Die in den 1960er Jahren im Osten Deutschlands geborenen »Mauerkinder« waren jung genug, um sich ab 1989 die Welt zu erobern - eine glückliche Generation? Ines Geipel sucht im Dialog zwischen persönlichem Schicksal und aktueller Forschung der Biographie ihrer Generation auf die Spur zu kommen.
Im System Honecker herangewachsen galten die heute 45- bis 55-Jährigen als die Distanzierten, Staatsfernen, für die das Jahr 1989 dann zum Sprungbrett ins größere Deutschland und in die Welt wurde. Sind sie wirklich auf der Gewinnerseite gelandet? Oder hat die zähe Prägekraft der späten DDR mit ihren politischen Tabus, dem Bespitzeln und Verhindern von Individualität à la longue doch ihren Tribut gefordert? Ines Geipel erforscht das Lebensgefühl ihrer Generation in Tiefeninterviews mit Mauerkindern und in aktuellen psychologisch-soziologischen Untersuchungen. Sie findet den Zugang zu einer Generationenerzählung, die von großen Hypotheken, aber auch von großen Chancen handelt.
Im System Honecker herangewachsen galten die heute 45- bis 55-Jährigen als die Distanzierten, Staatsfernen, für die das Jahr 1989 dann zum Sprungbrett ins größere Deutschland und in die Welt wurde. Sind sie wirklich auf der Gewinnerseite gelandet? Oder hat die zähe Prägekraft der späten DDR mit ihren politischen Tabus, dem Bespitzeln und Verhindern von Individualität à la longue doch ihren Tribut gefordert? Ines Geipel erforscht das Lebensgefühl ihrer Generation in Tiefeninterviews mit Mauerkindern und in aktuellen psychologisch-soziologischen Untersuchungen. Sie findet den Zugang zu einer Generationenerzählung, die von großen Hypotheken, aber auch von großen Chancen handelt.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Heinz Bude findet in Ines Geipels Buch über die letzte Generation der DDR Aufschlussreiches über tragische Gemütszustände von Durchstartern wie Neo Rauch oder Maybrit Illner. Warum fühlen sich diese Menschen häufig deplatziert in deutschen Verhältnissen? Ihre unerzählte Geschichte, meint Bude, wird nun von Geipel in dichter expressionistischer Sprache beschrieben. Träume von Isolation und Schmerz und Angst vor Untreue einem sich als falsch erwiesenen System gegenüber begegnen Bude, und dahinter scheinen für ihn immer wieder Gründe für das Ende der DDR auf.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.05.2014Das geteilte Deutschland lässt sie nie mehr los
Angst vor der Untreue etwas Falschem gegenüber: Ines Geipel kennt die Beschwerden der Mauerkinder
Ines Geipel hat ein aufschlussreiches Buch über die letzte Generation der DDR geschrieben. Es handelt sich um die Ostdeutschen, die in den sechziger Jahren geboren wurden und heute an vielen Stellen des vereinten Deutschlands in gute Positionen gelangt sind. Sei es als kompetente Facharbeiter, sei es als wichtige Leute in den Medien, sei es als dynamische Unternehmer oder als weltweit begehrte Kulturproduzenten. Neo Rauch gehört dazu, Maybrit Illner oder die Leute von "Rammstein".
Diese Generation ist eigentlich eine glückliche Generation. Das System der DDR hat sie in pragmatischer Distanz und hedonistischer Unbekümmertheit über sich ergehen lassen. Man hörte David Bowie und hockte im Schichtarbeiterkino, man steckte sich in Röhrenjeans, und wenn man studiert hatte, gehörten die Bücher aus dem Merve Verlag zur Bibliothek des Lebens. 1989 kam für diese Kohorte zum biographisch besten Zeitpunkt. Sie sind dann richtig durchgestartet und haben sich ziemlich mühelos ins neue Deutschland integriert. Trotzdem sind sie von einem unglücklichen Bewusstsein beherrscht. Ines Geipel beschreibt, wie ihre Altersgenossen immer wieder von tragischen Gemütszuständen eingeholt werden und sich am Ende deplaziert in den deutschen Verhältnissen fühlen. Man wollte sich ironisch davonstehlen und fand sich plötzlich als die letzte tragische Generation, die noch eine echte Verbindung zum geteilten Deutschland und zum vergangenen Jahrhundert besitzt. Für Ines Geipel ist das der Grund für die seltsame Unerzähltheit der Geschichte ihrer eigenen Generation.
Man erfährt in diesem Buch viel über die Gründe der Implosion der DDR. Schließlich ist diese Gesellschaft am Ende daran zugrunde gegangen, dass eine endlose Schlange junger Familien mit ihren kleinen Trabants das Land über Ungarn verlassen hat. Ihnen ging es weder schlecht, noch wurden sie von dem Repressionssystem dieses Staates verfolgt. Sie hatten einfach genug vom Sozialismus der Einsperrung, an dem auch ein menschliches Antlitz nichts mehr ändern konnte.
Ines Geipel beschreibt die widersprüchliche Situation bei der letzten großen Demonstration vom 4. November 1989 in Berlin. Auf dem Podium standen Gregor Gysi, Markus Wolf, Christa Wolf und Heiner Müller und wollten die Menge davon überzeugen, dass man den Sozialismus noch retten könne. Aber sie merkten überhaupt nicht, dass ihnen niemand mehr zuhören wollte. Von heute aus war das ein Augenblick der kollektiven Entscheidung: "Exit" war wichtiger als "voice".
Die Mauerkinder sind über Nacht losgegangen und haben Erich Honecker mit seinem Land alleingelassen. Mehr als vierzig Prozent der rund 350 000 Ostdeutschen, die zwischen August und November 1989 die DDR verlassen haben, sind zu dieser Generation zu zählen. "Erich - nein, danke! Wir sind glücklich!" In einer eigentümlich expressionistischen Sprache beschreibt Ines Geipel viele schwere Träume, die von Isolation, Schmerz und Tod handeln. Man hat dem System der Herkunft den Todesstoß versetzt und fühlt sich am Ende offenbar trotzdem nicht wirklich befreit. Das ganze Buch zeugt von der Angst vor der Untreue zu etwas, das sich als falsch erwiesen hat.
Die Gleichaltrigen im Westen haben den Punk, den Dekonstruktivismus und die Grünen für sich entdeckt. Das war ein großangelegtes historisches Entlastungsprogramm, von dem Deutschland heute profitiert. Die Ostvariante dieser Generation will dagegen auf Erfahrung, Geschichte und Erinnerung bestehen. Die heutigen Mittfünfziger hadern immer noch damit, dass das Gewesene doch nicht nur gewesen sein kann.
Wenn man Ines Geipels dichter Beschreibung Glauben schenkt, sperrt sich die Generation der Mauerkinder dem Vergleich mit dem Befinden ihrer Generationsgenossen in weiteren Kontexten und anderen Ländern ostwärts wie westwärts. Mit dem Pathos, dass die Geschichte ihres ungelebten Lebens jetzt endlich erzählt werden müsste, verkapseln sich die Mauerkinder in einem geschichtlichen Sonderbewusstsein, das ihnen offensichtlich gar nicht guttut. Es fällt ihnen schwer, sich vergleichbar zu machen und in den Augen der anderen zu sehen. Vielleicht ist das von den Mitgliedern dieser Erinnerungs- und Erfahrungsgemeinschaft zu viel verlangt. Es wäre aber die Voraussetzung dafür, die DDR als Teil der deutschen Geschichte zu begreifen, mit der sie nicht allein sind.
HEINZ BUDE
Ines Geipel: "Generation Mauer". Ein Porträt. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2014. 275 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Angst vor der Untreue etwas Falschem gegenüber: Ines Geipel kennt die Beschwerden der Mauerkinder
Ines Geipel hat ein aufschlussreiches Buch über die letzte Generation der DDR geschrieben. Es handelt sich um die Ostdeutschen, die in den sechziger Jahren geboren wurden und heute an vielen Stellen des vereinten Deutschlands in gute Positionen gelangt sind. Sei es als kompetente Facharbeiter, sei es als wichtige Leute in den Medien, sei es als dynamische Unternehmer oder als weltweit begehrte Kulturproduzenten. Neo Rauch gehört dazu, Maybrit Illner oder die Leute von "Rammstein".
Diese Generation ist eigentlich eine glückliche Generation. Das System der DDR hat sie in pragmatischer Distanz und hedonistischer Unbekümmertheit über sich ergehen lassen. Man hörte David Bowie und hockte im Schichtarbeiterkino, man steckte sich in Röhrenjeans, und wenn man studiert hatte, gehörten die Bücher aus dem Merve Verlag zur Bibliothek des Lebens. 1989 kam für diese Kohorte zum biographisch besten Zeitpunkt. Sie sind dann richtig durchgestartet und haben sich ziemlich mühelos ins neue Deutschland integriert. Trotzdem sind sie von einem unglücklichen Bewusstsein beherrscht. Ines Geipel beschreibt, wie ihre Altersgenossen immer wieder von tragischen Gemütszuständen eingeholt werden und sich am Ende deplaziert in den deutschen Verhältnissen fühlen. Man wollte sich ironisch davonstehlen und fand sich plötzlich als die letzte tragische Generation, die noch eine echte Verbindung zum geteilten Deutschland und zum vergangenen Jahrhundert besitzt. Für Ines Geipel ist das der Grund für die seltsame Unerzähltheit der Geschichte ihrer eigenen Generation.
Man erfährt in diesem Buch viel über die Gründe der Implosion der DDR. Schließlich ist diese Gesellschaft am Ende daran zugrunde gegangen, dass eine endlose Schlange junger Familien mit ihren kleinen Trabants das Land über Ungarn verlassen hat. Ihnen ging es weder schlecht, noch wurden sie von dem Repressionssystem dieses Staates verfolgt. Sie hatten einfach genug vom Sozialismus der Einsperrung, an dem auch ein menschliches Antlitz nichts mehr ändern konnte.
Ines Geipel beschreibt die widersprüchliche Situation bei der letzten großen Demonstration vom 4. November 1989 in Berlin. Auf dem Podium standen Gregor Gysi, Markus Wolf, Christa Wolf und Heiner Müller und wollten die Menge davon überzeugen, dass man den Sozialismus noch retten könne. Aber sie merkten überhaupt nicht, dass ihnen niemand mehr zuhören wollte. Von heute aus war das ein Augenblick der kollektiven Entscheidung: "Exit" war wichtiger als "voice".
Die Mauerkinder sind über Nacht losgegangen und haben Erich Honecker mit seinem Land alleingelassen. Mehr als vierzig Prozent der rund 350 000 Ostdeutschen, die zwischen August und November 1989 die DDR verlassen haben, sind zu dieser Generation zu zählen. "Erich - nein, danke! Wir sind glücklich!" In einer eigentümlich expressionistischen Sprache beschreibt Ines Geipel viele schwere Träume, die von Isolation, Schmerz und Tod handeln. Man hat dem System der Herkunft den Todesstoß versetzt und fühlt sich am Ende offenbar trotzdem nicht wirklich befreit. Das ganze Buch zeugt von der Angst vor der Untreue zu etwas, das sich als falsch erwiesen hat.
Die Gleichaltrigen im Westen haben den Punk, den Dekonstruktivismus und die Grünen für sich entdeckt. Das war ein großangelegtes historisches Entlastungsprogramm, von dem Deutschland heute profitiert. Die Ostvariante dieser Generation will dagegen auf Erfahrung, Geschichte und Erinnerung bestehen. Die heutigen Mittfünfziger hadern immer noch damit, dass das Gewesene doch nicht nur gewesen sein kann.
Wenn man Ines Geipels dichter Beschreibung Glauben schenkt, sperrt sich die Generation der Mauerkinder dem Vergleich mit dem Befinden ihrer Generationsgenossen in weiteren Kontexten und anderen Ländern ostwärts wie westwärts. Mit dem Pathos, dass die Geschichte ihres ungelebten Lebens jetzt endlich erzählt werden müsste, verkapseln sich die Mauerkinder in einem geschichtlichen Sonderbewusstsein, das ihnen offensichtlich gar nicht guttut. Es fällt ihnen schwer, sich vergleichbar zu machen und in den Augen der anderen zu sehen. Vielleicht ist das von den Mitgliedern dieser Erinnerungs- und Erfahrungsgemeinschaft zu viel verlangt. Es wäre aber die Voraussetzung dafür, die DDR als Teil der deutschen Geschichte zu begreifen, mit der sie nicht allein sind.
HEINZ BUDE
Ines Geipel: "Generation Mauer". Ein Porträt. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2014. 275 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Sofern Sie sich selbst in irgendeiner Weise mit der Ost-West-Thematik auseinandersetzen oder in therapeutischen Kontexten mit Menschen dieser Generation zu tun haben, kaufen Sie dieses Buch. Sie werden ebenso wie ich bestimmte Ereignisse und Prozesse besser verstehen können. Es betrifft eine Generation, über die bisher zu wenig erzählt wurde, wie Ines Geipel selbst sagt, und an der exemplarisch Prozesse transgenerationaler Traumatransmission sichtbar werden.« Harald J. Freyberger, Trauma & Gewalt, November 2016 » ... feinsinnige Beobachtungen und gemeinsame Erfahrungen, die sich durch die spannenden Biographien ziehen. Sehr lesenswert.« Zeitzeichen, November 2014 »Über die Ängste, Brüche und unverhofften Glücksfälle ihrer "Generation Mauer" hat sie ein kluges und beeindruckend offenes Buch geschrieben.« Maja Anter, Gewandhaus-Magazin, August 2014 »Selten ist dieser Zustand des Weggehens und Nie-richtig-Ankommens so poetisch beschrieben worden wie von Geipel, inzwischen Professorin für Verssprache.« Chrismon plus, 7/2014 »... ein aufschlussreiches Buch über die letzte Generation der DDR ... Man erfährt in diesem Buch viel über die Gründe der Implosion der DDR.« Heinz Bude, FAZ, 21.5.2014»Es wird zwar viel geforscht zur deutsch-deutschen Geschichte, aber sind die Forschungsergebnisse auch als Realität ins mentale Bewusstsein der Deutschen eingegangen? Wohl nicht, denn sonst wären die Bücher von Ines Geipel nicht so aufwühlend und verstörend - und sie wären nicht so nötig, um die Abläufe in der eigenen Gesellschaft zu verstehen« Insa Wilke, Zeit online, 7.5.2014 >>Lesen Sie die ganze Rezension hier nach! »Ihre Generation sieht Geipel in der Rolle der "Entschweiger": Sie habe die Aufgabe und ein Interesse daran, die Geschichten der Eltern zu rekonstruieren, Lügen, Illusionen, Hilfskonstruktionen zu erkennen.« Jens Bisky, Süddeutsche Zeitung, 27.2.2014 »Generation Mauer" hebt die Sechziger aus der Anonymität einer DDR-Erinnerungsscham und setzt der Kessel-Buntes-Ostalgie und der bloßen Ironie-Verwertung kraftvolle Zeitgeschichten entgegen.« Peter Ufer, Sächsische Zeitung, 27.2.2014 »Reportage, Erinnerung, Reflexion: Das geht im Buch gekonnt ineinander über.« Christian Eger, Mitteldeutsche Zeitung, 8.3.2014 »... ein bemerkenswertes Psychogramm einer Generation.« Peter Ufer, Sächsische Presse, 27.2.2014
»... ein aufschlussreiches Buch über die letzte Generation der DDR ... Man erfährt in diesem Buch viel über die Gründe der Implosion der DDR.« Heinz Bude, FAZ, 21.5.2014 Heinz Bude FAZ 20140521