In den europäischen Städten vollzieht sich eine demographische Revolution. In Amsterdam, London und Brüssel ist es schon so weit, in Deutschland werden Frankfurt, Augsburg und Stuttgart als erste folgen: Es gibt in ihnen keine "Mehrheitsgesellschaft" mehr. Gleichzeitig werden klare ethnische Zuordnungen immer schwieriger, Mehrdeutigkeiten und Mehrfach-Identitäten immer wichtiger. Der englische Fachbegriff dafür: Superdiversity.Wir haben den Übergang zur "Einwanderungsgesellschaft" zwar verbal, aber nicht mental vollzogen, dabei ist dies von zentraler Bedeutung: Was muss gegeben sein, damit die superdiverse Stadt als Gemeinwesen funktioniert und ein Fundament hat, das gleichberechtigte Teilhabe und Freiheit ermöglicht? Was ist die gemeinsame Basis in einer Stadt, die nur aus Minderheiten besteht?Ausgehend von der europäischen TIES-Studie zeigen die Autoren, dass wir genau jetzt an einer wichtigen Weggabelung stehen: Nur die Städte, die allen ihren Talenten einen gleichberechtigtenZugang zu Bildung, Jobs und Zugehörigkeit bieten, werden dabei erfolgreich sein.Die Protagonisten des Gelingens sind diejenigen jungen Leute, die die neue urbane Wirklichkeit bereits leben. Die Generation Mix ist mehrsprachig und interkulturell, sie pflegt das kulturelle Erbe der Eltern und kreiert gleichzeitig die neue Stadtkultur.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.03.2016Die neuen
Eigentümer
Wie sich die Stadtgesellschaften
durch Migration verändern
Schon lange geben in New York nicht mehr weiße Angelsachsen den Ton an. Die Stadt ist, genau wie Los Angeles und Miami, eine „Majority-Minority-City“. Auch Amsterdam, London, Brüssel und Genf sind zu solchen „Mehrheitlich-Minderheiten-Städten“ geworden. Und genau so, darauf weisen der Migrations- und Identitätsforscher Jens Schneider und seine Mitautoren Maurice Crul und Frans Lelie in ihrem Buch hin, wird es bald Frankfurt am Main, Augsburg und Stuttgart ergehen: Sie werden ihre deutsche „Mehrheitsgesellschaft“ verlieren. Anders gesagt: Die ethnisch deutsche Bevölkerung wird zu einer von mehreren Minderheiten werden. Die Autoren lassen keinen Zweifel daran, dass sie diese Entwicklung für ebenso unumstößlich wie wünschenswert halten – deshalb, weil sie große Chancen für das Entstehen von mehr „gesellschaftlicher Gerechtigkeit“ biete, wie sie schreiben: wenn nämlich die bisherige Mehrheitsgesellschaft ihre dominanten Positionen verliert und damit – ein Beispiel – vielleicht das Gymnasium in Deutschland seine Rolle als Statussymbol, das manche Eltern nicht mit Fremden, noch dazu aus anderen Schichten, teilen wollen. Bildung und soziale Herkunft, der alte deutsche Zusammenhang, könnte sich ebenso auflösen wie die Gewissheit vieler Einheimischer, sie blieben auch in einer rasch alternden Gesellschaft noch in der Mehrheit und damit gewissermaßen Eigentümer des Landes.
Das Buch basiert auf einer Untersuchung in acht europäischen Ländern, der TIES-Studie (The Integration of the European Second Generation), die etwa 10 000 Nachkommen von Einwanderern aus der Türkei, Marokko und dem früheren Jugoslawien, Angehörige jener dem Buch seinen Titel gebenden „Generation Mix“, zu ihren Bildungs- und Berufserfahrungen befragt hat. Dabei ist, nicht überraschend, herausgekommen, dass etwa Türken der zweiten Generation (die hierzulande weiterhin „Menschen mit Migrationshintergrund“ heißen, ungeachtet der Tatsache, dass sie hier geboren sind) in Schweden und Frankreich, aber auch in den Niederlanden deutlich bessere Abschlüsse erzielen als in Deutschland und Österreich, was mit der besseren frühkindlichen Sprachförderung und dem Ganztagsschulsystem zusammenhängt.
Integration funktioniert, das macht der lesenswerte Band deutlich, wenn ein Land Anspruch auf seine Einwanderer erhebt. Ein richtiges Einwanderungsland akzeptiert die Menschen, es sorgt für umfassende Bildungsangebote, durch die neu Hinzukommende leichter Arbeit finden und die Einwandererkinder von klein auf prägen. Und: Ganz wichtig sind „interethnische Freundschaften“, wie die Autoren betonen. Verordnen lassen die sich nicht, aber in einer bereitwilligen Gesellschaft werden sie sich ergeben.
CORD ASCHENBRENNER
Jens Schneider,
Maurice Crul, Frans Lelie,
Generation Mix. Die
superdiverse Zukunft
unserer Städte und was
wir daraus machen.
Waxmann Verlag 2015.
130 Seiten. 19,90 Euro.
Als E-Book: 18,90 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Eigentümer
Wie sich die Stadtgesellschaften
durch Migration verändern
Schon lange geben in New York nicht mehr weiße Angelsachsen den Ton an. Die Stadt ist, genau wie Los Angeles und Miami, eine „Majority-Minority-City“. Auch Amsterdam, London, Brüssel und Genf sind zu solchen „Mehrheitlich-Minderheiten-Städten“ geworden. Und genau so, darauf weisen der Migrations- und Identitätsforscher Jens Schneider und seine Mitautoren Maurice Crul und Frans Lelie in ihrem Buch hin, wird es bald Frankfurt am Main, Augsburg und Stuttgart ergehen: Sie werden ihre deutsche „Mehrheitsgesellschaft“ verlieren. Anders gesagt: Die ethnisch deutsche Bevölkerung wird zu einer von mehreren Minderheiten werden. Die Autoren lassen keinen Zweifel daran, dass sie diese Entwicklung für ebenso unumstößlich wie wünschenswert halten – deshalb, weil sie große Chancen für das Entstehen von mehr „gesellschaftlicher Gerechtigkeit“ biete, wie sie schreiben: wenn nämlich die bisherige Mehrheitsgesellschaft ihre dominanten Positionen verliert und damit – ein Beispiel – vielleicht das Gymnasium in Deutschland seine Rolle als Statussymbol, das manche Eltern nicht mit Fremden, noch dazu aus anderen Schichten, teilen wollen. Bildung und soziale Herkunft, der alte deutsche Zusammenhang, könnte sich ebenso auflösen wie die Gewissheit vieler Einheimischer, sie blieben auch in einer rasch alternden Gesellschaft noch in der Mehrheit und damit gewissermaßen Eigentümer des Landes.
Das Buch basiert auf einer Untersuchung in acht europäischen Ländern, der TIES-Studie (The Integration of the European Second Generation), die etwa 10 000 Nachkommen von Einwanderern aus der Türkei, Marokko und dem früheren Jugoslawien, Angehörige jener dem Buch seinen Titel gebenden „Generation Mix“, zu ihren Bildungs- und Berufserfahrungen befragt hat. Dabei ist, nicht überraschend, herausgekommen, dass etwa Türken der zweiten Generation (die hierzulande weiterhin „Menschen mit Migrationshintergrund“ heißen, ungeachtet der Tatsache, dass sie hier geboren sind) in Schweden und Frankreich, aber auch in den Niederlanden deutlich bessere Abschlüsse erzielen als in Deutschland und Österreich, was mit der besseren frühkindlichen Sprachförderung und dem Ganztagsschulsystem zusammenhängt.
Integration funktioniert, das macht der lesenswerte Band deutlich, wenn ein Land Anspruch auf seine Einwanderer erhebt. Ein richtiges Einwanderungsland akzeptiert die Menschen, es sorgt für umfassende Bildungsangebote, durch die neu Hinzukommende leichter Arbeit finden und die Einwandererkinder von klein auf prägen. Und: Ganz wichtig sind „interethnische Freundschaften“, wie die Autoren betonen. Verordnen lassen die sich nicht, aber in einer bereitwilligen Gesellschaft werden sie sich ergeben.
CORD ASCHENBRENNER
Jens Schneider,
Maurice Crul, Frans Lelie,
Generation Mix. Die
superdiverse Zukunft
unserer Städte und was
wir daraus machen.
Waxmann Verlag 2015.
130 Seiten. 19,90 Euro.
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