Marktplatzangebote
2 Angebote ab € 28,00 €
Produktdetails
  • Verlag: Chronos
  • Seitenzahl: 679
  • Abmessung: 246mm x 165mm x 39mm
  • Gewicht: 1642g
  • ISBN-13: 9783034005012
  • ISBN-10: 3034005016
  • Artikelnr.: 09643597
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Kollaboration aus Kalkül
Eine Firmengeschichte der Georg Fischer AG von 1930 bis 1945

Hans Ulrich Wipf: Georg Fischer AG 1930 -1945. Ein Schweizer Industrieunternehmen im Spannungsfeld Europas. Chronos Verlag, Zürich 2001, 680 Seiten, 68 Franken.

Auch die Schweizer merkten schnell, was die Stunde geschlagen hatte: Schon im Jahre 1935 wurde im deutschen Werk Singen des Schaffhauser Gießerei-Unternehmens Georg Fischer der Hitlergruß eingeführt. Fortan endeten alle Briefe mit der Nazi-Formel. Man bewilligte die Anschaffung einer Radioanlage, damit im Speiseraum der deutschen Tochtergesellschaft am Hohentwiel die Reden des Führers stets gut zu hören waren. Es gab morgendliche Appelle der Lehrlinge mit Hakenkreuz, aber auch Eingriffe der Nationalsozialisten in die Betriebsführung: So wurde 1937 der Schweizer Chef des Werks durch die Gestapo verhaftet.

Die Kollaboration mit dem Nazi-Regime war gleichwohl nicht nur eine Folge des politischen Drucks, sondern ergab sich auch aus geschäftlichem Kalkül: Man wollte am Rüstungsgeschäft partizipieren - und tat es auch willig mit der Lieferung von Gußteilen für Panzer, U-Boote und Flugzeuge. Einen unternehmerischen Gewinn brachte die Kollaboration jedoch nicht, zumindest nicht bei jenen Unternehmen, die im deutschen Einflußbereich waren. "Der effektive innere Wert der Tochterfirma in Singen entsprach gerade noch einem Drittel des Vorkriegswerts, was für das Schaffhauser Stammhaus einem kumulierten Verlust 1939-1945 von annähernd 15 Millionen Franken gleichkam."

All diese Details hat der ehemalige Stadtarchivar von Schaffhausen, Hans Ulrich Wipf, zusammengetragen, weil wenigstens ein Schweizer Unternehmen, die Georg Fischer AG, bisher den Mut aufbrachte, eine Firmengeschichte über eine Zeit zu verfassen, welche die Eidgenossen früher gern glorifizierten und heute noch am liebsten verdrängen würden. Früher tat man so, als habe die Armee das Land vor dem Krieg bewahrt - heute weiß man, daß die Schweizer den Nazis ökonomisch nützlich waren, als Financiers und als Helfer bei der Aufrüstung. War es insofern gar kein Navigationsfehler der Piloten, daß die Allierten 1944 Schaffhausen bombardierten, den Firmensitz von Fischer?

Das Buch ist kein Lesevergnügen, weil es die Geschichte nicht erzählt, sondern chronologisch und thematisch referiert. Es hat damit aber zumindest zwei Schweizer Tugenden: das Bemühen um Genauigkeit und den Verzicht auf ideologische Scheuklappen. Der Autor ist derart bemüht um Präzision, daß er jeweils das mehr oder minder zufällige Fehlen von Quellen eigens vermerkt, etwa von Protokollen der Fischer-Geschäftsleitung. Er vermeidet es auch, als Nachgeborener den Stab zu brechen über die Altvorderen, was ein beliebtes Verfahren mancher Vergangenheitsbewältiger ist. Der Autor stellt dafür die simplen, aber letztlich entscheidenden Fragen: Warum hat die Schweizer Belegschaft nie protestiert gegen die Kriegsmaterialproduktion für die Deutschen? Man wollte, was Gewerkschaftler zu allen Zeiten wollen: Arbeitsplätze erhalten. Und daher kritisierten auch linke Gazetten höchstens die Höhe der Dividende, aber nie die Herkunft des Gewinns.

Eine ähnliche, für die heutige Zeit schwer verständliche Gleichgültigkeit gab es gegenüber den Zwangsarbeitern in Singen. Nicht weniger als 1700 ausländische Arbeitskräfte wurden während des Krieges eingesetzt, ein Drittel davon kam aus Rußland. Jenseits der Grenze in Schaffhausen wußte man ziemlich genau Bescheid über die fürchterlichen Arbeitsbedingungen, über die ungenügende Verpflegung und die miese Unterkunft in den "Russenlagern" - und zwar nicht allein in der Firmenleitung, sondern auch in der Arbeiterschaft. Hier glaubte man, das mit den Russen in Deutschland sei wie mit den Italienern in der Schweiz: die seien ebenfalls keine Zwangsarbeiter. In schlimmen Zeiten hat jeder seine Ausrede, die ihm die zudringliche Wahrheit vom Leibe hält. Solche Ausreden hatten auch die "neutralen" Schweizer.

KONRAD MRUSEK

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Nein, ein Lesevergnügen bietet der Band nach Ansicht des Rezensenten Konrad Mrusek nicht. Dafür aber biete er die Schweizer Tugenden der Präzision und einer gewissen moralischen Neutralität: Hier gehe es jedenfalls nicht darum, den Stab über die Altvorderen zu brechen. Das wäre auch ungerecht, denn schließlich hat die Georg Fischer AG Wipfs Studie selbst in Auftrag gegeben und bewies damit einen größeren Mut als der große Rest der Schweizer Wirtschaft, bemerkt Mrusek. Die AG hatte ein Werk in Deutschland, und laut Mrusek lernt man hier, dass sich die Schweizer in der Kollaboration in nichts von den Deutschen unterschieden. Man unterschrieb seine Briefe mit dem Hitlergruß, installierte eine Radioanlage zur Übertragung von Führerreden und tat dies natürlich auch "aus geschäftlichem Kalkül": Man wollte Rüstungsgüter verkaufen. Wirklich gelohnt hat es sich nach Wipfs Rechnung am Ende nicht - die Firma hatte nach dem Krieg an Wert verloren. Besonders interessant findet Wipf, dass auch die Schweizer Gewerkschaften nichts gegen die Kollaboration auszusetzen hatte. Man wollte Arbeitsplätze erhalten, schreibt Mrusek, und kam vielleicht auch darum nie auf die Idee, die Arbeitsbedingungen der sowjetischen Zwangsarbeiter im deutschen Werk anzuprangern.

© Perlentaucher Medien GmbH