Georg Forster (1754-1794) war eine der faszinierendsten Gestalten seiner Zeit: glänzender Schriftsteller, Naturforscher, Entdecker, Zeichner, Übersetzer und entschiedener Revolutionär. Auf seiner Weltumsegelung mit James Cook berührte er Eisberge mit den eigenen Händen, lief den Strand von Tahiti entlang, besuchte fremde Völker, lebte unter "Menschenfressern" und überquerte Ozeane und den Äquator. Und er stand im Zentrum des politischen Geschehens, als er - inspiriert von der Französischen Revolution - 1793 die "Mainzer Republik" ausrief, die erste Republik auf deutschem Boden. Anschaulich und fesselnd portraitiert Jürgen Goldstein dieses Ausnahmeleben, in dem sich "Freiheit" und "Naturgewalt" berührten. Niemand ist auf vergleichbare Weise das erfahrungsgetriebene Experiment eingegangen, die Natur mit dem Politischen kurzzuschließen. Die Funken, die Forster aus seinen Leitvorstellungen schlug, erhellten für einen Weltaugenblick die Aussicht, es könne so etwas wie natürliche Revolutionen geben.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.07.2015Die Revolution ist ein Naturereignis
In 1111 Tagen um die Welt und dann als Republikaner nach Paris: Jürgen Goldstein zeichnet nach, wie Georg Forster vom Forschungsreisenden zum deutschen Jakobiner wurde.
Georg Forster, Wunderkind und Weltreisender, bleibt ein Faszinosum. Befeuert wird es vor allem durch Neuausgaben, etwa die fulminante, erstmals mit Forsters Originalzeichnungen versehene "Reise um die Welt" oder durch "James Cook, der Entdecker". Forsters Anthropologie, die von seinem Freund und Schüler Alexander von Humboldt gepriesene "neue Aera wissenschaftlicher Reisen", trat damit deutlich vor das ältere Interesse am verschrieenen Jakobiner und aus Deutschland verbannten Revolutionspolitiker in Paris.
Jürgen Goldstein, Philosophieprofessor in Koblenz, will diese beiden Seiten von Forsters Persönlichkeit nicht mehr länger voneinander trennen. In seiner Problemgeschichte versucht er die Erfahrungen, die der Expeditionszeichner und Hilfswissenschaftler in 1111 Tagen Weltumsegelung im Tagebuch festhält, mit den späteren politischen Positionen zu verknüpfen. Bei Antritt der Weltreise ist Forster siebzehn Jahre alt. Fremdsprachen hat er bereits so gut gelernt, dass er Lomonossows "Geschichte Russlands" aus dem Russischen ins Englische und Bougainvilles Tahiti-Bericht aus dem Französischen übersetzen wird. "A Voyage round the World" verfasst er auf Englisch und überträgt sie dann selbst ins Deutsche.
Noch erstaunlicher als das sprachliche Ausnahmetalent ist Forsters methodische Umsicht, mit der er Geschichtsforschung und physische Geographie betreibt. Zweihundert Jahre vor Claude Lévi-Strauss überbietet da ein Autodidakt alle vorangehenden "Mikrologen" mit ihren Faktensammlungen, erkennt die Subjektivität und Relativität der eigenen "Gesichtspunkte", reflektiert die Verzerrungen, die europäische Feldforscher verursachen können. Wie von selbst scheint Forster Grundsätze intuitiver, teilnehmender Beobachtung zu entdecken und in behutsam abwägenden, perspektivischen Darstellungsverfahren zu dokumentieren.
Gegen idealisierende Wunschträume vom edlen Wilden oder den "Plunder" philosophischer Deduktionen von armchair travellers setzt Forster das strikt induktive Prinzip der Erfahrung. Goldstein zeigt an prägnanten Beispielen, wie er damit etwa Rousseaus Ursprungsmythos vom "homme naturel", Kants Dogma vom einheitlichen Ursprung der Menschenrassen oder Thesen der Klimatheorie, die Hochkulturen nur in unseren mittleren Breiten für möglich hielten, widerlegen kann. Solche Einsichten sind für sich noch nicht neu, Goldstein vermag daraus aber Forsters politischen Humanismus und sein - von Jürgen Habermas attestiertes - Konzept einer demokratisch funktionierenden Öffentlichkeit zu entwickeln. Gedanken, die Forster später ins revolutionäre Frankreich trägt, ergeben sich, so die These, nicht länger aus utopischen "Klopffechterstreichen", sondern aus den konkreten anthropologischen Beobachtungen eines Weltreisenden.
Prägend ist die Einsicht, dass Theorien durch Erfahrungen widerlegbar sind. Zu der von Mythen und Legenden nicht freien Diskussion über Menschenfresserei trägt etwa 1773 ein Vorfall in Neuseeland bei: Eingeborene hatten einen jungen Mann erschlagen und angeblich Teile seines Körpers gegessen. An Bord der "Resolution" wird der Verdacht zur Gewissheit: Die jungen Wilden grillen die Backen des als Trophäe mitgeführten Kopfes und verspeisen sie vor den Augen der Besatzung. Sorgfältig und distanziert notiert Forster die unterschiedlichen Zuschauerreaktionen auf das herbeigeführte "Experiment" und relativiert es durch Vergleich, mit Grausamkeiten europäischer Kriege. Zwanzig Jahre später erlebt er den Blutrausch der französischen Schreckensherrschaft und sieht zu, wie der Henker sich am abgetrennten Kopf der Charlotte Corday vergeht.
Neben Rohheiten auf einigen südpazifischen Inseln beschreibt Forster auch friedliche, zivilisierte Gemeinschaften, die sich vom absolutistischen Europa abheben. Aus empirischen Anschauungen gehen so Keime seiner politischen Überzeugungen hervor. Als die "Resolution" vor Tahiti - dem beinahe materialisierten Utopia - in gefährliche Seenot gerät, kämpft die gesamte Besatzung mit vereinten Kräften gegen die übermächtige Gefahr. "All hands on deck" - Matrosen, Offiziere und das vom nautischen Handwerk sonst ausgenommene wissenschaftliches Personal sind vereint. Cook erscheint als Primus inter pares, als souveräner politischer Führer, der das Staatsschiff sicher aus der tödlichen Gefahr manövrieren hilft. Nicht nur hier deutet sich Forsters Revolutionsgrundsatz an, "daß die Menschheit unter einer unerträglichen Bürde entweder völlig erliegt, oder sie mit gerechtem Unwillen abschüttelt".
Auch für die Parole von der Gleichheit entfaltet Goldstein die anthropologische Vorgeschichte. Den Streit mit Kant über die Menschenrassen greift er, trotz mancher Sammelbände zum Thema, wieder auf und poliert das zu einem Glanzstück seines Buches. Forster, als Professor in Wilna von der gelehrten Welt gerade ziemlich abgeschnitten und entsprechend zerknirscht, sucht sich den prominentesten Gegner. Gibt es für die Menschheitsgeschichte, so die Frage, einen oder mehrere Ursprünge? Forster stellt sich forsch gegen Kants "Philosophie im Lehnstuhl", nicht weil er prinzipiell gegen das biblische Dogma von der Monogenese wäre, sondern um Aufmerksamkeit zu erregen.
Auch wenn er argumentativ oft unterliegt, bekämpft er erfolgreich Vor- und Fehlurteile durch Anschauung und schärft so neue Aufmerksamkeit für die Vielfalt. Polemisch kritisiert er bloße Annahmen, die nur gelten, "wenn sich die häßlichen Schwarzen gänzlich aus der Südsee wegdemonstrieren ließen".
Diese Offenheit für Unterschiede und die Begeisterung für ein dynamisches Geschichtsbild, das sich an Tatsachen statt kühnen Thesen orientiert, leiten auch den wachen Wanderer entlang des Niederrheins, den politischen Journalisten und Funktionär in der kurzlebigen Mainzer Republik, den Deputierten in Paris, den harschen Kritiker katholischer Unduldsamkeit. Die Revolution ist für ihn keine Kopfgeburt, sondern ein Naturereignis, eine "Selbstentzündung der Vernunft". Sie waltet als Schicksal noch über der Freiheit und macht uns "genau so unabhängig wie den Schachkönig".
Diesen Zusammenhang einer "natürlichen Revolution" aus Forsters Natur- und Menschenkunde entwickelt zu haben ist Goldsteins nicht geringes Verdienst.
ALEXANDER KOSENINA
Jürgen Goldstein: "Georg Forster". Zwischen Freiheit und Naturgewalt.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2015. 304 S., geb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
In 1111 Tagen um die Welt und dann als Republikaner nach Paris: Jürgen Goldstein zeichnet nach, wie Georg Forster vom Forschungsreisenden zum deutschen Jakobiner wurde.
Georg Forster, Wunderkind und Weltreisender, bleibt ein Faszinosum. Befeuert wird es vor allem durch Neuausgaben, etwa die fulminante, erstmals mit Forsters Originalzeichnungen versehene "Reise um die Welt" oder durch "James Cook, der Entdecker". Forsters Anthropologie, die von seinem Freund und Schüler Alexander von Humboldt gepriesene "neue Aera wissenschaftlicher Reisen", trat damit deutlich vor das ältere Interesse am verschrieenen Jakobiner und aus Deutschland verbannten Revolutionspolitiker in Paris.
Jürgen Goldstein, Philosophieprofessor in Koblenz, will diese beiden Seiten von Forsters Persönlichkeit nicht mehr länger voneinander trennen. In seiner Problemgeschichte versucht er die Erfahrungen, die der Expeditionszeichner und Hilfswissenschaftler in 1111 Tagen Weltumsegelung im Tagebuch festhält, mit den späteren politischen Positionen zu verknüpfen. Bei Antritt der Weltreise ist Forster siebzehn Jahre alt. Fremdsprachen hat er bereits so gut gelernt, dass er Lomonossows "Geschichte Russlands" aus dem Russischen ins Englische und Bougainvilles Tahiti-Bericht aus dem Französischen übersetzen wird. "A Voyage round the World" verfasst er auf Englisch und überträgt sie dann selbst ins Deutsche.
Noch erstaunlicher als das sprachliche Ausnahmetalent ist Forsters methodische Umsicht, mit der er Geschichtsforschung und physische Geographie betreibt. Zweihundert Jahre vor Claude Lévi-Strauss überbietet da ein Autodidakt alle vorangehenden "Mikrologen" mit ihren Faktensammlungen, erkennt die Subjektivität und Relativität der eigenen "Gesichtspunkte", reflektiert die Verzerrungen, die europäische Feldforscher verursachen können. Wie von selbst scheint Forster Grundsätze intuitiver, teilnehmender Beobachtung zu entdecken und in behutsam abwägenden, perspektivischen Darstellungsverfahren zu dokumentieren.
Gegen idealisierende Wunschträume vom edlen Wilden oder den "Plunder" philosophischer Deduktionen von armchair travellers setzt Forster das strikt induktive Prinzip der Erfahrung. Goldstein zeigt an prägnanten Beispielen, wie er damit etwa Rousseaus Ursprungsmythos vom "homme naturel", Kants Dogma vom einheitlichen Ursprung der Menschenrassen oder Thesen der Klimatheorie, die Hochkulturen nur in unseren mittleren Breiten für möglich hielten, widerlegen kann. Solche Einsichten sind für sich noch nicht neu, Goldstein vermag daraus aber Forsters politischen Humanismus und sein - von Jürgen Habermas attestiertes - Konzept einer demokratisch funktionierenden Öffentlichkeit zu entwickeln. Gedanken, die Forster später ins revolutionäre Frankreich trägt, ergeben sich, so die These, nicht länger aus utopischen "Klopffechterstreichen", sondern aus den konkreten anthropologischen Beobachtungen eines Weltreisenden.
Prägend ist die Einsicht, dass Theorien durch Erfahrungen widerlegbar sind. Zu der von Mythen und Legenden nicht freien Diskussion über Menschenfresserei trägt etwa 1773 ein Vorfall in Neuseeland bei: Eingeborene hatten einen jungen Mann erschlagen und angeblich Teile seines Körpers gegessen. An Bord der "Resolution" wird der Verdacht zur Gewissheit: Die jungen Wilden grillen die Backen des als Trophäe mitgeführten Kopfes und verspeisen sie vor den Augen der Besatzung. Sorgfältig und distanziert notiert Forster die unterschiedlichen Zuschauerreaktionen auf das herbeigeführte "Experiment" und relativiert es durch Vergleich, mit Grausamkeiten europäischer Kriege. Zwanzig Jahre später erlebt er den Blutrausch der französischen Schreckensherrschaft und sieht zu, wie der Henker sich am abgetrennten Kopf der Charlotte Corday vergeht.
Neben Rohheiten auf einigen südpazifischen Inseln beschreibt Forster auch friedliche, zivilisierte Gemeinschaften, die sich vom absolutistischen Europa abheben. Aus empirischen Anschauungen gehen so Keime seiner politischen Überzeugungen hervor. Als die "Resolution" vor Tahiti - dem beinahe materialisierten Utopia - in gefährliche Seenot gerät, kämpft die gesamte Besatzung mit vereinten Kräften gegen die übermächtige Gefahr. "All hands on deck" - Matrosen, Offiziere und das vom nautischen Handwerk sonst ausgenommene wissenschaftliches Personal sind vereint. Cook erscheint als Primus inter pares, als souveräner politischer Führer, der das Staatsschiff sicher aus der tödlichen Gefahr manövrieren hilft. Nicht nur hier deutet sich Forsters Revolutionsgrundsatz an, "daß die Menschheit unter einer unerträglichen Bürde entweder völlig erliegt, oder sie mit gerechtem Unwillen abschüttelt".
Auch für die Parole von der Gleichheit entfaltet Goldstein die anthropologische Vorgeschichte. Den Streit mit Kant über die Menschenrassen greift er, trotz mancher Sammelbände zum Thema, wieder auf und poliert das zu einem Glanzstück seines Buches. Forster, als Professor in Wilna von der gelehrten Welt gerade ziemlich abgeschnitten und entsprechend zerknirscht, sucht sich den prominentesten Gegner. Gibt es für die Menschheitsgeschichte, so die Frage, einen oder mehrere Ursprünge? Forster stellt sich forsch gegen Kants "Philosophie im Lehnstuhl", nicht weil er prinzipiell gegen das biblische Dogma von der Monogenese wäre, sondern um Aufmerksamkeit zu erregen.
Auch wenn er argumentativ oft unterliegt, bekämpft er erfolgreich Vor- und Fehlurteile durch Anschauung und schärft so neue Aufmerksamkeit für die Vielfalt. Polemisch kritisiert er bloße Annahmen, die nur gelten, "wenn sich die häßlichen Schwarzen gänzlich aus der Südsee wegdemonstrieren ließen".
Diese Offenheit für Unterschiede und die Begeisterung für ein dynamisches Geschichtsbild, das sich an Tatsachen statt kühnen Thesen orientiert, leiten auch den wachen Wanderer entlang des Niederrheins, den politischen Journalisten und Funktionär in der kurzlebigen Mainzer Republik, den Deputierten in Paris, den harschen Kritiker katholischer Unduldsamkeit. Die Revolution ist für ihn keine Kopfgeburt, sondern ein Naturereignis, eine "Selbstentzündung der Vernunft". Sie waltet als Schicksal noch über der Freiheit und macht uns "genau so unabhängig wie den Schachkönig".
Diesen Zusammenhang einer "natürlichen Revolution" aus Forsters Natur- und Menschenkunde entwickelt zu haben ist Goldsteins nicht geringes Verdienst.
ALEXANDER KOSENINA
Jürgen Goldstein: "Georg Forster". Zwischen Freiheit und Naturgewalt.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2015. 304 S., geb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.08.2015Weltumsegler
und Revolutionär
Jürgen Goldstein erzählt die
Biografie Georg Forsters
„Haben Sie viel gelitten?“, fragte Kaiser Joseph II. den damals gerade erst dreißig Jahre alten Weltumsegler Georg Forster, als er ihn 1784 zu einer Audienz empfing. Ja, Forster hatte gelitten. Der Bericht von der Weltreise, die der junge Deutsche von 1772 bis 1775 zusammen mit seinem Vater auf den Expeditionsschiffen von James Cook unternommen hatte, enthielt nicht nur arkadisch-schöne Bilder einer fast klassenlosen Gesellschaft auf den Südseeinseln um Tahiti, sondern auch alle Schrecken des Eises und der Finsternis der Antarktis. Von der monatelangen Gefangenschaft auf beengten Schiffen bei vergammeltem Pökelfleisch, verschimmeltem Zwieback und rationiertem Trinkwasser hat sich Forsters Gesundheit nie mehr erholt.
Dazu kam, dass der Abenteuerruhm, zu dem bald die Schriftstellerglorie der bis heute packenden Darstellung dieser Reise kam, Forster materiell gar nichts nützte: Der Kaiser erkundigte sich huldvoll, allein eine anständig dotierte Stelle hatte er nicht. „Ich correspondiere mit Fürsten und schreibe ein AbcBuch der Naturhistorie; ich seegle um die Welt, und komme nach Cassel zwölfjährigen Rozlöffeln ihre Muttersprache buchstabiren zu lehren“, bemerkte Forster in einem Brief von 1779.
Georg Forster ist bis heute berühmt vor allem durch sein Leben. Denn er war nicht nur der erste Deutsche, der die Welt umrundete, sondern er hat auch am ersten deutschen Versuch mitgewirkt, eine Demokratie zu gründen, in der Mainzer Republik von 1793. In ihrem Auftrag hielt er die Rede vor dem Pariser Konvent, mit der ihr Beitritt zur französischen Mutterrepublik beantragt wurde. Dass er sich schon wenige Tage danach, im April 1793, von den „herzlosen Teufeln“ entsetzt zeigt, die die Revolution in eine Schreckensherrschaft verwandelt hatten, gehört zu den tragischen Peripetien einer grenzenlos interessanten Biografie.
Jürgen Goldstein hat sie nun von Neuem erzählt, gestützt auf die noch in der DDR begonnene, erst kürzlich fertig gewordene kritische Forster-Ausgabe der Berliner Akademie der Wissenschaften und eine sich daran knüpfende Detailforschung, deren Ernte sein knappes, reichhaltiges Buch nun fürs breite Publikum einbringt. Es ist farbig und spannend, weil es seinen Helden in zahllosen, gut gewählten Zitaten zu Wort kommen lässt. Sein wichtigstes Verdienst aber ist, dass es Forster als Denker vorstellt und damit den Zusammenhang der beiden Hauptteile seiner Biografie – Weltumsegelung, Revolution – zum ersten Mal plausibel macht, jenseits des biografischen Zufalls, dass Forster 1792 als Bibliothekar des Kurfürsten von Mainz halt am richtigen Ort war, als die revolutionären Franzosen in Deutschland einmarschierten.
Forster hatte in der Südsee den Menschen als Naturwesen entdeckt, und zwar konkret, nicht als Projektion nach der Art von Rousseau. Eine egalitäre Gesellschaft im Einklang mit einer freundlichen Natur schien möglich zu sein; die Vielheit menschlicher Stämme bezeugte die Vielzahl anthropologischer Möglichkeiten.
Dem Konzept einer natürlichen Entwicklung blieb Forster auch als Revolutionär treu: Die Revolution war für ihn nicht der Ausdruck von Vernunftautonomie, nicht Fortschritt zur Freiheit, sondern eine Naturgewalt, die sich schicksalhaft die Bahn brach. „Revolutionäre Umstürze sind weder Ausdruck des souveränen Volkswillens noch der aufgeklärten Vernunft, sondern Folgen einer Natur, die auch den Menschen bestimmt“, fasst Goldstein zusammen.
Mit seiner sorgfältigen Nachzeichnung von Forsters naturgeschichtlichem Denken, dessen empfindsame Ferne von den methodischen Vorgaben zeitgenössischer Philosophie er nicht unterschlägt, ist Goldstein eine nun selbst revolutionär anmutende Entdeckung gelungen: Er hat die Ideengeschichte mit der Figur des Links-Goetheaners bereichert (ohne Forster selbst so zu nennen). Denn Goldstein kann nachweisen, wie nahe Forsters Geschichtsdenken Goethes Wahrnehmung der Revolution als vulkanischem, sturzbachhaftem Naturgeschehen kommt – die Metaphern gleichen einander bis aufs Wort.
Man fragt sich, ob Goethes einfühlsame Revolutionsskepsis sich im Kern überhaupt stark von Forsters schicksalsergebener Revolutionsteilnahme unterscheidet und ob die Differenzen zwischen den beiden Naturdenkern nicht vor allem ihren unterschiedlichen biografischen Standorten geschuldet waren.
Jedenfalls hat sich Goethe an der Verdammung des Forster-Gedächtnisses nach dessen Tod nicht beteiligt – zum Ärger der Weimarer Autoritäten hat er sogar für einen ausführlichen, würdigen Nachruf gesorgt und Forsters Idealen in „Herrmann und Dorothea“ pathetische Ehrerbietung gezollt.
GUSTAV SEIBT
Goldstein bereichert die
Ideengeschichte mit der Figur
des Links-Goetheaners
Jürgen Goldstein: Georg Forster. Zwischen Freiheit und Naturgewalt. Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2015.
302 Seiten, 24,90 Euro. E-Book 19,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
und Revolutionär
Jürgen Goldstein erzählt die
Biografie Georg Forsters
„Haben Sie viel gelitten?“, fragte Kaiser Joseph II. den damals gerade erst dreißig Jahre alten Weltumsegler Georg Forster, als er ihn 1784 zu einer Audienz empfing. Ja, Forster hatte gelitten. Der Bericht von der Weltreise, die der junge Deutsche von 1772 bis 1775 zusammen mit seinem Vater auf den Expeditionsschiffen von James Cook unternommen hatte, enthielt nicht nur arkadisch-schöne Bilder einer fast klassenlosen Gesellschaft auf den Südseeinseln um Tahiti, sondern auch alle Schrecken des Eises und der Finsternis der Antarktis. Von der monatelangen Gefangenschaft auf beengten Schiffen bei vergammeltem Pökelfleisch, verschimmeltem Zwieback und rationiertem Trinkwasser hat sich Forsters Gesundheit nie mehr erholt.
Dazu kam, dass der Abenteuerruhm, zu dem bald die Schriftstellerglorie der bis heute packenden Darstellung dieser Reise kam, Forster materiell gar nichts nützte: Der Kaiser erkundigte sich huldvoll, allein eine anständig dotierte Stelle hatte er nicht. „Ich correspondiere mit Fürsten und schreibe ein AbcBuch der Naturhistorie; ich seegle um die Welt, und komme nach Cassel zwölfjährigen Rozlöffeln ihre Muttersprache buchstabiren zu lehren“, bemerkte Forster in einem Brief von 1779.
Georg Forster ist bis heute berühmt vor allem durch sein Leben. Denn er war nicht nur der erste Deutsche, der die Welt umrundete, sondern er hat auch am ersten deutschen Versuch mitgewirkt, eine Demokratie zu gründen, in der Mainzer Republik von 1793. In ihrem Auftrag hielt er die Rede vor dem Pariser Konvent, mit der ihr Beitritt zur französischen Mutterrepublik beantragt wurde. Dass er sich schon wenige Tage danach, im April 1793, von den „herzlosen Teufeln“ entsetzt zeigt, die die Revolution in eine Schreckensherrschaft verwandelt hatten, gehört zu den tragischen Peripetien einer grenzenlos interessanten Biografie.
Jürgen Goldstein hat sie nun von Neuem erzählt, gestützt auf die noch in der DDR begonnene, erst kürzlich fertig gewordene kritische Forster-Ausgabe der Berliner Akademie der Wissenschaften und eine sich daran knüpfende Detailforschung, deren Ernte sein knappes, reichhaltiges Buch nun fürs breite Publikum einbringt. Es ist farbig und spannend, weil es seinen Helden in zahllosen, gut gewählten Zitaten zu Wort kommen lässt. Sein wichtigstes Verdienst aber ist, dass es Forster als Denker vorstellt und damit den Zusammenhang der beiden Hauptteile seiner Biografie – Weltumsegelung, Revolution – zum ersten Mal plausibel macht, jenseits des biografischen Zufalls, dass Forster 1792 als Bibliothekar des Kurfürsten von Mainz halt am richtigen Ort war, als die revolutionären Franzosen in Deutschland einmarschierten.
Forster hatte in der Südsee den Menschen als Naturwesen entdeckt, und zwar konkret, nicht als Projektion nach der Art von Rousseau. Eine egalitäre Gesellschaft im Einklang mit einer freundlichen Natur schien möglich zu sein; die Vielheit menschlicher Stämme bezeugte die Vielzahl anthropologischer Möglichkeiten.
Dem Konzept einer natürlichen Entwicklung blieb Forster auch als Revolutionär treu: Die Revolution war für ihn nicht der Ausdruck von Vernunftautonomie, nicht Fortschritt zur Freiheit, sondern eine Naturgewalt, die sich schicksalhaft die Bahn brach. „Revolutionäre Umstürze sind weder Ausdruck des souveränen Volkswillens noch der aufgeklärten Vernunft, sondern Folgen einer Natur, die auch den Menschen bestimmt“, fasst Goldstein zusammen.
Mit seiner sorgfältigen Nachzeichnung von Forsters naturgeschichtlichem Denken, dessen empfindsame Ferne von den methodischen Vorgaben zeitgenössischer Philosophie er nicht unterschlägt, ist Goldstein eine nun selbst revolutionär anmutende Entdeckung gelungen: Er hat die Ideengeschichte mit der Figur des Links-Goetheaners bereichert (ohne Forster selbst so zu nennen). Denn Goldstein kann nachweisen, wie nahe Forsters Geschichtsdenken Goethes Wahrnehmung der Revolution als vulkanischem, sturzbachhaftem Naturgeschehen kommt – die Metaphern gleichen einander bis aufs Wort.
Man fragt sich, ob Goethes einfühlsame Revolutionsskepsis sich im Kern überhaupt stark von Forsters schicksalsergebener Revolutionsteilnahme unterscheidet und ob die Differenzen zwischen den beiden Naturdenkern nicht vor allem ihren unterschiedlichen biografischen Standorten geschuldet waren.
Jedenfalls hat sich Goethe an der Verdammung des Forster-Gedächtnisses nach dessen Tod nicht beteiligt – zum Ärger der Weimarer Autoritäten hat er sogar für einen ausführlichen, würdigen Nachruf gesorgt und Forsters Idealen in „Herrmann und Dorothea“ pathetische Ehrerbietung gezollt.
GUSTAV SEIBT
Goldstein bereichert die
Ideengeschichte mit der Figur
des Links-Goetheaners
Jürgen Goldstein: Georg Forster. Zwischen Freiheit und Naturgewalt. Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2015.
302 Seiten, 24,90 Euro. E-Book 19,99 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension
Eingebunden ins deutsche Geistesleben der Zeit ist Jürgen Goldsteins Biografie des Weltumseglers Georg Forster, schreibt Matthias Glaubrecht. Dem Autor geht es dabei weniger um einen klassischen Lebenslauf, er will vielmehr die geistigen Entwicklungen Forsters nachzeichnen und auf diese Weise beweisen, wie "Natur- und Gesellschaftserfahrung letztlich zu dessen weltpolitischer Ansicht von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit führte", so der Rezensent. Glaubrecht gefällt, dass Forster in Form von Tagebüchern und Briefwechseln ausführlich zitiert wird; so zeige sich dessen Wirken als Naturforscher und politischer Kopf mit Sympathien für die Republik gleichermaßen. Und selbst wenn der Kritiker letztlich zugesteht, man könne in anderen Büchern mehr über den Ethnologen und Reiseschriftsteller erfahren, weise Glaubrechts Biografie über Georg Forster doch nach, dass dieser die politische Moderne durchaus mitbegründet hat.
© Perlentaucher Medien GmbH
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