Je weiter Nationalsozialismus und Holocaust sich zeitlich entfernen, desto präsenter sind sie im öffentlichen Gedächtnis und Gedenken. Dabei hat sich allerdings unser Blickwinkel im Laufe der Jahre erweitert und bezieht andere vergleichbare Phänomene mit ein. Die zahlreichen Genozide und staatlichen Gewaltverbrechen des 20. Jahrhunderts rücken - neben der Ermordung der europäischen Juden - verstärkt in unser Gesichtsfeld, ging und geht doch das Morden trotz der 1948 von den Vereinten Nationen beschlossenen Genozidkonvention bis in die jüngste Vergangenheit weiter: die Genozide und anderen Formen des Massenmordes des vergangenen Jahrhunderts kosteten schließlich an die 170 Millionen Menschen das Leben. Dieser dritte Band der Reihe "Konzepte und Kontroversen" gibt Anregungen, wie man - jenseits der medialen Inszenierung von Katastrophen - auf theoretischer und praktischer Ebene mit dem ebenso realitätsrelevanten wie schwierigen Thema "Genozide und staatliche Gewaltverbrechen" umgehen kann.Aus dem Inhalt:Yves Ternon: Perzeption und Prävention des GenozidMihran Dabag: Wahrnehmung und Prävention von Genozid aus der Perspektivestrukturvergleichender GenozidforschungGregory Stanton: Wie wir Genozid verhindern können. Der Aufbau einer Internationalen Kampagne zur Beendigung von GenozidenGerd Hankel: Verleugnung oder Auseinandersetzung? Zum Umgang mit Völkermord und staatlichen GewaltverbrechenEric D. Weitz: Holocaust, Genozid und die Macht der DefinitionVolkmar Deile: "Die Menschenrechtsverletzungen von heute können die Katastrophen von morgen sein"Fatuma Ndangiza: "Wir sind alle Verlierer in diesem Spiel". Wie die Rwander die jüngste Vergangenheit bewältigenThami Tisani: Auf neuen Wegen. Geschichtsunterricht in Südafrika nach der ApartheidHeike Deckert-Peaceman: Gibt es das "richtige Alter"? Holocaust und andere Genozide als Thema für jüngere KinderFalk Pingel: "Sicher ist, dass ... der Völkermord nicht mit Hitler begann und leider auch nicht mit ihm endet." DasThema "Völkermord" als Gegenstand von Unterricht und SchulbuchRoland Brunner: Der Beitrag der Medien zur Versöhnung Erfahrungen und Projekte aus dem ehemaligen Jugoslawien Helmut Meyer: Zur Entstehung des Lehrbuchs "Vergessen oder erinnern? - Völkermord in Geschichte und Gegenwart" Pedro Alejandro Matta: Das Erbe der Diktatur. Erinnerung und Gedenkstätten in Chile Irena Brezná: Über den Körper hinaus. Offener Brief von Irena Brezná an die tschetschenische Menschenrechtlerin Sainab Gaschajewa, 2001
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Nur eingeschränkt kann Franz Schandl dieses Buch empfehlen, das verschiedene Aufsätze zum Genozid als globales Phänomen versammelt. Einige Beiträge stoßen bei ihm durchaus auf Interesse, etwa von Gregory Stanton, der acht Phasen eines Völkermords ausmacht und für die jeweiligen Stadien unterschiedliche Möglichkeiten des Eingreifens darstellt. Gar nicht einverstanden ist er dann mit Thami Tisanis versuch, Apartheid und Genozid gleichzusetzen. Hier sieht er eine "maßlose Begrifflichkeit". Und allgemein bleibt ihm der Band zu sehr auf der empirischen Ebene: "An Materialien reich, an Theorien aber arm."
© Perlentaucher Medien GmbH
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