "Die neue Generation denkt nur daran, zu zensieren, was sie kränkt oder ,beleidigt'." Sie beanspruchten, die Welt von Ungleichheit, Unterdrückung und Ausgrenzung zu befreien, und verfielen dabei einer Doppelmoral, die am Ende genau das forciert, was sie eigentlich bekämpfen will.
Die "politische Korrektheit", schreibt Fourest, sehe der "freiheitsbedrohenden Karikatur immer ähnlicher, die ihre Gegner von jeher gezeichnet haben". Die soziale Frage habe die Linke indessen vollständig aus den Augen verloren. In der Tat sind die aggressiven Debatten zur linken Identitätspolitik keine Themen der Unterschicht; sie entstehen in privilegierten Milieus, welche die Beschränktheit ihrer eigenen Perspektiven nicht wahrhaben wollen. Die identitäre Rechte, warnt Fourest, profitiere am Ende davon. Eine treffendere Analyse wird man so schnell nicht finden.
HANNAH BETHKE.
Caroline Fourest: "Generation beleidigt." Von der Sprachpolizei zur Gedankenpolizei. Über den wachsenden Einfluss linker Identitärer. Eine Kritik.
Aus dem Französischen von A. Carsticuc, M. Feldon, Ch. Hesse. Edition Tiamat, Berlin 2020. 144 S., br. 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Caroline Fourest über Strategien der identitären Linken
Hier spricht jemand Klartext. Caroline Fourest räumt mit Verve den öffentlichen Diskurs auf, der vor lauter Empörungsreflexen eine vernünftige Verständigung mittlerweile nahezu unmöglich macht. Längst sind es nicht mehr bloß die Rechtsextremen, die ihr politisches Projekt zu einer Frage der Identität erklären. Auch die Linke ist auf den Geschmack gekommen und führt den Kampf der politischen Hypersensibilisierung.
Die linksidentitäre Selbstbehauptung hat viele Gesichter. Ob es um gendergerechte Sprache geht, Antirassismus, Diversitätsgebote oder Dekolonialisierung - die Praxis der Subsumierung entweder unter die Bösen oder die Guten ist institutionell bereits tief verankert. An der Universität, in der Verwaltung, in Film, Kunst und Medien, überall ist die eigene Identität plötzlich politisch, und sie steht gleich unter Verdacht, wenn sie nicht zu einer als diskriminiert geltenden Minderheit gehört. Die französische Journalistin Caroline Fourest hat diesen identitätspolitischen Verdrehungen eine scharfsinnige Kritik gewidmet.
Fourest, die für "Charlie Hebdo" gearbeitet hat, legt in ihrem Buch ihre Orientierung offen: Sie ist homosexuell und war deshalb etlichen Anfeindungen ausgesetzt. Aber sie wählt nicht den Weg der identifikatorischen Aufladung des Politischen, sondern sieht sich selbst in der Tradition der republikanischen, universalistischen Linken. Wo die eigene Identität als Waffe gegen jegliche Kritik eingesetzt wird, nimmt diese biographische Transparenz der Gegenseite den Wind aus den Segeln.
Fourest erzählt von "Safe Spaces" an Universitäten, die Studenten vor diskriminierenden "Mikroaggressionen" schützen sollen. Aus Sicht der "opferzentrierten Ideologie des Antirassismus" droht diese Gefahr überall: in der Art, wie wir sprechen, in Seminarthemen und Büchern, sogar in der Darstellung von Geschichte, die historisches Unrecht beim Namen nennt. Das führt so weit, dass "segregierte Werkstätten" entstehen, die "Rassifizierte" von "Nicht-Rassifizierten" (den Weißen) trennen. Wer aufgrund seiner Hautfarbe privilegiert ist, gehört ausgeschlossen. Das ist das Diktum einer neuen Linken, die im Namen des Antirassismus rassistische Denkweisen neu festschreibt, nur unter umgekehrtem Vorzeichen: "Sag mir, welcher Herkunft du bist, und ich werde dir sagen, ob du reden darfst!"
Fourest kritisiert die Verharmlosung des politischen Islams und beobachtet die Vorwürfe der "kulturellen Aneignung", die etwa in Kanada so weit gingen, dass Yoga-Kurse boykottiert wurden, aus Angst, sich indische Kultur anzueignen. Sie kritisiert die Forderung von Schauspielern, ihre Herkunft und sexuelle Orientierung bei der Vergabe von Rollen zu berücksichtigen und für eine stärkere Repräsentation unterdrückter Minderheiten zu sorgen. Man müsse nicht das sein, was man spielt. Eine solche Offerte missachte den Geist des Theaters, "das allen Menschen erlaubt, in alle erdenklichen Rollen zu schlüpfen, ohne sich einem DNA-Test zu unterziehen". Sie erkennt, wie "brandgefährlich" die politische Motivation der identitären Linken ist: "Die neue Generation denkt nur daran, zu zensieren, was sie kränkt oder ,beleidigt'." Sie beanspruchten, die Welt von Ungleichheit, Unterdrückung und Ausgrenzung zu befreien, und verfielen dabei einer Doppelmoral, die am Ende genau das forciert, was sie eigentlich bekämpfen will.
Die "politische Korrektheit", schreibt Fourest, sehe der "freiheitsbedrohenden Karikatur immer ähnlicher, die ihre Gegner von jeher gezeichnet haben". Die soziale Frage habe die Linke indessen vollständig aus den Augen verloren. In der Tat sind die aggressiven Debatten zur linken Identitätspolitik keine Themen der Unterschicht; sie entstehen in privilegierten Milieus, welche die Beschränktheit ihrer eigenen Perspektiven nicht wahrhaben wollen. Die identitäre Rechte, warnt Fourest, profitiere am Ende davon. Eine treffendere Analyse wird man so schnell nicht finden.
HANNAH BETHKE.
Caroline Fourest: "Generation beleidigt." Von der Sprachpolizei zur Gedankenpolizei. Über den wachsenden Einfluss linker Identitärer. Eine Kritik.
Aus dem Französischen von A. Carsticuc, M. Feldon, Ch. Hesse. Edition Tiamat, Berlin 2020. 144 S., br. 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main