Produktdetails
  • Verlag: Okawa Verlag
  • ISBN-13: 9783929050202
  • Artikelnr.: 24068924
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.11.2008

Der strahlende Held war tot
Der wohl älteste Roman Japans wird tausend Jahre alt. Eine Reise zum „Genji Millenium” nach Kyoto
Das Telefon klingelt – Japan ist dran. Genauer gesagt, eine Frau von der deutschen Filiale des japanischen Fremdenverkehrsamtes. Sie sagt, dass die Geschichte vom Prinzen Genji, der erste Roman Japans und vielleicht sogar der erste der Welt, in Kyoto sein tausendjähriges Jubiläum feiere, weshalb man eingeladen sei, sich dorthin zu begeben.
Der erste Roman der Welt? Die Japanologie-Professorin Evelyn Schulz, die im nächsten Sommersemester an der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität ein Seminar über die Geschichte vom Prinzen Genji hält, erklärt: „Der Originaltitel des Buches ist ,Genji Monogatari’. Mono bedeutet Ding, gatari erzählen. Die Gattung Monogatari ist in Japan in den Sammelbegriff Roman eingeflossen. Die Geschichte vom Prinzen Genji unterscheidet sich stilistisch von den Werken Thomas Manns oder Goethes, doch was seine gesellschaftliche Bedeutung angeht, kann man sie durchaus mit unserem Faust vergleichen”.
Autorin Murasaki Shikibu erzählt in ihrem Buch das Leben eines Prinzen namens Hikaru Genji am japanischen Hof zur Zeit der ersten Jahrtausendwende. Als Lieblingssohn des Kaisers beschäftigt er sich mit Malen, Dichten, Zeichnen und Tanzen – am liebsten jedoch mit Frauen. Bei ihnen hat er, weil er „strahlend schön” ist, leichtes Spiel. Selbst mit seiner Stiefmutter Fujitsubo beginnt er eine verbotene Affäre; sie bekommt ein Kind von ihm, das die beiden als Sohn des Kaisers ausgeben. Eines Tages trifft Genji in einer ländlichen Gegend bei Kyoto ein zehnjähriges Mädchen namens Murasaki, das der begehrten Stiefmutter aufs Haar ähnelt. Er holt das Mädchen zu sich, um es nach seinen Vorstellungen zu erziehen. Allerdings kommt zuvor eine andere Liaison Genjis mit einer Konkubine des aktuellen Thronfolgers ans Licht, weshalb diese Genji ins Exil schickt.
Es gab keinen mehr wie ihn
Angekommen in Japan, tausend Jahre später: Die eingeladenen Journalisten fahren in einem Reisebus von einer Sehenswürdigkeit zur nächsten: beeindruckende Tempel, Museen der Stadtgeschichte Kyotos, sogar eine alteingesessene Dichterfamilie stehen auf dem Plan. Der Reiseleiter der „Genji-Millenium-Tour” hat das Buch in der Schule gelesen, seine Assistentin bevorzugt die Genji-Comics. In Japan gibt es fünf Manga-Adaptionen, vier Genji-Filme, eine Oper und ein Playstation-Spiel. „Japan ist stolz darauf, ein so authentisches Kulturgut zu besitzen”, sagt Evelyn Schulz.
Das erklärt auch, warum das Buch vom Veranstalter im Überschwang als „der erste Roman der Welt” beworben wird. Die renommiertesten Literaturwissenschaftler verschiedener Länder dagegen würden sich wohl kaum auf eine eindeutige Definition des Begriffs Roman einigen können, geschweige denn auf ein einziges, ältestes Werk dieser Gattung.
Die Handlung des „Genji Monogatari” erstreckt sich über siebzig Jahre, rund 400 Charaktere tauchen aus. Als Prinz Genji gealtert aus dem Exil an den Hof zurückkehrt, trifft er die zur Frau gewordene Murasaki wieder. Der Kaiser dankt ab, ihm folgt der heimliche Sohn von Genji und Stiefmutter Fujitsubo auf den Thron. Er verhilft seinem Vater zu einer glänzenden Karriere. Doch Genji versinkt in Grübeleien. Seine Frau, mittlerweile die dritte und wieder nicht Murasaki, erwartet den Sohn eines anderen Mannes. Genji erlebt, was er anderen widerfahren ließ. Als Murasaki stirbt, verliert er den Lebenswillen und gibt sich vollends der Melancholie hin. Sein Tod wird nicht beschrieben. Das einundvierzigste Kapitel beginnt schlicht mit den Worten: „Der strahlende Genji war tot und es gab keinen mehr wie ihn.” Die folgenden vierzehn Kapitel handeln von Kaoru, seinem vermeintlichen Sohn.
Ende des 19. Jahrhundert wurde das „Genji Monogatari” von Schriftstellern in modernes Japanisch übersetzt. Zwischen 1921 und 1933 erschienen sechs englische Transkriptionen von Arthur Waley. Der erste Satz: „Am Hofe eines Kaisers – wann er lebte, ist nicht von Bedeutung – war unter vielen Damen der Kleiderkammer und des Bettgemachs auch eine, die, obgleich nicht von sehr hohem Rang, vor allen übrigen in Gunst stand; also dass die großen Damen des Palasts, von denen jede insgeheim gehofft hatte, sie selbst werde die Auserwählte sein, mit Hass und Geringschätzung auf den Emporkömmling blickten, der ihre Träume zerstört hatte.”
Der Stil des „Genji Monogatari” bleibt stets zurückgenommen und wirkt gerade dadurch faszinierend fremd und japanisch. Die Beschreibungen der Natur fügen sich ebenso nahtlos in die Handlung wie die Gedichte, die sich die Figuren wie Dialoge zuspielen. Eines aber ist seltsam: Im Nachwort zu seiner Übersetzung schreibt Arthur Waley, das „Genji Monogatari” sei seiner Meinung nach im Jahr 1001 begonnen und „nicht vor 1015 oder sogar 1020” vollendet worden. Das hieße, die „Genji-Millenium-Tour” 2008 fände etwa sieben Jahre zu früh statt. Die Veranstalter verweisen bei Nachfragen auf einen Tagebucheintrag der Autorin vom 1. November 1008, in dem sie schreibt, dass sie von einem damaligen Literaturkenner für ihren Stil gelobt worden sei. Genügt das als Beweis?
Am Ishiyama-dera-Tempel soll Murasaki Shikibu vor tausend Jahren den Vollmond angesehen haben und zu ihrer Geschichte inspiriert worden sein. Erwiesen ist auch das nicht. Ehe man nachfragen kann, setzt am Tempel Nieselregen ein, der Reiseleiter führt die Journalisten an Kirsch- und Gingkobäumen vorbei in den Tempel. Ist es nicht beachtlich, dass das wahrscheinlich älteste vollständig erhaltene literarische Werk Japans von einer Frau verfasst wurde? In der Heian-Ära galten Frauen bloß als Zierde des Mannes, wurden nach deren Rang oder dem Beruf ihres Vaters benannt. Auch der Name Murasaki Shikibu wurde der Autorin nachträglich gegeben, wahrscheinlich in Anlehnung an ihre Heldin.
Verspielte Ruhe
Es hört wieder auf zu regnen und mit einem Mal riecht die Luft so frisch, dass keiner der Journalisten noch auf harte Tatsachen bestehen will. „Gerade beim ,Genji Monogatari’ muss man sich von der Vorstellung verabschieden, die eine Wahrheit zu finden”, sagt Evelyn Schulz. „In Japan geht man mit diesem Thema etwas verspielter um.” Und so überlässt man sich schließlich jener Ruhe, die sich auch in der Geschichte vom Prinzen Genji irgendwann über jede Aufregung legt.SEBASTIAN GLUBRECHT
Als Verfasserin des ersten Romans der Weltliteratur wird Murasaki Shikibu in Japan verehrt. Foto: Interfoto
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