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  • Die Andere Bibliothek
  • Verlag: Eichborn
  • Seitenzahl: 338
  • Deutsch
  • Abmessung: 220mm
  • Gewicht: 552g
  • ISBN-13: 9783821841397
  • Artikelnr.: 24254789
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.05.1997

Der Wilde auf der Außenbahn
Ulrich Enzensberger beschreibt das unruhige Leben Georg Forsters

Der geschichtliche Weg von der Aufklärung zum Zenit der französischen Revolution, der in Hegels "Phänomenologie des Geistes" gut vierzig Seiten mißt, war der Lebensweg Georg Forsters. Als Knabe bereits zu wissenschaftlich-botanischen Arbeiten herangezogen, dreizehnjährig mit der Übersetzung einer Geschichte Rußlands hervorgetreten, schloß er sich 1772 mit seinem Vater Reinhold der Cookschen Entdeckungsfahrt auf der "Resolution" in den Südpazifik an. Mit dem Expeditionsbericht, der "Reise um die Welt", wurde er in Deutschland schlagartig berühmt; seine malerischen Schilderungen des fernen Tahiti beflügelten die utopische Phantasie der deutschen Zeitgenossen.

Der Erfahrungshunger der Aufklärung - niemand hatte in Deutschland zuvor das Wort "Forscher" mit solcher Emphase ausgesprochen, nirgendwo sah man die vitalen Reize des Entdeckens so gefeiert wie in dem Essay "Über Leckereien" - wurde Forster zum Schicksal. Hinzu kam freilich, daß ihm der Aufbruch zu den neuen Horizonten des Wissens von einem Vater vermittelt wurde, der einer abenteuerlich-unsteten Lebensweise frönte. "Starrsinn und Widerspruchsgeist" nennt Therese Huber, Forsters spätere Frau, als Hauptcharakterzüge von Reinhold, der sich mit seinen Auftraggebern und Förderern regelmäßig überwarf. In keiner Position blieb er lange, Georg mußte aushelfen und der Unruhe des launenhaften Querulanten folgen. Es war ein Weg der Extreme, und als der schmächtige Junge in London, kurz nach der Publikation der russischen Geschichte, als Kaufmannsgehilfe quer durch die Stadt herumlaufend, Gelder einzukassieren und Rechnungen auszustellen hatte, verfiel er in eine Auszehrung: "Die abwechselnden Extreme", schrieb der Vater, "waren seiner Gesundheit schädlich."

Vernunftpathos und die Erfahrung ständig wechselnder Lebensumstände schlossen sich für Forster in einem Weltbild zusammen, das die Revolution bereits als Leerstelle enthielt. "Der Himmel", schrieb er 1781, als er "an Buffons Hand" die Natur darstellte, "ist der Schauplatz großer Begebenheiten. Eine verlöschende Sonne, die den Umsturz einer Welt oder eines Weltsystems verursacht" - konnte sie nicht dem aufgeklärten Beobachter einen Vorgeschmack des Kommenden geben? Forster sah Chaos und Zerstörung als Voraussetzungen schöpferischer Kraft an. Auf der Idee, Fortschritt sei das Resultat einer "exzentrischen Bahn", beruhte seine Kulturtheorie. Die Mannigfaltigkeit, so heißt es im "Leitfaden zu einer künftigen Geschichte der Menschheit", erfordere "partielle Disharmonien und Exzentrizitäten".

Das war seine wesentlichste, immer wieder variierte Einsicht über den Menschen: Kultur entsteht durch Abweichungen. Angesichts des Kölner Doms, den er mit dem Schauspieler Iffland und Alexander von Humboldt besuchte und dem er in den "Ansichten vom Niederrhein" einige der gewaltigsten Seiten seines Werks widmete, wollte er "Zeugnis . . . geben von der schöpferischen Kraft im Menschen, die einen isolierten Gedanken bis aufs äußerste zu verfolgen und das Erhabene, selbst auf einem exzentrischen Wege, zu erreichen weiß". Ob er einen Orkan beschrieb, der auf seiner Bahn alles zerstört und dann verschwindet, oder ob er, in einer kaum verschlüsselten apologia pro vita sua, den deutschen Lesern die "wilde Laufbahn" des russischen Reisenden Benjowski vorstellte - ein Radikalismus ist spürbar, der nicht gedanklich blieb, sondern in die Lebensführung hineinreichte.

Ulrich Enzensbergers Mosaik einer intellektuellen Biographie, aus den Schriften Forsters und zeitgenössischen Briefen mit großer Kenntnis zusammengestellt und mit knappen überleitenden Kommentaren versehen, zeigt weniger den Philosophen und Reisenden als die Alltagswirklichkeit, die hinter den neuen Ideen stand. Anders als in dem parteigebundenen Lob, das man dem deutschen Jakobiner hat angedeihen lassen, kommt bei Enzensberger auch das nackte private Unglück zur Sprache, das in der Vorstellung der "partiellen Disharmonien" sublimiert war. Warum wurde er von jedem, der ihn kannte, "der unglückliche Forster" genannt? Manchmal hatte er bloß Pech: Als seine südpazifischen Präparate verfault in Deutschland eintrafen, berichtete Merck der Herzogin Anna Amalia, Forsters Unglück habe "tiefen Eindruk" auf ihn gemacht. "Bougainville, Forster, Banks . . . teure Namen", notiert Alexander von Humboldt, als er in einem späteren Reisetagebuch seines Mentors gedenkt: "Aber auch dieses so edle, gefühlsreiche, immer hoffende Leben durfte kein glückliches sein." Zu dem traurigsten Unglück gehört das Sterben Forsters nach einem schmerzhaften Leiden.

Auch über der Ehe mit Therese lag ein Unsegen, der mit seiner Abfolge von Kühle, unbefriedigter Passion, ungewollten Schwangerschaften und Affären den Leser begleitet. Erst mit Friedrich Meyer, der Trauzeuge gewesen war, später mit Forsters Mitarbeiter, dem Literaten Ludwig Ferdinand Huber, knüpfte Therese Verbindungen an, die Georg zeitweise tolerierte. Sein Krisensinn für die Brüchigkeit der Weltverhältnisse hatte biographische Entsprechungen, auf die der Leser von Enzensbergers Buch förmlich gestoßen wird. Als er Meyer eine Stelle in Berlin verschafft hat, um ihn endlich loszuwerden, meldet Forster seinem Freund Spener, "in einer unsäglichen und mir selbst unbegreiflichen innern Bewegung und Zerrüttung" gelebt zu haben, bis das "unnatürliche, oder besser, unzweckmässige" Verhältnis beendet war.

Ein Schlüsselwort ist gefallen: Als ihm Therese im Sommer 1793 ihren Entschluß mitteilt, sich scheiden zu lassen, antwortet er verzweifelt: "Alles ist zerrüttet, alles hin." Kurz darauf ahnt er, nach einem politisch riskanten Wiedersehen mit Therese, die "fürchterlichste Zerrüttung von ganz Europa" voraus; als Charlotte Corday hingerichtet ist, hält er ihr zugute, sie habe in ihrer Begeisterung die "innere Zerrüttung" der Freiheit erkannt.

Er, der seine Jugend auf den Wellen des Pazifik zugebracht hatte, entwirft nun ein pessimistisches Gegenbild zu den historischen Schauspielen des Himmels. "Die Unermeßlichkeit des Meeres ergreift den Schauenden finstrer und tiefer, als die des gestirnten Himmels . . . Nirgends ist die Natur furchtbarer, als hier in der unerbittlichen Strenge ihrer Gesetze; nirgends fühlt man anschaulicher, daß gegen die gesammte Gattung gehalten, das Einzelne nur die Welle ist, die aus dem Nichtseyn durch einen Punkt des abgesonderten Daseyns wieder in das Nichtseyn übergeht, indeß das Ganze in unwandelbarer Einheit sich fortwälzt."

Dies ist die Wahrheit des Republikanismus, die der späte Forster im Paris der Schreckensherrschaft begreift, als sein Fatalismus gegen den Enthusiasmus an Gewicht zunimmt und die Gemeinschaft der freien Menschen, das Lichtideal der Aufklärung in das Bild eines Glühwürmchenschwarms umschlagen: "Befragen Sie einmal einen unserer Republikaner, ob das Heil seiner Republik an Robespierre'ns, an Dantons, an Pache'ns, Heberts, oder irgend eines anderen Patrioten Leben hängt? Er wird ihnen antworten, daß er von keines Menschen Nahmen etwas weiß, wo von dem Volk und Staat die Rede ist. So verschwinden die einzelnen Käferchen vor dem Auge des Beobachters; ihr Licht gilt nur in der Masse, wo es sich mit 24 Millionen multiplicirt." Vom Verschwinden ist in seinen letzten Briefen wie von nichts anderem die Rede. Enzensbergers Collage läßt den menschlichen Stoff erkennen, in dem die Zeitereignisse ein Echo finden. "Wie ich heute einsam im Palais Royal auf und ab ging, kamen mir unwillkürlich die Thränen in die Augen, daß ich . . . in der unendlich großen Stadt keinen Menschen hätte, . . . dem es nicht völlig gleichgültig wäre, wenn ich morgen verschwände!"

Eine Geschichtsphilosophie der Revolutionen mußte als ihren Schatten ein neues Empfinden der Vergänglichkeit hervorrufen. Hier liegt der Grund für die Poesie von Forsters kräftiger Prosa. "Man erinnert sich", schreibt er in einem Essay, in dem man ein Selbstbildnis des Mannes zu lesen glaubt, der mit neununddreißig Jahren starb, "an jene prachtvollen Blumen, deren Fülle und Zärtlichkeit alles übertrifft, die in einer Stunde der Nacht am Stengel der Fackeldistel prangen und noch vor Sonnenaufgang verwelken. Dem so zart hingehauchten Leben konnte die Natur keine Dauer geben." LORENZ JÄGER

Ulrich Enzensberger: "Georg Forster. Ein Leben in Scherben." Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 1996. 339 S., geb., 48,- DM.

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